16. Februar 2016

"Jenseits von links und rechts. Die Wurzeln des «bedingungslosen Grundeinkommens» in der Frankfurter Soziologie"...

...so ist ein Beitrag in der gestrigen Augabe der Basler Zeitung (Printfassung, Kultur, S. 9) überschrieben, der sich mit Überlegungen des Soziologen Ulrich Oevermann zur "Krise der Arbeitsgesellschaft" befasst. Der Autor, Sigfried Schibli, stellt die Überlegungen dar und verweist darauf, dass diese schon 30 Jahre alten Ausführungen angesichts der bevorstehenden Volksabstimmung nach wie vor aktuell seien.

Die in Rede stehende Analyse verfasste Ulrich Oevermann, Prof. em. (Soziologie), 1983. Sie kursierte lange nur als Manuskript, das zwar heruntergeladen werden konnte, seit wenigen Jahren jedoch auch als Buchbeitrag veröffentlicht zugänglich ist (siehe Sammelband von Manuel Franzmann).

Wohl gab es in den achtziger Jahren eine intensive, wenn auch vor allem akademische Debatte über die „Krise der Arbeitsgesellschaft“ und das Grundeinkommen, insofern ist Oevermanns Beitrag hierzu nicht ungewöhnlich. Die Analyse selbst jedoch ist es durchaus, weil sie technologischen Fortschritt und strukturelle Arbeitslosigkeit anders deutet. Sie sind nicht alleine der Grund für Alternativen zur Erwerbszentrierung, sondern auch Resultat intrinsisch motivierter Leistungsbereitschaft. Folgerichtig hebt der Beitrag heraus, dass beide Phänomene nur die Problemlage verschärfen, die sich aus der historischen Entfaltung von Autonomie ergibt. Die Lage führt zu folgendem Widerspruch: Auf der einen Seite besteht – so die Diagnose von 1983 – eine allgemeine Leistungsverpflichtung fort, die in Erwerbsarbeit einzulösen ist, und nur dort als Gemeinwohlbeitrag anerkannt wird. Das soll notfalls mit einer Umverteilung von (Erwerbs-) Arbeit erreicht werden (Arbeit als knappes Gut); auf der anderen Seite jedoch hat sich die Lebensführung in einem Maße individuiert, dass Leistung und Sinnhaftigkeit nach eigenen Gütekriterin bestimmt werden, eine allgemeine Umverteilung und Vorschrift von Arbeitszeit oder Bestimmung von Gütekriterien ihr jedoch entgegenstehen. Dieser Widerspruch droht nun gerade die Leistungsethik, die Grundlage des Wohlstandes ist, zu zerstören, weil an einer normativen Verpflichtung – der Erwerbsarbeit – festgehalten wird, sie aber individuierten Lebensentwürfen nicht mehr entspricht.

Diese Schlussfolgerung ist es, die die Analyse, auch wenn vom Grundeinkommen in ihr keine Rede ist (Oevermann veröffentlicht dazu erst später, siehe seinen Beitrag in diesem Band sowie die Diskussion darin mit Joachim Mitschke; siehe auch die Podiumsdiskussion aus dem Jahr 2006; hier ein Ausschnitt aus einer Diskussion Oevermanns mit Daniel Cohn-Bendit zum Grundeinkommen). Sie hebt nämlich die Basis von Wohlstand, die individuierte Leistungsbereitschaft, heraus, die in der Regel unterschätzt, wenn nicht gar in ihrer Bedeutung kleingeredet wird – das Stichwort „Anreiz“ sei zum Hinweis genannt.

Oevermanns Einsichten, das sei erläuternd beigefügt, rühren aus einem Forschungsverständnis, dass sich die Welt nicht anhand hoch aggregierter standardisierter Daten erschließt, wie sie in weiten Teilen der Sozialwissenschaften verwendet werden, sondern auf der Basis von Fallrekonstruktionen (siehe hier und hier). Sie geben reichhaltigen Einblick in konkrete Lebensvollzüge und erlauben es, handlungsleitende Überzeugungen und Motivationen detailliert zu bestimmen, die in quantitativen Erhebungen verschüttet werden.

Sascha Liebermann