31. März 2017

Wie entscheidet sich, ob eine Lösung die beste ist, politisch oder technisch-funktional?

Lässt sich das überhaupt so gegeneinander stellen, wie es die Überschrift behauptet? Bei der Frage, um die es hier geht, soll mit der Antwort etwas herausgehoben werden, das in öffentlichen Diskussionen nicht selten untergeht. Nicht nur beim Bedingungslosen Grundeinkommen stellt sich die Frage nach der Finanzierung, sie wird immer gestellt, wenn es darum geht zu gestalten. Allerdings kann sie kaum beantwortet werden, wenn nicht klar ist, was gestaltet werden soll. Insofern ist der Hinweis von Thomas Straubhaar, den er jüngst in einem Gespräch bei Phoenix über das Grundeinkommen gab, zutreffend: Ohne über die Gestaltung befunden zu haben, ist über die Finanzierungsrechnung nichts zu sagen, denn sie muss ja der Gestaltung gemäß sein. So weit, so gut. Auch in der allgemeinen Diskussion zu Gestaltungsfragen des Zusammenlebens wird allzuschnell mit der Finanzierungsfrage jegliches Nachdenken abgewürgt. Das kann einen dazu bringen anzunehmen, dass, wenn die Finanzierungsfrage geklärt wäre, diejenigen nichts mehr einzuwenden hätten, die einen Gestaltungsvorschlag zuvor noch abgewehrt haben.

In der BGE-Diskussion wird das ebenso vertreten, wie eine Diskussion erkennen ließ, die anlässlich eines Blogbeitrags von Baukje Dobberstein entstand (Kommentare sind leider nicht mehr sichtbar, siehe auch hier). Diese Diskussion gehört zur BGE-Debatte wie das BGE selbst, wie ich aus eigener Erfahrung weiß. Gibt es denn plausible Überlegungen, die die Behauptung stützen, dass mit einer soliden Finanzierungsrechnung die entscheidenden Einwände der Kritiker ausgeräumt werden könnten?

In der Tat kann diesen Eindruck gewinnen, wer an Grundeinkommensveranstaltungen teilnimmt, darüber Gespräche mit anderen führt oder sich mit Publikationen auseinandersetzt . Die Finanzierungsfrage kommt meist sehr schnell, oft als erste auf den Tisch, noch bevor klar geworden ist, worum es bem BGE genau geht. Das müsste einen schon stutzig machen. Wie erklärt man dieses sonderbare Missverhältnis, etwas schon per Finanzierungseinwand pauschal aburteilen zu können, ohne sich damit genauer beschäftigt zu haben?

Wir haben schon zu Beginn unseres Engagements in den Jahren 2003 bis 2006 diese Erfahrung selbst immer wieder gemacht, und zwar anhand des Ulmer Transfergrenzenmodells. Mit Helmut Pelzer diskutierten wir über das Modell und trugen in Gestalt von Ute Fischer zu seiner Fortentwicklung bei. In Veranstaltungen haben wir, wenn die Finanzierungsfrage aufgeworfen wurde, uns dann häufig auf dieses Modell gestützt und es grob erklärt. Es waren häufig gerade diejenigen, die eine Finanzierungsrechnung einforderten, die uns zugleich entgegneten, dass sie der Berechnung keinen Glauben schenken. Diese Einschätzung wurde ungefähr genauso schnell geäußert, wie zuvor der Finanzierungseinwand vorgebracht worden war. Wer sich mit solchen Modellen nicht beschäftigt oder dazu ein ausgeprägtes Vorwissen mitbringt, kann im Grunde nicht aus dem Stand beurteilen, ob eine Berechnung trägt. Deswegen ist es auch einigermaßen anspruchsvoll, darüber in Vorträgen zu diskutieren. Nicht nur geht es um die Rechenschritte, die vollzogen werden müsen, es geht ja auch um die Qualität der Daten, die verwendet werden und um die Zusammenhänge, die für die Berechnung vorausgesetzt oder behauptet werden.

Wer eine gewisse Vorbildung für solche Fragen nicht hat, für den ist es ungleich schwerer, wenn nicht gar unmöglich, etwas zu Finanzierungsmodellen zu sagen. Und die meisten Zuhörer beschäftigen sich damit gar nicht. Dennoch aber wird schnell behauptet, dies oder jenes sei nicht zu finanzieren. Und selbst Experten, die sich qua Beruf mit der mathematischen Seite solcher Modelle befassen, berücksichtigen darin häufig normative Folgen nicht.

Woher rührt dann aber bei die sonderbare Gewissheit, dass die Finanzierungsfrage an erster Stelle stehe und deswegen zuerst beantwortet werden müsse? Wie oben schon erwähnt, geht es bei Finanzierungsrechnungen um Gestaltungsfragen, das sind Fragen danach, ob etwas in dieser oder jeder Form gewollt ist, ob es für richtig gehalten wird. Es geht also um Wertvorstellungen, die immer Gerechtigkeitsvorstellungen beinhalten. Ein Finanzierungsmodell kann noch so konsistent und tragfähig sein, es muss deshalb noch lange nicht für richtig befunden werden bezüglich der Gestaltungsfrage, zu deren Lösung es beitragen soll. Häufig werden beide Aspekte derart vermengt, dass sie, um eine Argumentation einschätzen zu können, zuerst einmal wieder voneinander getrennt werden müssen. Das ist wie bei vielen Studien auch der Fall gewesen bei derjenigen, die Florian Habermacher und Gebhard Kirchgässner von der Universität St. Gallen (siehe meine Anmerkung) vor wenigen Jahren vorgelegt haben. Die Berechnung traf bestimmte Annahmen darüber, warum Menschen auf eine bestimmte Weise und aus bestimmten Gründen handeln. Und diese Annahmen führten dann zu bestimmten Schlussfolgerungen, die nicht hätten gezogen werden können, wenn diese Annahmen nicht getroffen worden wären. Dasselbe gilt für die Bewertung von Ergebnissen, sei es solcher Berechnungen, sei es von Feldexperimenten wie denen in Nordamerika, den sogenannten Negative-Income-Tax-Experiments. Selbst die Einschätzung der Befunde hängt davon ab, was als wünschenswert betrachtet wird, wie Karl Widerquist gezeigt hat. Aus Sicht desjenigen, der die Erwerbsteilnahme alleinerziehender Mütter, um ein Beispiel zu nennen, für erstrebenswert hält, ist der Rückgang ihres Arbeitsangebots unerwünscht. Aus Sicht desjenigen, der durch ein BGE Freiräume dafür ermöglicht sieht, auf Erwerbstätigkeit zu verzichten und dafür für die Kinder da zu sein, ist er erwünscht. Das dies schon Bewertungen beinhaltet und nicht mehr nur Analyse ist, kann schnell übersehen werden.

Nun werden genau diese Bewertungen und dahinter liegende Überzeugungen in der öffentlichen Diskussion in ihrer Beharrlichkeit häufig unterschätzt. Das führt manche Befürworter dazu anzunehmen, dass es schon eine Mehrheit für das BGE gebe, andere dazu, auf das Grundgesetz hinzuweisen, demzufolge schon ein Grundeinkommen garantiert werde, allerdings ein von Erwerbsarbeit abgeleitetes, also bedarfgeprüftes. Wenn das Bundesverfassungsgericht vor wenigen Jahren wieder den Anspruch auf ein "menschenwürdiges Existenzminimum" als "unverfügbar" (siehe hier und hier) bezeichnet und seine Ausgestaltung zur Aufgabe des Gesetzgebers erklärt hat, dann folgt daraus allerdings nicht notwendig, dass das Existenzminimum bedingungslose bereitgestellt werden müsste, zumindest nicht nach Rechtslage.

Es kann also keine Rede davon sein, dass es "nur" darauf ankomme, die Bedarfsprüfung aufzuheben, dann stünde dem BGE nichts mehr entgegen. Es ist gerade die Bedarfsprüfung, es ist die Nachrangigkeit sozialstaatlicher Leistungen, die dem heutigen Verständnis davon, was gerecht ist, entspricht. Es sind gerade diese Bedingungen, die heute zu Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe führen oder auch zum Anspruch auf Arbeitslosengeld I. Sie stehen dem BGE beinhart entgegen, weil Gerechtigkeitsvorstellungen tief in unseren Überzeugungen verwurzelt sind. Da dürfen bestimmte Dinge einfach nicht sein. Daran ändert nichts, dass manche, die sich gegen das BGE aussprechen, sich offenkundig selbst widersprechen (siehe z. B. hier, hier, hier, hier und hier) und im Grund damit Belege für das BGE bieten.

In der Diskussion um ein BGE geht es also nicht zuerst und nicht vor allem um ein optimales Finanzierungsmodell, um die Kritiker zu überzeugen. Denn darauf lassen sie sich häufig schon gar nicht ein, weil das "Was" schon für ein Unding gehalten wird. Der Einwand, das BGE sei nicht zu finanzieren, ist meiner Erfahrung nach immer Symptom für einen Abwehrreflex. Deswegen führt kein Weg daran vorbei, es muss für ein BGE geworben werden in dem Sinne, das aufgezeigt wird, was es verändern würde im Verhältnis zum Bestehenden und welche Möglichkeiten es böte. Dass ein BGE unserem Lebensgefüge gemäß ist, ihm viel mehr entspricht als der überkommene Sozialstaat in seiner Erwerbszentrierung, das argumentativ hervorzugeben ist wichtig und der Verweis auf das Grundgesetz in diesem Sinne richtig, aber nicht ausreichend. Das ist weder eine juristische, noch eine steuerlich-technische oder mathematische Diskussion - es ist eine politische in dem Sinne, für einen Vorschlag zu werben, den man für richtig hält. Wenn dieser Schritt dann gewollt ist, dann sind all die Finanzierungsüberlegungen und ausgearbeiteten Modelle hilfreich, um Finanzierungsaufwand und -ertrag abzuschätzen. 


Das Menschenbild des Grundeinkommens ist eben nicht weltfremd oder muss erst noch erreicht werden, es ist Fundament unserer politischen Ordnung, das sehen wir bislang noch kaum. Von hier aus ist es in der Tat ein kleiner Schritt zum BGE und dennoch ein großer, weil bestimmte Vorstellungen aufgegeben werden müssen, damit dieser Schritt möglich ist.

Sascha Liebermann