19. Mai 2016

"...dass es nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten gibt"...

...würde ein Grundeinkommen signalisieren, sofern es an Bedingungen gekoppelt wäre, meint Tim Jackson in einem Interview mit der Berner Zeitung. Hier der Wortlaut:

"Berner Zeitung: Viele Ökonomen beurteilen die Idee kritisch, weil man Geld
ohne Gegenleistung erhält.

Jackson: Auch ich sehe, dass ein unbedingtes Grundeinkommen auch Nachteile hat. Beispielsweise sendet es das Signal aus, dass die Gesellschaft keine Gegenleistung für das Grundeinkommen erwartet. Sie sagt, dass es ihr egal ist, ob man zu Hause auf dem Sofa liegt, Computergames spielt und zu viel Bier trinkt oder ob man etwas Nützliches tut. Ich fände es besser, wenn man das Grundeinkommen an gewisse Bedingungen knüpfen würde. Der Staat würde so den Bürgern klar­machen, dass es nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten gibt."

Jackson steht dem BGE durchaus positiv gegenüber, spricht in dieser Passage aber Nachteile an. Worin bestehen sie seiner Auffassung nach?

Ist es richtig, wenn er sagt, dass die "Gesellschaft", also das Gemeinwesen, bei Einführung eines BGE keine Gegenleistung "erwartet"? In der Tat ist das BGE nicht an eine unmittelbare Gegenleistung gebunden, der Einzelne erhält es ohne Auflagen. Für das Ganze eines Gemeinwesens gilt dies aber nicht, denn wie heute, so auch mit einem BGE bleibt die Aufgabe bestehen, Herausforderungen meistern zu müssen - als Gemeinwesen. Insofern gibt es eine Verpflichtung, die aus dem Lebensgefüge Gemeinwesen resultiert, dass alle Angehörigen sich fragen müssen, was sie beitragen können zu seinem Wohlergehen. Wo sie aufhören, sich diese Frage zu stellen, wird das Gemeinwesen zerfallen. Gleichwohl wird diese Gegenleistung nicht erzwungen - sei es ohne, sei es mit BGE. Ist das neu? Nein, denn Gemeinwesen, in besonderer Form republikanische Demokratien, leben schon heute so. Sie müssen auf die Loyalität ihrer Bürger vertrauen, sowohl im Sinne dessen, dass demokratisch legitimierte Entscheidungen getragen werden, als auch dass nach Lösungen gesucht wird (siehe z. B. die Versorgung von Flüchtlingen), wo es noch keine gemeinschaftlich beschlossenen Entscheidungen gibt. Insofern bringt das BGE nichts Neues in die Welt, es macht allenfalls um so deutlicher, wie sehr das Gemeinwesen genau von diesen Voraussetzungen lebt, in seine Bürger vertrauen zu müssen. Dass Jackson das nicht sieht, macht den blinden Fleck vieler Diskussionen deutlich, die die Gegenwart unterschätzen.

Sascha Liebermann