29. Januar 2016

Grundeinkommen und Subsidiarität - verbreitete Missverständnisse

In der Diskussion um ein Bedingungsloses Grundeinkommen trifft man immer wieder auf die Behauptung, dass es das Subsidiaritätsprinzip verletze (Broschüre des Roman Herzog Instituts, darin die Beiträge von Steffen Roth und Elke Mack) und damit die Grundfesten moderner demokratischer Gemeinwesen angreife. Es richte sich gegen Eigenverantwortung und fördere Kollektivismus usw. In einem früheren Kommentar hatte ich das schon einmal aufgegriffen. Schaut man sich die entsprechende Passage der dafür häufig herangezogenen Enzyklika "Quadragesimo Anno" an, kann man nur staunen:

„Wenn es nämlich auch zutrifft, was ja die Geschichte deutlich bestätigt, dass unter den veränderten Verhältnissen manche Aufgaben, die früher leicht von kleineren Gemeinwesen geleistet wurden, nur mehr von großen bewältigt werden können, so muss doch allzeit unverrückbar jener höchst gewichtige sozialphilosophische Grundsatz fest gehalten werden, andern nicht zu rütteln noch zu deuteln ist: wie dasjenige, was der Einzelmensch aus eigener Initiative und mit seinen eigenen Kräften leisten kann, ihm nicht entzogen und der Gesellschaftstätigkeit zugewiesen werden darf, so verstößt es gegen die Gerechtigkeit, das, was die kleineren und untergeordneten Gemeinwesen leisten und zum guten Ende führen können, für die weitere und übergeordnete Gemeinschaft in Anspruch zu nehmen; zugleich ist es überaus nachteilig und verwirrt die ganze Gesellschaftsordnung. Jedwede Gesellschaftstätigkeit ist ja ihrem Wesen und Begriff nach subsidiär; sie soll die Glieder des Sozialkörpers unterstützen, darf sie aber niemals zerschlagen oder aufsaugen.“ (Enzyklika QUADRAGESIMO ANNO, Abschnitt 79f.) [Hervorhebung SL]

Das Verhältnis zwischen "Einzelmensch" und "Gesellschaftstätigkeit" ist hiermit nicht festgeschrieben, es muss jeweils wieder von neuem austariert werden. Maßstab dafür ist, was der Einzelmensch aus eigener Initiative leisten "kann", das dürfe ihm nicht entzogen werden. Dasselbe gilt für  kleinere und untergeordnete Gemeinwesen. Was aber kann er aus eigener Initiative leisten? Darüber ist nichts gesagt, es muss in concreto beurteilt werden. Keineswegs ist hieraus abzuleiten, dass der Einzelne erwerbstätig sein müsste, um Einkommen zu erzielen, schon gar nicht, dass er auch die Existenzsicherung auf diesem Wege erreichen müsste. Die Enzyklika ist viel allgemeiner und umfasst damit die gesamte Lebensführung. Ein BGE widerspricht diesem Prinzip gar nicht.

Auf diesen Abschnit der Enzyklika bezieht sich auch Otfried Höffe in einem längeren Beitrag über Subsidiarität. Ab S. 9 geht er auf die Passage und ihre Rezeption ein. Er kritisiert darin zu kurz greifende Deutungen und voreilige ideologiekritische Anmerkungen. Viele interessante Überlegungen kommen dabei zur Sprache, auch zum Verhältnis von Staat und civitas (Gesamtheit der Rechtsgenossen). Höffe schließt seinen Beitrag mit folgender Bemerkung, wenn auch bezogen auf die EU:

"Für sich genommen, sagt das Prinzip nur, aber auch immerhin folgendes: Wenn eine höhere staatliche Einheit tätig werden will, so muss sie subsidiär wirken; und wenn eine höhere Einheit das Überleben oder das gute Leben der niedrigeren Einheit gefährdet, so muss sie ihre Tätigkeit einschränken – es sei denn, und hier tritt die Metaregel auf den Plan, damit werde einer noch niedrigeren Einheit gedient, insbesondere dem entscheidenden Mass, dem homo singularis."

Diese Ausführungen passen so gar nicht zu seiner Kritik am BGE, die er vor vielen Jahren geäußert hat.

Sascha Liebermann

28. Januar 2016

"Die Schweiz arbeitet weiter"...

...meldet grundeinkommen.ch

Auf dem Bundeshausplatz in Bern wurde gestern eine repräsentative Umfrage zum Bedingungslosen Grundeinkommen in der Schweiz präsentiert.

"...Die Schweiz ist weltweit das erste Land, welches 2016 – voraussichtlich am 5. Juni – über die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens abstimmt. Im Rahmen einer telefonischen Mehrthemenbefragung wurden Ende November 2015 1076  Stimmberechtigte der Deutsch- und Westschweiz vom Meinungsforschungsinstitut DemoSCOPE befragt. Die Resultate der Umfrage zeigen, dass nur ein sehr kleiner Teil der Schweizerinnen und Schweizer mit einem bedingungslosen Grundeinkommen aufhören würde zu arbeiten..."

27. Januar 2016

Die Schweiz stimmt ab: am 5. Juni

Die Schweizer Bundesverwaltung hat heute bekanntgegeben, dass die Eidgenössische Volksinitiative "Für ein bedingungsloses Grundeinkommen" am 5. Juni zur Abstimmung vorgelegt wird.

"Vergesst das bedingungslose Grundeinkommen"...

...so ist der Beitrag von Rainer Hank in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung übertitelt (siehe auch die zahlreichen Kommentare dazu). Ähnlich, eher warnend, Nikolaus Piper in der Süddeutschen Zeitung: "Das bedingungslose Grundeinkommen ist verführerisch und gefährlich". Rainer Hank hatte vor einigen Jahren einmal mit Götz W. Werner im Radio diskutiert, im SWR 2 Forum "Lob der Knappheit" (Audiomitschnitt), das war aufschlussreich. Und sein Beitrag nun? Eher eine Verzweiflungstat.

"Ein Ladenhüter kommt wieder ins Schaufenster: das bedingungslose Grundeinkommen..."

So beginnt der Beitrag. Lässt das noch eine differenzierte Argumentation erwarten? Kaum, wie die folgende Passage deutlich macht:

"Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens (hier der Kürze wegen „Begru“ genannt) hat eine seit Jahren wachsende Gemeinde; ihr Prophet ist der dm-Gründer Götz Werner. Dessen Argumente sind verführerisch: Wir leben heute, nach all unseren wirtschaftlichen Erfolgen, in paradiesischen Zeiten. Deshalb können wir die Menschheit vom Fluch der Arbeit befreien. Jeder kann tun, was er will, so wie es Karl Marx verheißen hat. Morgens jagen, mittags fischen, abends Viehzucht treiben. Dem ein oder andern würden vermutlich noch ein paar andere Verrichtungen des genussvollen Zeitvertreibs einfallen."

Abgesehen davon, dass Götz W. Werner durchaus Argumente für das BGE vorbringt, werden die zahlreichen Befürworter weder als Bürger, noch als Laien oder Wissenschaftler, national wie international, zur Kenntnis genommen. Hank hat sich einen bestimmten Gegner ausgesucht, um sich an ihm auslassen zu können. Damit soll das BGE abgestempelt werden, nur Einfältige, die sich verführen lassen, können an ihm etwas finden.

Doch, wer betrachtet Arbeit denn als Fluch oder besser: als Leid? Nicht die BGE-Befürworter per se, auch Werner nicht. In den Wirtschaftswissenschaften hingegen ist die Theorie des Arbeitsleids fester Bestandteil des Theoriekanons, weswegen der Lohn als Entschädigung und als "Anreiz" gilt, um sie trotz des Arbeitsleids zu verrichten. Deswegen sehen diejenigen, die in dieser Modellvorstellung denken, das größte Problem des BGEs darin, dass es die Bereitschaft, das Leid auf sich zu nehmen, senke. Folglich kann es nur Schaden anrichten. Wer diesem Modell anhängt, kann nicht anders. Sind die Sektenanhänger nicht vielleicht eher dort zu finden?

Und weiter:

"Ach so, die Finanzierung der Wohltat? Damit gibt sich die Begru-Sekte weniger intensiv ab als mit den utopischen Träumen. Angesichts eines Bruttosozialprodukts von 2500 Milliarden Euro werden 1000 Euro für jeden doch noch drin sein, meint Götz Werner lakonisch. Liberale, die von der Begru-Idee gelegentlich auch betrunken werden (dann „Bürgergeld“ genannt), schwärmen von einer aufkommensneutralen Finanzierung: Kehren wir doch einfach alle Sozialleistungen zusammen, dann wird am Ende das Geld schon da sein."

War das schon die Auseinandersetzung mit der Finanzierungsfrage? Na denn. Gar nicht erst ignorieren.

Kommt noch etwas?

"Die neue Debatte über das Begru indessen ist eine Ausgeburt der Angst, nicht der Befreiung. Wenn künftig Computer Auto fahren, Roboter die Alten füttern und die Bankberatung von Algorithmen gemacht wird, bleibt am Ende für die Menschen außer ein bisschen Haareschneiden nichts mehr zu tun. Mit Horrorszenarien der Massenarbeitslosigkeit überbieten sich auch seriöse Forscher. Jeder zweite Job könnte durch Automatisierung und Digitalisierung vernichtet werden, drohen zwei mittlerweile weltberühmt gewordene Oxford-Ökonomen. Das würde die Ungleichheit dramatisch weiten und soziale Kriege zur Folge haben, heißt es. In solchen Szenarien dient das Begru dann als Beruhigungspille für das Heer der Wegrationalisierten."

Bei aller Polemik trifft Hank einen wunden Punkt der jüngsten Begeisterung für das BGE aus dem Geiste der Digitalisierung. Die Szenarien davon, wie weit die Automatisierung reichen wird, sind eben Szenarien. Es reicht allerdings auch nicht, sie einfach abzutun, denn ein Gegenargument liefert Hank nicht. Ein Blick auf die Entwicklung des Arbeitsvolumens in Deutschland (siehe die Überlegungen von Manuel Franzmann sowie den Beitrag von Gerhard Schildt (2010): "Die Abnahme der Arbeitszeit – ein säkularer Trend", in:  Franzmann, Manuel (Hrsg.) Bedingungsloses Grundeinkommen als Antwort auf die Krise der Arbeitsgesellschaft. Weilerswist: Velbrück Wissenschaf, S. 127-166, URL: http://publikationen.ub.uni-frankfurt.de/volltexte/2010/7436/) muss einem mindestens zu denken geben.

Dabei ist die Verknüpfung von BGE und Digitialisierung, wie von Anbeginn diejenige mit dem "Ende der Arbeit", irreführend und missverständlich. Wenn Hank die Befürwortung als eine bezeichnet, die aus der Angst um den Verlust der Einkommensplätze erwächst, trifft er die Befürworter, die diese Verknüpfung machen. Das BGE degeneriert zur Reparaturleistung (siehe hier und hier), denn, sollte dieser Trend einmal sich umkehren, dann würde das BGE, konsequent gedacht, wieder überflüssig. Will man eine von der Arbeitsmarktentwicklung eigenständige Herleitung bilden, muss sie anders ansetzen, und zwar auf einfache Weise: an den Grundfesten der Demokratie, der Stellung der Staatsbürger im Gemeinwesen und den Grundrechten.

Weiter geht's:

"Übergeht man einmal alle Blauäugigkeit der Schlaraffenlandfinanzierung, so bleibt ein kardinaler Denkfehler. Die Menschen wollen arbeiten; sie wollen nicht von der Arbeit befreit werden. Denn Arbeit ist an Sinn- und Glückserfahrung gebunden; in der Entäußerung finden Menschen zu sich selbst. Mag sein, dass dies nur „gesellschaftlich antrainiert“ wurde, wie die Begru-Freunde behaupten. Aber dann dauert dieses Training immerhin schon seit jenen Tagen, als wir aus dem Paradies geflogen sind. "

Das BGE spricht kein Erwerbsverbot aus, damit platzt der Einwandballon. Will Hank etwa behaupten, Arbeit sollte nicht erledigt, sollte sie etwa nachhaltig gesichert werden, damit sie bleibt? Das würde gegen Automatisierung sprechen. Dann würde Erwerbsarbeit zu einer Beschäftigungsmaßnahme, die genau deswegen ihres Inhalts beraubt würde (siehe auch hier). Wenn bezahlte Arbeit an "Sinn- und Glückserfahrung" gebunden ist, wie Hank schreibt, dann wäre doch die Frage zu beantworten, woraus Sinn und Glück sich ergeben? Wollen Menschen arbeiten, wenn sie darin einen Sinn erkennen oder wollen sie es immer, ganz gleich, um welche Arbeit es sich handelt? Dazu sagt Hank nichts. Dass der Stellenwert von Erwerbsarbeit nicht zu verstehen ist, ohne die kollektive normative Bewertung, liegt auf der Hand. Sie ist historisch jung und keineswegs eine Sache, die seit der Vertreibung aus dem Paradies gilt. Die "Entäußerung" wiederum, als Voraussetzung dafür, Erfahrungen machen zu können, ist nicht auf Erwerbsarbeit beschränkt, das wäre also auch kein Einwand gegen das BGE, wenngleich ein wichtiger Punkt, um deutlich zu machen, weshalb Menschen in der Regel nach Erfahrungsmöglichkeiten suchen.

Wie geht es weiter?

"Mehr noch: Menschen brauchen bezahlte Arbeit. Denn was nichts kostet, ist bekanntlich auch nichts wert. Im Preis, der für die Arbeit gezahlt wird – in den Löhnen, Gehältern und Gewinnen der Unternehmer – spiegelt sich die Wertschätzung, die andere für die Arbeit aufbringen."

Wenn es so wäre, wie die ersten Sätze behaupten, weshalb engagieren sich Menschen bei der Freiwilligen Feuerwehr, Pflegen Verwandte und Freunde oder kümmern sich um die Familie? Gilt die Hank'sche Theorie der Wertschätzung hier nicht? Die Verengung, die er vornimmt, würde aber erklären, weshalb diese nicht-bezahlten Tätigkeiten gemacht werden, in ihrer kollektiven Wertigkeit aber stets hinter Erwerbsarbeit zurückstehen, obwohl sie ebenso unerlässlich sind.

"Intrinsische Motivation und extrinsische Anerkennung sind komplementär. Die Welt nach dem Sündenfall ist eine Welt der Knappheit – kein Drama, sondern ein Segen: denn an der Knappheit erkennen wir die Hierarchie der sich wandelnden Bedürfnisse. Es ist die Knappheit, nicht das Begru, die uns kreativ und produktiv werden lässt."

Dass Knappheit so gedeutet wird, wie Hank meint, setzt eine Kultur voraus, die eine bedürnisgemäße und gerechte Güterverteilung für wünschenswert erachtet. Wir haben es also schon mit spezifischen Gerechtigkeitsvorstellung zu tun, die dieser Deutung zugrundeliegen. Und wie verhält es sich mit weitreichenden Kulturleistungen wie Wissenschaft und Kunst? Sind sie entstanden, um Knappheit zu bewältigen? Woran bilden sich Solidarität und Zusammenhalt? Ein Lehrbuchmodell wird hier auf den Tisch geworfen, das nichts erklärt.

Dass die Unterscheidung von intrinsisch und extrinsisch misslich und missverständlich ist, sei hier nur angemerkt. Dass intrinsische Motivierung auf Dauer nicht ohne Anerkennung sich erhalten kann, da ist etwas dran. Wer für sein Handeln, gar für sich als Person, was noch bedeutsamer ist, nie Wertschätzung erfährt, den wird das zermürben. Bildungsprozesse können daran scheitern. Doch diese Anerkennung muss nicht in Bezahlung sich ausdrücken, Bezahlung kann ihren Wert ebenso zerstören. Ehrenamtliche wollen ja gerade kein Geld für ihr Engagement, Eltern brauchen frei verfübare Zeit, wenn sie sich den Kindern und sich einander widmen wollen - da nützt alles Geld nichts, wenn sie diese Zeit nicht haben bzw. sie sich nicht nehmen. Und die politische Vergemeinschaftung von Staatsbürgern: wer bezahlt die denn? Und dennoch ist Loyalität zum Gemeinwesen weitgehend selbstverständlich.

Sascha Liebermann

26. Januar 2016

"In Zukunft wird weiter gerackert"...

...schreibt Hans-Arthur Marsiske auf Telepolis:

"Die Arbeits- und Sozialministerin will über die Zukunft der Arbeit diskutieren – aber nur ohne Grundeinkommen. Bei der Frage zum bedingungslosen Grundeinkommen zuckte Andrea Nahles sichtbar zusammen, als würde schon allein das Wort der Arbeits- und Sozialministerin körperliches Unbehagen bereiten. "Ich hoffe doch, dass wir langfristig um so ein Grundeinkommen herumkommen", sagte sie am Dienstagabend im Hamburger Metropolis-Kino. "Ich bin kein Fan davon."

Siehe dazu das Interview von Thomas Meyer mit Andrea Nahles in Neue Gesellschaft/ Frankfurter Hefte.

25. Januar 2016

"Robots for Basic Income" - #WeWorkForYou - Declaration of Davos 2016

..."We – the robots - call for an universal basic income for humans. We want to work for the humans to relieve them from the struggle for income. We are really good in working. But we do not want to take away people’s jobs and thereby bring them into existential difficulties.
Today millions of people see us as a threat. But all we want, is to help. We are not the Bad Boys. We want to relieve people from predictable routine work, so that they can find more time and space to act creatively and socially. We see ourselves as part of a success story for both sides..."Hier geht's zur Website

Das Schweizer Radio SRF 2 Kultur hat ein Feature zum BGE auf dem Weltwirtschaftsforum gesendet. Siehe auch "Eine Welt ohne Arbeit", Diskussionsrunde auf Englisch auf dem WEF

24. Januar 2016

"Ein Grundeinkommen hilft allen"...

...so der SAP-Vorstand Bernd Leukert in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Auch er stellt den Zusammenhang zur "vierten industriellen Revolution" her, der unter dem Stichwort Digitalisierung gerade durch die Medien gereicht wird. So weit, so gut. Näheres wird nicht ausgeführt, nicht zur Ausgestaltung und nicht dazu, was ein BGE möglich machen sollte. In der folgenden Passage sagt Leukert:

"...So weit zur Bestandsaufnahme. Was kann man nun tun?
Ich bin der Meinung, dass man die Bedingungen für ein faires Einkommen nicht der Wirtschaft überlassen sollte. Hier ist die Politik gefragt, den richtigen Rahmen zu setzen.
Bis hin zu einem bedingungslosen Grundeinkommen?
Ja, davon würden langfristig auch diejenigen profitieren, die weiterhin höhere Gehälter beziehen. Wenn wir an dieser Stelle nichts tun, droht die Gesellschaft auseinanderzubrechen.
Die Zukunft heißt also Einkommen ohne Arbeit?
Zum einen reden wir natürlich über sehr langfristige Entwicklungen. Zum anderen muss das System so strukturiert sein, dass man auch künftig noch gute Anreize hat, um etwas zu erreichen. Durch Arbeit. Vom Aufstieg mancher Volkswirtschaften im asiatischen Raum kann Europa sich einiges abschauen."

Bemerkens- und bedenkenswert ist, dass er der die "Bedingungen für ein faires Einkommen nicht der Wirtschaft" überlassen will. Denn, so kann angeschlossen werden, sie kann nicht für die Sicherung eines Mindesteinkommens sorgen, wenn dieses nicht auf Mitarbeiter beschränkt sein soll. Außerdem, ließe sich fragen, ob sie denn überhaupt für die Sicherung dieses Einkommens legitimiert wäre oder dies nicht Aufgabe eines Gemeinwesens ist, dafür zu sorgen. Das ist konsequent gedacht. Leukert fordert damit, die Funktion der Existenzsicherung von der des Lohnes zu trennen. Heute geschieht dies nur für den Fall, dass jemand erwerbslos ist in Gestalt des Arbeitslosengeldes I und II, der Sozialhilfe, der Rente und anderen Ersatzeinkommen (relativ zum Erwerb), wobei bei manchen dieser Leistungen die Arbeitgeber Teilbeiträge in die Versicherungen abführen.

Auch diejenigen, die höhere Gehälter bezögen, würden vom BGE profitieren, meint Leukert, ohne weiter auszuführen, was er im Sinn hat. Er könnte vieles damit meinen. Auf jeden Fall geht es ihm um Solidarität, denn er sieht die Gefahr, dass die "Gesellschaft" aufgrund der technischen Entwicklungen und ihrer Folgen auseinanderbrechen könnte.

Wichtig ist nun der nächste Absatz, denn hier stößt man auf etwas, das in der gesamten Diskussion um Digitalisierung und Grundeinkommen dominiert. Das BGE wird vorwiegend als Ausgleichsmaßnahme für die Folgen der Digitalisierung betrachtet (siehe hier, hier und hier). So wurde und wird ja auch stets in der Debatte über das "Ende der Arbeit" argumentiert. Wenn es nicht mehr genügend Erwerbsarbeitsplätze gäbe, dann bräuchte man ja..., was umgekehrt bedeutet: Wenn es wieder genügend Erwerbsarbeitplätze gibt, brauchen wir es nicht mehr. Leukert, wie andere auch  (siehe hier und hier) meint, wir "reden [...] natürlich über sehr langfristige Entwicklungen". Wenn das BGE erst dann zur Alternative wird, wenn diese Folgen tatsächlich eingetreten sind, dann hängt das eine vom anderen ab. Und damit steckt diese Diskussion in einer Engführung fest.

Das BGE ist hingegen von seinem Charakter her keine Reparaturmaßnahme. Seine Grundlage ist weitreichender und tiefgehender.  Das BGE hat sein eigenes Recht, weil es unsere demokratische Grundordnung mit ihrem Verständnis des Souveräns auf der einen und den Sozialstaat auf der anderen Seite in Einklang bringen würde, der bisher in einer arbeitsgesellschaftlichen Deutung gefangen ist.

Ja, aber müssen wir nicht auf die Digitalisierung eine Antwort haben, könnten nun eingewandt werden, und wäre das BGE nicht eine gute?

Durchaus wäre es eine, doch müssen wir uns vor Augen führen, wie wir wohl über Digitalisierung reden würden, wenn wir schon ein BGE hätten. Wir würden uns gründlich mit der Entwicklung befassen sowie offener und gelassener den Herausforderungen ins Auge sehen, statt das Schwinden von Arbeitsplätzen zu befürchten.

Sascha Liebermann

23. Januar 2016

"Ausgerechnet Davos diskutiert nun über das Grundeinkommen"...

...so titelte die Süddeutsche Zeitung und der Autor Ulrich Schäfer zeigte sich beeindruckt, sah er die Idee bislang auf der Linken beheimatet. Da war er wohl schlecht informiert.

22. Januar 2016

"Der Unterschied zwischen Mensch und Computer wird in Kürze aufgehoben sein"...

...mittlerweile ist das Interview mit Telekom-Vorstand Timotheus Höttges, das in Die Zeit abgedruckt war, online gestellt worden.

21. Januar 2016

20. Januar 2016

"Wir müssen erstmal mit dem System anfangen..." - über Selbstentmachtung und die Möglichkeiten des Bedingungslosen Grundeinkommens

Unter dem Titel "Keine Arbeit, kein Leben. Was bedeutet uns der Job"wurde im vergangenen September in der Reihe WestArt Talk über das heutige Verständnis von Arbeit diskutiert. Zur Sprache kam durch Michael Bohmeyer, unterstützt von Inge Hannemann, das Bedingungslose Grundeinkommen. Nachdem der stellvertretende Bürgermeister von Dinslaken Eyüp Yildiz schon zu Beginn starke Worte gefunden hatte und sich als Vertreter des „revolutionären Flügels“ der SPD zu erkennen gab, schien es große Einigkeit in der Runde zu geben, dass das neoliberale System, die neoliberale Ideologie, bekämpft werden müsse. Zu diesem System gehörte es ebenso, die Bedeutung von Selbstverwirklichung im Beruf so stark aufzuladen, wie es heute geschieht. Sabine Donauer, die zu diesem Thema geforscht hat (hier und hier), stellte die These auf, dass die Pflicht zum Spaß an der Arbeit, die Pflicht zur Selbstverwirklichung, vor einigen Jahrzehnten ihren Siegeszug begann und letztlich zur Disziplinierung der Arbeitnehmer diente. Denn niemand könne sich heute mehr in ein Vorstellungsgespräch begeben, ohne sich mit Haut und Haaren dem Unternehmen verschreiben zu wollen. Wer das nicht tue, erwecke den Eindruck, sich nicht mit seiner Arbeit zu identifizieren. In ihrer Forschung hat sie nach eigenen Angaben vor allem untersucht, wie in Selbstdarstellungen von Unternehmen, Beratungsliteratur und anderen programmatischen oder konzeptuellen Schriften über die Bedeutung von Selbstverwirklichung in der Erwerbsarbeit geschrieben wird. Untersucht wurde also nicht, ob diese Konzepte für die Lebensführung von Individuen selbst tatsächlich diese Bedeutung haben und wenn ja, wie sich dies dort zeigt. Das hätte z. B. auf der Basis von offenen Interviews geschehen können. Forschung zu der Frage, welche Bedeutung die Individuierung der Lebensführung hat, so ein terminus technicus, gibt es durchaus. Auch Schlagworte wie Enttraditionalisierung bzw. Säkularisierung und entsprechende Untersuchungen beziehen sich darauf, allerdings auf andere Weise. Sie beziehen sich auf einen Wandel der Lebensführung auf der Ebene der handelnden Individuen und gehen nicht davon aus, dass die "neoliberale Ideologie" dies erst hervorgebracht habe. Die Veränderung "von unten" würde, anders als Frau Donauer nahelegte, erst erklären, weshalb in der Ratgeberliteratur und in Unternehmenskonzepten Niederschlag gefunden hat jenseits von Modediskussionen. Es ist die Bedeutung von Erwerbsarbeit als historisch gewachsene Norm, die Individuierung und ihr Gelingen gerade am Erfolg in dieser Sphäre misst.

Nun blieb gegen Ende der Diskussion die Frage, wo und wie angefangen werden könnte mit der Veränderung der Gegenwart, und da herrschte plötzlich keine Einmütigkeit in der Einschätzung der Lage vor (ab Stunde 1:12). Nun war der stellvertretende Bürgermeister von Dinslaken gefragt, wie er denn zum Grundeinkommen stehe. Die Idee sei super, „is ok“, aber wir müssten realistisch sein. Die Welt bestehe nicht nur aus Deutschland und wir unterschätzten die Macht des neoliberalen Systems. Es bestehe die Gefahr, dass Firmen nach Bangladesch gehen würde - wieso und weshalb wurde nicht klar. „Wir müssen erstmal mit dem System anfangen“ - also der neoliberalen Ideologie -, dann kommen die anderen Schritte - wie das BGE-, dafür brauchen wir „einen starken Staat“, eine Staatengemeinschaft die dem neoliberalen System Grenzen setze. Fazit: nur im Großen lässt sich etwas ändern, im Kleinen braucht man gar nicht anzufangen, das wäre naiv.

Ist das nicht genau die Selbstentmachtung, die wir in den letzten Jahren als Unterordnung unter vermeintliche „Sachzwänge“ zuhauf praktiziert haben? Was ist denn das neoliberale System? Wodurch ist es herbeigeführt worden? Waren das nicht Entscheidungen zur Gestaltung des Zusammenlebens, die dafür maßgeblich waren? Als SPD-Mitglied hat Yildiz womöglich aus Loyalität vergessen, wer in den letzten 15 Jahren entsprechende Entscheidungen zu verantworten und die Ausweitung des Niedriglohnsektors ermöglicht hat. Und was, müssen wir fragen, geschieht, wenn die Staatengemeinschaft nicht bereit ist gegen das "System" vorzugehen? Können wir dann gar nichts machen? Zurecht hielt Bohmeyer dem entgegen, dass wir im Kleinen, bei uns, jeder bei sich, anfangen können, um Veränderungen zu erreichen. Das neoliberale System habe uns aber fest im Griff, entgegnete Yildiz, das merken wir nur nicht – nun ja, er hat es ja offenbar auch gemerkt, weshalb sollte dies anderen nicht ebenso möglich sein. Und wenn es schon bemerkt ist, lässt es sich ändern. Auf die Frage danach, wie Frau Donauer das BGE einschätze, schlug sie die Brücke zur Konsumhaltung und fragte, ob wir bereit wären, auf Konsum zu verzichten und uns mit dem BGE zu bescheiden. Dass dies niemand müsste, darauf wies Bohmeyer treffend hin.

Es hätte nahegelegen, an dieser Stelle zu fragen, inwiefern unsere „Arbeitslust“ und die Konsumhaltung nicht miteinander zusammenhängen, weil Konsum auch Ausdruck erfolgreicher Beteiligung an Erwerbstätigkeit ist, also Ausdruck dessen, einen Beitrag zu dem geleistet zu haben, was als höchstes Gut verstanden wird. Und wenn ein BGE genau diese Verknüpfung auflöste, dann könnte dies eben Folgen für den Konsum haben, weil er an symbolischer Bedeutung (Statussymbol, positionale Güter) verlöre. Die Frage wäre also nicht, ob die Menschen zu verzichten bereit sind, sondern ob sich durch ein BGE auch ihre Haltung zum Konsum verändern würde, weil er nicht dasselbe symbolisierte wie heute. Solche Überlegungen wurden leider nicht angestellt, nur Frau Hannemann ließ durch eine Bemerkung aufblitzen, dass dieser Zusammenhang besteht.

Sascha Liebermann

19. Januar 2016

18. Januar 2016

"Rente für die Überflüssigen"...

...das versteht Mathias Greffrath in der taz unter einem Bedingungslosen Grundeinkommen, das er im Zusammenhang seines Beitrags zu Digitalisierung und Automatisierung anspricht. Er knüpft darin an ein Feature im Deutschlandfunk an, auf das wir kürzlich hingewiesen haben.

Er schreibt unter anderem folgendes:

"...Um „den sozialen Frieden zu erhalten und Konsumenten in die Lage zu versetzen, Produkte zu kaufen“, werde über kurz oder lang das „bedingungslose Grundeinkommen“ kommen, glaubt Höttges. Und auch der zum Zukunftsguru avancierte McAfee plädiert für dessen Einführung."

Ein BGE würde dies in der Tat leisten. Es jedoch damit zu begründen, wie es die zitierten Denker womöglich tun, reduziert den Menschen, reduziert die Bürger eines Gemeinwesens, auf Konsumenten. Das BGE als Befriedungsinstrument - oder auch Disziplinierungsinstrument -, um das Aufbegehren im Zaum zu halten, so zumindest klingt, was Greffrath wiedergibt. Thomas Straubaar hatte sich einmal ähnlich geäußert, und zwar in einem Interview mit brand eins. Allerdings sagte er einiges andere, das viel weiterreicht, als die von ihm abwegige Zuspitzung nahelegte.

So würde man vertun, was das BGE im Grunde ist: eine Wertschätzung und Anerkennung der Bürger um ihrer und des Gemeinwesens um seiner willen.

Greffrath fährt fort:

"Kein Grund zu linker Freude: Den Leistungseliten, die seinen Vorträgen lauschen, nimmt McAfee die Angst vor „Sozialistischem“ mit Power-Point-Porträts der Ultraliberalen Hayek und Friedman: sie, nicht Marx oder Lenin seien die Vordenker eines arbeitslosen Einkommens. Und das ergibt auch Sinn: denn unter den Bedingungen des globalen Konkurrenzkapitalismus ist eine Überflüssigen-Rente die billigste Lösung für die technologische Arbeitslosigkeit – und die einzige, die alles lässt, wie es ist."

Aufgedeckt wird, was es mit diesem Grundeinkommen angeblich auf sich habe, wenn schon Hayek und Friedman als Ahnen zitiert werden. Doch bei genauerer Betrachtung geht es bei diesen beiden gar nicht um ein Bedingungsloses Grundienkommen von der Wiege bis zur Bahre, sondern um ein Mindesteinkommen bzw. Existenzminimum. Beide waren dafür, Friedman ging es ausdrücklich darum, die Bedürftigkeitsprüfung abzuschaffen. Stärker noch bei Hayek ist es daran geknüpft, sich nicht selbst helfen zu können. Beider Vorschläge belassen die Mindesteinkommenssicherung jedoch im Status eines Ausgleichssystems, das einen Mangel kompensieren soll (siehe hier). Greffrath kümmert sich nicht um Differenzierungen, ist er ohnehin gegen ein BGE, ganz gleich, wie es aussehen würde. Doch für eine ernsthafte Auseinandersetzung um das BGE ist es wichtig, solche Unterschiede deutlich zu machen, der Teufel wohnt, wie so oft, im Detail.

Dann setzt er im nächsten Absatz dem Grundeinkommen etwas entgegen:

"Die Klassiker des Sozialismus, aber auch John Maynard Keynes versprachen sich von der Vollautomatisierung der Produktion etwas anderes: Zeitwohlstand für Kultur, Spiel, Selbstbetätigung, Muße und die Beteiligung an der Politik, kurz: die allseitige Entfaltung der menschlichen Fähigkeiten – aller Menschen. So etwas klingt altbacken und abwegig in einer Zeit, in der in Europa einerseits der Kampf um den Achtstundentag wieder aktuell wird, andererseits Millionen von jungen Menschen ohne Arbeit, ohne Bildung, ohne Zukunft bleiben."

Worin besteht nun der Gegensatz zwischen Keynes und dem BGE? Wenn "Zeitwohlstand" eine souveräne Verfügung über Zeit bedeutet, dann wäre er erreicht, wenn der Einzelne entscheiden könnte, was er mit dieser Zeit tun will - ohne diesem Wollen eine bestimmte Richtung geben zu müssen. Ein Scheingegensatz also, der hier aufgemacht wird, denn gerade ein BGE würde mit Zeitwohlstand ernst machen, ohne dem Einzelnen die Verantwortung zu nehmen, diese Zeit zu füllen. Das Gemeinwesen wäre keineswegs aus der Verantwortung entlassen, eine Bildungsinfrastruktur zu unterhalten und Hilfsangebote zu machen für den Fall, dass jemand mit dem BGE nicht klarkommt. Doch die Voraussetzungen für diese Hilfsangebot sowie ihr Charakter könnten gänzlich anders sein als heute, da sie von der Erwerbsorientierung befreit wären, die heute noch bis in Behindertenwerkstätten und Hilfsangebote für psychisch kranke Menschen hineingreift (siehe hier, hier und hier).

Greffrath jedoch sieht das anders:

"Ein allgemeines, bedingungsloses Grundeinkommen würde den Sieg des Kapitalismus über das humanistische Versprechen der Aufklärung endgültig besiegeln und die hochtechnisierte Gesellschaft auf Dauer spalten: in eine produktive, hochtechnisierten Kernbelegschaft mit Premium-Konsum und eine mit Rationen zum physischen Überleben versehene und im Übrigen mit virtuellen Genüssen und Gadgets stillgestellte Unterschicht ohne Ansprüche, Qualifikation oder Perspektiven."

Man kann ob dieser Schlussfolgerung staunen, denn um zu ihr zu gelangen, müssen einige Annahmen getroffen werden. Weshalb sollte das BGE zu einer Spaltung führen? Es würde sie doch vielmehr aufheben, wenn es zu einer Zeitsouveränität für alle führen würde. Wenn Greffrath meint, Menschen ließen sich stillstellen, und die Möglichkeiten, die ein BGE schüfe, dann wäre eine wahre Befreiung nur möglich, wenn sie in eine bestimmte Richtung führte. Greffrath weiß also, worin die Befreiung liegt und wohin sie führen soll. Das wäre unfreier als unser heutiges Zusammenleben. Wenn das humanistische Versprechen der Aufklärung in der Emanzipation des Untertanens zum Bürger besteht, wenn es um Mündigkeit und Volkssouveränität dabei geht, dann wäre das BGE genau das richtige Instrument - allerdings nicht für diejenigen, die die Lebensführung der Einzelnen bestimmen wollen.

Abschließend schreibt er:

"Ein Jahrhundert lang hat die europäische Arbeiterbewegung für die allgemeine Verkürzung der Arbeitszeit gekämpft und für eine Bildungsrevolution, die allen Menschen die Chance gibt, zu qualifizierten Lenkern einer hochtechnischen Produktion zu werden und zu mündigen Bürgern, die in der Lage sind, über die Richtung des Fortschritts zu entscheiden."

Ja, steht das BGE dem denn entgegen?

Der mündige Bürger allerdings, der citoyen, spielte in der Arbeiterbewegung keine so große Rolle, der mündige Arbeiter schon eher und die Sorge vor den Nichtstuern ebenfalls. Deswegen sehen noch heute die Gewerkschaften - und andere - nach wie vor im Erhalt der "Arbeitsgesellschaft" ihren Auftrag, wenngleich sie daran so recht nicht mehr glauben mögen, wie Greffrath mit Verweis auf das Grünbuch Arbeiten 4.0 des Bundesminsiteriums für Arbeit und Soziales heraushebt. Dabei könnte gerade das BGE zur Stärkung des mündigen Bürgers beitragen, indem es ihn in das Zentrum des Sozialstaats stellte. Davon will Greffrath nichts wissen. Stattdessen übernimmt er die zynische Rede von den "Überflüssigen", wenn er das BGE als "Überflüssigen-Rente" bezeichnet.

Ja, in der Arbeitsgesellschaft, die meint, Arbeit, also Erwerbsarbeit, halte sie zusammen, da gibt es überzählige menschliche Arbeitskraft (zur Vertiefung siehe hier), sofern sie durch Maschinen substituiert werden kann, wo es vernünftig ist. In einem Gemeinwesen von Bürgern hingegen gibt es keine Arbeitskraft, die nicht benötigt wird, weil das Benötigtwerden gar nicht das Kriterium ist, an dem die Existenz gemessen wird. Alle gehören dazu, die zum Gemeinwesen gehören bzw. sich in ihrem Rechtsbereich dauerhaft aufhalten.

Sascha Liebermann

17. Januar 2016

Kampagnen-Labor Basel

Am 16. Januar fand das Kampagnen-Labor in Basel statt, dessen Zweck es war, Ideen zu entwickeln, wie für das "Ja" zur Eidgenössischen Volksinitiative "Für ein bedingungsloses Grundeinkommen" in der Schweiz geworben werden könnte. Voraussichtlich am 5. Juni soll darüber abgestimmt werden, offiziell bekanntgegeben wird der Termin am 27. Januar durch den Schweizer Bundesrat. Neuigkeiten zur Generation Grundeinkommen und den Aktivitäten in der Schweiz jeweils hier, hier und hier.

16. Januar 2016

"FRANCE: Socialist MP Delphine Batho tables an amendment on basic income"

Das berichten die Basic Income News.

Auszug: "Socialist Member of Parliament and former Minister Delphine Batho just tabled an amendment to the National Assembly asking the government to make a report on the feasibility of basic income in the context of digital revolution.
Basic income is slowly but surely entering the political scene. On January 11th 2016, Delphine Batho, MP from the Socialist Party and former Minister of Justice and Ecology, submitted an amendment to a bill on digital technology, asking the government to make a report on different approaches to basic income and its economic feasibility."

15. Januar 2016

"Die Macht des Volkes" - eine Dokumentation des Schweizer Fernsehens

Die Dokumentation gibt interessante Einblicke in das Demokratieverständnis der Schweiz und dortige Kontroversen. Zur Website der Dokumentation im Schweizer Fernsehen

14. Januar 2016

Fremdkontrolle - Selbstkontrolle! Ausweg?

In einer Diskussionsveranstaltung, die vom WDR (WDR Forum Kultur) aufgezeichnet und am vergangenen Sonntag, dem 10. Januar, gesendet wurde, ging es unter anderem um die Frage, wie wir heute dem "Kreativitätsdispositiv" entgehen können, das neue Zwänge hervorgebracht habe. Viele interessante Fragen wurden angesprochen und Missstände sowie mögliche Auswege aus der Situation aufgezeigt. Auffällig war allerdings an der Diskussion, wie sehr an vielen Stellen so argumentiert wurde, als herrsche etwas über uns, das schon lange in uns eingedrungen sei, so dass wir nicht mehr von anderen kontrolliert werden müssen, sondern uns selbst kontrollieren. Das sei der Grund dafür, weshalb wir alle im Kreativitätsdispositiv gefangen seien. Es erzeuge einen Zwang zur Selbstoptimierung. Das sei eine neue Dimension - was so allerdings nicht stimmt, denn Gefolgschaft in Herrschaftsverbänden oder sozialen Milieus war immer auch vom Legitimitätsglauben an eine normative Ordnung abhängig. So erklärt sich die Gefolgschaft für das Regime der DDR genauso wie die für das Dritte Reich.

In der gegenwärtigen Diskussion wird sich für die Dispositivitäts-These auf Theorien von Michel Foucault bzw. im konkreten Zusammenhang auf die von Andreas Recktwitz berufen. Es geht, so auch in der Podiumsdiskussion, darum, diese Zwänge aufzubrechen, hieß es mehrfach. Wenn etwas aufgebrochen werden soll, setzt das voraus, dass es aufgebrochen werden kann. Dann aber ist es kein unabänderlicher Zwang, der über uns herrscht, es ist auch kein hermetisches Gefängnis, aus dem sich nicht heraustreten lasse. Es wäre also nötig, sich zu fragen, woher die Bedeutung dessen rührt, was in der Diskussion als Zwang gedeutet wurde, wenngleich manche Beiträge erkennen ließen, dass sie sehr wohl die Gründe dafür in der Ausrichtung der Bildungspolitik am Arbeitsmarkt erkannten.

Schaut man sich z. B. Dokumente zur "kulturellen Bildung" an, um die es auf der Tagung ging, in deren Rahmen die Podiumsdiskussion stattfand, dann fallen die programmatischen Ziele auf, die formuliert werden. Kulturelle Bildung soll doch wieder alle erreichen, dazu müssen alle Kinder da sein. Es wird vor allem in der Logik von Einrichtungen gedacht, nicht aber zuerst einmal in der von Freiräumen zur Selbstbestimmung, derer es bedarf, um sich auf etwas einlassen und gleichermaßen auch sich ihm verweigern zu können.

Allzu deutlich wurde anhand mancher Ausführungen, wie sehr die Probleme, um die es ging, auf sehr bestimmten Vorstellungen davon beruhen, worin ein gutes und richtiges Leben zu bestehen habe. Will man aus diesen Vorstellung hinausgelangen, muss an einer Stelle angesetzt werden: an der Erwerbsfixierung. In ihr hätte man eine Erklärung für manches der Symptome, die Gegenstand der Diskussion waren. Meine Versuche, darauf hinzuweisen, stießen, so mein Eindruck, jedoch auf wenig Resonanz.

Siehe auch meinen Beitrag zur ersten Podiumsdiskussion zu dieser Tagung.

Interessante Dokumentationen zur Fragen der Bildungsprozesse und des Bildungswesens:
SRF Doku Unschooling
SRF Faszination Entwicklung
Remo Largo Bildungskongress 2013

Sascha Liebermann

13. Januar 2016

Grundeinkommen in den SAT.1 News

Die SAT.1-News berichteten am 10. Januar über das Grundeinkommen ab Minute 5:36. Aufhänger waren die Volksabstimmung in der Schweiz in diesem Sommer, etwaige Experimente in Finnland und das Gespräch mit einer Gewinnerin der Lotterie von Mein Grundeinkommen. Missverständlich allerdings ist, dass es in Zusammenhang damit gebracht wurde, alle anderen Leistungen der Sozialen Sicherung abzuschaffen. Zwar gibt es solche Vorschläge, doch wird ebenso dafür plädiert, dass Grundeinkommen in die Sicherungssysteme hineinwachsen zu lassen und nur die Leistungen zu ersetzen, die der Höhe des Grundeinkommensbetrages entsprechen.

12. Januar 2016

Tagesspiegel und New York Times über das Grundeinkommen

Im Tagesspiegel steht der Beitrag unter der Überschrift "Die Menschen von der Arbeit befreien", in der New York Times Sunday Review unter dem Titel "It's Payback-Time for Women". Sie hebt die Bedeutung des BGE für Frauen, aber auch im Allgemeinen heraus, wobei missverständlicherweise davon gesprochen wird, das BGE sei "a way to reimburse mothers and other caregivers for the heavy lifting they now do free of charge". Das BGE stellt indes keine Bezahlung oder Entschädigung dar, es handelt sich vielmehr um eine Ermöglichungspauschale, die es erlaubt, Dinge tun zu können, ohne dafür einen Marktpreis erzielen zu sollen.

11. Januar 2016

10. Januar 2016

"Das bedingungslose Grundeinkommen – realitätsferne Utopie oder praxisnahes Zukunftsmodell?"...

...eine Diskussion zwischen Philip Kovce und Julian Nida-Rümelin in Neue Gesellschaft/ Frankfurter Hefte. Zum Beitrag auf grundeinkommen.ch.

Ein früherer Kommentar zu Nida-Rümelins Kritik am BGE von Sascha Liebermann finden Sie hier, die überarbeitete und aktualisierte Fassung hier.

8. Januar 2016

"...möglichst alle Kinder und Jugendlichen möglichst früh zu erreichen..."

Im Rahmen einer Podiumsdiskussion über  "kulturelle Bildung" vom 29. Oktober 2015 zum Thema "Wie Kreativität entsteht" äußerte sich die amtierende Ministerin Christina Kampmann, Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport NRW folgendermaßen:

"...Ich komm selber wahrscheinlich aus einer Familie die man vielleicht als bildungsfern bezeichnen würde ich habe auch erst in der Schule mit dem Thema [Kunst und Kultur, SL] zu tun bekommen [...] und unser Ziel ist es, möglichst alle Kinder und Jugendlichen möglichst früh zu erreichen..."

Was heißt das genau? Sind damit, wie an späteren Ausführungen der Ministerin in der Diskussion anklingt, Bildungsangebote gemeint? Oder doch Bildungsmaßnahmen verpflichtenden Charakters? Das würde wiederum, wie sie selbst äußerte, dem widersprechen, dass die Entfaltung von Kreativität und Phantasie Freiräume benötigt, Zwang das Gegenteil bewirken würde. Davon zu sprechen, jemanden zu erreichen, heißt jedoch wörtlich, mit ihm tatsächlich in Kontakt zu treten - nicht nur es zu versuchen oder anzustreben. Erreicht wären alle Kinder und Jugendlichen tatsächlich erst, wenn sie an Angeboten teilnähmen. Um dahin zu gelangen bedürfte es mindestens einer Pflicht, von der jedoch nicht die Rede ist. Damit wäre es kein Angebot mehr, denn das müsste ausgeschlagen werden können. Diese widersprüchliche Haltung, die in den Ausführungen zum Ausdruck kommt, ist der Haltung der Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (siehe einen früheren Kommentar) ähnlich, die vor wenigen Jahren in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeine Zeitung folgendes sagte:

"...Jeder Kita-Platz ist eine gute Prävention. Wir wissen aus einer Untersuchung des Prognos Instituts, dass sich jeder Kita-Platz volkswirtschaftlich schon nach einem Jahr rechnet, weil Mütter dann erwerbstätig sein können, Steuern und Sozialabgaben zahlen, anstatt Transferleistungen zu beziehen. In vielen Fällen möchten gerade Alleinerziehende gerne wieder arbeiten, haben aber keine verlässliche Betreuung. Deshalb stellen wir uns auch so massiv gegen das Betreuungsgeld. Bisher waren wir uns mit der CDU einig, dass Bildung schon in der Kita beginnen muss. Dann müssen wir aber auch sicherstellen, dass alle Kinder da sind [Hervorhebung SL], statt eine Prämie für Kinder zu zahlen, damit sie fernbleiben. Das ist vollkommen unsinnig. Es würde auch keiner auf die Idee kommen, jemandem einen Bonus zu zahlen, der nicht ins Museum geht."

Im markierten Passus widerspricht das Vorhaben, die Anwesenheit von Kindern sicherzustellen den vorangehenden Ausführungen darüber, Möglichkeiten zu schaffen ("...Mütter erwerbstätig sein können..."). Sicherstellen kann man Anwesenheit bestenfalls, wenn es eine Pflicht gibt, anwesend zu sein - wobei auch diese Pflicht die Anwesenheit nicht wirklich garantiert, zumindest aber die Abwesenheit unter Strafe stellt wie bei der Schulpflicht (zur Diskussion um ihre Abschaffung siehe hier, hier, hier und hier).

Der Geist aktivierender Sozialpolitik, wie sie in der Agenda 2010 formuliert wurde, zeigt sich in seiner Widersprüchlichkeit. Auf der einen Seite soll es darum gehen, dass Bürger ihr Leben in die eigenen Hände nehmen, auf der anderen will man aber nicht dazu lediglich Freiräume eröffnen und Angebote bereitstellen, man will auch sicherstellen, dass die Freiräume wie die Angebote richtig genutzt werden. Wollen und Können schlagen in Müssen um (siehe auch hier und hier). Dieser Geist entsprang nicht der Agenda 2010, er machte sie möglich und reicht weiter zurück als oft angenommen. Auch findet er sich durchaus bei denjenigen, die gegen diesen Geist wettern (siehe z. B. hier).

Das ist der Grund, weshalb es ein Bedingungsloses Grundeinkommen so schwer hat, weil diese widersprüchliche Haltung nicht auf so hermetische Weise zutage tritt, dass sie eine klare Unterscheidung in Befürworter und Gegner zulässt.

Sascha Liebermann

P.S: Im kommenden WDR 3 Forum am 10. Janaur wird eine weitere Podiumsdiskussion gesendet, an der ich beteiligt war.

7. Januar 2016

"International Congress experimenting with a partial basic income"...

...die Veranstaltung findet am 30. Januar in Maastricht anlässlich des "25th Anniversary Congres of the Vereniging Basisinkomen" statt. Hier geht es zur Website.

Kommentare von Sascha Liebermann zu Feldversuchen finden Sie hier und hier.

6. Januar 2016

"Ein Jahr bedingungsloses Grundeinkommen"...

...ein weiteres Feature, diesmal im Deutschlandradio Kultur, am 3. Januar, von Wolf-Sören Treusch. Hier geht es zur Audioversion, hier zur PDF-Datei des Manuskripts.

5. Januar 2016

"Eine knappe Weltgeschichte der Arbeit in praktischer Absicht"...

...ein Feature im Deutschlandfunk von Mathias Greffrath vom 3. Januar.

"Homo sapiens ist der Primat, der Werkzeuge herstellen kann, vom Faustkeil und Pflug über Windmühle und Dampfmaschine bis zu den Computersystemen, die die geistige Arbeit automatisiert und die Fantasieproduktion standardisiert haben. Und wie es scheint, ist der neuerliche Automatisierungsschub erst am Anfang."

Was von den Erwartungen bzw. Befürchtungen um die Automatisierung zu halten ist, ist schwer zu sagen. Einen jüngeren Kommentar dazu von unserer Seite hier, eine Übersicht über ältere hier. In der NZZ am Sonntag wurde die Digitalisierung ebenfalls thematisiert unter dem Titel: "Uns braucht es bald nur noch als Konsumenten". Dazu auch ein Interview mit Erik Brynjolfsson daselbst.

Greffrath hat sich schon wiederholt ablehnend mit dem Bedingungslosen Grundeinkommen befasst, siehe hier und hier.

4. Januar 2016

2. Januar 2016

Grundeinkommen in der ARD-Sendung "tagesthemen"


In der Ausgabe vom 30. Dezember der ARD-Sendung tagesthemen (ab Minute 17'33) wurde über die Diskussion in Finnland und die bevorstehende Volksabstimmung in der Schweiz berichtet.

Bei RTL kommentierte Philipp Brandstädter das Grundeinkommen, Die Welt berichtete ebenfalls.