27. Dezember 2010

Nachdenkseiten. - Werthaltung die zweite

"Macht es Sinn, eine Idee zum Dauerthema zu machen, wenn sie nie realisiert werden wird?" - fragt Albrecht Müller in der Überschrift seiner Antwort auf Kritik an seinen Auslassungen zum Grundeinkommen, die wir und andere kürzlich vorgebracht haben. Die Kritik ist also gehört worden, die Antwort bietet die Chance einer Klärung.

Zuerst sei ein Blick auf die Überschrift der Antwort geworfen. Woher weiß Albrecht Müller, dass das Grundeinkommen nie realisiert werden wird? Er spricht nicht davon, dass er geringe Chancen sehe oder dass es unwahrscheinlich sei, nein, es wird nicht realisiert, das steht für ihn fest. Diese Gewissheit kann niemand haben, denn wir wissen nicht, was die Zukunft bringt. Hat die Gewissheit allerdings ihren Grund in einer inneren Realität, in einem Nicht-haben-wollen, dann leuchtet die Haltung ein. Albrecht Müller will das bGE nicht, warum spricht er es dann nicht gleich aus. Hier sehen wir schon eine erste Bestätigung für die Vermutung, dass nicht Argumente entscheidend sind, sondern eine Werthaltung, die sich Gründe sucht. Unsere politische Ordnung hingegen bietet keinen Anlass, das bGE für eine weltfremde oder unrealistische Idee zu halten. Wir leben heute schon auf den Voraussetzungen, die das Grundeinkommen benötigt. Es will sie nicht beseitigen, sondern stärken - es sind die Voraussetzungen der Demokratie. Deswegen ist es nicht an den Haaren herbeigezogen zu sagen, das Menschenbild des Grundeinkommens ist dasjenige unserer Demokratie. Dass über die Ausgestaltung unserer Demokratie immer wieder nachgedacht und gestritten werden muss, gehört dazu, der Grund dafür ist die stetig neue Suche nach Kompromissen, die alle zu tragen bereit sind.

Weiter heißt es:

"...Ich habe auch bisher schon mehrmals erklärt, dass ich es durchaus verstehe, wenn sich Menschen, denen es wirtschaftlich schlecht geht und die in totaler Unsicherheit leben, an eine solche Idee wie das bedingungslose Grundeinkommen klammern."

Albrecht Müller ist mit der Diskussion keineswegs vertraut. Es sind eben nicht überwiegend Menschen, denen es wirtschaftlich schlecht geht, die sich für das bGE einsetzen, wie ein näherer Blick auf die intensive Diskussion schnell gezeigt hätte. Interessanter noch aber ist eine zweite Aussage, die er hier trifft. Müller spricht den Befürwortern ab, gute und tragfähige Argumente für das Grundeinkommen zu haben und kanzelt sie als Verzweifelte ab, die in der Not nach dem nächsten rettenden Strohhalm greifen. Sie sind, das soll wohl auch die Botschaft sein, leicht verführbar. Elitär und hochnäsig kann man diese Haltung getrost nennen.

Wie geht es weiter:

"Aber diejenigen, die als Politiker/innen oder Wohlsituierte diese Idee seit Jahren propagieren, müssten wissen, dass sie damit bodenlose Hoffnungen machen. Denn die Idee hat so viele Schwächen, dass sie nie realisiert werden wird. (Über die Schwächen haben wir übrigens schon ausführlich berichtet – siehe hier). Es erhebt sich deshalb hier wie bei anderen Themen auch die Frage, ob es Sinn macht, Ideen zu einem politischen und gesellschaftlichen Dauerthema zu machen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit nie umgesetzt werden."

Ein Blick in die Beiträge, die die vermeintlichen Schwächen aufzeigen, reicht aus, um zu erkennen, wie wählerisch Gründe gegen das bGE gesucht werden. Da wird Christoph Butterwegge zitiert, auf dessen erstaunlich undemokratische Haltung in seiner Argumentation wir kürzlich wieder hingewiesen haben. Im Mantel der Fürsorge plädiert er für im wesentlichen für eine Erneuerung des alten bevormundenden Sozialstaats. Die größter Gefahr sieht er darin, dass Bürger durch den bGE-Vorschlag zu etwas verführt werden könnten, das sie gar nicht haben wollten. Des weiteren wird vor allem das Althaus-Modell angegriffen, auf dessen Schwächen die bGE-Befürworter selbst schon wiederholt hingewiesen haben (siehe auch unseren Brief an die Nachdenkseiten). Die üblichen Einwände gegen den Konsumsteuervorschlag werden vorgebracht und an der Illusion einer angeblich paritätisch finanzierten Sozialversicherung festgehalten, als seien Bruttokosten eines Unternehmens, also auch alle Aufwendungen für einen Arbeitnehmer nicht auf bloß einem einzigen Weg zu decken: über den Absatz. Folglich tragen eben die Verbraucher auch die paritätische Sozialversicherung. Das alles könnte auch Albrecht Müller sehen, wenn er sich denn mit den Argumenten für ein bGE und der Kritik am Bestehenden, die Befürworter vorbringen, auseinandergesetzt hätte.

Die Befürworter, so Albrecht Müller, müssten einige Fragen (nachfolgend fett gesetzt) beantworten können, wenn das bGE ernst genommen werden soll. Welche sind das?

"Ist die Idee irgendwann realisierbar? Wann?"
Wenn es dafür eine Mehrheit gibt, das gilt für alle politischen Vorhaben, dann ist sie auch realisierbar.
An Argumenten dafür, welche Veränderungen ein bGE mit sich brächte und wie es sich auf bestehende Leistungen des Sozialstaats auswirken könnte, mangelt es nicht. Hier sei auf wenige Beispiele aus unserem Blog verwiesen: Kunst und Wissenschaft, Familie, Leiharbeit, Mindestlohn (hier und hier), Bevormundung durch Fürsorge, Bildung, Demokratie, strukturschwache Regionen.

"Wie steht es um die Finanzierbarkeit wirklich? Auch unter Beachtung der Reaktionen im Verhalten der Menschen? Welche Folgen für das Verhalten der Menschen haben die verschiedenen Finanzierungsvorschläge?"
Hierzu gibt es verschieden Studien, unter anderem von Helmut Pelzer und Ute Fischer, aber auch zum Vorschlag von Dieter Althaus und weiteren. Die Frage bleibt eine politische, welches Grundeinkommen man will, ein wirklich freiheitsförderndes oder ein Sparmodell, davon hängt ab, welche Aufwendungen zu bestreiten sind. Grundlegender jedoch als die Frage der Finanzierungsrechnung (Anmerkungen zur Problematik des Berechnens) ist, wie Albrecht Müller zurecht hervorhebt, die danach, weshalb Menschen wie handeln, was letztlich darauf hinausläuft zu verstehen, warum die Bürger sich überhaupt einbringen wollen. Auch dazu gibt es genügend Darlegungen, siehe z.B. hier.
Auch könnte auf wissenschaftliche Untersuchungen zurückgegriffen werden, um Möglichkeiten und Folgen eines bGEs auszuloten, aber wie es sich für die Wissenchaft gehört, wird dort über Ergebnisse und Erklärungen gestritten. Vorliegende Erkenntnisse beantworten auch die normative Frage nicht, was wir denn wollen. Von daher ist eine verbindliche Antwort zum bGE nicht aus der Wissenschaft zu beziehen, es handelt sich vielmehr um eine genuin politische Entscheidung, es geht darum, ob wir es wollen. Manche mutmaßen deswegen, dieses Plädoyer laufe auf ein riskantes Unterfangen hinaus, auf ein Abenteuer, dessen Ausgang wir nicht kennen und deswegen sei es abzulehnen. Nun, zum einen gilt für jede Entscheidung, dass wir um ihren Ausgang nicht wissen. Wir hoffen das Beste, sind vom Gelingen eines Vorhabens überzeugt usw. - wie es ausgehen wird, wissen wir aber niemals (siehe auch "Die Ungewissheit der Zukunft"). Was bleibt? Ein Blich auf die Grundlagen unseres gegenwärtigen Zusammenlebens, also auf die Grundlagen der Demokratie.

Einfacher zu beantworten ist diese Frage, wenn wir uns die Grundlagen der Demokratie vor vor Augen führen, dann wissen wir, was zählt. Wir gehen wie selbstverständlich davon aus und sind darauf angewiesen, dass die Bürger sich einbringen. Eines der frappierendesten Phänomene der öffentlichen Diskussion ist, wie sehr auf der einen Seite diese Bereitschaft stets gefordert wird, auf der anderen aber, wie wenig ernst das tatsächliche Engagement genommen wird, ganz gleich von welcher Seite. Wir haben dies einmal zum Anlass genommen, Neoliberale und Verteidiger des alten Sozialstaats als Brüder im Geiste zu bezeichnen.

"Lässt sich die Idee in einem System realisieren, das von Wettbewerb und marktwirtschaftlichen Elementen geprägt ist?"

Mühe hat man hier, die Frage zu verstehen. Es muss ja unser System gemeint sein, zweifelt die Frage etwa am Vorrang des Politischen, sofern er gewollt ist? Haben wir nicht - bei aller Kritik am Bestehenden - auch heute Leistungen, die überhaupt nicht nach dem Marktprinzip erfolgen (z.B. öffentlicher Dienst, Sozialleistungen)? Und ist, zuletzt noch, die Demokratie nicht als solche etwas vollkommen Marktfernes in ihren Geltungsprinzipien? Es geht also nicht um eine Systemfrage, die sich mit dem Grundeinkommen stellt, sondern darum wie ernst wir es mit der Demokratie und der Stärkung der Bürger meinen. Es handelt sich um eine systemimmanente Frage.
Ähnlich wie Albrecht Müller argumentiert auch Spiegelfechter in einer Replik auf den Beitrag "Schafft die Arbeitslosenversicherung ab!" von Frank Thomas .

Wird die Idee zur politischen Profilierung genutzt? Beim früheren Ministerpräsidenten von Thüringen, Althaus, war dies deutlich erkennbar. Die Idee diente dem Aufbau eines sozialen Images unabhängig von der realen Politik dieses Politikers.
Also, was hat das mit dem bGE zu tun? Solange die Profilierung damit einhergeht, dass Umgestaltungen auf den Weg gebracht werden, die zu einem radikalen bGE führen, spielt das keine Rolle. Wo das nicht geschieht, ist für jeden sichtbar, ob jemand nur sein Image pflegen oder tatsächlich verändern will. Die Glaubwürdigkeit steht dann auf dem Spiel - so wie für die Nachdenkseiten, wenn sie Werthaltungen hinter Argumenten verstecken, statt sie offen zu benennen.

Was könnten die Motive des Chefs der Drogeriekette DM, Götz Werner, sein? Meines Erachtens sind es in diesem Fall lautere Motive und dennoch muss er sich die Frage gefallen lassen, ob sein Dauerthema nicht inzwischen die Funktion von Spielmaterial hat.
Auch diese Frage ist nicht so einfach zu verstehen. Soll damit gesagt sein, dass das bGE missbraucht werden kann für andere, unlautere Absichten? Wenn das gemeint ist, ist die Frage banal, denn Missbrauch ist mit jeder Idee möglich, wo er beabsichtigt ist. Weil also Ideen missbraucht werden können, sollte man sie erst gar nicht verfolgen? Das endete in Selbstblockade, man bliebe in der Gegenwart stecken. Soll das ein ernst gemeinter Einwand sein? Streiten die Nachdenkseiten nicht gerade gegen dieselben "Missbräuche" und halten ihr Vorhaben keinesfalls für abwegig?

Woran liegt es, dass sich bisher keine der Parteien das Thema zum Bestandteil ihres Programms erkoren hat? Liegt das nur an unseren Parteien und ihrer angeblichen Ideenlosigkeit? Das glaube ich nicht. Es hat viel mit der Unausgegorenheit der Idee zu tun.
Die maßgebliche Antwort hierfür findet sich in der Idolatrie der Erwerbsarbeit, die nun gerade in den letzten zehn Jahren die politische Debatte besonders deutlich geprägt hat. Gepaart mit dem gewaltigen Misstrauen (wider alle Lebenswirklichkeiten) in die Bereitschaft des Einzelnen, sich einzubringen, bilden sie - Idolatrie und Misstrauen - die wahren Hindernisse für eine andere Politik. Schon die früheren Einwände von Albrecht Müller (Replik darauf von Sascha Liebermann) und Heiner Flassbeck gegen das Grundeinkommen bestätigen, welche geringe Bedeutung es für sie hat, die Freiräume der Bürger zu erweitern. Auch sie predigen das Erwerbs- bzw. Beschäftigungsmantra. Von einer Ideenlosigkeit der Politiker im Sinne einer Orientierungslosigkeit kann man sehr wohl sprechen. Das Festhalten an einst bewährten Wegen hat zu dem geführt, wo wir heute stehen. Unsere heutige Lage rührt nicht vor allem vom Verlassen bewährter Wege, sondern vom Festhalten an Zielen, die mit diesen Wegen verbunden, die aber nicht mehr unseren Lebensmöglichkeiten gemäß sind. Statt Erwerbsarbeit vom Sockel zu holen ist sie in den letzten Jahren um so mehr zum höchsten Ziel erklärt worden. Obwohl unser Wohlstand volkswirtschaftlich gewaltig ist, soll die Erwerbsquote erhöht werden. Wo also mehr Freiräume möglich wären, wird um so strikter an Erwerbsarbeit festgehalten. Die Orientierungslosigkeit ist eine Verunsicherung, die der Lösung harrt. Solange es also ein jenseits der Erwerbsidolatrie normativ nicht geben darf, kommt ein Grundeinkommen als Alternative auch nicht in Frage. So einfach ist die Antwort, mit der Unausgegorenheit der Idee hat sie gar nichts zu tun, sondern mit den Werthaltungen, die vorherrschen. Sie sind auch viel bedeutsamer als irgendwelche Ideologien, seien sie neoliberal oder sonst etwas.

"Transportiert die Debatte wenigstens Ideen und Ziele, die helfen könnten, anderes Wichtiges zu erreichen? Hier bin ich sehr skeptisch. Denn die Agitation für das Grundeinkommen lenkt ab von der notwendigen politischen Arbeit für eine Beschäftigungspolitik, die der Mehrheit der Menschen Arbeitsplätze und Alternativen schafft..."
Zu betonen ist hier wohl "Arbeitsplätze", nicht aber "Alternativen". Konsequent wird von "Beschäftigungspolitik" (Erwerbsarbeit) gesprochen, wo das bGE diese Frage ganz anders stellt: es fragt nach Möglichkeiten und Freiräumen dafür, dem nachzugehen, was man für wichtig und richtig erachtet, ganz gleich, ob es sich um Erwerbsarbeit handelt oder nicht. Diese Perspektive scheint den Nachdenkseiten vollkommen fremd, da nimmt es auch nicht Wunder, dass das bGE in seiner Tragweite nicht interessiert.

Folgerichtig geht der vorangehende Absatz weiter:

"Deutlich erkennt man das beim Öffnen einer Seite, die mir zu lesen gestern als
Reaktion auf meinen Beitrag empfohlen worden ist. Dort wird “Freiheit statt Vollbeschäftigung” propagiert. An diesem Titel wird schon sichtbar, dass hier eine Alternative zur Beschäftigungspolitik gesehen wird. Diese sehe ich nicht. Im Gegenteil: Menschen Beschäftigung zu schaffen und alternative Arbeitsplätze zu schaffen ist die Grundvoraussetzung dafür, dass sie zu Zumutungen der Leiharbeit, der Niedriglöhne und der Minijobs Nein sagen können..."
Sehen wir einmal ab, wie das gelingen soll, was hier vorgeschlagen wird. Sicher, "Freiheit statt Vollbeschäftigung" streitet für eine Alternative zur Beschäftigungspolitik, die stets nur Erwerbsarbeit vor Augen hat. Wir streiten für eine weitreichende Alternative zur Erwerbsidolatrie, ohne aber den Leistungsgedanken aufzugeben, auch wenn wir ihn umdeuten. Den Nachdenkseiten hingegen geht es nur um Variationen der Erwerbszentrierung.
Wundern kann einen, dass nicht gesehen wird, welch ein Segen gerade ein bGE für die Arbeitswelt wäre. Es erlaubte Arbeitsbedingungen mit zu definieren, ohne auf sie angewiesen zu sein und sie im Zweifelsfall abzulehnen bei gleichzeitiger Absicherung. "Niedriglöhne" (siehe eine Anmerkung zu Mindestlöhnen) hätten eine andere Bedeutung als heute, wenn die Freiheit bestünde, "Nein" sagen zu können. Hinzukommt, was heute als Niedriglohn ein Problem darstellt, auf der Basis der Grundeinkommens keines mehr sein müsste, wegen des Grundeinkommens. Auch hier gilt: es kann nicht sein, was nicht sein darf.

Weiter heißt es:
"...Die Debatte um das Grundeinkommen könnte eine gute Vorbereitung auf eine Gesellschaft ohne Erwerbsarbeit sein. Wenn man dies für möglich hält, wenn man das Ende der Arbeit für möglich hält und propagiert, dann ist auch die Debatte um das Grundeinkommen sinnvoll. Aber an diese Perspektive glaube ich nicht."

Auf unserer Website hat Herr Müller das sicher nicht gelesen, auch beim von ihm erwähnten Götz W. Werner nicht, denn von einer Gesellschaft ohne Erwerbsarbeit ist nirgendwo die Rede - von einem anderen Arbeitsbegriff sehr wohl. Zwar hantieren auch bGE-Befürworter mit der These vom Ende der Vollbeschäftigung oder dem Ende der Arbeit, doch lässt sich dies auch anders deuten: als Einsicht in ein stetig sinkendes Arbeitsvolumen bei steigender volkswirtschaftlicher Leistung. Erwerbsarbeit abschaffen, wollen die bGE-Befürworter unseres Wissens nicht, ihr den angemessen Platz zuweisen schon. Albrecht Müller baut sich hier einen Pappkameraden auf und argumentiert ganz wie es üblich ist, um das bGE loszuwerden.

Schlussendlich bleibt ein Fazit: Der Gedanke, dass ein bGE eine Anerkennung der Person in Absehung von ihrer Leistung ausspricht, damit also urdemokratisch ist, denn es richtet sich an den Souverän als Souverän; dass es Freiräume gerade für dasjenige Engagement schafft, das wir heute sträflich missachten, das Ehrenamt; dass es eine wirklich brauchbare Förderung von Familie ermöglicht, ohne dirigistisch zu sein wie das Elterngeld und endlich mit der Ideologie der "Vereinbarkeit von Familie und Beruf" bricht, die treffender heißen sollte "Vom doppelten Verzicht"; dass Eltern für ihre Kinder zuhause bleiben könnten, solange sie es wollten - all das wird keines Blickes gewürdigt und bestätigt nur, was in meinem ersten Beitrag die Feder führte: Herauszustellen, wie sehr Werthaltungen Denkmöglichkeiten bestimmen und wie wenig ein bGE als Möglichkeit in Betracht gezogen werden kann, wenn es überkommene Werthaltungen - wie die Vorrangstellung der Erwerbsarbeit - in Frage stellt. Genau deswegen ist auch im neuen Jahr die Diskussion darum so wichtig, wie wir leben wollen und welche Chancen ein bGE bietet. Beharrlich für es zu werben und geduldig sich mit den Einwänden auseinanderzusetzen sind das A und O. Es bedarf keiner Jünger und Jasager, sondern mündige Bürger.

Sascha Liebermann

26. Dezember 2010

Was kann aus der Woche des Grundeinkommens werden?

Netz bGE hat ein Interview mit Günter Sölken und Ralph Boes geführt, um dieser Frage nachzugehen. Es gibt auch einen Blog, der zur Diskussion darüber einlädt.

22. Dezember 2010

Gedankenlose "Nachdenkseiten" - Wie Werthaltungen das Denken bestimmen

Die Nachdenkseiten, ein in vielerlei Hinsicht informatives Portal zur politischen Debatte, stehen mit dem bedingungslosen Grundeinkommen auf Kriegsfuß - oder sollte man besser sagen: wenn es darum geht, setzt eine Denkblockade ein?

Im heutigen Beitrag von Albrecht Müller "Die Manipulateure des Jahres: Spiegel und Bild zu Innereien der Linken" findet sich ein Absatz zum bedingungslosen Grundeinkommen. Wäre es die erste Äußerung ohne Denkanstrengung in Sachen bGE, könnte man von einem Denkausfall sprechen. Die Nachdenkseiten haben sich allerdings auch früher (siehe z.B. hier, hier und hier) schon in dieser Frage als denkblockiert erwiesen. Lesen Sie selbst:

"Als nächste Kronzeugin des Ost-West Konfliktes [innerhalb der Linken, Anm SL] dient der Spiegel-Redaktion die Vize-Vorsitzende Katja Kipping. Als Markenzeichen trägt sie seit Jahren die Forderung nach dem bedingungslosen Grundeinkommen vor sich her. Zwar wird die Idee, jedem Deutschen ohne jede Vorbedingung monatlich 1000 Euro aufs Konto zu überweisen, auch in der Linkspartei als Spinnerei abgetan. Aber selbst der Hinweis darauf, dass von vornherein Tausend Milliarden aufgebracht werden müssten, um das bedingungslose Grundeinkommen zu verwirklichen, hindert Katja Kipping nicht daran, an ihrem Mantra festzuhalten.
Solche Fundis hält die Linke aus? Das ist beachtlich. Denn einen größeren Blödsinn kann man sich kaum vorstellen."

Es ist erstaunlich, dass ein Portal, das sich dem Aufbau einer "Gegenöffentlichkeit" verpflichtet sieht, weil es in undifferenzierter Mainstream-Berichterstattung eine Gefahr für die Demokratie erblickt, solch undifferenzierte Ausführungen von sich gibt. Albrecht Müller jongliert hier mit einer Zahl, den Tausend Milliarden, und will wohl damit alleine den Leser benebeln. Zahlen ohne Bezug auf irgendetwas einfach so in den Raum zu stellen, sollen als solches beeindrucken.
Gehen die von ihm so oft kritisierten Mainstream-Medien so vor, wirft er ihnen in einem solchen Fall Demagogie oder Meinungsmache vor.

Dass bGE-Befürworter sich darüber im klaren sind, dass das bGE nicht einfach "oben drauf" kommen kann, sondern die Einkommensströme anders organisiert werden sollen, dazu verliert er keine Silbe. In Sachen bGE sind die Nachdenkseiten wahrlich denkverhindert. Wie kommt das? Die Erklärung ist einfach und für die gesamte Diskussion bedeutend zugleich. Wo eine Werthaltung vorherrscht, in der Erwerbstätigkeit eine herausragende Position einnimmt und es keine Leistungen ohne Gegenleistungspflicht geben darf, solange der Bezieher erwerbsfähig ist, darf ein bGE nicht sein. Deutlich wird dies in einem früheren Beitrag Albrecht Müllers, auf den Sascha Liebermann geantwortet hat.

Sascha Liebermann


20. Dezember 2010

Grundeinkommen im Programm von 3Sat in 2011

Das Archiv Grundeinkommen weist auf einen wichigen Sendetermin im Fernsehen hin:

18.3.2011, 20.15 Uhr, 3sat:
Ausblick / Vorschau auf das 3sat-Programm 2011
Darin: "Sein oder Haben" ist der Titel einer 3sat-Themenwoche, in der sich alles um das Thema "Wirtschaft" dreht. Grundsatzfragen zur Wirtschaftsordnung stehen ebenso im Mittelpunkt wie die Frage, was man aus der Krise lernen kann und welche ökonomischen Ziele langfristig angesteuert werden sollen. Die Themenwoche startet am Freitag, 18. März, um 20.15 Uhr mit der Dokumentation "Bedingungslos glücklich? - Freiheit und Grundeinkommen" und endet am Donnerstag, 24. März, um 21.00 Uhr mit einer Ausgabe von "scobel". Thema: "Wie verändert der Kapitalismus unsere Lebenswelt?"

14. Dezember 2010

Das Menschenbild des Grundeinkommens...

...ist das Menschenbild der Demokratie (siehe Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland).

Woher rührt dann die Frage nach dem Menschenbild, weshalb erhält sie so großes Gewicht?

Wer regelmäßig über den Vorschlag eines bedingungslosen Grundeinkommens diskutiert, ist alsbald mit der Frage konfrontiert, ob denn die Menschen schon so weit seien, ob es denn erst einer Phase der Vorbereitung auf das bGE bedürfe, bevor es eingeführt werden könne. Manche Grundeinkommensbefürworter, wie Wolfgang Engler (siehe auch Gespräche über morgen), fordern deswegen ausdrücklich eine Bildungspflicht. Kritiker, wie Christoph Butterwegge, Klaus Dörre und Matthias Möhring-Hesse, trauen den Bürgern nicht zu, sich gegen einen Missbrauch der Grundeinkommensidee zur weiteren Schwächung sozialstaatlicher Einrichtungen einzusetzen, wenn sie es denn für richtig halten. Selbst wenn wir Bürger einen weiteren Abbau wünschten, dann wäre auch das demokratisch legitimiert, sofern die dafür vorgesehen Verfahrenswege erfolgreich beschritten werden. Wer sich, weil ein Vorschlag missbraucht werden kann, deswegen gegen ihn ausspricht, äußert damit auch einen Vorbehalt gegen die Demokratie - eine Haltung also, die man getrost als elitär bezeichnen kann.

Missbraucht werden kann jede Idee, wenn dies aber demokratisch geschieht und der Souverän sich für einen solchen "Missbrauch" ausspricht, ist es kein Missbrauch mehr - vielmehr entspräche dies einer Entscheidung gegen die ursprüngliche Idee. Demokratie ist nicht dann demokratisch, wenn sie die Entscheidungen hervorbringt, die bestimmten Gesinnungen entsprechen, sondern dann, wenn sie aus dem Souverän hervorgehen und von ihm getragen werden. Was sagt uns das über die Menschenbilddiskussion (siehe auch die Debatte im ZDF Nachtstudio)?

Offenbar, so müssen wir aus der verbreiteten Skepsis schließen, passt das Menschenbild in diesen Einwänden gegen das Grundeinkommen nicht zum Menschenbild der tatsächlich existierenden Demokratie, in der wir seit sechzig Jahren leben. Nicht ist es das Grundeinkommen, das aberwitzige Voraussetzungen macht oder illusionäre Hoffnungen auf den "guten Menschen" pflegt, es sind manche Befürworter und die Kritiker, die sich über die Grundlagen der Demokratie nicht im klaren sind. Oder heißen sie diese Grundlagen nur nicht gut? Wäre es dann nicht konsequent, offen und direkt für die Abschaffung der Demokratie zu plädieren, wenn man sie nur solange haben will, wie einem die Entscheidungen passen (siehe auch "Wieder einmal: Volksentscheid am Pranger")?

Wo vom Menschenbild, das erforderlich sei, die Rede ist, wäre zu fragen, was damit gemeint sein soll. Zielt die Frage darauf, wie sich das Handeln der tatsächlich mitten unter uns lebenden Menschen darstellt? Oder zielt sie auf das Bild, das die Handelnden sich von ihrem Handeln - also wir uns von uns selbst - machen? Oder meint sie gar, dass ein demokratisches Handeln davon abhänge, das richtige Menschenbild zu haben?

Für unser tatsächliches Zusammenleben ist das wichtigste, wie wir de facto heute schon zusammenleben - wir leben in einer Demokratie, die es ohne unsere Bereitschaft, sie zu tragen, nicht gäbe. Daran kann niemand ernsthaft zweifeln, es sei denn, er hält die Menschen doch für fremdbestimmt, unmündig und manipuliert. Damit würde ihnen aber zugleich die Verantwortung für manche Missstände abgesprochen, die wir zu beklagen haben. Hier täuschen sich manche über die Mehrheitsverhältnisse hinweg, wenn sie mit Berufung auf Meinungsumfragen glauben, die meisten Bürger seien gegen die Nutzung von Kernenergie, "Stuttgart 21", die Rente mit 67 oder Hartz IV. Wo sind die Großdemonstrationen, wo sind die Mehrheiten, die dagegen sein sollen? Weshalb sieht man sie nicht oder kaum? Meinungsumfragen sagen gar nichts darüber aus, wie Abstimmungen ausgehen würden, wenn sie denn stattfänden. Entscheidend ist, wie Menschen handeln, ob sie sich also für oder gegen etwas einzusetzen bereit sind.

Ein Menschenbild ist nicht Ausdruck unseres Handelns selbst, sondern Resultat dessen, wie wir unser Handeln deuten. Es kann sich mit dem Handeln weitgehend decken, es kann ebenso weit davon abweichen. Jemand kann sich für sehr liberal halten und ist tatsächlich aber dogmatisch. Ein Menschenbild bringt also zum Ausdruck, wie wir unser Handeln deuten, nicht aber, wie wir tatsächlich handeln. Gleichwohl ist es folgenreich. Es trägt dazu bei, ob wir Handlungsmöglichkeiten, die tatsächlich bestehen, als solche auch wahrnehmen, ob sie für uns überhaupt als Möglichkeiten erscheinen oder wir sie gar nicht erst in Betracht ziehen. Drastisch zum Vorschein kommt dies, wenn der vielbeschworene 'kleine Mann' über sich selbst spricht und sagt, es bringe nichts sich einzumischen, da ohnehin keiner auf ihn höre. So macht der 'kleine Mann' sich selbst klein. Der 'kleine Mann' ist nur so klein, wie er sich macht, Möglichkeiten sich zu engagieren und Dinge zu verändern, gibt es immer - die Grundeinkommensdebatte ist hierfür nur ein Beispiel unter vielen.

Zwei Wege der Entmündigung müssen wir mindestens festhalten: der eine führt über die elitäre, hochmütige Haltung, Mündigkeit den anderen abzusprechen, was durchaus auch im Gewand der Fürsorge geschieht - ein allzubekanntes Phänomen. Es ist eine Haltung, die der verwandt ist, welche Zwangshilfe befürwortet und nicht gelten lassen will, dass sich jemand dagegen ausspricht, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Der andere Weg der Entmündigung ist die Selbstentmündigung, in der es sich bequem leben lässt, weil sie die Verantwortung für das Bestehende immer den anderen zuschiebt. Auch dieses Phänomen ist allzu verbreitet.

Beide aber täuschen gleichermaßen darüber weg, dass heute niemandem wesentliche Entscheidungen des Lebens abgenommen werden, in privaten wie in öffentlichen Angelegenheiten. Wie die Proteste gegen "Stuttgart 21" und andere, viel kleinere und unauffälligere Bürgerinitiativen zeigen, sind die Bürger aktiver und interessierter, als gemeinhin behauptet wird. Wohl aber nicht aktiv genug und vor allem scheint es, dass wir uns zu wenig darüber klar sind, auf Basis welcher Voraussetzungen wir heute leben. Von diesen aus ist es zum bedingungslosen Grundeinkommen viel weniger weit, als es den Eindruck macht.

Sascha Liebermann

9. Dezember 2010

"Eingliederung in was?" - Beitrag von Ute Fischer zum bedingungslosen Grundeinkommen

6. Dezember 2010

Diskussion um's Grundeinkommen - Blick in die Schweiz

In der heutigen Ausgabe der Neuen Zürcher Zeitung sind zwei Beiträge zum Grundeinkommen enthalten. Sie geben Einblick in die Schweizer Diskussion:

"Ein Grundeinkommen führt zur Knechtschaft und nicht in die Freiheit" - Interview mit Reiner Eichenberger

"Übungen am gesellschaftspolitischen Turngerät", Artikel von Claudia Wirz