29. Februar 2016

"Ist das bedingungslose Grundeinkommen protestantisch"?...

...fragt ref.ch, "das Portal der Reformierten" Kirchen in der Schweiz.

27. Februar 2016

26. Februar 2016

25. Februar 2016

Erwerbsarbeit, Konsum und das Bedingungslose Grundeinkommen - ein vernachlässigter Zusammenhang

Seit einiger Zeit wird der Vorschlag eines Bedingungslosen Grundeinkommens mit weiteren Vorschlägen verknüpft, die für notwendig erachtet werden, damit das BGE als emanzipierend (Mindestlohn und Arbeitszeitverkürzung) sowie ökologisch sinnvoll und nicht als neoliberal oder konservativ bezeichnet werden könne. Diese Auffassung vertitt z. B. die BAG Grundeinkommen, jüngst wieder Ronald Blaschke, aber auch Ulrich Schachtschneider hält das in seinem Vorschlag für ein ökologisches Grundeinkommen für unerlässlich (siehe hier und hier).

Gerade die Überlegungen zur Verknüpfung des BGE mit Maßnahmen zu einem ökologisch verträglichen Wirtschaften scheinen auf der Hand zu liegen angesichts der möglichen Folgen eines Klimawandels, des enormen Verzehrs nicht regenerativer Ressourcen und weiterer Auswirkungen unserer gegenwärtigen Lebensführung auf die Natur. Dass ein Ressourcenverbrauch, wie wir ihn mehr oder minder selbstverständlich betreiben, langfristig dazu führt, unsere eigenen Grundlagen zu zerstören, ist mittlerweile unstrittig. Dasselbe gilt für die Vorstellung, dass es möglich sei, diese Haltung in der ganzen Welt zu praktizieren.

Wie aber diesen Herausforderungen begegnen? Es lassen sich die verschiedensten Maßnahmen erdenken, um Ressourcenverbrauch unattraktiver zu machen, z. B. über Steuern oder Abgaben, sei dies direkt auf Ressourcenverbrauch oder auf Emissionen; durch Förderung effizienterer Energiennutzung usw. Damit ist allerdings noch keine Wandel in der Lebensführung verbunden, der für die Art und Weise der Nutzung verantwortlich ist. Es lässt sich auch eine neue Askesekultur propagieren, die Verzicht großschreibt und ein Leben bevorzugt, das sich auf das wirklich Wichtige konzentriert. Es kann gegen all die unnützen oder unsinnigen Güter protestiert werden, die wir ohnehin nicht brauchen, manche sehen hier in einer Produktionsplanung die Lösung, damit den Bedürfnissen gemäß produziert werde.

Hätte denn all das den Effekt, den sich die Befürworter erhoffen? Ein planender Eingriff in die Güterproduktion auf welche Weise auch immer hätte womöglich die deutlichsten Folgen, bei den anderen Maßnahmen ist es schwer abzuschätzen, denn z. B. der PKW-Verkehr lässt nicht deswegen nach, weil der Kraftstoffpreis durch eine Steuer oder Abgabe erhöhrt wird. Was verlören wir hingegen durch eine neue Verzichtskultur? Für sie wird nicht selten so argumentiert, das wir nur die Dinge herstellen sollten, die wir wirklich brauchen, das sind dann wohl die Dinge, die nützlich sind. Sind wir damit nicht im Zentrum dessen angelangt, was unter dem Schlagwort der Ökonomisierung immer wieder kritisiert wird, dass nur der Nutzen einer Sache zählt? Was würde eine solche Verzichtskultur für Bildungsprozesse bedeuten, von Wissenschaft und Kunst gar nicht zu reden? Sind sie denn, je weniger der Nutzen erkennbar ist, nicht auch verzichtbar? So weit würde wohl kaum jemand gehen, aber manche Argumente müssten so zu Ende gedacht werden. Würden hier nicht Nutzen und Muße, Genuß gegeneinandergestellt?

Angesichts dieser komplexen Fragen und Folgen ist es um so erstaunlicher, wie wenig Augenmerk einem Zusammenhang gewidmet wird, der im Großen und Ganzen banal ist, ihm genau deswegen aber eine gewichtige Bedeutung dafür zukommt, was und wie wir konsumieren. Es geht um den Zusammenhang von Erwerbsnorm und Konsum. Es ist die normative Bedeutung von Erwerbstätigkeit, die ihr ihre Stellung in unserem Gemeinwesen verschafft, nicht ihr sachlicher Gehalt. Der besteht lediglich darin, bestimmte Güter und Dienste (in der Regel standardisierte, vom konkreten Nutzer abstrahierende Leistungen) vermittelt über die Logik von Angebot und Nachfrage bereitzustellen. Alleine von diesem Hintergrund aus betrachtet würde Erwerbstätigkeit nicht bedeutender sein als andere Tätigkeitsformen. Da wir ihr jedoch eine besondere Bedeutung zuweisen und deswegen Einkommen auf diesem Wege erzielt werden soll (Norm, Gebot), erfährt sie eine kollektive Wertschätzung, die über allem anderen steht.

Was hat dies nun mit unserem Konsum zu tun? Konsum erhält durch die herausragende Wertschätzung von Erwerbsarbeit eine besondere symbolische Bedeutung. Dabei geht es gar nicht mehr um den Nutzwert von Gütern und Diensten, sondern darum, sie sich leisten zu können und zu wollen. Sich etwas leisten zu können heißt, es sich verdient zu haben dadurch, dass ein Beitrag zum allgemeinen Wohlergehen gemäß der Verpflichtung "Du sollst erwebstätig sein" geleistet wurde. Alleine schon das Ableisten dieses Beitrages ist also ein Positivum ganz im Sinne von "Jede Arbeit ist besser als keine" oder "Sozial ist, was Arbeit schafft". Es ist nicht die Leistung im Dienste einer Sache, um die es dabei alleine geht, sondern dass dieser Sache in einer bestimmten Form, eben erwerbsförmig, gedient und auf diese Weise eine nomative Verpflichtung erfüllt wird. Das Dienen erhält hier also zweierlei Bedeutung: es dient der Bereitstellung von Gütern und Dienstleistungen, wodurch es zugleich das Erwerbsgebot bestätigt und befestigt. Konsum ist also die andere Seite davon, durch Erwerbstätigkeit zum allgemeinen Wohlergehen beigetragen zu habe. Ich sehe einmal davon ab, dass bestimmte Güter darüber hinaus eine Bezugsgruppenfunktion erfüllen, also signalisieren, zu einem bestimmten Milieu zu gehören. Wenn wir diesen Zusammenhang ernst nehmen, dann müssen wir fragen, wie er abgeschwächt oder gar aufgehoben werden könnte, denn das hätte Folgen für das Konsumverhalten. Erreicht werden kann dies nur dadurch, dass die herausragende Wertschätzung von Erwerbstätigkeit und damit der Verdienstcharakter von Konsum relativiert wird.

Das BGE würde, weil es Erwerbstätigkeit vom Sockel holte, ohne ihr ihre sachliche Bedeutung zu nehmen, genau das leisten. Erwerbstätigkeit wäre dann nur ein wichtiger Wirkungsbereich neben anderen im Gemeinwesen. Wie stark die Auswirkungen auf das Konsumverhalten wären, ist schwer abzuschätzen, sollte jedoch nicht unterschätzt werden. Das schließt nun keineswegs aus, besondere Maßnahmen zu ergreifen, um ressourcenschonendes Wirtschaften zu fördern, ich halte es aber für voreilig, das BGE daran notwendig zu koppeln, wenn noch gar nicht klar ist, welche Auswirkungen ein BGE diesbezüglich haben könnte.

Sascha Liebermann

24. Februar 2016

"Was bringt ein Grundeinkommen?" - fragt Capital...

...in der Rubrik Hayek/Keynes. In Form eines fiktiven Briefwechsels werden Pro und Contra Grundeinkommen dargelegt. Nur auf eine Passage sei hier kurz eingegangen:

"...Sehr geehrter Herr Keynes,
 irgendetwas macht mich misstrauisch an Ihrer Zustimmung. Mein Argument liegt jedenfalls in der Freiheit. Eine für alle Einwohner eines Staates gleiche Basisversorgung entledigt den Bürger der Sorge, im Notfall beim Staat betteln zu müssen, um seine Grundbedürfnisse zu stillen. Da die allermeisten mehr wollen als das, wird natürlich trotzdem weiter gearbeitet. Ich habe selbst schon 1973 formuliert, dass ein solches Minimum „nicht nur als völlig legitimer Schutz für ein Risiko erscheint, das uns allen droht, sondern auch als notwendiges Element“ einer Gesellschaft.
Ihr F. A. Hayek"

Richtig wiedergegeben ist hier, dass Hayek eine solche Absicherung als Rechtsanspruch einrichten wollte. Das unterscheidet eine Grundsicherung von einem Almosen, das eine freiwillige Leistung darstellt. Vergleicht man dies mit "Hartz IV", dann muss festgehalten werden, dass es sich hierbei auch um einen Rechtsanspruch in der Logik einer bedürftigkeitsgeprüften Leistung handelt. Hayek sah diese Leistung in der Tat für einen Notfall vor, sonst hätte dieser hier nicht erwähnt werden müssen, sie war nicht als dauerhafte Regelleistung gedacht. Wenn sie für den Notfall vorgesehen ist, muss dieser Notfall also festgestellt werden. Hier wird der fiktive Briefwechsel ungenau, denn er klingt so, als müsse der Notfall nicht festgestellt werden. 


Milton Friedman, der auch häufig als Vordenker eines Grundeinkommens erwähnt wird, wollte für diesen Fall eine einfache Lösung, indem durch eine Einkommenserklärung oder -feststellung erkennbar wird, ob jemand unter ein definiertes Mindesteinkommen fällt. Ihm ging es gerade darum, keine Bedürftigkeitsprüfung in unserem Sinne vorzunehmen.

Beim BGE hingegen wäre ja genau das nicht nötig, da es immer bereit stünde, es gäbe also keinen Notfall. Nur Leistungen, die darüber hinaus notwendig wären, müssten eigens beantragt werden.

Sascha Liebermann

23. Februar 2016

"Bedingungsloses Grundeinkommen: Ein Gespenst geht durch Europa"

Ein Interview in SWR 2 vom 11. Februar zur Volksabstimmung in der Schweiz mit dem Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Thomas Straubhaar, Universität Hamburg, drehte sich um das Bedingungslose Grundeinkommen. Die Bemerkung des Moderators zu Beginn des Gesprächs, wie denn das "Bergvolk" dazu komme, darüber abzustimmen, ist an Hochnäsigkeit kaum zu überbieten. Straubhaar übergeht das höflich und verweist sogleich auf die direkte Demokratie, die in der Schweiz fest verankert sei. Er sieht die Chancen für eine Zustimmung zur Volksiniatitive schlecht, da nicht spezifiziert sei, wie das BGE aussehen solle. Zugleich aber eröffne die Volksinitiative die Chance, über die Zukunft der Sicherungssysteme zu diskutieren. Es sei ein Irrglaube, dass Arbeit nur ein Muss sei, "das ungerne geleistet" werde.

Dann folgen überraschende Ausführungen darüber, dass es "gerade für Deutschland" sinnvoll sei, ein bescheidendes Grundeinkommen einzuführen. Überraschend für dieses Gespräch, Straubhaar hatte sich aber über die Jahre immer wieder einmal so geäußert (hier) oder gar die "Hartz-Gesetze" gelobt (hier). Wie er auf seine Einschätzung kommt, erschließt sich nicht, offenbar aber befürchtet Straubhaar, ein zu komfortables BGE könne besonders für Deutschland, den "Arbeitsanreiz" senken. Um "sicherzustellen", dass dies nicht geschehe, müsse das BGE eben niedriger ausfallen. Straubhaar hat hier das "Armutsfallentheorem" im Kopf, nach dem Arbeitsanreize durch zu umfangreiche öffentliche Absicherungsleistungen gesenkt werde. Das Problem mit diesem Theorem ist nur, dass ihm die empirische Basis fehlt. Noch vor Einführung der Gesetze für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt haben Georg Vobruba und Kollegen das Theorem empirisch überprüft - und seine Unhaltbarkeit aufgezeigt ("Wer sitzt in der Armutsfalle" (Georg Vobruba, Hanna Petschauer, Ronald Gebauer). Gebauer hat sich in einer eigenen Arbeit der Frage nochmals gewidmet "Arbeit gegen Armut" (Ronald Gebauer) und die Befunde erhärtet. Wie das mit Theoremen so ist, sind sie schnell aufgestellt, verbinden sich mit gewissen Vorurteilsstrukturen der Alltagswelt und verbreiten sich dann als Gewissheiten.

Ein anderer Punkt sei hier noch erwähnt. Der Moderator hatte derweil von das in Finnland diskutierte Grundeinokmmen von 800 Euro ins Spiel gebracht und dies als Grundeinkommen auf Hartz IV-Niveau bezeichnet. In diesem Zusammenhang wird häufig mit einer Selbstverständlichkeit behauptet, dass so ein BGE gar nichts sei, zumindest keine Verbesserung sei, dass man staunen kann. Für ein alleinstehende Person würde es sicher nicht erlauben, ohne Erwerbstätigkeit auszukommen. Bei Erwerbsunfähigkeit und weiter bestehenden bedarfsgeprüften Leistungen wäre das aber schon anders, zumal alle bedarfsgeprüften Leistungen auf ein anderes Fundament gestellt würden. Sie leiteten sich nicht mehr von der Erwerbsnorm her oder müssten ihr dienen, vielmehr stünden die Bürger im Zentrum sozialer Sicherung. Es wäre also schon eine erhebliche Verbesserung, 800 Euro zu haben und nur wenig erwerbstätig sein zu müssen um das aufzustocken. Für Haushalte wiederum veränderte sich die Lage schon drastisch, weil die BGE der Personen kumulieren würden.

Was salopp daher gesagt würde, dass 800 Euro nur ein Grundeinkommen auf Hartz-IV-Niveau wäre, bedarf einer differenzierten Betrachtung. Die größte Hürde für die Einführung eines BGE ist nicht die Betragshöhe in Kaufkraftverhältnissen, sondern die Bedingungslosigkeit.

Sascha Liebermann

22. Februar 2016

Repressionsfreie Mindestsicherung im heutigen Sozialstaat - Fortschritt oder Verklärung?

Anlässlich einer Podiumsdiskussion, an der ich kürzlich teilnahm, kam wieder einmal die Frage auf, ob es nicht besser sei, statt eines Bedingungslosen Grundeinkommens eine sanktionsfreie bzw. "repressionsfreie" Mindestsicherung einzuführen, vielleicht auch als Übergangslösung. Das würde den Menschen im Hier und Heute schon helfen, wäre eher durchsetzbar, während eine Einführung des BGE auf absehbare Zeit unrealistisch erscheine. Verschiedentlich ist schon in diese Richtung argumentiert worden, nicht selten waren die Befürworter zugleich Gegner des BGE (siehe hier, hier und hier).

Die Forderung nach der Abschaffung von Sanktionen bzw. Repressionen hat auf den ersten Blick etwas für sich, weil dann endlich Druck von denjenigen genommen würde, die die Leistungen benötigen, um ihr Auskommen einigermaßen zu sichern. Es spräche also alles dafür, die Abschaffung zu befürworten und darin vielleicht sogar einen Einstieg in ein BGE zu sehen (Die Petition von Inge Hannemann zur Abschaffung von Sanktionen im Sozialgesetzbuch wurde vor wenigen Tagen im Petitionsausschuss abgeschlossen, siehe auch hier). Warum ist es dann aber so schwer, sie abzuschaffen, woran liegt das? Weshalb lassen sich dafür keine Mehrheiten mobilisieren? Ist die Forderung bei näherer Betrachtung womöglich naiv, weil sie der inneren Logik des bestehenden Sicherungssytems widerspricht?

Schaut man in die Sozialgesetzgebung der letzten Jahrzehnte, lehrt sie einen, weshalb die Abschaffung von Sanktionen eine so große Hürde darstellt. Bundessozialhilfegesetz, Sozialgesetzbuch II und XII - sie alle kannten bzw. kennen Sanktionen von Leistungsbeziehern und Mitwirkungspflichten, um den Leistungsbezug wieder zu verlassen. Ist das nun Zufall oder doch konsequent? Wenn Systeme sozialer Sicherung in ihrem Zentrum das Erwerbsprinzip haben, von dem sich Leistungen herleiten und an denen sie gemessen werden (bis auf wenige Ausnahmen), dann müssten wir doch zu dem Schluss gelangen, dass es gar kein solch kompensatorisch wirkendes Sicherungssystem geben kann, das nicht Sanktionsinstrumente benötigt. Sanktionen in einem solchen Sicherungssystem abzuschaffen und das System beibehalten zu wollen, ist nicht möglich. Was sich diejenigen von einer sanktions- oder repressionsfreien Mindestsicherung versprechen, die sie fordern, tun dies entweder aus taktischen Überlegungen, um das heutige Sicherungsgefüge mit Hilfe eines trojanischen Pferdes auszuhöhlen oder sie sind sich über die innere Logik des Systems nicht im Klaren. Für den ersten Fall kann man fragen, ob eine solche Taktik für die öffentliche Auseinandersetzung um die Frage, wie wir miteinander leben wollen, sinnvoll ist oder ob sie nicht gerade diese Frage verdeckt. Für den zweiten Fall muss man konstatieren, dass die Forderung zwar verständlich ist, dadurch wird sie aber nicht weniger naiv.

Helga Spindler hat in ihrer Stellungnahme für den Landtag Nordrhein Westfalens zur Aussetzung von Sanktionen im Sozialgesetzbuch Ausführungen gemacht, die erkennen lassen, dass sehr wohl eine Entschärfung der heute praktizierten bzw. vorgesehenen Sanktionen möglich ist. Das wäre mehr "Großzügigkeit", von der auch Norbert Häring einmal gesprochen hat, ohne dass aber ganz auf Sanktionen verzichtet würde. Sie schreibt:

"1.) Die Aussetzung von Sanktionen ist nicht gleichbedeutend mit der völligen Abschaffung von jeglicher Mitwirkungspflicht und der daran geknüpften Sanktionen, sondern würde den Leistungsbeziehern nach 10 Jahren erstmals signalisieren, dass sie nicht weiter nur als Objekte oder Erziehungsbedürftige gesehen werden. Sie würde vorübergehend Druck von den Sachbearbeitern nehmen, die Bezieher in der eigentlich versprochenen „koproduktiven“ Beziehung unterstützen wollen, und im übrigen eine Wirkungsforschung zulassen, die bisher wegen der drohenden Sanktion überhaupt nicht möglich ist." (Stellungnahme, S. 1)

Es ist schwer nachzuvollziehen, wie Helga Spindler zu ihren Schlussfolgerungen kommt. "Erziehungsbedürftige" würden die Leistungsbezieher doch bleiben, denn das ist die normative Basis der Mitwirkungspflicht. Wer nicht mitwirkt, wird sanktioniert - das mag weniger Erziehung sein als bisher, bleibt aber Erziehung.

Entsprechend schreibt sie:

"5.) Die Aussetzung von Sanktionen lässt sich auch in Teilschritten durchführen, die Gestaltungsspielräume für Erwerbslose und Jobcentermitarbeiter erhöhen und vor allem sinnlosen Druck abbauen und trotzdem die Auffassung, bzw. Erfahrung berücksichtigt, dass zumindest in manchen Fällen Sanktionen notwendig sind, damit Verpflichtungen eingehalten werden." (Stellungnahme, S. 2)

Und weiter heißt es:

"Hier wäre es ein Gebot des Anstands, die Sanktionen auszusetzen. Sowohl das ISG, als auch der DGB und der Deutsche Verein stimmen hier in der Kritik überein. Die Akzeptanz in der übrigen Bevölkerung wäre ebenfalls nicht gefährdet, wenn Sanktionen auf die Verweigerung der Arbeitsaufnahme und Bewerbungen auf dem ersten Arbeitsmarkt beschränkt würden." (Stellungnahme, S. 3)

Das ist eben die Logik eines erwerbszentrierten und nicht auf Handlungsbereitschaft setzenden Sicherungssystems. Sicher, es lässt sich an der Höhe und Schärfe der Sanktionen etwas verändern, doch verändert das den Charakter des Sicherungsgefüges nicht.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass es keine Abschaffung von Sanktionen geben wird, ohne nicht das gesamte Sicherungssystem anders auszurichten, und zwar auf die Fundamente der Demokratie, auf die Stellung der Bürger in ihr. Die Befürworter einer repressionsfreien Mindestsicherung bzw. der Abschaffung von Sanktionen müssen sich fragen lassen, ob diese Forderung nicht die Zusammenhänge verharmlost und von der grundsätzlichen Diskussion wegführt.

Sascha Liebermann

21. Februar 2016

NZZ Folio befasst sich mit Bedingungslosem Grundeinkommen

In der Märzausgabe widmet sich das NZZ Folio dem Thema "Oben und unten", es geht auch umd das Bedingungslose Grundeinkommen.

Aus der Ankündigung: "Ein gewisses Mass an Ungleichheit findet man überall: Mächtige können ihren Willen gegenüber Ohnmächtigen durchsetzen, Reiche leben angenehmer – und auch länger – als Arme, Erfolgreiche werden verehrt, Verlierer gemieden.

Das NZZ-Folio vom März befasst sich mit Hierarchien und sozialen Schichtungen. Wird unsere Gesellschaft tatsächlich immer ungleicher, wie der französische Soziologe Thomas Piketty in seinem Bestseller «Das Kapital im 21. Jahrhundert» behauptet? Wir begeben uns auf die Suche nach verlässlichen Zahlen und gehen der Frage nach, wie es um die soziale Mobilität in der Schweiz stehe. Wir unterziehen die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens einer kritischen Prüfung: Würde es wirklich mehr soziale Gerechtigkeit bringen? Und können Managementtheorien, die nicht flache, sondern gar keine Hierarchien propagieren, tatsächlich funktionieren, oder braucht es ihn doch noch, den Boss?..."

20. Februar 2016

19. Februar 2016

Verschärfung der Regelungen beim Arbeitslosengeld II - Stellungnahme von Harald Thomé und Frieder Claus

Nachdem wir kürzlich wieder über etwaige bevorstehende Verschärfungen im Sozialgesetzbuch II informiert haben, hier der Link zur Stellungnahme von Harald Thomé und Frieder Claus zum Kabinettsentwurf (siehe eine weitere Stellungnahme hier). Die junge welt  und Frankfurter Allgemeine Zeitung (Montagsausgabe) berichteten über ein Schreiben der Jobcenter-Personalräte, in denen das Vorhaben kritisiert wird.

"Schon im 2016 angekommen?" fragt Swiss ICT

...fragt Thomas Flatt, Präsident von swissICT, und gibt eine interessante Antwort:

"...Dieser Staat von übermorgen hat viele Bürger ohne Arbeit, wie wir sie heute kennen. All diese Bürger brauchen aber eine Aufgabe, einen Sinn im Leben und nicht zu Letzt: Geld zum Leben.
Als Informatiker kennen wir die Möglichkeiten. Und wir müssten eigentlich für ein bedingungsloses Grundeinkommen sein – denn wir wissen was kommen wird.
Also nicht Regulation auf Halde, sondern weitsichtige Politik. Diese kombiniert mit Unternehmern und Mitarbeitern, die gut schweizerisch hart arbeiten und das benötigte Geld erst einmal verdienen, dann kommt es sicher gut. Willkommen im 2016."

"ABC des Grundeinkommens" - Buch von Enno Schmidt

Enno Schmidts Buch erscheint am 16. März im Limmat-Verlag.

Aus der Ankündigung: "Dieses «ABC des Grundeinkommens» nimmt sich die wichtigsten Fragen und Einwände für und gegen das Grundeinkommen vor: Wer arbeitet dann noch? Wer soll das bezahlen? Wäre das gerecht, wenn man auch ohne Arbeit genug zum Leben hat? Ist das eine Lohnkostensubvention für private Unternehmen? Dann kommen mehr Migranten? Was ist der Wert der Arbeit?
Was ist die Zukunft der Arbeit? Enno Schmidt beschäftigt sich seit vielen Jahren intensiv mit dem bedingungslosen Grundeinkommen. Er kennt all seine Formen, die Haltungen, die Pilotprojekte und die Diskussionen, die weltweit geführt werden. Er macht das Thema transparent für die eigene Urteilsbildung und zeigt fundiert, worum es geht. Dabei lässt er manches in einem erstaunlich neuen Licht sehen. Neben den wichtigsten Fragen mit ihrem Dafür und Dawider erzählt er auch die Geschichte dieser Idee und geht gründlich auf die Frage der Finanzierung ein..."

18. Februar 2016

"Das Gesellschaftsspiel: Grundeinkommen spielen"...

...eine Crowfunding-Initiative von Alina Herr und Alexander Kolmar für ein Gesellschafts-Spiel zum Bedingungslosen Grundeinkommen. Siehe auch das Interview mit Alina Herr.

"Das BGE und die Industrie von morgen"...

...unter diesem Titel steht die Themenwoche der Piratenpartei zum Bedingungslosen Grundeinkommen vom 27. Februar bis zum 6. März. Ein ausführlicher Artikel von Gernot Reipen dazu findet sich hier. Veranstaltungen und Termine finden sich auf dieser Website.

Damit greift die Themenwoche einen Aspekt auf, der in den letzten Monaten sehr häufig mit dem BGE verknüpft wurde: Digitalisierung und "Industrie 4.0". Einige Studien prophezeien Umbrüche nicht nur in der Arbeitswelt, die durch die digitalen Technologien möglich sein könnten. Erwerbsarbeitsplätze, so die Behauptung, werden in einem Umfang verloren gehen, ohne dass sie durch neue im gleichen Maße ersetzt werden würden. Solche Szenarien sind nicht neu, sie wurden in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder einmal gezeichnet und die Entwicklung des Arbeitsvolumens in Deutschland, wie sie der Historiker Gerhard Schildt (siehe hier und seinen Beitrag in diesem Sammelband) dargelegt hat, könnte diese Behauptungen zumindest stützen. Wie sie zu beurteilen ist und ob es technologische Arbeitslosigkeit und in welchem Maße gibt, ist umstritten.

Ob BGE und Digitalisierung überhaupt miteinander verknüpft werden sollten, ist eine andere Frage, die allerdings von grundsätzlicher Bedeutung ist (siehe frühere Beiträge dazu hier). In vielen Äußerungen von verschiedener Seite, die in letzter Zeit zu vernehmen waren, wird das BGE für notwendig erachtet, weil die Digitalisierung die genannten Folgen haben werde. Dieses Argument folgt derselben Logik wie dasjenige, das ein BGE für notwendig erachtet, weil das Arbeitsvolumen stetig abnehme und es nicht mehr genügend Erwerbsarbeitsplätze geben werde. Auch für dieses Argument galt, was für das Digitalisierungsargument gilt: Wer diesen Zusammenhang herstellt, betrachtet das BGE zuallererst als Reparaturmaßnahme, es wird zur Kompensation eines Verlusts an Einkommensplätzen erklärt. Das soll nicht heißen, dass ein BGE das nicht leisten könnte, das könnte es sehr wohl. Doch strenggenommen sind es zwei unterschiedliche Begründungsstränge, ob das BGE als kompensatorische Leistung verstanden wird oder als eigenständnige Einkommensquelle, die aus der demokratischen Verfasstheit unseres Landes herzuleiten wäre. Im ersten Fall müsste das BGE dann wieder aufgehoben werden, wenn der Grund der Reparatur wegfiele, der Arbeitsmarkt wieder entspannt wäre. Wir wissen nicht ob, das je der Fall sein wird, aber auf diese Konsequenz läuft die erste Begründung hinaus (siehe auch hier). Die zweite hingegen ist davon ganz unabhängig und stellt das BGE damit auf ein anders Fundament als die erste. Die Herleitung über die Demokratie führt zu anderen Schlussfolgerungen und stärkt weitere Zusammenhänge, insofern ist sie die viel stärkere und zu unserem Lebensgefüge besser passende. Über Digitalisierung würden wir entsprechend ganz anders diskutieren, wenn wir sie aus dem Zusammenhang der Entwicklung am Arbeitsmarkt lösen würden. Mit einem BGE wäre das ganz einfach.

Sascha Liebermann

17. Februar 2016

"Eine Wette, die wir wagen sollten"...

...meint Charlotte Theile in der Süddeutschen Zeitung über das, was ein Bedingungsloses Grundeinkommen ermöglichen könnte.

Update 18.2.: Die Süddeutsche Zeitung hat Leserbriefe als Reaktion auf verschiedene Beiträge zum Bedingungslosen Grundeinkommen abgedruckt "Der Sozialstaat - neu organisiert"

Eine Verschärfung der Regelungen beim Arbeitslosengeld II? Aber sicher...

so könnte man kommentieren, was ein Gesetzentwurf aus dem Bundesarbeitsministerium nach Meldung von neues deutschland enthalten soll. Siehe auch die Meldung von gegen-hartz dazu, die sich auch auf Ute Fischer beruft, die am Ende der Meldung noch mit einem Vorschlag zitiert wird, wie denn im gegenwärtigen Gefüge schon Verbesserungen zu ereichen wären. Ihre Ausführungen entstammen diesem Interview, auf das gegen-hartz nicht verweist. Der Vorschlag im Original lautet so:

"Wo sehen Sie denn aufgrund Ihrer Analysen weitergehenden Reformbedarf in den Jobcentern?
Organisatorisch und inhaltlich. Die Vielzahl an Verwaltungsrichtlinien und Anweisungen, die die Beschäftigten in den Jobcentern befolgen und umsetzen müssen, nimmt durch die Reform nicht ab. Daher verfehlt das Gesetz die gewünschte Wirkung. Eine stärkere Vereinfachung wäre zu erzielen durch eine Trennung von Auszahlung und Beratung bei möglichst starker Pauschalierung des Grundsicherungsbetrags. Nur so könnten Einzel- und Sonderfallberechnungen entfallen. Der Pauschalbetrag, der Regelsatz, müsste dann hoch genug sein, damit auch Wohnungs- und Nebenkosten abgedeckt sind. Am wichtigsten aber scheint mir ein Umdenken zu sein: Wenn die Behörde – und der Gesetzgeber – darauf verzichten würde, besser zu wissen, was der oder die Einzelne wirklich will und welche Tätigkeiten zu ihm oder ihr passen, erst dann würde auch die Beratung in den Jobcentern zu einer professionellen Hilfeleistung. Solange aber die Eingliederung in Arbeit um jeden Preis den „Geist“ der Sozialpolitik prägt, werden Hilfebedürftige entmündigt und der Entwicklungsprozess nachhaltig gestört."

16. Februar 2016

"Jenseits von links und rechts. Die Wurzeln des «bedingungslosen Grundeinkommens» in der Frankfurter Soziologie"...

...so ist ein Beitrag in der gestrigen Augabe der Basler Zeitung (Printfassung, Kultur, S. 9) überschrieben, der sich mit Überlegungen des Soziologen Ulrich Oevermann zur "Krise der Arbeitsgesellschaft" befasst. Der Autor, Sigfried Schibli, stellt die Überlegungen dar und verweist darauf, dass diese schon 30 Jahre alten Ausführungen angesichts der bevorstehenden Volksabstimmung nach wie vor aktuell seien.

Die in Rede stehende Analyse verfasste Ulrich Oevermann, Prof. em. (Soziologie), 1983. Sie kursierte lange nur als Manuskript, das zwar heruntergeladen werden konnte, seit wenigen Jahren jedoch auch als Buchbeitrag veröffentlicht zugänglich ist (siehe Sammelband von Manuel Franzmann).

Wohl gab es in den achtziger Jahren eine intensive, wenn auch vor allem akademische Debatte über die „Krise der Arbeitsgesellschaft“ und das Grundeinkommen, insofern ist Oevermanns Beitrag hierzu nicht ungewöhnlich. Die Analyse selbst jedoch ist es durchaus, weil sie technologischen Fortschritt und strukturelle Arbeitslosigkeit anders deutet. Sie sind nicht alleine der Grund für Alternativen zur Erwerbszentrierung, sondern auch Resultat intrinsisch motivierter Leistungsbereitschaft. Folgerichtig hebt der Beitrag heraus, dass beide Phänomene nur die Problemlage verschärfen, die sich aus der historischen Entfaltung von Autonomie ergibt. Die Lage führt zu folgendem Widerspruch: Auf der einen Seite besteht – so die Diagnose von 1983 – eine allgemeine Leistungsverpflichtung fort, die in Erwerbsarbeit einzulösen ist, und nur dort als Gemeinwohlbeitrag anerkannt wird. Das soll notfalls mit einer Umverteilung von (Erwerbs-) Arbeit erreicht werden (Arbeit als knappes Gut); auf der anderen Seite jedoch hat sich die Lebensführung in einem Maße individuiert, dass Leistung und Sinnhaftigkeit nach eigenen Gütekriterin bestimmt werden, eine allgemeine Umverteilung und Vorschrift von Arbeitszeit oder Bestimmung von Gütekriterien ihr jedoch entgegenstehen. Dieser Widerspruch droht nun gerade die Leistungsethik, die Grundlage des Wohlstandes ist, zu zerstören, weil an einer normativen Verpflichtung – der Erwerbsarbeit – festgehalten wird, sie aber individuierten Lebensentwürfen nicht mehr entspricht.

Diese Schlussfolgerung ist es, die die Analyse, auch wenn vom Grundeinkommen in ihr keine Rede ist (Oevermann veröffentlicht dazu erst später, siehe seinen Beitrag in diesem Band sowie die Diskussion darin mit Joachim Mitschke; siehe auch die Podiumsdiskussion aus dem Jahr 2006; hier ein Ausschnitt aus einer Diskussion Oevermanns mit Daniel Cohn-Bendit zum Grundeinkommen). Sie hebt nämlich die Basis von Wohlstand, die individuierte Leistungsbereitschaft, heraus, die in der Regel unterschätzt, wenn nicht gar in ihrer Bedeutung kleingeredet wird – das Stichwort „Anreiz“ sei zum Hinweis genannt.

Oevermanns Einsichten, das sei erläuternd beigefügt, rühren aus einem Forschungsverständnis, dass sich die Welt nicht anhand hoch aggregierter standardisierter Daten erschließt, wie sie in weiten Teilen der Sozialwissenschaften verwendet werden, sondern auf der Basis von Fallrekonstruktionen (siehe hier und hier). Sie geben reichhaltigen Einblick in konkrete Lebensvollzüge und erlauben es, handlungsleitende Überzeugungen und Motivationen detailliert zu bestimmen, die in quantitativen Erhebungen verschüttet werden.

Sascha Liebermann

15. Februar 2016

Feldexperimente zum Grundeinkommen - Nutzen oder Schaden?

Anlässlich des 25jährigen Bestehens der niederländischen Vereniging Basisinkomen fand Ende Januar eine Tagung in Maastricht statt. Stefan Füsers hat für Netzwerk Grundeinkommen einen Bericht darüber verfasst, der interessant ist, denn zum einen erfährt man mehr über die Experimente, die in Maastricht vorgesehen sind, zum anderen wird die Frage aufgeworfen, was man von Feldexperimenten überhaupt erwarten kann. Meine Einschätzung zu Feldexperimenten finden Sie hier.

Zu den Experimenten in Maastricht heißt es:

"Bei der europäischen Konferenz ging es um neue, von der Grundeinkommensidee inspirierte Experimente zur sozialen Absicherung. Berichtet wurde von den inzwischen 20 niederländischen Städten und Gemeinden, die bei der Regierung ein Experiment beantragt haben. Vertreter aus Finnland hatten die Möglichkeit, die finnischen Pläne für ein Experiment vorzustellen. Es wurde klar, dass die Experimente weit von einem Grundeinkommen, inklusive aller vier Kriterien, abweichen. In beiden Ländern wird wohl keine Individualsicherung getestet. In Holland sollen zudem nur momentane Sozialhilfebezieher Teil des Projektes werden."

Für manche, die Hoffnung hatten, hier könnte es vorangehen, die die Niederlande schon als Avantgarde in Sachen BGE betrachteten, ist das ernüchternd.

Im Bericht heißt es dann:

"Insgesamt wurde deutlich, dass die geplanten Experimente, nicht zuletzt bedingt durch rechtliche Vorgaben, beträchtliche Einschränkungen haben. So müssen Teilnehmer gewöhnlich freiwillig mitmachen, was ein Experiment mit Grundeinkommen in einer Region erheblich erschwert. Die Experimente sind zudem immer zeitlich begrenzt. Das hat psychologisch einen anderen Effekt als ein lebenslanges Recht."

Weshalb in der Freiwilligkeit mitzumachen eine Erschwernis für Experimente besteht, erschließt sich hier nicht, sollten die Leute etwa gezwungen werden? [update 26.8.2020: Wenn eine Region ausgewählt würde, um als Testregion zu fungieren, müssten auch alle mitmachen, die dort leben. Insofern müsste es eine verpflichtende Teilnahme geben, was wiederum die Ergebnisse verzerrte]  Aufmerksam macht diese Bemerkung jedoch auf das Problem aller Feldexperimente, dass sie in irgendeiner Form abgegrenzt werden müssen von dem Alltag, der ohne sie weiterlaufen muss.

Der letzte Punkt ist nicht nur ein psychologischer, es ist vor allem einer der Lebensverhältnisse, ein soziologischer, innerhalb derer das Experiment stattfindet. Sie erlauben nicht, Entscheidungen ins Auge zu fassen, die für die Zeit nach dem Experiment noch vernünftig sein sollen können - ganz gleich, ob es rechtliche Beschränkungen gibt oder nicht.

"Aus dem Publikum kam sogar die Befürchtung, dass ein „Grundeinkommens“-experiment, welches weit von der eigentlichen Idee des Grundeinkommens abweicht, der Idee Schaden zufügen könnte – das Grundeinkommen werde dann womöglich als ein ungerechtes Bürokratiemonster wahrgenommen und hätte sich damit weit von den ursprünglichen Absichten Gerechtigkeit und Bürokratieabbau entfernt."

Diese Sorge, dass Experimente dem Vorangehen der Diskussion schaden können, ist nicht von der Hand zu weisen. Wer ein Experiment durchführt, erwartet, dadurch etwas herauszufinden, das dazu beitragen kann, die Entscheidung für oder gegen die Einführung eines allgemeinen Grundeinkommens treffen zu können. Die Ergebnisse werden als aussagekräftig erachtet, sonst würde ein Experiment erst gar nicht in Angriff genommen. Wenn also nicht die Veränderungen eintreten, die BGE-Befürworter damit verbinden, würde dies dem BGE angelastet, nicht den Experimenten als solchen. Methodisch stehen alle Feldexperimente auf wackligem Untergrund, die Befristung und Selektivität ist das Problem, es lassen sich keine weitreichenden Schlussfolgerungen daraus ziehen.

Es gibt einen legitimatorischen Einwand, der zumindest für alle republikanisch verfassten Demokratien entscheidend ist: Ein Experiment soll etwas herausfinden, über das diese schon lange Bescheid wissen bzw. worauf sie schon lange selbstverständlich setzen - die Mündigkeit der Bürger und ihre Bereitschaft, ihr Leben in die eigenen Hände zu nehmen zum Wohle des Ganzen. Da es in einem Experiment darum gehen würde zu belegen, dass die Bürger zu genau dem bereit sind, was sie ohnehin schon tun und worauf sich eine Demokratie verlassen muss, würde etwas belegt werden sollen, auf dessen Basis wir leben. Das Experiment wäre selbst Ausdruck von Misstrauen in die schon heute realen Voraussetzungen unseres Lebensgefüges. Das ist manchen Befürwortern von Feldexperimenten offenbar noch nicht in den Sinn gekommen.

Treffend merkte Guy Standing an:

"Guy Standing, der in Indien bereits ein größeres Projekt mit einem partiellem [sic] Grundeinkommen durchgeführt hat, verwies mehrfach darauf, dass sein Projekt im Wesentlichen auf kommunaler Ebene gewirkt habe, was bei einem Projekt mit einigen aus der gesamten Gesellschaft zufällig ausgewählten Personen unter den Tisch fallen würde. Gleichzeitig empfahl er, solche Experimente individual- und nicht haushaltsbasiert durchzuführen."

Ein gravierender Einwand allerdings gilt auch für die Projekte in Indien, da sie das allgemeine Lebensumfeld in seiner Normativität nicht verändert haben. Die Projekte waren eine Enklave, also eine Sonderzone auf kommunaler Ebene, und bezeugen nicht, was ein allgemeines BGE leisten könnte, selbst wenn sie "individualbasiert" durchgeführt würden.

Ein weiterer Einwand kam von Philippe van Parijs:

"Philippe van Parijs machte deutlich, dass man genau überlegen müsse, welche Ziele mit dem Grundeinkommen verfolgt würden. Er machte zudem für beide Länder klar, dass die Einbettung solcher Experimente in ein bestehendes Sozial- und insbesondere Steuersystem schwierig und für die Experimentdauer extrem ungerecht sein kann. Er geht zudem davon aus, dass man Gegner nicht mit Experimenten überzeugen kann, insbesondere auch weil die finanzielle Tragfähigkeit nicht mit einem Experiment belegt werden könne."

Auch hier gravierende Einwände gegen Experimente. Dass sich Gegner des BGE auch von erfolgreichen Experimenten nicht überzeugen ließen, würde ich genauso einschätzen, denn der Widerstand gegen das BGE ist nicht argumentativ, es geht um eine Werthaltung. Der Ausspruch "das funktioniert doch nicht, das kann nicht gut gehen" bedeutet im Grunde "ich will das nicht, ich halte das für falsch". Wer hingegen wirklich aufgeschlossen ist, hat keine grundsätzlichen Einwände, sondern abwägende Vorbehalte. Die Frage wäre, wie diese Werthaltung in Bewegung gebracht werden kann. Meines Erachtens ist der einzige Weg dafür eine öffentliche Auseinandersetzung um die Frage, wie wir leben wollen, denn sie fragt nach einer Haltung zum Zusammenleben.

Die Hoffnung, Feldexperimente könnten eine Antwort geben, scheint mir zweierlei zu zeigen. Zum einen wird deutlich, dass der Wunsch danach, von der Wissenschaft Aufklärung zu erfahren, eine Überschätzung ihrer Möglichkeiten bezeugt. Wissenschaftliche Ergebnisse sind beinahe immer strittig, die Auseinandersetzung mit Befunden verlangt Kenntnisse von Methoden und die Bereitschaft, sich auf diese einzulassen. Darüber hinaus sind auch die Methoden strittig. Das gehört zu Wissenschaft dazu.

Um so erstaunlicher ist dann der Konsens der Kongressteilnehmer, wie der Bericht ihn schildert:

"Insgesamt waren sich die meisten Konferenzbesucher dennoch einig, dass die Experimente der Grundeinkommensbewegung nutzen. Auch wenn die wissenschaftliche Bestätigung für die Sinnhaftigkeit eines Grundeinkommens ausbleibt, sind Experimente vielmehr eine Garantie dafür, dass die Ideen, die mit einem Grundeinkommen verbunden sind, im gesellschaftlichen Diskurs verankert werden."

Ob dieser Schlussfolgerung kann man nur staunen, werden damit die voranstehenden Einwände schlicht ignoriert. Woran bemessen die Befürworter denn den Nutzen der Experimente, wenn die Ergebnisse nichts von dem belegen, was für ein allgemeines BGE charakteristisch wäre? Wird das BGE denn durch die Experimente im "gesellschaftlichen Diskurs" verankert?

Für Deutschland zumindest kann man sagen, dass das BGE schon seit etwa 2006 in der öffentlichen Diskussion etabliert ist, schon damals hatten Parteien, Gewerkschaften und andere Gruppen sich dazu öffentlich geäußert. Medial jedoch ist die Grundeinkommensdiskussion durch ein Auf und Ab gekennzeichnet, da die Medien sich stets plakative Aufhänger suchen und die ganze Diskussion dadurch verengen. War es ab 2010 die Petition von Susanne Wiest, über die immer wieder berichtet wurde, folgte darauf 2012 und 2013 bis zur Bundestagswahl noch die Piratenpartei, auf die das BGE verengt wurde und die leider wenig dazu beitrug, die Differenziertheit der Diskussion darzustellen. Seit 2014 ist es "Mein Grundeinkommen", auf das sich die Medien stürzen. Ob das zur weiteren Diskussion beiträgt, kann durchaus bezweifelt werden, es gibt auch einen Vernutzungseffekt medialer Marktschreierei, zumal wenn Dinge als BGE gehandelt werden, die keines sind.

Und auch diese Schlussfolgerung ist mit Vorsicht zu genießen:

"Eine bei der Konferenz präsentierte Studie über transformative soziale Innovationen zeigt, dass die Grundeinkommensidee in verschiedenen Ländern Europas momentan an Zuspruch gewinnt, was zweifellos auch mit den zahlreichen Berichten über die Experimente zu hat. Die Experimente sollten also genau wie das anstehende Referendum in der Schweiz dazu genutzt werden, die Bevölkerung und vor allem die Medien weiterhin zu informieren und aufzuklären."

Wodurch ist diese Schlussfolgerung im ersten Teil belegt? Die Aufmerksamkeit kann ganz andere, naheliegender Gründe haben als die Experimente. Es ist die bevorstehende Volksabstimmung in der Schweiz, die erhebliche mediale Aufmerksamkeit auf sich zieht, weil es um eine wirkliche politische Entscheidung geht, eine Haltung ist gefragt, keine Meinung. Der Wind, der für die Diskussion in anderen Ländern genutzt werden kann, sollte allerdings nicht überschätzt werden. Vor allem sollten sich die Befürworter des Grundeinkommens nicht an der Berichterstattung der Medien orientieren oder meinen, was die Medien interessiert, bringe auch die Diskussion voran. Mediale Berichterstattung kann hilfreich sein, um die Diskussion voranzubringen, die Diskussion kann aber auch ohne sie vorankommen, indem die Öffentlichkeit für die Diskussion aufgesucht wird, also die ganz klassische Vortragsveranstaltung mit Diskussion hat noch immer die Bürger miteinander ins Gespräch gebracht. Nur davon kann die Diskussion getragen werden, sichtbares Engagement ist wichtiger Bestandteil, denn letztlich zeigt sich die Haltung derer, die sich dafür einsetzen, die das BGE glaubwürdig vertreten müssen, am deutlichsten in der Begegnung im öffentlichen Raum. "Like"-Bereitschaft und Webkommentare sind unverbindlich, sie ersetzen keine öffentliche Auseinandersetzung miteinander.

Sascha Liebermann

14. Februar 2016

"Wir müssen da durch! Nur wohin?"...

..."Wirtschaftsminister Schneider-Ammann kündigt harte Zeiten an. Und sonst nichts. Wie könnte seine Politik aussehen, wenn er eine hätte?" fragt Constantin Seibt im Schweizer tagesanzeiger, um dann am Ende zu schreiben: "Schon allein weil der Übergang von heute zum Morgen ruppig wird: Man müsste Modelle wie ein bedingungsloses Grundeinkommen testen, zumindest debattieren."

13. Februar 2016

"Gesellschaftlicher Wandel durch das Bedingungslose Grundeinkommen?"...

...ein Gespräch von detektor.fm mit dem Soziologen Georg Vobruba. Das Interview findet sich am Fuß der Website. Thomas Loer hat vor längerer Zeit ein Interview mit Georg Vobruba in der Süddeutschen Zeitung kommentiert, siehe "Irrungen, Wirrungen - wo Klarheit not täte".

Manche Überlegung Vobrubas ist interessant, manche hingegen missverständlich. Wenn er zu Beginn ausführt, dass das Grundeinkommen - es wird nicht näher spezifiziert im Gespräch - eine Höhe haben werde, auf der man sich nicht ausruhen könne, dann spricht Vobruba über etwas, das er nicht wissen kann. Wie hoch ein BGE ausfallen würde, wenn es denn eingeführt werden sollte, ist aus heutiger Sicht schlicht nicht zu sagen. Es hängt ja wesentlich von der Willensbildung ab.

Vobruba untertreibt die Folgen eines BGE auf Haushalte. Da es dem Individualprinzip folgen würde, stünden Familien oder Wohngemeinschaften ungleich besser dar. Dass das zusätzlich verfügbare Geld die zum Familienleben gehörigen Konflikte nicht aufhebt, ist klar, doch würde man sich ihnen anders stellen können, wenn die Freiräume dafür größer wären. Und das hätte vermutlich auch Auswirkungen auf das Familienleben, weil die Bedeutung von Familie anders gewürdigt würde.

Zu arbeiten sei nicht vom Geldverdienen getragen, wenngleich das Streben nach mehr Geld, als das Grundeinkommen bereitstellt, wohl vorhanden sei, so Vobruba. Es werde auch gerne gearbeitet, insofern müsse man keine Sorgen um die Arbeitsmotivation haben. Bei hoher Entlohnung hingegen greife das BGE hingegen nicht. Dies Äußerung ist wiederum ungenau, denn es trifft zwar zu, dass für diejenigen, die ein hohes Einkommen beziehen, das BGE nicht ins Gewicht fallen würde - sofern man die Einkommenssumme betrachtet. Die normative Veränderung, die ein BGE bedeutet, wäre hingegen für alle erheblich, weil dadurch Erwerbstätigkeit normativ relativiert würde. Das Solidargefüge würde ausdrücklich auf das Fundament gestellt, das für die Demokratie charakteristisch ist und das hätte Folgen für alle.

Zur Aktion "Mein Grundeinkommen" bemerkt Vobruba, dass sie mit dem BGE "so gut wie gar nichts zu tun" habe, sie sei vor allem Ausdruck gekonnter "Selbstvermarktung". Trotz allem habe er durchaus Sympathien dafür.

Eindeutig fällt sein Urteil über Feldexperimente aus und damit über die Erfahrungen, die darin - auch bei "Mein Grundeinkommen" - gemacht werden. Weil das BGE ein Ausnahmezustand für einen begrenzten Zeitraum bleibt, könnte aus den Feldexperimenten nichts gefolgert werden. Wer wegen eines befristeten Grundeinkommens darauf verzichtete, sich an den erfordernissen des Arbeitsmarktes zu orientieren, sei einigermaßen verrückt. Denn nach dem Ende des Experiments würde das wieder die Realität sein.

Die Eidgenössische Volksinitiative hält er mit Verweis auf Äußerungen der Initianten ebenfalls für aussichtslos, wenngleich strategisch für einen wichtigen Schritt, um Aufmerksamkeit für das Thema zu erhalten. Sollten die Schweizer wider Erwarten dafür stimmen, sei damit die Diskussion nicht beendet, sie gehe erst los, weil dann zu klären ist, welches Grundeinkommen gewollt sei.

Dass er nun gerade eine Einführung in Deutschland für sehr unwahrscheinlich hält - Deutschland sei ein arbeitsversessenes Land -, überrascht, denn das Arbeitsethos in der Schweiz ist womöglich noch höher. Allerdings ist das bodenständige Demokratieverständnis, das selbstverständliche Vertrauen in die direkte Demokratie ein Zeichen dafür, dass man den Bürgern mehr zutraut, sie als mündig erachtet. Das, nicht das Arbeitsethos, ist das eigentliche Hindernis, das es in Deutschland zu überwinden gilt.

Sascha Liebermann

12. Februar 2016

"Die Rolle der Gewerkschaften in einer Grundeinkommensgesellschaft"...

...so lautet ein Beitrag von Ronald Blaschke, indem die mögliche "Rolle" der Gewerkschaften dargelegt wird, wenn ein BGE einmal eingeführt worden wäre. Während der Beitrag die Perspektive starkmacht, dass Gewerkschaften eine wichtige Aufgabe zukommt, sofern sie sich auf die Veränderungen durch das BGE einlassen, weist ein Kommentar zum Beitrag von Wolfram Sondermann auf die Folgen eines BGE für die Gewerkschaften hin: 

"Die Intention des Beitrags [von Ronald Blascke, SL] ist lobenswert, aber es nützt nichts: Die "individuelle Verhandlungsmacht" würde im Falle eines BGE die "kollektive Verhandlungsmacht" faktisch sehr weit zurückdrängen. Der Beitrag setzt voraus, dass das Streikrecht unter BGE-Bedingungen Bestand hätte, woran aber stark gezweifelt werden muss, da es tatsächlich wohl durch ein nicht-existenzgefährdendes Kündigungsrecht eingetauscht würde. Ich kann mir kaum vorstellen, dass die Rechtsprechung ein solches Macht-Ungleichgewicht durchgehen lassen würde, in dem subventionierte Arbeitnehmer ein Streikrecht gegenüber nicht-subventionierten Arbeitgebern innehätten, so dass sie den Betrieb auf u. U. unabsehbare Zeit bestreiken könnten. Im öffentlichen Dienst würde der Staat sogar das Streikgeld seiner Tarifgegner zahlen. Solche Rahmenbedingungen des BGE sind m. E. schlechterdings unvorstellbar. Die Gewerkschaften sollten für ein tatsächlich auskömmliches BGE eintreten, aber in dem Bewusstsein, dass der beste Job dann getan ist, wenn er sich überflüssig gemacht hat."

In der Tat muss man sich fragen, woraus die Gewerkschaften noch ihre Legitimation beziehen könnten, wenn es ein BGE gäbe. Zum einen könnten Arbeitnehmer individuell besser über Arbeitsbedingungen verhandeln, das würde schon sehr viel ändern. Alleine schon, dass Arbeitnehmer vom einem konkreten Arbeitsplatz nicht mehr abhängig wären, um ihr Auskommen zu haben, kehrte die Verhältnisse um. Unternehmen wären weit mehr gefordert, attraktive Arbeitsbedingungen zu bieten, als dies heute der Fall ist, und zwar auf allen Ebenen. Zum anderen wären kollektive Verhandlungen auf betrieblicher Ebene einfacher möglich, ohne einer überbetrieblichen Ebene zu bedürfen. So könnten Bedingungen ausgehandelt werden, die besser auf die jeweilige Lage eines Unternehmens reagieren können. Das muss nicht heißen, dass unternehmensübergreifende Vereinbarungen, die Tarifpartner aushandeln, nicht weiter denkbar wären, das schließt auch Wolfram Sondermann nicht aus, doch in welchem Maße das, wenn überhaupt, sinnvoll wäre, ist schwer einzuschätzen.

Ronald Blaschke, der auf den Kommentar Sondermanns geantwortet hat, verweist auf den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte von 1966, der in Artikel 8 das Streikrecht und die Gründung von Gewerkschaften schütze. Doch die Stellung dieses Rechts leitet sich aus der Bedeutung von Erwerbstätigkeit als Einkommensquelle her, würde also in seiner Bedeutung durch ein BGE durchaus angegriffen. Damit könnte auch dieser Pakt seine Stellung einbüßen, wo ein BGE in ausreichender Höhe einführt würde. Darüber hinaus ist ein Recht nichts wert, das keine Gefolgschaft findet, es würde praktisch unterlaufen, wenn unverhältnismäßig wenige Arbeitnehmer bereit wären, Mitglied einer Gewerkschaft zu werden. Die Frage, die Sondermann gestellt hat, die auch in den anderen Kommentaren zum Text virulent ist, ist nicht nur eine des Rechts. Wenn Arbeitnehmer noch weniger als heute bereit wären, in eine Gewerkschaft einzutreten, dann stellt sich die Frage, wen diese Gewerkschaft noch vertritt. Für 2006 wurde eine Deckungsrate der Tarifbindung in Deutschland von 65 % duchschnittlich ermittelt (z. B. hier). Würde ein BGE dazu führen, dass diese Deckungsrate weiter abnähme, dann stünde die Tarifpartnerschaft als legitimer Verhandlungspartner in Frage.

Sascha Liebermann

11. Februar 2016

"Politisch verrupft, aber unbeirrt am Werben"...

...ein Beitrag in der Tages Woche zur Eidgenössischen Volksinitiative "Für ein bedingungsloses Grundeinkommen" und die bevorstehende Abstimmung.

10. Februar 2016

Volksabstimmung in der Schweiz - auch in Deutschland ein Tag zum Feiern

Am 5. Juni wird in der Schweiz über die Eidgenössische Volksinitiative "Für ein bedingungsloses Grundeinkommen" (siehe auch hier) abgestimmt, wie die Schweizer Bundesverwaltung Ende Januar mitgeteilt hat.

Wir möchten nochmals darauf hinweisen, dass dieser Tag auch für die Grundeinkommensdiskussion in Deutschland ein wichtiger Tag ist, denn letztlich geht es um die Frage, wieviele Bürger der Schweiz sich für die Initiative aussprechen - und zwar wirklich aussprechen per Entscheidung, nicht in einer unverbindlichen Meinungsumfrage es für eine gute Sache halten.

Nun ist das nicht "unsere" Abstimmung, es geht nicht um unsere Demokratie in Deutschland. Doch das Bedingungslose Grundeinkommen und direkte Demokratie sind geistesverwandt. Die Abstimmung kann also Anlass sein, darüber zu informieren, was direkte Demokratie möglich macht, wie sie zum BGE steht und vor allem: wie wir als Bürger dazu stehen. Da die Abstimmung via Internet verfolgt werden kann, es laufende Berichte über Ergebnisse geben wird und am Abend eine Diskussionsrunde stattfinden soll, eignet sich dieser Tag, um in geselliger Weise zu informieren. Darüber hinaus können Filme gezeigt werden, damit sich Interessierte informieren können.

Was Volksabstimmungen auch bewegen können, siehe hier.

9. Februar 2016

"...aber der Bürgerstaat, die Idee sozialer Bürgerrechte, das Prinzip der Vergemeinschaftung ... finde ich schon seit Jahren richtig"...

...so Andrea Nahles in der aktuellen Ausgabe von Neue Gesellschaft/ Frankfurter Hefte. Wir hatten auf das lange Gespräch mit der Bundesministerin schon hingewiesen. Die Passage, in der sie auf das BGE zu sprechen kommt, verdient aber eine nähere Betrachtung. Zuvor geht es um die Folgen der Digitalisierung, die Verantwortung von Unternehmen und die Ungleichheit der Einkommensverteilung. Wie - so die Frage des Interviewers - wäre auf die Veränderungen am besten zu antworten? Nahles hält eine Bürgerversicherung für notwendig, deren Einnahmeseite im Unterschied zu heute breiter ist. In diesem Zusammenhang sagt sie folgendes:

"Nahles: Aber für die nächsten 10, 15 Jahre muss man sich gedanklich mit der Frage beschäftigen, wie sich bei einer zunehmenden Veränderung der Erwerbsformen auch die Finanzierung unseres Sozialstaates auf Dauer sichern lässt.
Dabei ist das Bürgerprinzip bei der Berechtigung von Sozialleistungen richtig, aber auch die Finanzierung aus allen Quellen. Aus allen Quellen, und nicht nur aus dem Arbeitseinkommen, das auch – wie gesagt – immer komplizierter zu erheben sein wird. Und wenn etwa der 3D-Drucker auf längere Sicht immer mehr die Fertigung revolutionieren wird, dann stellt sich die Frage, wie wir an den Mehrwert oder die Renditen dieser Wertschöpfungskette rankommen?"

Auf den ersten Blick könnte man denken, dass Andrea Nahles hiermit doch dem BGE die Tür öffnet, wenn sie das "Bürgerprinzip" als Basis dafür erkennt, Sozialleistungen zu beziehen. Was hat sie hier wohl vor Augen? Wäre es ein Unterschied zu heute? In der Passage wird das nicht klar, der Interviewer fragt leider nicht nach. Sie wird kaum darauf hinauswollen, dass nur Bürger im Sinne von Staatsbürgern bezugsberechtigt sind, vielleicht eher Personen mit dauerhaftem Aufenthalt und einer entsprechenden Bewilligung in Deutschland. Im zweiten Teil erst kann man sich einen Reim darauf machen, dass der Unterschied zwischen einem Arbeitnehmer- und einem Bürgerprinzip wohl der sein muss, dass im Arbeitnehmerprinzip nur Arbeitnehmer für die Finanzierung herangezogen werden (Sozialabgaben), dem Bürgerprinzip folgend jedoch alle in einem System abgesichert werden, also auch Beamte und andere Gruppen, die bisher ein eigenständiges Versicherungssystem haben, z. B. Ärzte, einbezogen werden. Was hat das nun mit dem "Bürger" zu tun? Es handelt sich bei der Bürgerversicherung, wie sie hier angedeutet wird, um eine erweiterte Arbeitnehmer- und Selbständigen-Versicherung. Diese wären ja noch immer beitrags- und nicht steuerfinanziert. Erst mit der Umstellung auf Steuerfinanzierung würde jedoch das Erwerbsprinzip nicht mehr im Zentrum des Versicherungssystems stehen. Das nun scheint die Bundesministerin hier aber nicht zu wollen.

Wir können hier festhalten, dass es nicht um einen starken Bürgerbegriff geht, wie er im Grundgesetz zum Ausdruck kommt. Bürger im Sinne des Staatsbürgers meint hier nicht nicht den Souverän als Legitimationsquelle politischer Ordnung, sondern es ist ein um seinen Kern beraubtes Verständnis von Bürger.

Daran schließt unmittelbar die Passage an, in der es um das BGE geht.

"NG/FH: An dieser Stelle kommt dann meist sofort der Vorschlag des bedingungslosen Bürgereinkommens. Dann sind alle irgendwie geschützt, es wird steuerfinanziert und wir haben bei der Berechtigung und bei der Finanzierung klare Verhältnisse."

Dem Interviewer, obwohl er das BGE einführt, ist es nicht behaglich damit. "Dann sind alle irgendwie geschützt" - klingt fast schon verächtlich. Sie sind ja nicht "irgendwie" geschützt, sondern von der Wiege bis zur Bahre haben sie eine verlässliche Rückendeckung, die die Bürger als Staatsbürger gerade ernst nimmt. Sie wären in einem Mape abgesichert, wie es heut nicht gilt, sofern das BGE eine entsprechende Höhe hätte.

"Nahles: Ich halte nichts von diesem bedingungslosen Grundeinkommen, weil es ein weiterer Beitrag zur Entwertung der Arbeit ist. In der Digitalisierung werden bestimmte Tätigkeiten möglicherweise mehr wertgeschätzt werden. Analytische Fähigkeiten, die Dienstleistung von Mensch zu Mensch werden tendenziell aufgewertet..."

Weshalb trägt das BGE zur "Entwertung von Arbeit" bei? Hat Arbeit denn einen Eigenwert, ist sie Selbstzweck? Wenn wir unter Arbeit im allgemeinen Sinne verstehen, dass Leistungen für andere erbrachtet werden, dann bestimmt sich die Bedeutung von Arbeit danach, diese Leistung in einer angemessenen Weise zu erbringen. Wir können viel über Standards und Kriterien diskutieren, wann dies der Fall ist, der Zweck von Arbeit ändert sich dadurch jedoch nicht. Wo Arbeit auf Maschinen übertragen werden kann, ohne dass der Zweck von Arbeit beschädigt oder beeinträchtigt wird, würde doch menschliche Arbeitskraft frei, um sich Aufgaben zu widmen, die nicht auf Maschinen übertragen werden können. Dass sich hier die Frage stellt, wie die Maschinennutzung so möglich ist, dass wir nicht unsere eigene Existenzgrundlage schädigen, ist eine Frage, die sich darüber hinaus stellt. Menschliche Arbeitskraft nun von Arbeit zu entlasten, die Maschinen übernehmen können, und damit Freiräume für diejenige Arbeit zu schaffen, die Maschinen nicht angemessen übernehmen können, würde doch gerade eine Aufwertung menschlicher Fähigkeiten nach sich ziehen, statt sie in einen Wettbewerb gegen Maschinen zu stellen.

An der folgenden direkt an die vorangehende anschließenden Stelle wird erst deutlich, worin das vermeintliche Problem besteht:

"...Bestimmte Formen der monotonen, körperlich anstrengenden Tätigkeiten werden durch den verstärkten Einsatz von Robotern ersetzt und möglicherweise werden auch die Menschen, die das besonders gut konnten, in ihrer Identität, in dem, was sie an Werten schaffen, infrage gestellt. Das ist ein ganz schwieriger Prozess...

Weshalb ist das ein schwieriger Prozess? Zum einen ist er schwierig, sofern diejenigen, deren Aufgabenbereich verschwindet bzw. von Maschinen übernommen wird, in dem Glauben gelebt haben, sie seien nicht ersetzbar für diesen Prozess. Diese Schwierigkeit resultiert nicht aus der Bedeutung ihrer Arbeit für andere, sie ist vielmehr Ergebnis einer Überschätzung dessen, welche Bedeutung der Einzelne für die Leistungserstellung hat. Die Digitalisierung würde zu einer Klärung dahingehend führen, dass hinsichtlich der Bewältigung von Aufgaben jeder ersetz- bzw. austauschbar ist. Zum anderen ist aus heutiger Sicht dieser Prozess schwierig, weil die Überhöhung von Erwerbstätigkeit keine Alternativen kennt. Wer seinen Erwerbsarbeitsplatz verliert, verliert mit dem Einkommen zugleich die Möglichkeit, demjenigen Gebot zu folgen, das wir gegenwärtig für den höchsten Zweck halten: erwerbstätig zu sein.

Sowohl die erste wie die zweite Schwierigkeit sind jedoch auf einfache Weise zu bewältigen. Die erste, indem wir uns darüber klarwerden, dass nicht Arbeit Menschen in ein Gemeinwesen integriert, sondern die Zugehörigkeit qua Status. Insofern ist auch die Behauptung, Flüchtlinge würden durch Erwerbsarbeit am besten integriert werden, ein Trugschluss. Erwerbsarbeit ist der Inbegriff davon, dass nicht der Einzelne zählt, sondern die Arbeitskraft für einen bestimmten Zweck, dem sie zu dienen hat. Das steht erst dann in Frage, wenn die Würde des Menschen dabei nicht geachtet wird. Wir würden also endlich dahinkommen zu begreifen, dass wir nicht als Arbeitsgesellschaft zusammenhalten und füreinander einstehen müssen, sondern als Bürgergemeinschaft. Die zweite Schwierigkeit würde gerade und nur durch ein BGE gelöst, indem die Einkommenserzielung vom Erwerb in Gestalt eines Mindesteinkommens grundsätzlich abgekoppelt wird, d. h. wer ein BGE bezöge, wäre nicht mehr in einer Notlage, in der es zu helfen gelte. Nein, das BGE wäre der Normalfall, immer und zu jeder Zeit da, um dem Einzelnen den Rücken zu stärken. Es wäre auf diese Weise Ausdruck dessen begriffen zu haben, dass wir eine Bürgergemeinschaft sind und unseren Sozialstaat auf dieses Fundament stellen müssen. Für Frau Nahles scheint diese Überlegung weit weg zu sein.

Entsprechend heißt es an der unmittelbar folgenden Stelle:

"Nahles: ...Aber dass das Konzept von Arbeitseinsatz und Vergütung oder Leistung als movens einer kreativen Arbeitsgesellschaft grundlegend infrage gestellt oder verändert wird, glaube ich nicht. Das ist für mich eines der zentralen Argumente gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen..."

Wenn es ein BGE gäbe, würde es auch weiter eine Vergütung geben für diejenigen, die erwerbstätig wären. Das eine schließt das andere nicht aus, insofern konstruiert die Bundesministerin hier einen Scheingegensatz. "Arbeitseinsatz" allerdings zum "zum Movens einer kreativen Arbeitsgesellschaft" zu verklären bezeugt nur, dass sie die anderen Quellen von Kreativität nicht gelten lässt. Schon heute sind diese anderen Quellen von Bedeutung, sie erhalten nur nicht den Rang, den sie verdienen.

"Nahles: Im Übrigen glaube ich auch, dass dadurch die Ängste der Mittelschicht nicht etwa bekämpft würden, wie sich das viele denken, sondern dass der Solidarcharakter des Sozialstaates als solcher sogar infrage gestellt würde. Dieser Ansatz ist also meines Erachtens nicht die Lösung, aber der Bürgerstaat, die Idee sozialer Bürgerrechte, das Prinzip der Vergemeinschaftung, welches ein Teil der Grundlage dieses Konzeptes ist, finde ich schon seit Jahren richtig. Man muss hier also differenzieren."

Hier wird es noch einmal interessant, denn zuerst macht Nahles klar, dass ein BGE den Solidarcharakter des Sozialstaates in Frage stelle, ja, des gegenwärtigen schon, der ein Arbeitnehmersozialstaat ist. Er stellt aber nicht den Sozialstaat in Frage, der einem demokratischen Gemeinwesen gemäß wäre, das in seinem Zentrum selbstverständlich den Bürger hätte. Dem würde der zweite Teil des Absatzes noch entsprechen, den Frau Nahles "schon seit Jahren richtig" findet. Ja, nun, er ist das Fundament unserer Demokratie, wenn sie das nicht richtig fände, wäre alles zu spät. Offenbar sieht sie aber den Widerspruch zwischen dem "Prinzip der Vergemeinschaftung", einer Vergemeinschaftung von Bürgern als Staatsbürgern auf der einen und der erwerbszentrierten Sozialsysteme auf der anderen Seite nicht. Weshalb sieht sie ihn nicht? Weil sie in einem Selbstverständnis lebt, unser Gemeinwesen als Arbeitsgesellschaft zu begreifen. Das wird auch an folgender Stelle deutlich:

"Nahles: ...Ich bin für ein Recht auf Weiterbildung. Ich möchte, dass die Bundesagentur für Arbeit zu einer Bundesagentur für Arbeit und Qualifizierung wird. Ich möchte, dass präventiv lebensbegleitend eine Weiterbildungsberatung stattfindet und dass zwischen BA, Unternehmen und den Arbeitnehmern ein Arrangement gefunden wird, wie Weiterbildung auch bei Klein- und mittelständischen Unternehmen funktionieren kann. Und der Betriebsrat ist hierbei ein ganz wichtiger Mediator, um die Sache dann auch ins Rollen zu bringen."

"Präventiv lebensbegleitend" soll eine Weiterbildungsberatung stattfinden?! Wir wissen, wie diese Beratung heute aussieht. Wer Leistungen beziehen will, hat nicht die Möglichkeit, sich beraten zu lassen, er wird zwangsberaten und kann dem nur entgehen, indem er den Leistungsbezug verlässt. Dann hat er eben kein Einkommen. Wofür steht Andreas Nahles nun? Das Gespräch offenbart die Widersprüche, in denen wir gegenwärtig stecken; es sind die Widersprüche eines Gemeinwesens, dass ein demokratisch-republikanisches Fundament hat, in dem die Staatsbürger einen bedingungslose Status innehaben. Dasselbe Gemeinwesen versteht sich aber als Arbeitsgesellschaft und kennt eine Arbeitnehmersolidarität. Beides gilt zugleich. Das bezeugt dieses Gespräch - wie einfach wäre eine Aufhebung dieser Widersprüche durch das BGE.

Sascha Liebermann

8. Februar 2016

Website zur Abstimmung in der Schweiz

Zur Website
Neben einigen anderen Seiten wie den bekannten grundeinkommen.ch, bedingungslos.ch und generation grundeinkommen gibt es nun noch eine weitere, siehe den Link unter dem Bild.

7. Februar 2016

Grundeinkommen in den Medien - weitere Hinweise

WDR Tagesgespräch mit Dominik H. Enste, Leiter des Kompetenzfelds Verhaltensökonomik und Wirtschaftsethik am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln

ZIB-Magazin ORF - Bedingungsloses Grundeinkommen im Gespräch

6. Februar 2016

"Geld für wirkliche Freiheit"...

...so ist der Beitrag zum Bedingungslosen Grundeinkommen auf Zeit Online von Timo Reuter übertitelt.

Die medialen Wellen schlagen hoch seit Anfang des Jahres, da die Volksabstimmung in der Schweiz näher rückt. Viele Beiträge zum Bedingungslosen Grundeinkommen wurden in den letzten Wochen schon veröffentlicht. Der Beitrag von Timo Reuter sieht das BGE in der Tradition des Liberalismus, der aus seinen neoliberalen Überformungen befreit werden müsse.

Was schreibt er?

"Bedingungsloses Grundeinkommen bedeutet, dass der Staat die Menschen bezahlt, weil sie am Leben sind. Ohne Zwang, ohne Bedingungen – und zwar alle..."

Gleich zu Beginn eine - manche würden hier vielleicht sagen: vernachlässigenswerte - Irritation. Ich halte sie nicht für vernachlässigenswert, sie entstellt das BGE. Nicht "bezahlt" der Staat (oder eben nicht der Staat, siehe hier) dafür, dass "Menschen ... am Leben sind". Das Gemeinwesen stellt das BGE aus dem Steueraufkommen seinen Angehörigen und anderen Bezugsberechtigten bereit. Und wer ist der "Staat"? Es ist die Vergemeinschaftung der Bürger im politischen Solidarverband, der Staat steht nicht über ihnen, was eine Formulierung wie "Der Staat bezahlt..." zumindest nahelegt.

Danach heißt es:

"Das ist nicht verwunderlich, denn ein existenzsicherndes Grundeinkommen käme wegen seiner Bedingungslosigkeit einer sozialpolitischen Revolution gleich. Es würde den Zwang zur Arbeit abschaffen, welcher der Logik des Arbeitsmarktes immanent ist."

Der "Zwang" ist nicht der "Logik des Arbeitsmarktes" immanent, sondern der normativen Verpflichtung, Einkommen über diesen Arbeitsmarkt erzielen zu sollen. Es könnte auch einen Arbeitsmarkt ohne die normative Verpflichtung im Sinne des Gebotes "Du sollst erwerbstätig sein" geben.

Auch folgende Passage ist ungenau:

"Am Grundeinkommen scheiden sich die Geister über politische Grenzen hinweg. Die Gewerkschaften sind dagegen, der Milliardär Götz Werner ist der in Deutschland bekannteste Verfechter dieser Idee, die Arbeitgeberverbände halten es für "nicht finanzierbar und leistungsfeindlich", das globalisierungskritische Netzwerk Attac oder die katholischen Arbeitnehmerbewegung wiederum sind dafür."

In den Gewerkschaften gibt es durchaus Befürworter, sie sind eindeutig in der Minderheit. Attac ist nicht im Allgemeinen dafür, lediglich die AG Genug für alle hat sich meines Wissens für ein BGE ausgesprochen, das ist eine kleine Gruppe.

Später heißt es:

"Zwar gerieten radikale wirtschaftsliberale Positionen zwischenzeitlich durch Entwicklungen wie die Weltwirtschaftskrise 1929 in den Hintergrund – doch nur, um einige Jahrzehnte später in Form des Neoliberalismus umso härter zurückzuschlagen."

Es gibt zweierlei Neoliberalismus, den in Anlehnung an Alexander Rüstow, der in einem Ordnungsrahmen und einer notwendigen Sozialpolitik die Voraussetzungen dafür sieht, dass dem Markt Aufgaben überlassen werden können, und die - heute meist damit verbundende - Variante eines beinahe anti-staatlichen Neoliberalismus, der in der Privatisierung und den Marktgesetzen die allumfassend regelnde Kraft sieht. Peter Ulrich hat diesen Unterschied in seinem Buch "Integrative Wirtschaftsethik" sehr klar herausgearbeitet.

Nach einigen Überlegungen zur "realen Freiheit", wie sie Philippe van Parijs entwickelt hat und die sich für ihn mit dem BGE verbindet, schreibt Timo Reuter:
"Das wird aber nicht allein durch ein existenzsicherndes Einkommen, etwa im Sinne der deutschen Sozialsysteme, erreicht, sondern vor allem dadurch, dass diese materielle Basis bedingungslos allen Menschen gewährt wird. Erst die Bedingungslosigkeit macht das Grundeinkommen zu einem entscheidenden Trumpf des modernen Liberalismus."

Ja - nein, zumindest missverständlich. Was bedeutet "alle Menschen"? Es kann sich ja nur um die Menschen handeln, die im Rechtsbereich eines Gemeinwesens leben oder Angehörige dieses Gemeinwesens sind, für die es Sorge zu tragen hat. Für andere ist ein Gemeinwesen nicht legitimiert zu handeln. Jedes demokratisch-republikanische Gemeinwesen konstituiert sich durch einen Souverän: das Volk der Staatsbürger. Das BGE ist also zuallererst eine Alimentierungsleistung des Gemeinwesens an sich selbst, also an seine Staatsbürger. Von diesen abgeleitet, da sie das Gemeinwesen auf Basis von Rechten und Pflichten tragen müssen, erweitert sich die Alimentierung auf Personen mit einem definierten Aufenthaltsstatus. Sie würden ein BGE erhalten, weil sie sich im Rechtsbereich des Gemeinwesens niedergelassen haben, wozu es allerdings der Zustimmung des Gemeinwesens bedarf (ganz anders ist das für die Staatsbürger). Diese Zustimmung kann nationalstaatlich erfolgen oder durch transnationale Regulierungen (z. B. Freizügigkeit in der EU) möglich geworden sein. Wie auch immer, es bedarf der Zustimmung des Gemeinwesens. In der BGE-Diskussion wird diese Differenzierung sehr häufig geringgeschätzt, weil durch die Unterscheidung von Staatsbürgern und Nicht-Staatsbürgern eine Diskriminierung vorgenommen werde. Im wörtlichen Sinne ist das in der Tat der Fall, es wird unterschieden zwischen zwei verschiedenen Status. Wer diese Unterscheidung aufgeben will, gibt die Realität einer politischen Vergemeinschaftung von Staatsbürgern mit Rechten und Pflichten auf. Denn diejenigen, die nicht Staatsbürger sind, haben dem Gemeinwesen gegenüber keine Pflichten und nur bestimmte Rechte, vor allem sind sie nicht im umfassenden Sinne Angehörige.

Timo Reuter fragt dann: 


"Würden sie [die Menschen mit BGE, SL] sich für die Faulheit entscheiden, wie Kritiker des Grundeinkommens behaupten? Diese Frage bleibt bis zur Einführung offen – und ist bis dahin vom jeweiligen Menschenbild abhängig."

Was tatsächlich geschehen wird, bleibt in der Tat offen, weil wir es nicht vorhersagen können. Jedoch ist es nicht einfach eine Frage des "jeweiligen" Menschenbildes, welche Auswirkungen für möglich erachtet werden. Forschung - wie immer strittig in der Wissenschaft - kann sehr wohl dazu etwas sagen, welche Überzeugungen in der Vergangenheit Menschen bei ihren Entscheidungen geleitet haben und wie diese Überzeugungen sich zu dem verhalten, was ein BGE eröffnet. Auch das erlaubt natürlich keine Vorhersage, macht aber manches plausibler. Denn die handlungsleitenden Überzeugungen, auf deren Basis Entscheidungen getroffen werden, lassen sich nicht wie Meinungen tagesaktuell wechseln, sie haben sich im Zuge eines Bildungsprozesses herausgebildet und können nicht manipulativ verändert werden. Insofern ändern sie sich nicht einfach durch die Einfhrung eines BGE. Und weiter:

"Vieles spricht aber gegen das kaltherzige Bild des Homo oeconomicus, eines allein seine eigenen Interessen maximierenden Individuums. Denn neben dem Monetären gibt es viele weitere Gründe zu arbeiten, etwa soziale Integration, Selbstverwirklichung, Stolz oder Anerkennung. Und 1.000 Euro monatlich würde den meisten wohl nicht reichen."

Das räumen die Wirtschaftswissenschaften ja schon länger selbst ein (z. B. Reinhard Selten), wenngleich nach wie vor davon ausgegangen wird, dass "Präferenzen" einer "Nutzenfunktion" entsprechen bzw. Entscheidungen im Modus einer "rationalen Wahl" erfolgen. Eingeräumt wird ebenfalls, dass der homo oeconomicus nur ein "Modell" zum Rechnen sei, denn irgendwie müsse man ja rechnen, wie mir ein Wirtschaftswissenschaftler einmal sagte. Womit er zugleich einräumte, dass dieses Modell mit der Wirklichkeit wenig bis gar nichts zu tun habe. Na denn. Die republikanische Demokratie, in der wir leben, mit ihren spezifischen Voraussetzungen ist aber kein Modell, sie ist praktizierte Realität.

Sascha Liebermann

5. Februar 2016

4. Februar 2016

"Da finde ich das bedingungslose Grundeinkommen eine ganz bezaubernde Idee"

...so Martina Römmelt-Fella, Geschäftsführerin der FELLA Maschinenbau GmbH, im Interview mit der Wochenzeitung freitag. Darin äußert sie sich auch dazu, was TTIP für die kleinen und mittelständischen Unternehmen bedeuten könnte, welche Nachteile es brächte und weshalb sie dagegen ist (siehe "KMU gegen TTIP").

Die Passage im Wortlaut:

"freitag: Aber es sind gerade Vertreter des Mittelstands, die die Rente mit 63 und den Mindestlohn kritisieren und noch mehr Flexibilisierung auf dem Arbeitsmarkt fordern. Geht der mittelständische Wunsch nach Bürokratieabbau zulasten der Arbeitnehmer?
Römmelt-Fella: Den Mindestlohn finde ich selbst wichtig und richtig. Mangelhaft ist die Umsetzung. Denn die ist für uns, obwohl wir grundsätzlich weit höhere Stundensätze als 8,50 Euro zahlen, nur mit einem erhöhten bürokratischen Aufwand zu bewerkstelligen. Außerdem stellt sich die Frage: Können Unternehmen diese Regelung nicht auch einfach umgehen?
Was sieht die Alternative aus?
Die Fokussierung auf das Thema ist nicht ausreichend. Man müsste einen Weg finden, wie die Arbeitnehmer hierzulande von diesem gewaltigen Produktivitätszuwachs profitieren können, und zwar auch, wenn sie nicht an der Wertschöpfung beteiligt sind. Da finde ich das bedingungslose Grundeinkommen eine ganz bezaubernde Idee."

Missverständlich ist an dieser Stelle, dass ein BGE dazu dienen soll, auch diejenigen am Produktivitätszuwachse teilhaben zu lassen, die nicht an der Wertschöpfung beteiligt sind. Das ist nach allgemeinem Sprachgebrauch nur der Fall, wenn sie nicht erwerbstätig sind. Also würde das BGE nur für den Fall bereitgestellt, dass jemand erwerbslos ist. Das sieht die Idee aber keineswegs vor, sie soll jederzeit bereitstehen. Womöglich hätte sich durch eine Nachfrage des Interviewers aufklären lassen, was Frau Römmelt-Fella genau meint. Bei manchen derer, die in jüngster Zeit das Bedingungslose Grundeinkommen als interessante Alternative benannt haben (siehe hier und hier), war nicht klar, in welcher Form es bereitgestellt würde, ob tatsächlich eine Leistung von der Wiege bis zur Bahre gemeint war.

Sascha Liebermann

3. Februar 2016

Schweizer Zeitschrift Du befasst sich mit dem Bedingungslosen Grundeinkommen

Die aktuelle Ausgabe der Schweizer Zeitschrift Du (Ausgabe 863) befasst sich mit dem Bedingungslosen Grundeinkommen und der Digitalisierung.










2. Februar 2016

"Wer hat Angst vorm Bedingungslosen Grundeinkommen? Mythen und Fakten"

Das Netzwerk Grundeinkommen schreibt zu dieser Veranstaltung: "Etwas mehr als 60 Leute waren dabei als Lisa Paus, MdB (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), Martin Delius (Piratenfraktion im Abgeordnetenhaus von Berlin) und Olaf Michael Ostertag (LAG Bedingungsloses Grundeinkommen DIE LINKE. Berlin) am 18. Januar in Berlin der Frage nachgingen: Wer hat Angst vorm bedingungslosen Grundeinkommen? Organisiert wurde die Diskussion von der Tageszeitung „neues deutschland“ und der LAG Bedingungsloses Grundeinkommen DIE LINKE. Berlin (grundeinkommen.de berichtete). Ein Vorgespräch mit Paus, Delius und Ostertag brachte die Zeitung am Tag der Veranstaltung..." Weiterlesen

1. Februar 2016

"Mut zur Transformation - Stimmen zum Bedingungslosen Grundeinkommen"...

..."Endlich ist es da! Unser Heft zum bedingungslosen Grundeinkommen ist erschienen.

Ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle. Was könnte das für unsere Gesellschaft bedeuten und wie könnte es überhaupt funktionieren? In unserem 80-seitigen Gratisheft liefern wir verständliche Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Hier kann unser Gratisheft bestellt werden: info@mutzurtransformation.com Das ganze Heft können Sie auch hier als PDF downloaden: Mut_zur_Transformation."