30. April 2016

pro infirmis Schweiz: Stellungnahme aber keine Abstimmungsempfehlung zum Grundeinkommen

pro infirmis, ein gemeinnütziger Verein und die "größte Fachorganisation für Menschen mit einer Behinderung" in der Schweiz, hat zur Eidgenössischen Volksinitiative Stellung bezogen, aber keine Empfehlung abgegeben. Die Stellungnahme finden Sie auf der Website.

Future of Work-Konferenz im Live-Stream

Am 4. Mai findet am Gottlieb Duttweiler Institut die Future of Work-Konfernz mit renommierten Referenten statt.  Die Konferenz wird mittels Live-Stream übertragen.

29. April 2016

"Grundeinkommen führt in die Knechtschaft" - nachlässige oder mutwillige Schlussfolgerungen?

...meint Reiner Eichenberger von der Universität Fribourg (Schweiz) in einem Beitrag für die Handelszeitung. Er plädiert gegen ein Bedingungsloses Grundeinkommen und für ein Grundkapital. In seinem Beitrag schreibt er gleich zu Beginn:

"Bald stimmen wir über das bedingungslose Grundeinkommen ab. Für seine Verfechter ist es eine Art Befreiungstheologie. Sie predigen, dank Grundeinkommen könnten alle arbeiten, weil sie wollen, nicht weil sie müssen."

Ist das ein Zeichen dafür, dass es ernst wird in wenigen Wochen in der Schweiz, wenn solche Polemik nötig ist? In Deutschland, es liegt schon einige Jahre zurück, sind Grundeinkommensbefürworter mit "Evangelikalen" verglichen worden. Das sprach ebenfalls Bände. - Und: stimmt es etwas nicht, dass ein BGE mehr Freiräume verschaffen würde, so dass das Wollen im Zentrum stehen kann?

Er schreibt weiter:

"Zudem beseitige es [das BGE, SL] die Sozialhilfefalle: Die heutige bedingte Sozialhilfe mindert die Arbeitsanreize der Leistungsempfänger, weil deren Bezüge entsprechend ihrem erarbeiteten Einkommen gekürzt werden."

Gibt Eichenberger hier nun die "Befreiungstheologen" wider oder ist das seine Position? Dass das BGE auch in der Sozialhilfe alles ändern würde, ist klar. Die Einschätzung zur "Sozialhilfefalle" ist verbreitet und gehört zu den gängigen Behauptungen. Ihr empirischer Gehalt ist jedoch alles andere als gesichert, wie die Untersuchungen „Wer sitzt in der Armutsfalle“ von Georg Vobruba, Hanna Petschauer, Ronald Gebauer gezeigt haben. Gebauer hat sich in einer eigenen Arbeit „Arbeit gegen Armut“ der Frage nochmals gewidmet und die Befunde erhärtet. Wie das mit Theoremen so ist, sind sie schnell aufgestellt, verbinden sich mit gewissen Vorurteilsstrukturen der Alltagswelt und verbreiten sich dann als Gewissheiten. Für die Schweiz sei auch auf die Studie "Working Poor in der Schweiz" hingewiesen, darin sind besonders die Fallanalysen von Stefan Kutzner aufschlussreich, um zu verstehen, vor welchen Schwierigkeiten Sozialhilfebezüger stehen und wie wenig das Armutsfallentheorem trägt.

Eichenberger wird dann dramatisch - man muss die Formlierung wohl als Anspielung an ein Buch von Friedrich von Hayek verstehen:

"Doch das Grundeinkommen führt nicht in die Freiheit, sondern in die Knechtschaft. Die Initianten vertreten ein Grundeinkommen von 30 000 Franken jährlich für alle, was insgesamt über 200 Milliarden jährlich kosten würde. Wenn das Ganze nicht defizitär sein soll, muss ein Durchschnittsbürger mit heute etwa 50 000 Franken steuerbarem Einkommen sein eigenes Grundeinkommen aus seinem Arbeitseinkommen finanzieren. Dafür bräuchte es einen Steuersatz von rund 60 Prozent auf seinem gesamten Einkommen. Hinzu kämen die Steuern für alle anderen Staatsleistungen. Einkommenssteuersätze von 80 bis 100 Prozent wären also angesagt."

Hier würde man gerne wissen, wie er gerechnet hat. Die Auswirkungen sind davon abhängig, wie die Steuerabschöpfung gestaltet wird, wobei das nicht mechanisch zu verstehen ist, so als führe das eine direkt zum anderen. Es muss aber auch berücksichtigt werden, wie sich ein BGE, aufgrund der Handlungsmöglichkeiten, die es schafft, auf die Wertschöpfung (Produktivitätssteigerung), die Arbeitsabläufe, die vermutliche Abnahme von "face time" (siehe auch hier), weil es mehr um Wertschöpfung als um Anwesenheit am Arbeitsplatz gehen würde, auswirkt.

Für Eichenberger weist das hingegen in eine ganz andere Richtung:

"Die negativen Anreize gegen Erwerbsarbeit und für Steuervermeidung sind offenkundig. Je mehr Einwohner aber der Steuer ausweichen, desto höher müssen die anderen besteuert werden und desto enger muss die Kontrolle werden."

Was er nonchalant übergeht, ist hingegen von weitreichender Bedeutung: dass nämlich die Bürger eines Gemeinwesens grundsätzlich loyal sind und sein müssen, damit ein Gemeinwesen überhaupt existieren kann. Massenhafte Steuervermeidung wäre ein Vergehen gegen die Rechtsgemeinschaft. Wenn es dazu kommt, muss schon zuvor Vieles geschehen sein oder die Rechtsgemeinschaft als politisches Gemeinwesen in Frage stehen. Diesen Fall sieht Eichenberger offenbar mit einem BGE gekommen, das ist allerdings wiederum eine bloße Behauptung und er vergisst darüber, dass das BGE ja nur dann eingeführt werden kann, wenn es in der Abstimmung eine Mehrheit erhält. Damit wäre es demokratisch legitimiert und bindend für alle Bürger. Würde Eichenberger daran zweifeln, dass solche Entscheidungen auch als bindend angesehen werden? Oder vertraut er einfach nicht darauf, dass die Bürger in der Regel loyal sind?

Ganz konsequent ist dann auch sein Szenario:

"Die Finanzierung des Grundeinkommens bringt deshalb einen absoluten Überwachungsstaat. Aber nicht nur die Freiheitsverheissungen sind falsch, sondern auch die Bezeichnung bedingungsloses Grundeinkommen: Wirklich erhalten würden es nur diejenigen, die nicht arbeiten."

Und all das folgt nur aus dem "Anreiz"-Modell, dessen Geltung einfach so dahingestellt wird. Weshalb erhalten es "wirklich" nur die, die nicht arbeiten? In dieser Schlussfolgerung werden zwei Dinge verwechselt: 1) Die Frage, wer Nettozahler und -empfänger ist - dabei geht es darum, wer, finanztechnisch gedacht, mehr Steuern bezahlt, als er in Gestalt des BGE erhält. 2) Diese erste Frage hat mit der zweiten gar nichts zu tun, in der es um den Bereitstellungsmodus geht. Das BGE würden alle erhalten, ganz gleich, ob sie andere Einkommen hätten. Somit erhielte es jeder, weil es an die Person geht in Absehung von ihrem Leistungsvermögen. Dadurch unterscheidet sich das BGE vollständig von Lohnersatz- (Arbeitslosengeld) oder Einkommenskompensationsleistungen (Sozialhilfe), die wie heute kennen. Das BGE basiert auf einer anderen Solidarvorstellung. Ganz gleich ob nun jemand Nettozahler oder -empfänger ist, der Charakter des BGE bleibt erhalten. Wer allerdings bilanziert, ob jemand mehr Steuern bezahlt oder erhält, kann das nicht sehen. Dann sieht er eben nicht den anderen normativen Charakter des BGE.

Zuletzt sei noch die folgende Passage kommentiert:

"Lehrreich ist das Verhalten kluger Eltern. Sie geben ihren Kindern keine lebenslangen Renten, sondern ein Startkapital."

Schon dieser Vergleich bezeugt, wie schnell unterschiedliche Dinge in einen Topf geworfen werden. Eichenberger kann ihn ja nur deswegen bemühen, weil er eine Versorgung durch die Eltern mit einer durch das Gemeinwesen gleichstellt. Familien sind jedoch im Unterschied zur modernen Demokratie partikularistische Gebilde, die Beziehungen sind von Loyalität zueinander als konkrete Menschen bestimmt. Familie ist, was die Kinder betrifft, eine Zwangsstruktur, sofern die Eltern stets die letzte Entscheidung darüber haben, was gemacht wird. Die Legitimationsquelle elterlicher Entscheidungen sind nicht die Kinder. Wenn Eltern eine lebenslange Rente bezahlen, setzen sie die Abhängigkeitsverhältnisse in der Familie fort. Solche "Renten" würden eine Loyalität gegenüber den Eltern befördern und damit Autonomie als Bürger unterlaufen. Genau diese Abhängigkeit ist aber mit der in einem demokratischen Gemeinwesen nicht vergleichbar, denn Loyalität dort muss gegenüber der politischen Gemeinschaft als ganzer, nicht gegenüber einzelnen Personen bestehen. Deswegen sind Demokratien universalistisch oder wie Ralf Dahrendorf es einmal ausgedrückt hat: Der Staatsbürger ist der Feind aller Klassen, ganz gleich aus welcher Familie oder welchem Milieu er kommt.

Die Rentenbezieher, um bei dem Beispiel zu bleiben, sind die Bürger als Träger des Gemeinwesens, als Souverän und Geltungsquelle der politischen Ordnung. Während die "Rente" durch Eltern asymmetrische Familienbeziehungen zwischen Eltern und Kindern fortsetzen würde, bestärkt die "Rente" des Gemeinwesens an seine Bürger gerade die symmetrischen Beziehungen unter Gleichen. Was gleich aussieht, wie Eichenberger meint, sind also zwei grundlegend verschiedene Dinge.

Mit dieser Vermischung durch Eichenberger bricht der ganze Vergleich zusammen, der wohl darauf hinauslaufen sollte, die Abhängigkeit von Vater Staat als drohende Folge eines BGE an die Wand zu malen. Doch eines ist hier noch bemerkenswert. Die drohende Abhängigkeit, die Eichenberger vom Staat ausmacht, ist ja interessanterweise gerade Bestandteil seines Gegenmodells. Denn darin ist Autonomie, im engeren Sinne Leistung und Selbstversrogung, von Anreizen abhängig, die den Einzelnen dazu anregen, für sich selbst zu sorgen. Woher kommt die Vorstellung, er brauche dazu Anreize? Wer Anreize braucht, um verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen, ist der nicht vollständig abhängig von einer auf ihn einwirkenden, stimulierenden Kraft? Es ist das Anreizdenken, das in die Abhängigkeit hineinführt, nicht das Bedingungslose Grundeinkommen.

Sascha Liebermann

"Aber ich bin lieber von meinem Mann als vom Staat abhängig"...

...eine Haltung einer Hausfrau und Mutter gegen das Bedingungslose Grundeinkommen. Der Einwand ist vielsagend und entspricht einem Autonomieverständnis, dass erst dann voll erreicht ist, wenn es keine Abhängigkeit mehr gibt. Ganz anders argumentieren "Frauen für das Bedingungslose Grundeinkommen".

Volksabstimmung in der Schweiz – Veranstaltungen in Deutschland

Am 5. Juni stimmt die Schweiz ab. Ideal um in Deutschland für das Bedingungslose Grundeinkommen zu werben und zugleich die direkte Demokratie ins Gespräch zu bringen. Denn zwischen beiden gibt es eine Geistesverwandtschaft. Doch, was ist los mit den Grundeinkommensbefürworter - oder gibt es nur so wenige, dass es gerade zu zwei Veranstaltungen in Deutschland reicht? Zumindest tut sich im Vorfeld einiges (siehe den Kalender beim Netzwerk Grundeinkommen). Bisherige Veranstaltungen am Abstimmungstag, die uns bekannt sind:


  • Alfter, Alanus Hochschule, 14-19 Uhr: „Die Schweiz stimmt ab – Bedingungsloses Grundeinkommen und direkte Demokratie“ (Kontakt: andreas.zaeh@alanus.edu, weitere Informationen folgen) (Kurztext zum Thema)

28. April 2016

Experimente zum Grundeinkommen - realistische Aussagen oder Modellsimulation?

Zeit Online veröffentlichte im Januar ein Interview mit Matthias Sutter, Professor für Experimentelle Wirtschaftsforschung, an der Universität Köln. In dem Interview geht es u. a. um Gerechtigkeitsvorstellungen, Kooperation und - in einer Passage - um das Grundeinkommen, das nicht näher spezifiert wird. Darin sagt er folgendes:

"ZEIT: Eine radikale Idee des Teilens ist das staatliche Grundeinkommen für alle Bürger. Weiß man aus Experimenten, ob dann noch jemand arbeitet?Sutter:Es wäre nach der langen Diskussion darüber gut, das endlich mal wissenschaftlich zu testen. Zurzeit ist das recht ideologisch. Die Liberalen sagen: Seid ihr verrückt, mit einem Grundeinkommen arbeitet ja keiner. Die Befürworter sagen, dass das nicht stimmt. Es gab immer mal wieder die Idee, das in Proberegionen zu testen. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob man so ein Experiment realistisch abbilden kann, sodass wissenschaftlich fundierte und generalisierbare Ergebnisse herauskommen. Bislang gelang das nicht."

Was meint er mit "recht ideologisch"? Und was versteht er unter "wissenschaftlich ... testen"? Sutter forscht mit Hilfe von spieltheoretischen Experimenten. Er versucht also auf Basis simulierter Entscheidungssituationen herauszufinden, wie Menschen unter bestimmten Bedingungen handeln könnten. Diese Bedingungen sind aber ebenso simuliert wie die Entscheidungen, die dabei herauskommen. Es sind ja nicht Entscheidungen, die tatsächlich lebenspraktisch vollzogen wurden, die er untersucht, sie werden im Experiment nur simuliert - also sind sie noch weniger real als die Ergebnisse von Feldexperimenten. Das muss man wissen, wenn über diese Art der Forschung gesprochen wird, die Forscher selbst sehen das nicht selten durchaus anders und meinen, es handele sich um reale Handlungen samt Handlungsfolgen. Ganz ähnlich verhält es sich mit den immer wieder anzutreffenden Meinungsumfragen darüber, was Menschen denn zukünftig täten, wenn dies oder jenes der Fall wäre. Auch diese Umfagen simulieren nur Handlungen und sagen nichts darüber aus, was tatsächlich geschehen würde. - Erstaunlich genug ist an dieser Stelle Sutters Skepsis, ob ein Experiment überhaupt zu fundierten Ergebnissen in Sachen Grundeinkommen führen würde. Nun, sollte diese Skepsis nicht für die spieltheoretische Forschung im Allgemeinen gelten? (siehe meinen jüngsten Kommentar hier).

Sascha Liebermann

"Warum wir uns ein Grundeinkommen nicht leisten können"...

...ein dürftiger Beitrag von Florian Habermacher. Siehe auch die früheren Beiträge mit Gebhard Kirchgässner hier und hier.

27. April 2016

"Wir nennen es Kulturprekariat und es macht keinen Spaß"...

...ein Artikel auf ze.tt zu den Arbeitsverhältnissen von Kulturschaffenden.

"Bedingungsloses Grundeinkommen - Utopie oder Chance?" - Diskussionsrunde im Schweizer Fernsehen


Im Schweizer Fernsehen, SRF Club, wurde über das Bedingungslose Grundeinkommen diskutiert (zur Sendung):

"Ein Grundeinkommen für alle, egal ob man arbeitet oder nicht: für die Gegner ein «blauäugiger Sozial-Unsinn», ein Aufruf zu einer «Hängematten-Mentalität», für die Befürworter der Beginn einer visionären, neuen Arbeits- und Gesellschaftsordnung. Was stimmt?..."

Mit diesen Gästen:
Christian Müller, Mitglied Komitee für ein bedingungsloses Grundeinkommen
Jürg Schläpfer, Psychologe
Franziska Schläpfer, Rapperin «Big Zis»
Monika Bütler, Professorin für Volkswirtschaftslehre Universität SG
Katja Gentinetta, Politik-Philosophin
Jeannette Behringer, Politologin, Ethikerin Reformierte Landeskirche Kt. Zürich

26. April 2016

Bedingungsloses Grundeinkommen in der Schweiz - nicht national umsetzbar?

Mit dieser Frage beschäftigt sich ein Bericht des tagesanzeigers (auf den sich auch die Neue Zürcher Zeitung beruft, die gleich die Schweiz zum "Schlaraffenland mit gefährlicher internationaler Sogwirkung" ernennt) und bezieht sich auf Äußerungen Oswald Siggs, der einer der Initianten der Eidgenössischen Volksinitiative ist. Sigg "glaube nicht, dass man das bedingungslose Grundeinkommen in der Schweiz isoliert umsetzen kann", zitiert ihn der tagesanzeiger. Wegen der durch ein BGE erwachsenden Attraktivität der Schweiz für "all die Arbeitslosen in Europa und für Flüchtlinge" würde durch die Einführung die Zuwanderung deutlich zunehmen. Sigg plädiere deswegen für einen Pilotversuch in einem Kanton, um zu testen, was passiert, wenn ein BGE eingeführt wird (siehe meinen jüngeren Kommentar zu Feldexperimenten hier). Dabei verweist er laut tagesanzeiger allerdings selbst darauf, dass definiert werden könne, wer in diesem Experiment bezugsberechtigt ist. Damit hat Sigg im Grunde aber schon ausgesprochen, wie mit der Zuwanderung umgegangen werden könnte, wie mit ihr auch heute schon umgegangen werden muss. Es bedarf bei nationaler und selbst europäischer Einführung einer Wartefrist, bis jemand bezugsberechtigt ist. Wie sie aussieht, wäre wiederum Gegenstand politischer Willensbildung bzw. bestehender Gesetzgebung.

Aus der Sicht eines politischen Gemeinwesens, das über sein Leben selbst bestimmen können will, ist eine Fristenregelung die einzige Möglichkeit, mit der auf die von Sigg aufgeworfene Sorge geantwortet werden kann. Über eine ähnliche Frage gab es im letzten Jahr eine Diskussion in Deutschland betreffend den Bezug von Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe. Das Bundessozialgericht  (siehe auch hier) stellte fest, dass bei EU-Bürgern geprüft werden müsse, ob Anspruch auf Sozialhilfe bestehe. Nach einer Mindestaufenthaltszeit allerdings bestehe ein Rechtsanspruch. Was Oswald Sigg für die Schweiz befürchtet, ist also in der EU schon Realität und nach Annahme der Masseneinwanderungsinitiative in der Schweiz zu klären, wie auf Zuwanderung reagiert werden kann. Dass es nur eines BGE wegen zu besorgniserregenden Wanderungsströmen kommen würde, ist unwahrscheinlich, dafür gäbe es ja durchaus heute schon Anlass, auch innerhalb der EU, denn das eigene Land zu verlassen, bedeutet ja, nicht nur die eigene vertraute Lebensumgebung aufzugeben, es verlangte ja ebenso, Angehörige und Freunde zurückzulassen.

Gegen Ende des Beitrags heißt es noch:

"All diese Unwägbarkeiten zeigen: Bei einem Ja zum bedingungslosen Grundeinkommen würde die Schweiz in ein grosses Testlabor verwandelt. Denn die Idee wurde noch nirgendwo in diesem Ausmass erprobt. Zwar fanden im Ausland diverse Pilotversuche statt, aber stets in sehr beschränktem Rahmen. Auch wurden dort vor allem die Auswirkungen der ausgeschütteten Gelder getestet, nicht die Folgen der Finanzierung solcher Grundeinkommen."

Eine besonnene Einführung gehört dazu, ein Umsturz von einem Tag auf den anderen ist nicht zu erwarten. Dem BGE werden teils Probleme zugeschrieben, die es hervorbringen würde, die längst bestehen.

Sascha Liebermann

25. April 2016

"Freiheit statt Vollbeschäftigung" in autorisierter Version auf Twitter

Seit einigen Jahren schon werden Beiträge von uns auf Twitter gepostet, eine ganze Weile, ohne dass wir davon wussten. Für diese Unterstützung sind wir dankbar und wollten deswegen Kontakt zum Betreiber des Accounts aufnehmen. Leider erhielten wird daraufhin keine Antwort. Seitdem wir mehrere Beiträge pro Tag einstellen, hat sich gezeigt, dass der anonyme Twitteraccount nur einen jeweils davon übernimmt. Aus diesem Grund kümmern wir uns nun selbst darum und nutzen dazu den schon existierenden von Netz-BGE, um unsere Beiträge über Twitter zu verbreiten.

"Mit Care-Kraft zur Energiewende"....

..."Frauen für das bedingungsloses Grundeinkommen" veröffentlichen mehrseitige Broschüre pro Volksinitiative "Für ein bedingungsloses Grundeinkommen".







Womöglich Grundeinkommensprojekt in Kenia - was ist davon zu halten?

Spiegel Online berichtete, andere mittlerweile auch, über ein mögliches Grundeinkommensprojekt, das in Kenia über zehn bis 15 Jahre Jahre laufen könnte. Finanziert werden soll es durch die US-Spendenorganisation GiveDirectly. Daran sollen "mindestens" 6000 Personen teilnehmen nach Auskunft von Michael Faye und Paul Niehaus, Gründer von GiveDirectly, die einen Beitrag dazu auf Zeit Online veröffentlicht haben. Sie schreiben unter anderem:

"Zweitens muss er [der Test, SL] langfristig sein, sodass die Menschen langfristig die Garantie eines Grundeinkommens haben."

Das ist nachvollziehbar, weil ein kurzfristiges Projekt den Teilnehmern keinesfalls erlaubt, bei Entscheidungen während des Projekts die Zeit danach außer Acht zu lassen. Allerdings sind auf eine Lebensspannt bezogen auch zehn bis fünfzehn Jahre nicht lang, wenn man bedenkt, dass Qualifikationen für den Arbeitsmarkt der Nach-Projektphase erworben oder erhalten werden müssen. Gleichwohl kann diese Perspektive eine Verschnaufpause darstellen, besonders in Lebenssituationen, in denen die Ausrichtung auf den Arbeitsmarkt unvernünftig sein kann, weil andere Fragen drängen, z. B. für Familien mit kleinen Kindern, in Lebenskrisen und ähnlichen Situationen.

Die Autoren schreiben weiter:

"Drittens muss die Zahlung innerhalb der definierten Gemeinschaften bedingungslos sein, da das Ziel ist, genauso viel über soziale Gemeinschaft wie über individuelles Verhalten herauszufinden. Bei allen bisherigen Pilotprojekten zum Grundeinkommen waren nicht alle dieser drei Kriterien erfüllt."

Hier würde man gerne wissen, wie diese Gemeinschaften abgegrenzt werden. Kenia ist ein Staat, also eine politische Vergemeinschaftung, das wäre nach der Verfasstheit des Landes die Gemeinschaft, die für ein universalistisches BGE einstehen müsste (6000 Testpersonen bei 45 Mio. Einwohnern). Vergleichbar mit einem BGE als Solidarleistung einer politischen Gemeinschaft an seine Bürger und andere bezugsberechtigte Personen ist es nicht. Das ist ein nicht unerheblicher Unterscheid, wenn es um Auswirkungen geht.

Dann heißt es noch:

"Gleichzeitig können wir direkt an den politischen Debatten des Schwellenlandes teilnehmen. Somit ergänzt das Projekt die Pläne für Grundeinkommensexperimente der finnischen und der kanadischen Regierung, ebenso wie ein kürzlich vom Start-up-Inkubator Y Combinator angekündigtes Projekt."

Was meinen die Autoren damit? Vielleicht Teilnahme durch Beratung? Politische Gemeinschaften sind nach innen und außen abgegrenzte Gebilde durch Zugehörigkeit bzw. Nicht-Zugehörigkeit, das ist die Basis dafür, dass sie selbst darüber befinden können, wie sie leben wollen. Legitimiert dazu, sich im Sinne dieser Frage einzubringen, sind nur die Bürger des Gemeinwesens, andere können beratend hinzugezogen werden, wenn die Bürger es wollen - sie sind aber nicht legitimiert, sich einzumischen.

Es wäre doch interessant zu wissen, wie es dazu kommt, dass die Autoren Kenia als Experimentierfeld auserkoren haben. Hat sich die Regierung dafür interessiert oder haben sich Bürgerinitiativen bei GiveDirectly beworben? Es kann zu Recht gefragt werden, ob ein Projekt, dass von außerhalb des Landes initiiert ist - so klingt es bislang - nicht eine Einmischung in innere Angelegenheiten darstellt? Jedes Projekt, das nicht von einem Land selbst getragen wird, ist eine Gratwanderung zwischen Stärkung und Schwächung von Autonomie, weil Ziele, Vorgehensweisen und Maßstäbe an Länder herangetragen werden, die nicht ihre eigenen sind. Darauf hatte unter anderem schon Elinor Ostrom hingewiesen. Das ist ein Dauerthema in der Entwicklungshilfe, wo nicht selten, zahlreiche NGOs sich in einem Land an einem Ort die Klinken in die Hand geben.


Und was sendet es für ein Signal, wenn eine US-amerikanische Spendenorganisation sich ein afrikanisches Land als Experimentierfeld sucht, statt in den USA dasselbe auszuprobieren? Immerhin sind es in Kanada und Finnland die Regierungen der Länder, die solche Experimente wollen, sie sind politisch dafür legitimiert. Ein Entwicklungsprojekt, ganz gleich welcher Ausrichtung, stellt immer eine Intervention da. Davon wie vorgegangen wird hängt es wesentlich ab, inwiefern die Autonomie gestärkt oder geschwächt werden kann.

Von alldem abgesehen sollte nicht vergessen werden, dass das Projekt in Namibia in einer ähnlichen Konstellation stattfand, ebenfalls nicht von der dortigen Regierung finanziert wurde und trotz der Ergebnisse bislang nicht dazu geführt hat, dass ein Grundeinkommen eingeführt wurde. Was sagt uns das?

Zur Frage, was Feldexperimente leisten können oder auch nicht siehe diese beiden Beiträge:

"Feldexperimente zur Erprobung eines Bedingungslosen Grundeinkommens -  aussagekräftig oder zweifelhaft"

"Feldexperimente zum Grundeinkommen - Nutzen oder Schaden?"

Von besonderer politischer Brisanz ist es, in einer Demokratie Experimente zu einer Frage durchzuführen, die durch die politische Verfasstheit schon beantwortet ist. Eine Demokratie, in der die Stellung der Bürger als Volkssouverän bedingungslos gilt, in der das Gemeinwesen darauf vertrauen muss, dass die Bürger sich einbringen - wie sollte in einem solche Gefüge ein Experiment gerechtfertig werden, dass genau dazu dient, herauszufinden, was schon längst Realität ist? Ein solches Experiment würde politische Selbstentmündigung bezeugen. Insofern ist es unverständlich, dass Gianis Varoufakis mit Blick auf die Schweiz und der bevorstehende Volksabstimmung von einem Experiment spricht.

Sascha Liebermann

24. April 2016

"Als Bauer muss ich fairerweise dem bedingungslosen Grundeinkommen für alle zustimmen"...

schreibt Ruedi Baumann im Auswandererblog. Denn, "Die rund 50’000 Landwirtschaftsbetriebe in der Schweiz erhalten im Durchschnitt mehr als 50’000 sfr. pro Jahr. Natürlich bestehen zwischen Klein- und Grossbetrieben riesige Unterschiede. Grossbauern dürfen beispielsweise mit über 200’000 sfr. pro Jahr rechnen, für Kleinbauern dagegen bleibt nur wenig übrig!"

Die Grünen Schweiz sagen Ja zur Volksinitiative "Für ein bedingungsloses Grundeinkommen"

Die Grünen Schweiz unterstützen, im Unterschied zur Fraktion im Nationalparlament, die im vergangenen September sie noch ablehnte, die Volksinitiative, die am 5. Juni zur Abstimmung steht. Siehe auch den Beitrag von Daniel Vischer "Grundeinkommen: eine Chance".

Lange Nacht des Grundeinkommens - Theater Basel, Großes Foyer

Am 2. MAI, 18.00-24.00, findet die Lange Nacht des Grundeinkommens am Theater Basel, mit folgenden Gästen, statt:

Anita Fetz (Ständerätin, SP), Andreas Gross (Politikwissenschaftler), Kathy Riklin (Nationalrätin CVP), Rudolf Minsch (Chefökonom der economiesuisse), Adolf Muschg (Schriftsteller), Enno Schmidt (Autor), Reiner Eichenberger (Professor der Ökonomie), Sarah Schilliger (Soziologin), Regula Stämpfli (Politologin), Sascha Liebermann (Soziologe), Silvia Schenker (Nationalrätin), Lukas Rühli (Avenir Suisse), Philip Kovce, (Autor), Adrienne Goehler (Kuratorin), Theo Wehner (Arbeitspsychologe), Richard Eisler (Gründer Comparis), Michèle Roten (Autorin), Daniel Häni (Unternehmer). Moderation: Daniel Binswanger, Redakteur und Kolumnist «Das Magazin». Zum Faltblatt der Veranstaltung

23. April 2016

"Wie viel Geld macht eine Familie glücklich?"...

...fragt Rinaldo Dieziger im Mamablog des tagesanzeigers und kommt zu dem Schluss:

"...Genau gleich funktioniert übrigens auch die Initiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Wenn sie am 5. Juni angenommen wird, erhält jede Schweizerin und jeder Schweizer von Vater Staat 2500 Franken pro Monat. Und zwar nicht nur 20 Jahre, sondern ein Leben lang. Ob das mich und meine Familie glücklicher machen würde? Vielleicht. Auf jeden Fall würde es uns freier machen.
Ich könnte zum Beispiel statt 80 nur noch 60 Prozent arbeiten. Oder das Such-Abo bei Homegate anpassen. Oder einen Tesla leasen. Oder die Suite mit Meersicht und Kinderzimmer buchen. Es wäre ein Stück Freiheit. Was würden Sie damit tun?"

SP Schweiz gegen das Bedingungslose Grundeinkommen...

...berichtet die entsprechende Website. Dort heißt es unter anderem:

"...Am umstrittensten war das bedingungslose Grundeinkommen: Nach zahlreichen engagierten Voten fassten die SP-Delegierten mit 117:68 Stimmen die Nein-Parole."

"Warum viele Linke gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen sind"...

..schreibt SRF, das Schweizer Radio und Fernsehen in einem Kurzbeitrag. Philipp Löpfe erläutert die fehlenden Antworten der Linken auf die "Vierte industrielle Revolution.

22. April 2016

hotelleriesuisse lehnt Grundeinkommen ab...

...mit einer bezeichnenden Begründung:

"Keine Experimente – Nein zum «bedingungslosen Grundeinkommen»
Ebenfalls zur Ablehnung empfiehlt hotelleriesuisse dem Volk am 5. Juni die Volksinitiative «Für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Ein Ja würde die Schweizer Volkswirtschaft in einem Ausmass verändern, das zurzeit noch nicht zuverlässig abgeschätzt werden kann, so der Verband. Klar sei aber: Branchen mit niedrigeren Löhnen und mit einem hohen Anteil an Teilzeitbeschäftigten wie die Hotellerie wären besonders stark betroffen, da der Anreiz, in diesen Branchen zu arbeiten, gering wäre. Der Wegfall der Sozialversicherungen würde den erhöhten Finanzbedarf für das Grundeinkommen nicht kompensieren, dadurch müssten die Steuern erhöht werden."

Wer schon so über seine Angestellten denkt, könnte den Laden auch gleich dicht machen. Warum nicht bessere Arbeitsbedingungen schaffen und dies auf Basis des BGE mit den Angestellten aushandeln?

21. April 2016

"Was wird aus der gesellschaftlich notwendigen Arbeit" - fragt Mascha Madörin...

...in einem Interview mit der woz. Ich kommentiere nur wenige Ausschnitte, in denen es auch um das Bedingungslose Grundeinkommen geht.

"WOZ: Sie haben einmal gesagt: Wenn in einer Familie die Zeit für unbezahlte Arbeit schrumpft, sinkt der Lebensstandard.
Madörin: Ja, wenn die Zeit nicht reicht, das tun zu können, was das Leben angenehm und die Konsumgüter konsumierbar macht, verschlechtert sich die Lebensqualität. Ich finde viele Debatten über Haus- und Familienarbeit sehr seltsam. Da wird so getan, als sei alles nur eine Frage der effizienten Organisation. Das stimmt einfach nicht. Und oft wird vor allem problematisiert, dass Frauen diese Arbeit machen. Aber ich finde andere Fragen wichtiger: Welche dieser Arbeiten sollte man bezahlen? Was wäre gerechter? Wie organisiert die Gesellschaft die Care-Arbeit, die immer teurer wird?"

Eine selten klare Haltung zur abwegigen Diskussion darüber, dass es bei diesen Tätigkeiten um eine Frage der "effizienten Organisation" geht (siehe auch hier). Die Frage nach der Bezahlung dieser Tätigkeiten ist die Frage danach, inwiefern man die Logik der Lohnarbeit darauf ausdehnen will. Zuerst einmal wäre es wichtig, dass diejenigen, die diese Tätigkeiten gerne machen wollten, die Möglichkeiten dazu hätten, das würde ein BGE leisten. Etwas anderes ist es, diese Leistungen als Dienstleistungen einzukaufen, sie sind mit den anderen, aus einer Bindung an die Person erbrachten Leistungen nicht vergleichbar. Und genau hierin greifen die Ausführungen zu kurz, was deutlich wird, wenn familiale Beziehungen betrachtet werden. Eltern sind für Kinder nicht einfach "Care-Arbeiter", sie sind keine Dienstleister, die zur Bewältigung einer Aufgabe angestellt oder dafür beauftragt werden. Es geht um ein Beziehungsgefüge, das aus dem Familiesein erst entsteht - Eltern sind in dieser Hinsicht nicht ersetzbar, sie sind einzigartig (siehe Beiträge dazu hier). Genau das gilt für Dienstleistungen nicht, sie werden angeboten und jemand fragt sie nach oder umgekehrt. Die Dienstleistung kennt eine geregelte Arbeitszeit, einen Feierarbend und Ferien. Wer diesen Dienst leistet, ist austauschbar, lediglich die "Chemie" muss aufgrund der intimen Nähe stimmen.

Weiter heißt es:

"Warum wird sie [die Care-Arbeit, SL] immer teurer?
Weil sie im Gegensatz zur Güterproduktion nicht produktiver werden kann. Man kann immer billiger Smartphones herstellen, aber nicht immer billiger pflegen. Jetzt wird viel über die Roboterisierung debattiert, darüber, dass uns die Arbeit ausgehe, doch im Care-Sektor geht die Arbeit nicht aus, im Gegenteil!"

Interessant ist, dass sie vom "Care-Sektor" spricht und durch den Vergleich mit der Produktion standardisierter Güter offenbar nur oder vor allem die erwerbstätige Form dieser Tätigkeit im Auge hat. Die Engführung Madörins wird in der nächsten Passage deutlich:

"Aber wer soll sie bezahlen?
Diese Frage müssen wir dringend diskutieren. Klar ist: Investitionen in die Care-Arbeit haben Effekte weit über den Sektor hinaus. Es gibt ein spannendes Beispiel aus Argentinien. Dort startete der Staat während der Krise um die Jahrtausendwende ein Programm: Gemeinden und Gruppen konnten Leute zum Minimallohn anstellen. Frauen in armen Quartieren organisierten bezahlte Kinderhüte- und Kochdienste. Das war ein Riesenerfolg, die beste Armutsbekämpfung. Die Frauen sagten: Erstens sieht man jetzt, wie wichtig unsere Arbeit ist, und zweitens haben wir Geld. Aber als es wieder mehr reguläre Arbeitsplätze gab, fuhr die Regierung das Projekt zurück. Die Jobs der Frauen wurden wieder zu unbezahlter Arbeit."

Deutlich wird hier, wie sehr zwischen Ermöglichung durch leistungsunabhängige Alimentierung und Bezahlung unterschieden werden muss. Dass Madörin dies nun als Beispiel dafür angeführt wird, wie Anerkennung für eine Leistung zum Ausdruck gebracht werden könnte, ist bezeichnend. Sorgetätigkeiten würden dadurch in der Erwerbslogik anerkannt, nicht aber als Sorgetätigkeiten. Es ist doch heute hingegen gerade ein Symptom des Vorrangs von Erwerbstätigkeit, dass der größte Teil der Sorgetätigkeiten - die privaten - so gering geschätzt werden: sie gelten nicht als Arbeit, weil sie nicht bezahlt werden. Wäre es da hilfreich sie zu bezahlen statt die Stellung von Bezahlung in Frage zu stellen? Eher nicht.

"Manche Linke erhoffen sich vom bedingungslosen Grundeinkommen mehr Spielraum für die Care-Arbeit. Sie sind skeptisch.
Ja. Zum einen besteht die Gefahr, dass das Grundeinkommen zu Wohlfahrtsnationalismus führt. In Dänemark sieht man das: Das Land hat eine sehr gut organisierte Care-Ökonomie, aber immer ist die Angst da, dass einem jemand etwas wegnimmt. Wie lange müsste eine Ausländerin im Land sein, um das Grundeinkommen zu erhalten? Und weil die Kosten für die Care-Arbeit zunehmen, befürchte ich, dass mit dem Grundeinkommen eine gespaltene Gesellschaft entsteht, wie es sie heute im Ansatz schon gibt: Die Armen können sich keine personenbezogenen Dienstleistungen leisten. Wenn jemand auf Pflege angewiesen ist, reicht das Grundeinkommen nirgends hin. Was wird aus der gesellschaftlich notwendigen Arbeit?"

Der erste Teil ihrer Sorge ist einer, um den man nicht herumkommt. Weil ein Gemeinwesen eine Gemeinschaft von Gleichen ist, in der Demokratie eine Gemeinschaft von Bürgern, muss diese Gemeinschaft auch darüber befinden können, wann jemand dazugehört. Wer das nicht mehr entscheiden will, gibt Gemeinschaft auf. Ohne Gemeinschaft keine Solidarität, ohne Solidarität keine Selbstbestimmung.

Der zweite Teil ist einer, der nicht mit dem BGE zu tun hat. Weshalb sollte mit dem BGE eine gespaltene Gesellschaft entstehen? Die Frage, was wir aus dem BGE machen, ist doch eine gemeinschaftlich zu beantwortende. Dass mit ihm alleine Pflegedienstleistungen finanzierbar wären, ist abwegig. Bedacht werden muss aber, dass aufgrund eines BGE ganz andere Pflegezusammenhänge entstehen könnten, weil nun zum einen das BGE als Daueralimentierung vorhanden ist, zum anderen gewollt wird, sich zu entscheiden, wo man wirken will. Wenn also die Pflege eines Angehörigen drängt, wäre es nicht nur möglich, es wäre auch erwünscht, sich dem zu stellen.

Im folgenden Abschnitt kommt ein Aspekt zu tragen, den ich schon anderweitig behandelt habe (siehe hier und hier):

"Die Befürworter eines Grundeinkommens gehen davon aus, dass die Menschen sozial genug sind, um diese Arbeit auch ohne Bezahlung zu leisten.
Aber wer leistet sie? Zu welchen Bedingungen? Das Initiativkomitee unterschätzt diesen Sektor massiv. Sie gehen auch davon aus, dass die Leute, die mies bezahlt werden, einfach nicht mehr arbeiten gehen. Aber es gibt Arbeit, die gemacht werden muss. Wenn ich Pflege brauche, muss ich mich darauf verlassen können.
Für mich ist es ein grundlegender linker Wert, anzuerkennen, dass alle wichtig sind für die Schaffung von Reichtum, Wohlfahrt und Lebensstandard. Ich bin für die radikale Bezahlung von Arbeit. Die traditionelle Linke betrachtete Arbeit als ökonomische Frage – wie organisiert die Gesellschaft die Arbeit, zu welchen Bedingungen? Das Grundeinkommen hingegen geht vom bestehenden Markt aus."

Auf den ersten Teil kann man nur antworten: wie soll etwas sichergestellt werden, wenn Zwang kein Weg dahin ist? Was anderes sollte es aber im Zweifelsfall heißen, wenn Madörin schreibt, dass es Arbeit gebe, die gemacht werden müsse, als Zwang auszuüben? Vermutlich würde sie das zurückweisen, sie drückt sich aber mindestens missverständlich aus. Am Ende des ersten Absatzes sagt sie dann, was die Voraussetzung ist, die nicht erzwungen werden kann: "...muss ich mich darauf verlassen können". Der einzige Weg also, dies zu erreichen, ist, dass Verantwortung ernst- und wahrgenommen wird. Ich muss mich verlassen können, das ist aber genau, was auch heute zählt. Es reicht ja nicht, dass jemand seine Aufgabe wahrnimmt, er muss dies auch angemessen tun, gerade in diesem Bereich. - Und wenn nicht? Doch Zwang? Das eine schließt das andere aus. Wenn diese Verantwortung nicht wahrgenommen wird, dann bleibt nur der Weg, genau das zum Gegenstand öffentlicher Auseinandersetzung zu machen. Dabei geht es um die Frage, wie wir leben wollen.

"Aber was ist mit denen, die nicht arbeiten können?
Es braucht auch eine gute Sozialhilfe ohne Arbeitszwang und mit einer relativ grossen Marge, die man dazuverdienen kann, ohne die Sozialhilfe zu verlieren. Aber abgesehen davon soll man Menschen einen Lohn geben für gesellschaftlich relevante Leistungen. Es gibt so viel Arbeit, die das Leben bereichern würde. Lebenssinn hat doch auch etwas mit Relevanz für die Gesellschaft zu tun."

Eine Sozialhilfe ohne Arbeitszwang? Wer sich die Logik der Systeme sozialer Sicherung heute anschaut, wird feststellen, dass Sozialhilfe nicht als Dauerlösung konstruiert ist. Wer sie bezieht, soll langfristig auf "eigenen Beinen" stehen können - also erwerbstätig sein. Die Stigmatisierung von Leistungsbeziehern im heutigen Gefüge ist struktureller Art. Es ist der Vorrang von Erwerbstätigkeit, der Sozialhilfe oder andere Leistungsformen zur Ausnahme erklärt. Wer sie benötigt, schafft es selbst nicht - darum geht es.

Kann es eine Sozialhilfe "ohne Arbeitszwang" (ganz wörtlich genommen gibt es ihn heute auch nicht), eine repressionsfreie Mindestsicherung geben, die in der Erwerbslogik verbleibt? Nein. Selbst eine sehr freilassende Form der Mindestsicherung über eine Negative Einkommensteuer erhielte das Erwerbsgebot aufrecht, denn die Bereitstellung einer Gutschrift ist ausgleichender Art. Sie gleicht den mangelnden Erfolg in der Erzielung von Erwerbseinkommen aus.

Madörin hängt in der Erwerbslogik fest, was umso mehr erstaunt angesichts ihrer berechtigten Kritik am verengten Arbeitsbegriff heute. Doch die Verengung setzt sie fort, wenn sie von "gesellschaftlich relevante[n] Leistungen" spricht. Wer definiert? Was fällt dabei unter den Tisch? Nur mit einem BGE fällt nichts unter den Tisch, sofern es eine ausreichende Höhe hätte, weil es um das Individuum in seiner Angewiesenheit auf ein Gemeinwesen geht.

Sascha Liebermann

Siehe auch die Leseprobe aus "Grundeinkommen von A bis Z" zum Stichwort "Care"

"Das Grundeinkommen - eine zukunftsweisende Idee"...

...schreibt Richard Eisler in der Schweiz am Sonntag.

"Hätte mich vor einem Jahr jemand überzeugen wollen, dass das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) eine gute Sache sei, hätte ich als Ökonom ihn mit einem müden Lächeln bedacht. Doch dann habe ich versucht, Moore’s Law – die Rechenleistung von Computern verdoppelt sich alle zwei Jahre – auf einem Blatt Papier aufzuzeichnen. Tragen Sie auf einem A4-Blatt unten in Zweijahresschritten einen Zeitstrahl von 1950 bis 2010 ab..."

Worum geht es denn nun: minimum income, basic income, unconditional basic income?


Hier der entsprechende Zusammenschnitt, in dem es um Minimum/ Basic Income geht, bei Youtube.

Diese Diskussionsrunde auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos befasste sich unter anderem mit dem Grundeinkommen - wenngleich nicht klar wurde, um welches es genau ging (siehe auch hier). Der Begriff ist unscharf, sofern nicht eine bestimmte Definition damit verbunden ist. So ist im Grunde auch nicht klar, ob es in dieser Runde um ein Bedingungsloses Grundeinkommen ging, wie es in Deutschland und der Schweiz diskutiert wird, oder um eine wie auch immer gestaltete Form eines liberalen Mindesteinkommens. Toru Yamamori hat dankenswerter Weise ein Transkript zu den Ausführungen von Christopher Pissarides erstellt, der sich zum "universal minimum income" äußerte. Unklar bleibt, was er darunter versteht. Näher dran am BGE war da womöglich Dileep George, der davon sprach, dass "income" and "work" eines Tages voneinander entkoppelt (detached) werden könnten. Das hielt die Moderatorin für eine erstaunliche Überlegung. Eindeutig war in der Diskussion, wie sehr die Überlegungen zur Relevanz eines Basic Icome stets vor dem Hintergrund der Digitalisierung angestellt werden. Dabei ist die Digitalisierung eine schlechte Krücke für das BGE (siehe hier und hier), wenngleich mit einem BGE wir über diese Entwicklung ganz anders reden könnten. Aber: das BGE ist in seiner Bedeutung von der Digitalisierungsproblematik vollkommen unabhängig.

Sascha Liebermann

20. April 2016

"Wir brauchen Utopien in der Arbeitswelt" - Interview mit Theo Wehner im Migros Magazin

Ein sehr interessantes Interview mit Theo Wehner zu Fragen der Arbeitswelt, in dem er auch differenziert über Digitalisierung und Automatisierungsprognosen spricht. Wichtige Überlegungen angesichts einer Digitalisierungsgläubigkeit (siehe auch hier), als hätte es diese Prognosen nicht früher schon gegeben. Entscheidend sei stets die Frage, ob wir so leben wollen, wie wir leben, und wenn nicht, was dann anders gemacht werden könnte.

Auf alten Wegen dahindümpeln - Altersarmut bei Anne Will

Eine solche Diskussion, die mit den ewig alten und gleichen Antworten aufwartet, muss man wohl als Symptom dafür sehen, weshalb es nicht vorangeht. Solange dem Einzelnen nicht mehr zugetraut wird und er nicht seiner Stellung als Bürger gemäß wahrgenommen wird, bleibt er zwischen sozialstaatlichem und marktverklärendem Paternalismus eingeklemmt (siehe auch hier). Wie einfach wäre es, hier mit einem BGE anzusetzen, sofern man bereit wäre, den Vorrang von Erwerbstätigkeit vor allem anderen aufzugeben.

Sascha Liebermann

"Ohne Arbeit läuft gar nichts"...

...schrieb Werner Enz schon im März in der Neuen Zürcher Zeitung als Kommentar zur Eidgenössischen Volksinitiative "Für ein bedingungsloses Grundeinkommen". Dieser Beitrag ist insofern bemerkenswert, als er nicht nur die Argumente der Intitianten für das BGE verzerrt wiedergibt und Dinge unterstellt. Er bezeugt auf besonders deutliche Weise das Missverhältnis zwischen der Deutung der Lebensverhältnisse in der Schweiz und ihrer realen Ausgestaltung. Denn die Schweizer Demokratie mit ihren direktdemokratischen Verfahren bringt ausgesprochen viel Vertrauen in die praktische Vernunft der Bürger zum Ausdruck.

Wenn Enz der Volksinitiative vorwirft, dass ihr Vorschlag zur "Sinnentleerung" von Arbeit führe, dann ist es im Grunde der Autor selbst, der ein sinnentleertes Verständnis von Arbeit äußert:

"Die grosse Mehrheit arbeitet nicht nur zum Zeitvertreib, sondern um die Familie über die Runden zu bringen und anderen nicht zur Last zu fallen."

Arbeit "nicht nur", aber vorwiegend als Zeitvertreib zu betrachten, ist so ziemlich die am wenigsten sachhaltigste Haltung zu Arbeit, die man sich vorstellen kann. Auch "anderen nicht zur Last zu fallen" ist keine Motivierung, die etwas mit dem Inhalt von Arbeit zu tun hat. Sie hängt der Illusion an, jemand könne für sich selbst ganz alleine sorgen, würde also niemandem zur Last fallen, obwohl doch in allen Gemeinwesen gilt: alle sind von allen abhängig, alle fallen allen zur Last - und zwar notwendigerweise. Ganz ähnlich wie Enz hatte sich im März im WDR-Funkhausgespräch Gerhard Bosch von der Universität Duisburg-Essen geäußert, der das BGE mit der Begründung ablehnte, er wolle kein "Transferempfänger" sein, als sei das der Inbegriff einer unwürdigen Existenz. Dabei macht dieser Status nur auf besondere Weise deutlich, wie groß die Abhängigkeit des Einzelnen in einem solidarischen Vergemeinschaftungszusammenhang ist.

Sascha Liebermann

19. April 2016

"Was ist dran am Grundeinkommen" - eine Animation von BR24 und FAZ

Was ist in die Autoren dieser Animation zum Bedingungslosen Grundeinkommen auf Faz.net gefahren? Dabei hätten sie einen Beitrag zur einer sachlichen Veranschaulichung leisten können, statt ein wenig Sachlichkeit und erhebliche Einseitigkeit zu bieten. Warum ist es so schwer, bei diesem Thema sachlich zu bleiben? Den Autoren zufolge spannt sich das Leben zwischen Hängematte und Karriere auf, etwas anderes gibt es nicht, weder bürgerschaftliches (was natürlich keine Arbeit ist) noch familiales Engagement (das ist gemeinhin noch weniger Arbeit). An Borniertheit ist diese Darstellung schwer zu über- oder sollte man sagen: zu unterbieten? Nur weil nicht klar ist, was die Menschen mit dem BGE tatsächlich tun werden - was sie tun können ist hingegen glasklar -, verabschieden die Autoren es in weite Ferne. Wissen sie denn etwa, was die Menschen morgen machen, selbst wenn es kein BGE gibt?

Noch erstaunlicher wird diese Einseitigkeit, weil einer der Autoren sich erst vor wenigen Monaten über die Herausforderungen, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen, ausgelassen hat. Philipp Krohn schrieb über "Das Gefasel vom neuen Mann", was eine Steilvorlage dafür hätte gewesen sein können, über das BGE differenzierter nachzudenken. Denn mit ihm wäre es einfacher, je nach Lebenssituation, den Beruf und damit den Druck, über den sein Artikel sich durchaus beklagt, hintanzustellen, weil ein BGE als dauerhafte Alimentierung das Zurückstellen der Karriere bzw. des Berufes zu einer legitimen Entscheidung machen würde. Heute hingegen ist es ein Scheitern am Erwerbsideal. Wenn dann noch in das Loblied auf die gemeinsame Aufgabenteilung von berufstätigen Eltern heutzutage eingestimmt wird, hätte wenigstens erwähnt werden können, was von der Familienzeit noch übrig bleibt, wenn beide vollerwerbstätig sind. Dann doch lieber Klartext.

Wie klar ist demgegenüber der Beitrag seiner Kollegin, Karin Truscheit, die sehr deutlich macht, dass man nicht alles haben könne und sich entscheiden müsse, wenngleich auch sie leider den Schluss auf das BGE nicht zieht - er ist zum Greifen nahe.

Sascha Liebermann

«Schweiz ist ideal für Experimente mit dem Grundeinkommen»...

...meint der ehemalige griechische Finanzminister Gianis Varoufakis in der Schweizer Zeitung Der Bund. Man könnte hier allerdings einwenden, ob es sich überhaupt um ein Experiment handelt, denn die Voraussetzungen, die ein Bedingungsloses Grundeinkommen benötigt, sind schon vorhanden. Das Menschenbild des Grundeinkommens ist das Menschenbild der Demokratie (siehe hier und den Beitrag von Sascha Liebermann in diesem Band). Und diese Voraussetzungen müssen nicht erst herausgefunden werden (siehe hier)

18. April 2016

"Denn beim Volk, das ist eine paradoxe Wahrheit, ist die Demokratie nicht gut aufgehoben"...

...meint Jakob Augstein in seiner Kolumne bei Spiegel online mit dem Titel "Volk und Wahrheit". Über manche Kommentare kann man nur staunen, auch darüber wie weit sie an der Realität vorbeigehen. Augstein erweist sich hier selbst als einer derer, die es besser zu meinen wissen als die Bürger, doch von welcher Warte aus? Die Einwände kommen einem, wenn man mit der Grundeinkommensdiskussion vertraut ist, bekannt vor.

Er schreibt unter anderem:

"...Zwischen Wahlvolk und Politik macht sich eine große Entfremdung breit. Es herrscht ein Notstand der politischen Legitimation. Wie behebt man den? Durch Partizipation? Sollen die Menschen an den politischen Entscheidungen mehr beteiligt werden? Bloß nicht.
"Wenn man Europa kaputtmachen will, dann braucht man nur mehr Referenden zu veranstalten." Jean Asselborn, Außenminister von Luxemburg, sagte das nach dem Nein der Niederländer zum EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine. Asselborn findet, dass Referenden in einer parlamentarischen Demokratie kein geeignetes Instrument sind, um schwierige Fragen zu beantworten..."

Nun, Referenden und repräsentative Demokratie widersprechen sich nicht. In der Schweiz wird beides praktiziert und man kann nicht gerade sagen, dass es nicht funktionieren würde. Dass die EU nicht gerade über Referenden erfreut ist, hat sich schon öfter gezeigt. Sie werden so lange für gut befunden, so lange die gewünschten Ergebnisse herauskommen. Solche Kommentare trifft man in Deutschland übrigens auch öfter, wenn - wie Augstein es ebenfalls tut - auf Abstimmungsergebnisse in der Schweiz geschaut werden. "Oben" weiß man also besser als "unten", was richtig und gut ist. Das ist der Elitismus, der den Bürgern vielleicht gerade zum Halse heraushängt.

In anderem historischem Zusammenhang hat Max Weber einmal etwas beschrieben, dass Augsteins Befürchtungen in einem besonderen Licht erscheinen lässt:

"Daß der Deutsche draußen, wenn er das gewohnte Gehäuse bürokratischer Bevormundung um sich herum vermißt, meist jede Steuerung und jedes Sicherheitsgefühl verliert, — eine Folge davon, daß er zu Hause sich lediglich als Objekt, nicht aber als Träger der eigenen Lebensordnungen zu fühlen gewohnt ist —, dies eben bedingt ja jene unsichere Befangenheit seines Auftretens, welche die entscheidende Quelle seiner so viel beklagten »Fremdbrüderlichkeit« ist. Und seine politische Unreife ist, soweit sie besteht, Folge der Unkontrolliertheit der Beamtenherrschaft und der Gewöhnung der Beherrschten daran, sich ohne eigene Anteilnahme an der Verantwortlichkeit und folglich ohne Interesse an den Bedingungen und Hergängen der Beamtenarbeit ihr zu fügen." (Max Weber, "Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland“, in: Gesammelte politische Schriften, S. 258, Tübingen 1988)

Theodor W. Adornos schon in den 1960er Jahren geäußerter Einwand gegen die Sorge, man könne den Menschen zuviel zumuten, weist in eine ähnliche Richtung.

Augstein schreibt weiter:

"...Wer mehr Partizipation in die Demokratie rührt, dem fliegen die Reagenzgläser um die Ohren. Aus gutem Grund gibt es Parlamente. Sie schützen die Demokratie vor dem Volk und das Volk vor sich selbst. Denn beim Volk, das ist eine paradoxe Wahrheit, ist die Demokratie nicht gut aufgehoben. Volkes Stimme und Fortschritt - das geht nicht gut zusammen. Die Schweizer wollten keine Minarette, die Hamburger keine Gemeinschaftsschulen und die Niederländer jetzt keinen Vertrag mit der Ukraine. Vernünftig war das alles nicht - und fortschrittlich erst recht nicht..."

Was ist an der Entscheidung der Schweizer unvernünftig oder undemokratisch gewesen? Läge es nicht zuerst einmal näher, sich zu fragen, was die Bürger damals dazu bewogen hat, den Neubau von Minaretten zu verbieten, statt die Entscheidung für unvernünftig zu erklären? Dasselbe gilt für die Entscheidungen in Hamburg und den Niederlanden.

Wenn Augstein auf Erkenntnisse der Wahlforscher verweist, dass bestimmte Milieus ihre Rechte, hier: das Wahlrecht, stärker wahrnehmen als andere, dann wäre ebenfalls zu fragen, ob die Bürger dafür nicht selbst gerade zu stehen haben, wenn sie ihre Rechte nicht wahrnehmen? Er scheint einen politischen Paternalismus vorzuziehen, der weiß, was für die Bürger gut ist. Das Wahlrecht ist zum Glück nicht mit einer Wahlpflicht verbunden und dennoch entlässt es die Mehrheit nicht aus der Verantwortung, auch die Interessen der Minderheit zu beachten.

Zum Schluss schreibt er noch:

"Das ist auch eine Erklärung dafür, wie es sein kann, dass seit zwanzig Jahren in den westlichen Staaten die soziale Ungleichheit trotz freier Wahlen immer weiter zunimmt. Offenbar ist die Demokratie kein geeignetes Instrument, um für Gerechtigkeit zu sorgen. Die Welt hat ihren Siegeszug gesehen. Aber das Wort Demokratie bedeutet nichts mehr."

Wie schnell dann doch die Bereitschaft sich zeigt, die Demokratie auch abzuräumen, wenn sie Entscheidungen zustande bringt, die einer für ungerecht hält.

Sascha Liebermann

Siehe auch folgende Kommentare zu Augsteins Beitrag:
Kommentar von Mehr Demokratie e.V.
Kommentare auf den Nachdenkseiten
Kommentar von Susanne Wiest 

17. April 2016

"Das bedingungslose Grundeinkommen und die Schweiz. Eine republikanische Perpektive"...

...ein Literaturhinweis aus aktuellem Anlass.

Im Jahr 2010 veröffentliche Eric Patry seine Doktorarbeit mit oben genanntem Titel, die den Wurzeln des Schweizer Republikanismus nachspürt und untersucht, welche Anknüpfungspunkte das Schweizer Gemeinwesen historisch und politische konkret für das Bedingungslose Grundeinkommen aufzuweisen hat. Die Arbeit folgt damit einem Zugang zur Thematik, der äußerst selten gewählt wird und ist deswegen angesichts der bevorstehenden Volksabstimmung von besonderem Interesse.

16. April 2016

Diskussion über Bedingungsloses Grundeinkommen auf vorwärts.de

...im Anschluss an einen Beitrag von Christoph Butterwegge (siehe hier und hier), der als Gegner bekannt ist, zum Bedingungslosen Grundeinkommen ist eine Diskussion entbrannt. Siehe auf demselben Portal auch den Beitrag von Philip Kovce.

15. April 2016

"Grundeinkommen abstimmen" - Volksabstimmung auch in Deutschland auf Bundesebene einführen. Zeichnen Sie mit

Ein Aufruf des Omnibus für direkte Demokratie zur Einführung der bundesweiten Volksabstimmung. Anlass ist die bevorstehende Volksabstimmung in der Schweiz. Der Aufruf kann unterzeichnet werden und ist mit einer Aktion Ende Mai verbunden. Näheres erfahren Sie hier.

14. April 2016

Kulturzeit - Gespräch mit Sascha Liebermann über Grundeinkommen und Volksabstimmung in der Schweiz


"Kulturzeit" hat ein Interview mit Sascha Liebermann zur bevorstehenden Volksabstimmung in der Schweiz gemacht. Hier geht es zum Gespräch und zum Beitrag über Grundeinkommen, der dem Gespräch vorausging, auf der Website von Kulturzeit.

Chefökonom des Schweizer Gewerkschaftsbundes gegen Grundeinkommen

Der Chefökonom des Schweizer Gewerkschaftsbundes Daniel Lampart hat sich gegen das Grundeinkommen ausgesprochen. Die Passage aus dem Interview lautet:

"2500 Franken pro Monat und Bewohner – das sind rund 200 Milliarden Franken pro Jahr. Das ist wahnsinnig viel Geld, das man zuerst mal einkassieren muss. Die Versuchung, das System auszutricksen, wäre relativ gross. Am Schluss könnten ausgerechnet die Schwächsten unter die Räder kommen. Es könnte auch die AHV destabilisieren und so die soziale Sicherheit schwächen."

Ja, es kann immer alles geschehen. Doch eine "Versuchung" setzt stets voraus, dass die Bürger eines Gemeinwesens, um die geht es zuerst einmal, eine so schwache Loyalität zu ihm hätten, so sehr auf ihren Eigenvorteil bedacht wären, dass sie bei jeder Gelegenheit, die sich böte, der Versuchung erlägen, ihren Eigenvorteil auch zu sichern. Wenn das so wäre, wäre es unter diesen Umständen nicht schon lange um die heutige Demokratie geschehen?

Sascha Liebermann

13. April 2016

"Was steckt hinter Sanktionsfrei.de?" fragte gegen-hartz.de

Handelt es sich um eine "Kampagne mit systemveränderndem Einfluss oder nur ein weiteres Unternehmen der Armutsindustrie?" fragt gegen-hartz und schließt seine Ausführungen so:

"Uns liegt es fern, dieses Projekt negativ zu bewerten, trotzdem stellen die aufgetretenen Widersprüche für uns die von „Sanktionsfrei.de (n.e.V)“ genannten Absichten erheblich in Frage. Eine an „Sanktionsfrei.de (n.e.V)“ gerichtete weitergehende Anfrage, in der wir vorab auf diese Widersprüche hinwiesen und um Stellungnahme baten, blieb (bislang) unbeantwortet. Gern lassen wir uns jedoch vom Gegenteil überzeugen und hoffen, dass die Ungereimtheiten schnell aufgeklärt werden. (fm)"

Siehe "Häufige Fragen" auf Sanktionsfrei.de und den Beitrag auf Christel T.'s Blog

"Bedingungsloses Grundeinkommen: Die 13½ Antworten der Befürworter"...

...listet das Schweizer Fernsehen SRF auf und bezieht sich dabei auf Ausführungen von Daniel Häni, mit dem ein Interview geführt wurde.

12. April 2016

"Dein Grundplatz in der Welt ist gesichert" - Hartmut Rosa über das Bedingungslose Grundeinkommen

"Die Resonanz auf Facebook ist nicht nachhaltig", so war ein Interview in der Neuen Zürcher Zeitung mit Hartmut Rosa, Professor für Soziologe an der Universität Jena, übertitelt. Darin äußerte er sich auch zum Bedingungslosen Grundeinkommen.

Rosa sagte "Wenn wir resonante Weltverhältnisse schaffen wollen, müssen wir die Steigerung als blindlaufenden Zwang überwinden", worauf er gefragt wurde:

"NZZ: Wie geht das?
Rosa: Da scheinen mir drei Dinge nötig. Erstens: Ich halte Märkte und Wettbewerb in bestimmten Bereichen für sinnvoll, aber Wettbewerb ist kein Endzweck. Wir brauchen eine Veränderung der ökonomischen Verhältnisse hin zu einer Wirtschaftsdemokratie. Zweitens brauchen wir eine Veränderung des Sozialstaats. Ich bin ein grosser Anhänger des bedingungslosen Grundeinkommens, weil es die Weise unseres In-die-Welt-gestellt-Seins fundamental verändern würde."

So sympathisch die Bemerkung zum Bedingungslosen Grundeinkommen ist, muss man sich doch fragen, ob es tatsächlich zu so einer fundamentalen Veränderung führen würde. Denn auch heute ist es nicht so, dass der Marktwettbewerb alle Lebensverhältnisse durchdringt. Die Demokratie lebt von anderen Zusammenhängen, die - man schaue nur ins Grundgesetz - nach wie vor unangetastet sind. Dass die Stellung der Bürger im Gemeinwesen eine ist, die sich von keiner Gegenleistung ableitet, ist unbestritten und gerät heute nur mit dem sozialstaatlichen Bedingungsgefüge in Konflikt. Damit stehen die Grundfesten unserer Demokratie in denkbar starkem Gegensatz zur politischen Verfasstheit, ein Widerspruch, der nach Aufhebung verlangt. Rosa hält das BGE für ein Mittel, um den Sozialstaat zu veränden, schlägt aber nicht die Brücke dazu, dass es damit sogleich sich auf die Wirtschaftsverhältnisse auswirken würde. Eine "Wirtschaftsdemokratie", was ich für einen missverständlichen Begriff halte, wäre mittelbar über ein BGE zu erreichen, weil sich die Verhandlungsposition der Arbeitnehmer in jeder Hinsicht verändern würde.

Eine große Veränderung, wenn auch nicht fundamental, könnte die Klärung sein in Hinsicht auf unsere heutigen Lebensverhältnisse, über die wir uns offenbar nicht im Klaren sind. Statt in einer Ausbreitung von "Märkte[n] und Wettbewerb" eine gegenwärtige Entwicklung zu erkennen, scheint mir eher eine Haltung, die Planung und Kontrolle in jedem Lebensbereich will, bezeichnend für unsere Lage zu sein.

Weiter heißt es im Interview:

"Sie schreiben, das bedingungslose Grundeinkommen würde «die Existenz pazifizieren». Können Sie das erläutern?
Der gegenwärtige Sozialstaat lässt uns ja auch nicht verhungern, aber er entzieht uns den Ort in der Welt. Wer von Sozialhilfe lebt, der ist im gegenwärtigen Verständnis ein Schmarotzer, er stirbt fast so etwas wie einen sozialen Tod. Alle Zuteilungsmechanismen, besonders die von Status, hängen an der Erwerbsfähigkeit. Unser Weltverhältnis würde sich fundamental verändern, wenn wir sagten: Dein Grundplatz in der Welt ist gesichert."

Rosa weist zurecht auf die Erwerbszentrierung des Sozialstaats hin, mit allen Folgen, die das für die Bezieher von Leistungen hat, aber nicht nur im Fall der Sozialhilfe, sondern auch bei Arbeitslosengeld I und II. Denn die über Beiträge erworbenen Ansprüche auf Versicherungsleistungen im ALG I bringen ebenso Verpflichtungen mit sich wie im ALG II. Auch im ALG I kann sanktioniert werden. Die Auswirkungen gegenwärtiger Sozialpolitik sind also viel breiter, als Rosa meint.

Was auf der einen Seite zutreffend ist, auf die normative Vorrangingkeit von Erwerbsarbeit hinzuweisen, ist auf der anderen Seite aber nur die halbrichtig. Die Erbwerbszentrierung des deutschen Sozialstaats steht nämlich im Gegensatz zur politischen Verfasstheit unserer Demokratie. Der Status der Staatsbürger ist nämlich einer, der keine Leistungsbedingung kennt, er ist in diesem Sinne bedingungslos. Wer Leistungen aus den Systemen sozialer Sicherung bezieht, verliert nicht seinen Status als Angehöriger des Gemeinwesens. Den Status, von dem Rosa sagt, dass er an Erwerbsfähigkeit hänge, betrifft nicht die Staatsbürgerschaft und damit nicht die Zugehörigkeit zum Souverän. An dieser Stelle sind seine Ausführungen überraschend verkürzt. Es würde sich durch ein BGE unser Weltverhältnis also mittelbar verändern, weil wir Angehörige eines Gemeinwesens wären, das ein BGE bereitstellt. Das Weltverhältnis wäre also durch die Vergemeinschaftung konstituiert und nicht unabhängig von ihr zu fassen.

Sascha Liebermann

"Milton Friedman ist der falsche Kronzeuge"...

...schrieb Serge Aiolfi in der Neuen Zürcher Zeitung und resümiert am Ende:

"Ist der BGE-Plan, der uns angeblich allesamt vom Zwang zur Arbeit befreien soll, mit der Idee Friedmans zu vergleichen? Die beiden Konzepte sind einander etwa so ähnlich wie eine Luxuslimousine und ein Militärvelo."

Recht hat er, wenn er auf diese in meinen Augen nicht haltbare Bezugnahme hinweist, denn eine Negative Einkommensteuer funktioniert anders als ein Bedingungsloses Grundeinkommen. Michael Opielka sieht das offenbar anders und verlinkt in seinem Tweet auf eine Studie zum Solidarischen Bürgergeld. Auf S. 27 der Studie wird dann ganz treffend auf den Charakter der Negativen Einkommensteuer hingewiesen, dass nämlich Steuerschuld und Steuergutschrift bei der Veranlagung der Einkommensteuer verrechnet werden. Während auf S. 46 zwischen Sozialdividende und Negativer Einkommensteuer unterschieden wird, wird dann wiederum das Transfergrenzenmodell von Helmut Pelzer mit der Negativen Einkommensteuer in eins gesetzt. Wenn die Funktionsweise von BGE und NES so deutlich unterschieden ist - BGE: von der Wiege bis zur Bahre ohne Einkommensprüfung, NES: Gutschrift nach Einkommensprüfung oder Verrechnung von Einkommen und Gutschrift/ Freibetrag - wird deutlich, dass der Bereitstellungsmodus beide voneinander unterscheidet. Das BGE soll nicht mit Einkommen verrechnet werden, für die NES hingegen ist das charakteristisch. Das BGE hebt den normativen Vorrang von Erwerbstätigkeit auf, die NES behält ihn bei, denn die Verrechnung von Steuerschuld und Steuergutschrift ist nur dann notwendig, wenn die Einkommenserzielung über Erwerbsarbeit der normativ bevorzugte Fall bleibt. Dadurch wird das Grundeinkommen als Steuergutschrift eine Ausgleichsleistung für ein Erwerbseinkommen, das unter der Mindeshöhe x liegt.

Insofern ist es also nicht haltbar, sich auf Milton Friedman als Ideengeber für ein BGE bzw. die NES als Bedingungsloses Grundeinkommen zu berufen.

Sascha Liebermann

11. April 2016

10. April 2016

"Evangelische Frauen Schweiz" (EFS) lehnt Volksinitiative zum Bedingungslose Grundeinkommen ab

...das meldet ref.ch und verweist auf eine Stellungnahme hier Evangelische Frauen Schweiz (EFS).

Schweiz: "Bundesrat Berset kritisiert Grundeinkommen: «Total übertrieben»"...

...berichten die Basellandschaftliche Zeitung und die Neue Zürcher Zeitung. Siehe in derselben Zeitung auch "Oswald Sigg über das Grundeinkommen: «Wir müssen auch das Unmögliche denken»". Siehe auch den Beitrag auf grundeinkommen.ch mit zahlreichen Medienhinweisen. Zur offiziellen Stellungnahme des Bundesrates.

9. April 2016

"Wenn niemand mehr arbeitet, wer schafft dann Wohlstand?"...

...so die Frage einer E-Mail-Debatte zum Grundeinkommen, abgedruckt in der NZZ am Sonntag zwischen Jacqueline Badran (Nationalrätin SP) und und Gregor Rutz.

"We should feed them" - Yanis Varoufakis on Basic Income...

..., aber was meint er genau?

In einem Interview, das der ehemalige griechische Wirtschaftsminster dem Economist gab (siehe auch Basic Income News), äußert er sich mehrfach zum Grundeinkommen, ohne genauer auszuführen, welche Form des Grundeinkommens er im Auge hat. Nur durch den Verweis auf Philippe van Parijs Aufsatz "Why Surfers Shoud be Fed" scheint auf, dass er offenbar ein BGE meint. Aber wie wird es begründet?

"Today we are facing a serious danger of large masses of people who have low economic value. This is a powder keg in the foundations of society. Making sure that the great wealth-creation which capital is capable of does not light this dynamite — the basic income approach — is absolutely essential, but it is not part of the social democratic tradition. Think about it. Now, either we are going to have a basic income that regulates this new society of ours, or we are going to have very substantial social conflicts that get far worse with xenophobia and refugees and migration and so forth. But I do not think that social democracy has the analytical skills to come to terms with this."

Diese Passage lässt noch im Unklaren, was er vor Augen hat. "Large masses of people who have low economic value" - also solche mit wenig oder niedrigem Einkommen bzw. Kaufkraft. Dieser Mangel könnte so "substantial social conflicts" führen. Ein Grundeinkommen könnte hier Abhilfe schaffen, sofern es sich um Konflikte aus Einkommensmangel handelt. Dazu bedarf es aber noch keines BGE, das könnte irgendeine Form eines Grundeinkommens leisten, zu denen ja durchaus auch Hartz IV gehört, es müsste der Regelsatz nur erhöht werden.

"So I think the basic income approach is capable of doing this [Wohlstand allen zugänglich zu machen, SL] as long as (and this is what I emphasise when I talk to the Corbynistas) you can explain to them where the money will come from, that it will not be simply debt, that we are going to generate a lot more income and a chunk of it is going to fund this. But we, the Left, must not be fearful. I gave a talk some time ago in the United States and said: yes, surfers in California must be fed by the rest of us. We may not like that, we may feel they are bums, but they deserve a basic income too.
[Laughs] "

Auch hier ist noch nicht klar, was er genau meint, denn der Verweis auf van Parijs ist indirekt. Die Formulierung "must be fed by the rest of us" geht allerdings davon aus, dass die einen die anderen versorgen sollten. Legt man diese Passage weit aus, dann bezieht sie sich auf alle, die keinen Beitrag zur ökonomischen Wertschöpfung leisten. Ich habe dies schön öfter als "Kostgänger"-Argument bezeichnet (siehe verschiedene Beiträge dazu hier), weil es einer Bilanzlogik folgt, hier allerdings positiv ausgelegt. Das ist ein primär ökonomischer Blick im Sinne einer Versorgung mit Einkommen und Gütern. In einem demokratischen Gemeinwesen gibt es aber nicht die einen, die für die anderen sorgen, es gibt nur ein Gemeinwesen von Gleichen, die füreinander einstehen.

Varoufakis fährt unmittelbar nach dem vorangehenden Zitat fort:

"OK, they don’t “deserve”, but they should have a basic income, because this is the way to stabilise society. But you need politicians that are capable of going out there and saying: “You see that lazy bum over there that you hate? We should feed him. And we should make sure he has a house. Because if he does not have a house and he gets sick and so on, he is a greater burden for all of us. And if there are lots of them and technological innovation produces a lot more of them, that would be macro-economically unsustainable. Those of us who want to work—because we enjoy it and have the opportunity—have the technology to produce so much wealth that we can feed the surfers.” But who says that?"

Dass er sich hier korrigiert ("OK, they don't deserve"), ist insofern interessant, als er damit die Bilanzlogik von Geben und Nehmen aufbricht.  Aber wer ist nun "they"? Wenn es alle bekommen, bekommen es alle, da gibt es kein "we" auf der einen und "they" auf der anderen Seite, es gibt nur "uns" - sofern wir von einer Demokratie sprechen. Wir benötigen auch nicht unbedingt "politicians", die für ein BGE werben, wenn die Bürger es wollen, wird es kommen, dazu müssen sie sich artikulieren. Und dann argumentiert er wieder in der Bilanzlogik: besser ihn jetzt versorgen, als später noch mehr Last mit ihm zu haben, weil wir es nicht getan haben. Varoufakis bleibt in dem "we should feed them" bis zum Schluß der Passage stecken, in dem die einen für die anderen sorgen.

Statt dieser Perspektive könnten wir für das BGE anders argumentieren, in dem wir herausstellen, dass es darum geht, wie wir die Autonomie in einem Gemeinwesen am besten fördern können, eine Autonomie, die ein wesentlicher Aspekt von Demokratien ist. Das ist eine Perspektive, die alle betrifft, nicht die "Versorgungsbedürftigen".

Sascha Liebermann

8. April 2016

3Sat Kulturzeit über Grundeinkommen

Ziemlich sicher am 13., eventuell am 14. April soll im Rahmen der 3Sat-Sendung Kulturzeit ein Beitrag zum Grundeinkommen gesendet werden. Thema darin ist die bevorstehende Volksabstimmung in der Schweiz, zu der Sascha Liebermann interviewt wird.

"Bedingungsloses Grundeinkommen setzt falsche Anreize...

...Die Initiative zur Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens lehnt economiesuisse vorbehaltlos ab. Für die Finanzierung eines derart umfassenden neuen Sozialwerks müsste die Schweiz jährlich einen dreistelligen Milliardenbetrag aufbringen. Die dafür nötigen Steuererhöhungen würden die Konkurrenzfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Schweiz schwer beschädigen. Ausserdem setzt ein bedingungsloses Grundeinkommen Anreize, deren negative Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt kaum abschätzbar sind."

So äußert sich der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse zur Volksinitiative, die am 5. Juni zur Abstimmung steht.

7. April 2016

"Nur das Grundeinkommen kann den Sozialstaat retten"...

...so Thomas Straubhaar in Die Welt.

Jüngere Kommentare von Sascha Liebermann zu Thomas Straubhaars Überlegungen zum Grundenkommen finden Sie hier, hier und hier.

6. April 2016

"Man kann nicht alles haben – Frau auch nicht...

...Work, Life, Balance? Familie und Beruf – beides ist mehr Erfüllung, als man stemmen kann. Frauen müssen sich entscheiden. Ein Kommentar".

Auch wenn es zuerst den Eindruck erweckt, als gehe es vor allem um die Mütter, betrifft der Kommentar von Karin Truscheit zur vermeintlichen Vereinbarkeit von Familie und Beruf in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ebenso die Väter. Selten wurde so klar herausgestellt, dass Elternschaft eine Entscheidung verlangt, weil beides - Familie und Beruf - nicht gleichermaßen zu haben ist. Die Autorin schreibt:

"Und das ist das zweite Unerträgliche in der Debatte: das Werten und Entwerten, das Schönreden, wenn es um die Frage geht: Wie viel Karriere kann eine Mutter überhaupt machen? Man kann, als Mutter oder Vater, ganz viele Kinder haben und trotzdem eine Fernsehshow moderieren oder ein Ministerium leiten. Vorausgesetzt allerdings, die meiste Zeit kümmern sich andere um die Kinder. Karriere und Kinder finden zur gleichen Tageszeit statt.

Auch „Job-sharing“-Modelle werden dieses Dilemma kaum lösen, solange an diesen Stellen das Mutti-Etikett klebt, da es vor allem die Frauen sind, die so Karriere machen wollen. Das größte Problem bleibt jedoch selbst bei geteilten Führungspositionen die Unteilbarkeit dessen, was Kinder und Karriere gleichermaßen fordern – viel Zeit. Als Mutter oder Vater muss man sich für das eine, das Großziehen überwiegend selbst zu übernehmen, oder das andere, die klassische Karriere, entscheiden."

Damit ist zu der Diskussion über die "Vereinbarkeit" von Familie und Beruf (siehe hier und hier) beinahe alles gesagt - denn "vereinbar" im Sinne der Vorstellung, beides sei gleichermaßen zu haben, sind sie nicht. Selbst allerdings wenn auf Karriere verzichtet wird, drängt einen unsere Überhöhung von Erwerbstätigkeit, uns in eine Richtung zu entscheiden. Man rechne nur einmal hoch, was es für das Familienleben heißt, vollerwerbstätig zu sein. Bei einer Arbeitszeit von 40 Stunden in der Woche ist man etwa 50 Stunden (Arbeitszeit, Pause, Pendeln zum Arbeitsplatz) abwesend von zuhause. Wer also morgens zwischen 7 und 8 Uhr aus dem Haus geht, kehrt zwischen 17 und 18 Uhr zurück. Von Stau und verspätetem Nahverkehr sehen wir ab.

Faktisch heißt das, dass der erwerbstätige Elternteil vom Familienleben so gut wie nichts mitbekommt. Für die Kinder je nach Lebensalter ist die Abwesenheit eine besonders krasse Entbehrung, denn sie haben ein unendliches Bedürfnis, mit den Eltern gemeinsam Zeit zu verbringen. Das heißt nicht, dass ständig gemeinsam gespielt oder etwas unternommen werden muss. Ansprechbar sollen Eltern sein, nah sollen sie sein, beim Spielen einfach dabeisein. An der Entbehrung ändert auch die von Bindungsforschern attestierte Bindungsfähigkeit von Kinden zu Personen außerhalb der Familie nichts. Denn diese Personen sind nicht die Eltern, von denen die Kinder sich später einmal ablösen müssen, um erwachsen zu werden. Darüber hinaus konstituieren sich die Beziehungen zu Erziehern gänzlich anders. Erzieher erbringen eine Dienstleistung, sie haben eine Dienstzeit und Feierabend, sind in ihrer Aufgabenwahrnehmung austauschbar. Sie kümmern sich um Kinder, die eine Einrichtung besuchen, ganz gleich, welche das sind. Sicher, auch ihnen wachsen die Kinder ans Herz, mit denen sie täglich Zeit verbringen, es ist letztlich aber eine Dienstleistungsbeziehung. Für die Kinder hingegen ist diese Austauschbarkeit, die zum Berufsleben dazugehört, nicht selbstverständlich, sie ist durchaus krisenhaft, denn Kinder gehen immer davon aus, dass andere ihretwegen da sind.

Wenn Eltern vollerwerbstätig sind, entbehren Kinder jemanden, der für ihr Leben zentral ist. Das ist eine Folge der Vollerwerbstätigkeit, sie ist nicht zu mildern. Der Verlust an gemeinsamer Zeit ist einer an gemeinsamer Erfahrung, sie lässt sich eben nicht organisieren (siehe hier), wie manche meinen, die die Quality Time preisen. Da Eltern in ihre Elternsein zuerst einmal hineinfinden müssen, auch das braucht Zeit, erschwert lange Abwesenheit diesen Erfahrungsprozess, der auch für Eltern krisenhaft ist, zum einen wegen den vollständig neuen Situation, der umfassenden Fremdbestimmung durch die Bedürfnisse der Kinder, zum anderen weil das Elternwerden eigene Kindheitserinnerungen verlebendigt, nicht nur angenehme, auch unangehme.
Die Kinder verändern sich schnell in den ersten Jahren - und wieder braucht es Zeit, um diese Erfahrung zu machen.

Vollerwerbstätigkeit staucht die gemeinsame Zeit zusammen. Schon das gemeinsame Frühstück wird schnell hektisch (Kinder im Kitaalter spielen morgens gerne ausdauernd), das Mittagessen fällt aus und zum Abendessen ist man gerade wieder zurück. Wenn auch Teilzeittätigkeit (sofern sie von der Einkommensseite her ausreicht) mehr Zeit miteinander verschafft, erhöhrt sie den Koordinationsaufwand, es bedarf mehr Abstimmung, wodurch die gewonnene Zeit stärker organisiert werden muss. Dieser Befund besagt nicht, was jemand tun sollte, er besagt nur, was er in Kauf nehmen muss, wenn er sich für beides Familie und Beruf entscheidet. Das macht den Kommentar von Karin Truscheit so wertvoll. Sie macht klar, dass man sich entscheiden muss. Wer anderes behauptet, ist fern der Realität. Sicher kann man Kinder haben und sie durch andere versorgen lassen, um der Karriere nachzugehen. Das muss jeder selbst wissen, sollte aber nicht kleinreden, was das bedeutet.

Gleichwohl sind wir nicht so frei, diese Entscheidungen zu treffen, wie der Kommentar nahelegt, denn die Stellung von Erwerbstätigkeit ist normativ überhöht. Erwerbstätig zu sein gilt als besonders wertvoll. Wer erwerbstätig ist, macht alles richtig, auf jeden Fall leistet er etwas Sinnvolles, trägt zum Gemeinwohl bei. Das gilt für die Entscheidung, für Kinder zuhause zu bleiben, heute nicht mehr, denn die Überhöhung von Erwerbstätigkeit sorgt zugleich für eine normative Abwertung des Engagements in der Familie. Das zeigt sich in aller Deutlichkeit daran, wodurch in unseren Systemen sozialer Sicherung Ansprüche auf Einkommensleistungen erworben werden: vorrangig durch Erwerbstätigkeit. Das zeigt sich ebenso deutlich in der Bildungsrhetorik, die in Frühförderung nach wie vor das Nonplusultra erkennt.

Wenn es also um eine Entscheidung geht, die getroffen werden muss, ob und wann in welcher Lebensphase einem Beruf oder Familie wichtiger sind, dann stellt sich die Frage, wie es möglich ist, sich ihr so freigelassen wie möglich stellen zu können? Gegenwärtig stellt sich diese Entscheidung stets vor dem Hintergrund der normativen Geltung von Erwerbstätigkeit. Hier nun kommt das Bedingungslose Grundeinkommen ins Spiel, denn es zieht keine bestimmte Lebensführung einer anderen vor. Erwerbstätigkeit würde nicht mehr auf dem Sockel stehen, nicht mehr als der höchste Zweck gelten, zu dem sie heute gemacht wird. Weder nimmt ein BGE die Zumutung von einem, Entscheidungen treffen zu müssen, noch enthebt es einen der Folgen solcher Entscheidungen, die jeder aushalten muss. Es befreit jedoch von der normativen Hinleitung der Lebensführung in eine bestimmte Richtung. Nicht mehr Erwerbsätigkeit über alles würde gelten, sondern Selbstbestimmung in Gemeinschaft, denn das BGE ist eine gemeinschaftliche Angelegenheit, es ist nicht individualistisch und dennoch Individualität fördernd. Es ist nicht kollektivistisch und dennoch Vergemeinschaftung fördernd.

Sascha Liebermann

5. April 2016

JUSO Schwyz unterstützt Eidgenössische Volksinitiative "Für ein bedingungloses Grundeinkommen"

Die "JungsozialistInnen Kanton Schwyz" spricht sich für die Annahme der Volksiniative aus: Aus der Meldung:

"Entgegen der JUSO Schweiz und dem Grossteil der SP-Bundeshausfraktion unterstützen wir das bedingungslose Grundeinkommen (BGE). Dies vor allem aus zwei Gründen: Erstens bedeutet es eine Machtumverteilung von oben nach unten, indem die arbeitende Bevölkerung besser abgesichert wird und dadurch extrem schlechte Arbeitsbedingungen nicht mehr widerstandslos akzeptiert werden müssen. Zweitens hilft es, der Arbeit wieder mehr Sinn zu geben, weil sie durch ein BGE gezwungenermassen aufgewertet werden muss."

"Mit der Idee des Grundeinkommens könnten Menschen wieder kreativ und handwerklich arbeiten"...

...so Britta Steilmann, die einige Jahre das Familienunternehmen Steilmann-Verwaltungs-GmbH & Co. KG führte, in einem Interview im Tagesspiegel. Hier die entsprechende Passage:

"Steilmann: [...] Wir lernen und entwickeln uns durch das Tun. Mit der Idee des Grundeinkommens könnten Menschen wieder kreativ und handwerklich arbeiten.

Tagesspiegel: Was hat das Grundeinkommen, also die Idee, dass jeder Mensch Geld bekommt auch ohne Arbeit, damit zu tun?

Steilmann: Ich bin fest davon überzeugt, dass die handwerkliche Arbeit Menschen Freude macht und gut tut. Für viele industrielle Visionen müssen wir allerdings unser System ändern. Wir besteuern Arbeit, die immer mehr schwindet. Das ist falsch, und wir halten an falschen gesellschaftlichen Ideen fest, die in ganz anderen Zeiten geboren wurden. Und versuchen verzweifelt, das was nicht funktioniert effizienter zu machen. Das ist schon verrückt."

4. April 2016

"BGE: eine attraktiv erscheinende, aber nicht realisierbare Utopie"...

...so der Prof. em. Gebhard Kirchgässner auf Batz.ch. Kirchgässner veröffentlichte gemeinsam mit Florian Habermacher im August 2013 ein umfangreicheres Papier zum Grundeinkommen mit dem Titel "Das garantierte Grundeinkommen: Eine (leider) nicht bezahlbare Idee)" veröffentlicht. Liest man den Beitrag, wird deutlich, dass das Bedauern nur hämisch gemeint sein kann. Siehe den Kommentar von Sascha Liebermann dazu.

2. April 2016

"Aus dem Geist der Demokratie" - Buchauszüge ins Japanische übertragen

Yoshimi Bessho, Professor an der Nagoya City University, hat Auszüge des Buches von Sascha Liebermann, in denen es um Demokratie geht, ins Japanische übertragen. Hier geht es zur Datei.

1. April 2016

"DIE GRÖSSTE FRAGE DER WELT"...

...eine Crowdfunding-Aktion für die größte Frage der Welt.

Von der Website: "Wir drucken die größte Frage der Welt als Guinness-Weltrekord auf das größte Plakat der Welt: WAS WÜRDEST DU ARBEITEN, WENN FÜR DEIN EINKOMMEN GESORGT WÄRE? Diese größte Frage der Welt, die das bedingungslose Grundeinkommen stellt, wird 120x55m groß (so groß wie ein Fußballfeld) und 4,5 Tonnen schwer (so schwer wie eine Elefantenkuh)!"


Das Plakat soll nach der Aktion in Taschen und Rucksäcke verarbeitet werden, die auf der Website schon reserviert werden können.