26. Mai 2013

Sich beteiligen oder beteiligt werden? - Anmerkungen zu einem jüngeren Interview mit Friedhelm Hengsbach

Friedhelm Hengsbach hat in einem Interview auf heute.de die These vertreten, die "Mehrheit der Menschen in Deutschland" lebe unter ihren Verhältnissen. Vom Bedingungslosen Grundeinkommen hält er nichts, warum eigentlich? Seine Antwort ist verwunderlich und bezeichnend:

"...heute.de: Wäre das bedingungslose Grundeinkommen ein Weg zu mehr Gerechtigkeit?
Hengsbach: Ich bin kein Anhänger davon. Die Mehrheit der Menschen in Deutschland lebt unter ihren Verhältnissen. Es geht dabei nicht nur um materielle Güter, sondern um vitale Bedürfnisse, die nicht befriedigt sind: Gelingende Partnerschaften, den Kinderwunsch sich frühzeitig zu erfüllen und nicht erst, wenn die Karriere so weit fortgeschritten ist, dass er sich erübrigt. In einer natürlichen Umwelt zu leben, die nicht krank macht. Vor allem: Autonomie über die eigene Zeit wieder zu gewinnen für sich, für Kinder, füreinander..."

Kein Argument gegen das BGE zu erkennen. Hengsbach reduziert die Befürwortung auf Anhängerschaft, als handele es sich um ein sektenähnliches Phänomen. Dann zählt er unbefriedigte Bedürfnisse der Menschen auf, die alle Grund genug wären, ein BGE zu befürworten, das mehr Selbstbestimmung ermöglichte, ohne in eine Richtung zu leiten. Doch, weit gefehlt. Hengsbach - so kann seine Äußerung gelesen werden - reduziert das BGE auf Geld, auf ein materielles Gut. Das ist es zwar auch, das Geld ist aber kein Selbstzweck, sondern ermöglicht Tausch, es ist eine Ermöglichungsmittel. Nicht das Geld ist der Zweck, es sind die Freiräume, die der Einzelne dadurch gewinnen könnte, weil sein Auskommen nicht mehr von einer bestimmten Tätigkeitsform abhinge. Das BGE würde den Einzelnen stärken, ohne individualistisch zu sein, es wäre gemeinschaftsfördernd, ohne kollektivistisch zu sein. Es verbindet zwei Momente, die dadurch wiederum klar werden: Freiheit des Einzelnen bedeutet zugleich Anerkennung seiner Abhängigkeit von anderen. Ein starkes Individuum kann es ohne Gemeinwesen nicht geben. Hengsbach sieht diese Zusammenhänge eines BGE offenbar nicht.

Im Schlusssatz der zitierten Passage, wird deutlich, weshalb er sie nicht sehen kann oder will:

"...Dies kann nur gelingen, wenn möglichst viele an zusätzlicher, gesellschaftlich organisierter Arbeit beteiligt werden..."

Nicht das Schaffen von Freiräumen steht im Zentrum, sondern die Hinführung zu einem bestimmten Zweck: gesellschaftlich organisierter Arbeit. "Beteiligt werden" ist etwas anderes als die Möglichkeiten zu geben, sich zu beteiligen. Hengsbach hebt die passivische Form hervor, was letztlich heißt, die Gesellschaft soll die Menschen beteiligen. Und wenn sie diese Arbeit nicht wollen, was dann? Was sieht er da vor? Werden sie sanktioniert? Es reicht ihm offenbar nicht, Möglichkeiten zu schaffen, wodurch er - sicher wider Willen und entgegen seiner Absicht - in die Nähe der Sozialpolitik gerät, die wir heute haben. Vermutlich ungewollt sind auch andere Kritiker der heutigen Sanktionssozialpolitik schon in diese Richtung gegangen, siehe hier und hier.

Vor einigen Jahren stand Friedhelm Hengsbach dem BGE noch wohlwollend gegenüber und befürwortete es, allerdings mit einer besonderen Begründung:

"...Wenn, wie in Deutschland gegenwärtig Arbeitslose diskriminiert und in pathologische Arbeitsverhältnisse wie Mini-Jobs oder Ein-Euro-Jobs gedrängt werden, ist das bedingungslose Grundeinkommen die Sicherung des Grundrechtes jedes Bürgers, eine Arbeit auch ablehnen zu können. 80 Prozent der Arbeitsplätze sind schlechte Arbeit..."

Es geht ihm also nicht um die Aufhebung der Erwerbsverpflichtung bzw. um die Aufhebung einer allgemeinen Arbeitsverpflichtung, es geht ihm lediglich um ein Abwehrrecht gegen eine bestimmte Form oder Ausformung dieser Verpflichtung. Damit wäre zumindest die obige Deutung erhärtet, dass gesellschaftlich organisierte Arbeit für ihn von zentraler Bedeutung ist. Verwirrend wiederum ist eine andere Passage aus einem weiteren Interview:

"...Hengsbach: Wenn das Grundeinkommen die unwürdigen Hartz-IV-Regelungen abschafft oder ersetzt, bin ich dafür. Aber ich sehe nicht ein, dass Höherverdienende und Vermögende auch noch ein bedingungsloses Grundeinkommen beanspruchen können..."

Es entsteht der Eindruck, dass sich Hengsbach mit dem BGE überhaupt nicht ernsthaft befasst hat, denn es zielt durch eine entsprechende Ausgestaltung ja gerade darauf, allgemeine Bedürftigkeitsprüfungen abzuschaffen.

Sascha Liebermann

20. Mai 2013

"Kein Grund zum Feiern" - von der Abwertung der "Hausfrau"

In der Neuen Zürcher Zeitung hat Joachim Güntner sich zum Verfall des Bildes von der Hausfrau geäußert. Am Beispiel dieses Verfalls kritisiert er das heutige Emanzipationsverständnis, das eben nicht - wie einst Simone de Beauvoir und andere erstrebten - zu einer Aufwertung der Haus- oder Sorgetätigkeiten geführt hat, sondern zu deren forcierter Abwertung. Siehe auch einen älteren Kommentar zur Sache von Sascha Liebermann.

17. Mai 2013

"Da wird massiv Angst geschürt" - Gerd Bosbach zum "Demografiegipfel"

Auf tagesschau.de findet sich ein Interview mit Gerd Bosbach, der Statistik, Mathematik und Empirik an der Fachhochschule Koblenz lehrt. Interessant ist es, um die Debatte über demographischen Wandel einzuschätzen, aber auch, um etwas über die Brauchbarkeit und Grenzen von Prognosen zu erfahren. Zu diesem Thema haben wir schon verschiedentlich Hinweise (siehe z.B. hier und hier) und Kommentare (siehe z.B. hier und hier) eingestellt.

14. Mai 2013

Wieder einmal Spargelernte - Zeit, an den SpargelPanther zu erinnern



Vor drei Jahren berichteten wir das erste Mal über den SpargelPanther, eine Erntemaschine, die bis zu acht Arbeitskräfte ersetzt (siehe auch den Bericht in der FAZ). Produziert wird sie von der Firma ai-solution. Die technologischen Möglichkeiten machen deutlich, wie zynisch die Diskussion über den Einsatz von Erwerbslosen in der Spargelernte sind, ein "race against the machine".

13. Mai 2013

Piratenpartei spricht sich für Bedingungsloses Grundeinkommen aus

Auf ihrem Bundesparteitag in Neumarkt hat sich die Piratenpartei für ein Bedingungsloses Grundeinkommen ausgesprochen, siehe den Beschluss "Arbeit und Soziales. Bedingungsloses Grundeinkommen und Mindestlohn". Angesichts der Äußerungen des Parteivorsitzenden Schlömer, der von einem Grundeinkommen beim Einstieg von 100 bis 200 Euro sprach, das dann schrittweise auf 400 erhöht werden könne, stellt sich die Frage, was der Beschluss nun tatsächlich bedeutet. "Existenzsichernd", wie es im Beschluss heißt, lässt weiten Spielraum für Interpretationen. Zudem werden einige weitere Forderungen aufgestellt, die den Eindruck hinterlassen, alle von der Idee eines BGE geprägt zu sein, nicht aber konsequent weitergeführt zu sein.

Sich für einen bundesweit geltenden, gesetzlichen Mindestlohn einzusetzen, den die Piratenpartei auch früher schon gefordert hat, bis das BGE eingeführt ist, kann zwiespältig sein. Auf der einen Seite ist es nachvollziehbar, ein gewisses Mindesteinkommen als Untergrenze zu erklären angesichts von Niedriglöhnen. Auf der anderen kann dieser Übergang auch in eine Sackgasse führen. Denn, entweder wird der Mindestlohn eingeführt, ohne dass es schon Mehrheiten für das BGE gibt, das wäre die Sackgasse, die drohte, weil der Mindestlohn das Erwerbsideal befestigt und es nicht aufgibt. Von ihm führt kein Schritt notwendig zum BGE. Oder die Mehrheit für ein BGE ist da, dann bedürfte es keiner großen Übergänge mehr, also auch keines Mindestlohns (siehe meine Kommentare zu dieser Frage hier und hier). Was der Fall sein wird, lässt sich jedoch nicht voraussehen, insofern ist eine solche Festlegung auch eine Selbstknebelung. Ganz abgesehen davon ist, ob denn ein Mindestlohn tatsächlich die Auswirkungen hätte, die seine Befürworter damit verbinden. Eines ist sicher: Mindestlohn und BGE wohnen unterschiedliche, ja gegenläufige Ideale inne, das erstere wertet Erwerbstätigkeit besonders auf, das letztere will sie mit anderen Tätigkeiten gleichstellen.

Die Vorsicht in der Einführung eines BGE, mit einem niedrigen Betrag zu beginnen, ist zwar verständlich, wenn die Vorbehalte gegen ein BGE berücksichtigt werden, nicht aber, wenn die heutige Lage genauer betrachtet wird. Da es einen Grundfreibetrag in der Einkommensteuer gibt (darauf wird im Beschluss hingewiesen, aber nicht die Konsequenz daraus gezogen), der Steuerpflichtigen das Existenzminimum unbesteuert lässt, und dem wiederum die existenzsichernden Leistungen nach dem SBG II korrespondieren, ist es unverständlich, weshalb mit einem niedrigen BGE angefangen werden soll. Weshalb nicht einen Ausgangspunkt nehmen, der schon da ist, nämlich den Grundfreibetrag? Dieser Beginn wäre viel einfacher, zugleich folgenreicher als eine Erhöhung des Regelsatzes im ALG II, wie es die Piratenpartei vorsieht. Dasselbe gilt für die Einführung eines "Bildungsgrundeinkommens", das, wenn es an Bildungsvorhaben geknüpft bliebe, nur ein umbenanntes, womöglich liberaleres Bafög wäre - je nach dem, wie es ausgestaltet würde. Ein BGE hingegen würde hingegen die Zweckbindung aufgeben und nicht nur denselben Zweck erfüllen wie ein Bildungsgrundeinkommen, es würde weit darüber hinausreichen.

Eine Forderung wie diese: "Kindererziehung und Erwerbstätigkeit müssen für beide Elternteile gleichermaßen miteinander vereinbart werden können" ist in heutigen Zeiten wohlfeil und zugleich eine Floskel. Familie und Beruf lassen sich nicht "vereinbaren" (siehe meine Kommentare dazu hier und hier).

In demselben Beschluss spricht sich die Piratenpartei für "die Abschaffung und sofortige Nichtanwendung" der Sanktionen bei Hartz IV aus - eine klare Aussage, die von keiner Partei auf Bundesebene außer der Linkspartei bislang gemacht wurde, auch nicht von Bündnis 90/ Die Grünen.

Dass auch die Frage von Leiharbeit sich ganz anders darstellte als heute, wenn einmal ein BGE eingeführt wäre, wird in dem Beschluss nicht deutlich gemacht. Manche Diskussion könnten wir uns sparen, gäbe es ein Bedingungsloses Grundeinkommen in ausreichender Höhe, um auf Erwerbsarbeit verzichten zu können.

Sascha Liebermann

12. Mai 2013

Grundeinkommen im Schulbuch für die Oberstufe

Nachdem im Jahr 2010 die Thesen von Freiheit statt Vollbeschäftigung in ein Schulbuch des Ernst Klett Verlags aufgenommen wurden, geschieht dasselbe nun mit dem Interview "Das bedingungslose Grundeinkommen macht nicht faul", das Sascha und Liebermann und Theo Wehner  Ende 2011 der Zeit gegeben haben (hier die Langfassung). In der Reihe Buchners Kompendium Politik – Politik und Wirtschaft für die Oberstufe, das neu aufgelegt wird, wird eine leicht gekürzte Fassung davon erscheinen.

11. Mai 2013

"Fordern und Fordern" - ein weiteres Interview mit Inge Hannemann

Inge Hannemann, Arbeitsvermittlerin in einem Hamburger Jobcenter, wurde von telepolis zu ihrer Tätigkeit und ihrem Engagment befragt, das vermutlich der Grund dafür ist, dass sie freigestellt wurde (siehe unsere frühere Meldung). Hier geht es zum Interview

10. Mai 2013

Was nun, Fachkräftemangel oder Personalüberhang? Zu einem Artikel in der FAZ

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung war jüngst ein Artikel abgedruckt, der über die Personalpolitik und Stellensituation bei der Deutschen Telekom berichtete. Im Untertitel hieß es "Die Deutsche Telekom bereitet sich auf den Fachkräftemangel vor". Im Text hingegen ist folgendes zu lesen: "Gleichzeitig warnte sie aber auch vor falschen Erwartungen. Der technologische Wandel werde den Konzern auch in Zukunft zwingen, seine Belegschaft zu verkleinern. Dafür werde man weiterhin den Vorruhestand als Instrument vorhalten müssen. Aber der Druck nimmt ab, unter dem Strich dürfte sich der Stellenabbau verlangsamen". Das heißt doch, weniger Mitarbeiter werden benötigt, wo bleibt der Fachkräftemangel? Hat sich die FAZ-Redaktion hier eine Text passend zu ihren Ansichten über "Vollbeschäftigung" gemacht? (Frühere Kommentare zur Vollbeschäftigung hier und hier; zum Fachkräftemangel hier und hier)

9. Mai 2013

"Frohes Schaffen. Ein Film zur Senkung der Arbeitsmoral" - jetzt im Kino

Der Film von Konstantin Faigle läuft nun in den Kinos. Hier geht es zur Website des Films, hier zur Facebook-Seite, hier zu den Kinoterminen.








8. Mai 2013

Da war doch mal etwas - Boris Palmer (Die Grünen) einst Grundeinkommensbefürworter, nun Hartz IV-Verteidiger

In einem Interview mit der FAZ vom 13. April äußert sich Boris Palmer (Bündnis 90/ Die Grünen) zu seinen Vorstellungen Grüner Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Das wäre nicht weiter beachtenswert, denn es ist Wahlkampf. Palmer war allerdings einst Befürworter eines Bedingungslosen Grundeinkommens und votierte dann auf der Bundesdelegiertenkonferenz 2007 dagegen. Damals war es vielleicht Parteiräson, angesichts der jüngeren Äußerungen muss man ernsthafte Zweifel daran haben, dass er es vor Jahren mit seiner Befürwortung ernst meinte. Ausgewählte Stellen kommentiere ich.

Auf eine Frage des Interviewers zu Mindestlohn und Regulierungen am Arbeitsmarkt sagt er dies:

"...Früher gab es erst neue Jobs, wenn das Sozialprodukt um mindestens zwei Prozent wuchs. Seit unseren Reformen ist das bereits bei einem Prozent der Fall. Die Rückkehr in die Zeit vor den Hartz-Reformen ist ein gewagtes Experiment. Damals hatten wir fünf Millionen Arbeitslose, und ich halte die Gefahr für sehr groß, dass wir an diesen Punkt zurückkehren."

Palmer feiert, wie im letzten Jahr häufiger zu hören, die Erfolge Rot-Grüner Regierungspolitik, also auch die Verschärfungen in der Sozialgesetzgebung. Da kann man staunen. Siehe einen Kommentar zu diesen "Erfolgen" hier und hier.

Weiter heißt es:

"Den Hartz-IV-Satz auf 420 Euro zu erhöhen geht in Ordnung?
Das finde ich richtig, vorausgesetzt, wir behalten neben dem Fördern auch das Fordern im Auge - und verzichten nicht auf jede Form von Sanktion, wenn sich jemand partout nicht um Arbeit bemüht."

Das ist eine klare Aussage, die auch den Beschlüssen der Bundesdelegiertenkonferenz vom November entspricht. Unvereinbar ist diese Haltung mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen, auch nicht mit einem Übergang dorthin, denn die Sanktionen sind es, die Druck verstärken, der durch das normative Ideal der Erwerbstätigkeit ohnehin schon vorliegt. Wer mit dem Fördern ernst machen will, sollte auf Sanktionen verzichten, weil das schon innerhalb der Erwerbszentrierung Freiräume ermöglichte, die es heute kaum gibt.

Nun direkt zum Grundeinkommen:

"Fürs Grundeinkommen haben Sie doch selbst gestritten?
Die Idee hat für mich eine große Faszination. Beim Grundeinkommen gibt es weiterhin Anreize zur Arbeitsaufnahme, weil man vom Zuverdienst mehr behalten kann. Aber bis zu solch einem Systemwechsel ist es noch ein weiter Weg, und so lange brauchen wir andere Mechanismen..."

Weshalb braucht es die? Keine Erklärung, nicht einmal ein Versuch, seine Einschätzung zu plausibilisieren. Stattdessen könnte gerade dahingehend ein Anfang gemacht werden, dass auf Sanktionen verzichtet wird. Wie er sagt, hätten diejenigen, die noch erwerbstätig sein wollen ja mehr als diejenigen, die nur Grundeinkommen bezögen. Weshalb soll dieser Weg also noch weit sein? Mit dem Verzicht auf Sanktionen würde ein wichtiges Element des jetzigen Systems ausgehebelt und genau damit ein Anfang für eine Veränderung gemacht - für Palmer offenbar undenkbar. Wie aber geht das mit seiner "Faszination" für das Grundeinkommen zusammen? Schleierhaft oder eben nie ernst gewesen.

Im gleichen Absatz geht es weiter:

"...Wie der Beschluss zum Aussetzen der Sanktionen auf dem letzten Parteitag zustande kam, hat mich erschreckt: Die Abgeordnete Sylvia Kotting-Uhl hat da unter Beifall von Menschenrechtsverletzungen geredet. Das relativiert diesen Begriff für mich auf nicht erträgliche Weise."

Was solll diese moralische Empörung? Sicher kann man geteilter Meinung sein, ob es weiterführt, von "Menschenrechtsverletzungen" zu sprechen, ob es etwas klärt, die Härten des ALG II-Systems so zu bezeichnen. Seine Empörung ist angesichts der Sanktionen und ihrer Folgen allerdings nur weltfremd. Um so mehr befremdet nun seine "Faszination" für das Grundeinkommen, die in diesem Artikel in der Tat deutlich wurde "Eine Frage der Werte" (2006). Wir bringt man diese beiden Haltungen nun zusammen?

Sascha Liebermann

7. Mai 2013

Kurzinterview mit Sascha Liebermann zum Grundeinkommen

Anlässlich seines Stellenantritts an der Alanus Hochschule in Alfter wurde ein Kurzinterview mit Sascha Liebermann geführt. Darin gibt er auch Auskunft über einen seiner Schwerpunkte, das Bedingungslose Grundeinkommen.

6. Mai 2013

Bündnis 90/ Die Grünen - Bundesdelegiertenkonferenz und Grundeinkommen

Vom 26. bis 28. April fand die Bundesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/ Die Grünen statt. Für die Grundeinkommensbefürworter ein insofern interessantes Datum als sich die Frage stellte, wie die Partei zu Ihrem Beschluss an der BDK in Hannover im vergangenen November steht und wie manche ihrer Mitglieder zum Grundeinkommen stehen. Ausgewählte Antworten dazu finden Sie hier. Meinen Kommentar zum Beschluss vom November finden Sie hier.

Wie lautet nun das aktuelle vorläufige Programm zur Bundestagswahl in Sachen sozialer Sicherungssysteme (Beschluss G, S. 3):

"Wir wollen die Idee einer finanziellen Basissicherung oder die einer negativen
Einkommenssteuer weiter diskutieren. Gerade in der Debatte um Grundsicherung und ein
bedingungsloses Grundeinkommen für alle muss es darum gehen, unsere Leitbilder von
Gerechtigkeit und emanzipativer Sozialpolitik, die Bedeutung öffentlicher Institutionen und
Finanzierbarkeit zu verbinden. Wir wollen diese Debatte in die Gesellschaft hineintragen..."

Das klang im Novemberbeschluss noch mehr nach BGE als jetzt. Zum Vergleich:

"In diesem Zusammenhang wird in unserer Partei wie auch in Teilen der Gesellschaft die Idee eines
bedingungslosen Grundeinkommens diskutiert, Wir wollen diese Diskussion konstruktiv
weiterführen und nach Wegen suchen, wie die Idee und Elemente eines Grundeinkommens mit
der einer Grünen Grundsicherung sinnvoll verbunden werden können. Schon jetzt gibt es mit
der Kindergrundsicherung, der Garantierente, dem Zwei-Säulen-Modell der Bildungsfinanzierung
und der Brückengrundsicherung Grüne Ansätze und Konzepte, in der Elemente aus beiden
Ideen verknüpft werden." (BDK November 2012, Beschluss, S. 18 f.)

Auffällig ist die Formulierung, die "Debatte in die Gesellschaft hineintragen" zu wollen. Das mag dem Anspruch, Vorreiter zu sein, entsprechen oder wohlwollend gelesen auch bezeugen, eine Debatte weitertragen zu wollen. Die BGE-Debatte gibt es aber schon seit etwa neuen Jahren. Sie wurde öffentlich angestoßen und nötigte die Parteien dazu, sich mit der Idee zu befassen. Was die Grünen hier in die Gesellschaft hineintragen wollen, ist längst dort. Anmaßend ist diese Formulierung also.

Wie geht es im aktuellen Beschluss weiter:
"...Wir halten deshalb die Einrichtung einer Enquetekommission im Deutschen Bundestag für sinnvoll, in der Idee und Modelle eines Grundeinkommens sowie grundlegende Reformperspektiven für den Sozialstaat und die sozialen Sicherungssysteme diskutiert werden. In einer solchen Enquete
wollen wir der Diskussion über ein bedingungsloses Grundeinkommen sowie damit verbundene
Veränderungen in den sozialen Sicherungssystemen den nötigen Raum verschaffen. Ziel ist es,
die Schere zwischen Arm und Reich zu schließen und das individuelle Grundrecht auf Teilhabe
zu verwirklichen."

Diese Passage entspricht dem Beschluss vom November. Mein damaliger Kommentar hat an Aktualität nichts verloren. Ein sehr zaghafter Beschluss, denn die Einrichtung einer Enquetekommission wird lediglich für sinnvoll gehalten. Enquetekommissionen sind aber unverbindlich, haben ausschließlich beratenden Charakter, was schon unverbindlich ist, wird dadurch noch unverbindlicher, wenn es eine solche Steigerung gibt.

In Beschluss E, S. 6, "Teilhaben an guter Arbeit" findet sich folgende Passage:

"Zu viele Menschen sind dauerhaft ohne Arbeit trotz guter Konjunktur. Deshalb wollen wir einen
Sozialen Arbeitsmarkt fest in das arbeitsmarktpolitische Instrumentarium aufnehmen und die
Förderinstrumente des SGB II bedarfsgerechter ausgestalten. Als Leitlinie gilt, Arbeit zu finanzieren
statt Arbeitslosigkeit. Dafür sollen die passiven in aktive Leistungen umgewandelt werden,
also das Arbeitslosengeld II und die Kosten der Unterkunft in ein Arbeitsentgelt für ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis. 200.000 Menschen in Deutschland könnten
davon profitieren. Mit unserem Sozialen Arbeitsmarkt machen wir Langzeitarbeitslosen ein neues,
zuverlässiges und freiwilliges Angebot. Es ist die Chance zum Neustart für alle diejenigen, die
die Merkel Koalition über Jahre in einer aussichtslosen Situation belassen hat."

Das las sich im vergangenen November (Beschluss S. 14) noch ganz anders, sehr widersprüchlich und dadurch unglaubwürdig:

"Inklusive und partizipative Arbeitsvermittlung.

Wir fordern eine Arbeitsvermittlung auf Augenhöhe, Wunsch- und Wahlrechte für die Arbeitssuchenden und ein umfassendes Hilfsangebot für diejenigen, die sie benötigen. Die Realität hat gezeigt: die bisherige Sanktionspraxis war nicht erfolgreich und muss grundlegend verändert
werden. Sanktionen gefährden sowohl den kooperativen Charakter des Fallmanagements wie auch ein menschenwürdiges Existenzminimum. Zudem ist die Wirksamkeit von Sanktionsandrohungen
zur Vermittlung in Erwerbsarbeit nicht belegt. Deshalb fordern wir ein Sanktionsmoratorium,
solange bis die Rechtsstellung der Betroffenen gegenüber dem Fallmanager wesentlich verbessert ist.

Die Zahlung einer sozialen Grundsicherung soll weiterhin an die Bereitschaft geknüpft werden,
der Gesellschaft etwas zurückzugeben. Wir wollen aber statt einer Praxis von Androhung und
Bestrafung klare Verabredungen und verbindliche Zusagen im Rahmen der Antragsstellung."

Folgerichtig finden sich im aktuellen Beschluss auch keine Aussagen mehr dazu, die Sanktionspraxis abzuschaffen. Denn solange das Sicherungssystem auf dem Erwerbsideal ruht, würde es sich mit einem Verzicht auf Sanktionen selbst überflüssig machen.

Der aktuelle Beschluss macht um so deutlicher, wie schwer es auch den Grünen fällt, von einem System Abschied zu nehmen, das auf Erwerbstätigkeit als Maß aller Dinge baut. Wird nun ein "sozialer Arbeitsmarkt" vorgeschlagen, wird auf Instrumente zurückgegriffen, die es in dieser Art immer wieder gegeben hat. Im letzten Landtagswahlkampf in Nordrhein Westfalen hatte die jetzige Ministerpräsidentin Hannelore Kraft genau das ins Spiel gebracht. "Arbeit zu finanzieren, statt Arbeitslosigkeit" heißt eben auch: Erwerbsarbeit zu simulieren in Beschäftigungsmaßnahmen, statt alternative Wege zu gehen. Was hier fürsorgend und fördernd klingt, kann durchaus als zynisch betrachtet werden. Langzeitarbeitslose, wenn damit nicht einfach diejenigen gemeint sind, die schon länger als ein Jahr arbeitslos sind, sondern Personen mit einer traumatisierenden Lebensgeschichte wird dadurch gerade keine Perspektive eröffnet. Was soll man zum Verweis auf die "Merkel Koalition" sagen, ist das etwas politische Amnesie? Wer hat die Verschärfungen in der Sozialgesetzgebung eingeführt? Waren das nicht die Grünen?

Ob diese Beschlüsse in Richtung BGE also mehr als Wahlkampfparolen sind, wird sich weisen müssen. Die Glaubwürdigkeit der Grünen in diesen Fragen ist mehr als beschädigt.

Sascha Liebermann