28. Februar 2017

"Obrigkeit" und "Nanny-Staat": Thomas Sattelberger hat die Demokratie nicht verstanden

Thomas Sattelberger, vielfältig engagierter ehemaliger Manager u. a. bei der Deutschen Telekom, hat sich in einer Kolumne im manager magazin mit der Diskussion um das Bedingungslose Grundeinkommen befasst. Der Titel seines Beitrags, "Arbeit statt Opium", lässt keinen Zweifel daran aufkommen, wohin die Überlegungen führen. Von einer eingehenden Auseinandersetzung mit dem BGE zeugt der Beitrag nicht (siehe auch hier), ohne Unterstellungen kommt er ebenfalls nicht aus.

So schreibt er über die "Silicon-Valley-Heroen", dass sie "mit der sozialen Maske des Grundeinkommens die Folgen ihres unsozialen Plattformkapitalismus vergesellschaften" wollen. Es mag solche Stimmen geben, aber allen dies vorzuhalten kommt doch einem Haudrauf gleich. Und wenn Sattelberger besonders unter "Grüne[n] und Altlinke[n]" diejenigen sieht, die "die Befreiung von (Lohn-)Abhängigkeit und Erpressbarkeit" erhofften, dann übersieht er, wie breit die Debatte mittlerweile ist und die genannten bislang nicht zu den großen Unterstützern des BGE gehörten, sieht man von Einzelnen ab.

Von der einfachsten Sorte ist Sattelbergers Vorwurf an "deutsche Unternehmensführer", mit dem BGE einen Vorschlag zu unterstützen, der eine "Gesellschaft" entstehen lasse, "die, ohne eine Leistung zu erwarten, die Existenz von Individuen absichert". "Leistung" ist hier, wie unschwer zu erkennen ist, ausschließlich als Erwerbsleistung gedacht, sonst hätte Sattelberger das so nicht schreiben können. Sie entsteht offenbar nur, wenn die Existenz von "Individuen" nicht abgesichert ist. Interessen an einer Tätigkeit, weil sie für richtig und wichtig erachtet wird, scheint es in seinen Augen nicht zu geben, allenfalls als Ausnahmefall wird sie zugestanden. Davon einmal abgesehen fallen alle anderen Leistungsformen, die für unser Zusammenleben ebenso unersetzlich sind, unter den Tisch.

Sattelberger wettert gegen "ein naives gesellschaftliches Modell eines Nanny-Staats, in dem Menschen von der Obrigkeit oder von den Tech-Plutokraten alimentiert werden". Nur, wer ist die "Obrigkeit" in einer Demokratie? Legitimationsquelle ist der Volkssouverän, das ist die höchste "Obrigkeit". Genauso ist es im Grundgesetz niedergelegt, das sich der Souverän gegeben hat und das ihn schützt. In diesem Sinne sieht der demokratische verfasste Staat gerade nicht vor, den Bürgern eine bestimmte Lebensform vorzuschreiben, zumal die Rede von der Nanny unterstellt, die Bürger seien nicht mündig. Das sind sie in der Demokratie aber qua Stellung, die sie darin einnehmen. Die Mündigkeit wird ihnen auch abverlangt. Weder das Grundgesetz noch das BGE sind also Ausdruck eines "Nanny-Staats", die Obrigkeit kommt von unten, wenn man so will. Von dieser Demokratie hat Sattelberger offenbar noch nichts gehört oder ihre Grundlagen nicht verstanden.

Interessant wird es, wenn Sattelberger angesichts der "Digitalisierung"  "eine Riesenaufgabe nicht nur für (Hoch-)Schulen, sondern auch für die betriebliche Weiterbildung und die qualitative Personalplanung" erkennt: 

"Bildungsinstitutionen und Unternehmen stehen in der Verantwortung, den Erwerb interdisziplinärer Fachkompetenz mit ethisch und moralisch fundierter Lernkultur zu verknüpfen – für eine menschenwürdige Zukunft der Arbeit. Gerade Wirtschaftslenker dürfen hier nicht einem technizistischen Determinismus verfallen."

Wer hätte im Großen und Ganzen etwas gegen dieses Anliegen? Weshalb aber den Appell an Unternehmen und "Wirtschaftslenker" richten, als seien sie die Speerspitze derer, die wüssten, welche Bildung wichtig ist. Waren es nicht die Interessenverbände der Wirtschaft, die in den letzten Jahren sich zuerst für Bachelor- und Masterstudiengänge starkgemacht haben, unbedingt kürzere Studienzeiten wollten, um dann festzustellen, dass der falsche Weg beschritten wurde? Waren es nicht dieselben Verbände, die von Hochschulabsolventen eine größere Nähe zu den Erfordernissen der Wirtschaft erwarteten, um dann festzustellen, dass sie zu stromlinienförmig werden? Menschenwürdig wird die "Zukunft der Arbeit" dann sein, wenn Arbeitnehmer sich unwürdigen Bedingungen verweigern bzw. über widrige verhandeln können. Heute sitzen sie in vielerlei Hinsicht am kürzeren Hebel. Das aber sieht Sattelberger nicht.

Es bedarf nicht, wie er dann schreibt, einer "öffentlichen Debatte über ganz neue Gesellschaftsmodelle". Hätte er seine Augen auf die Grundlagen unseres Zusammenlebens heute gerichtet, dann hätte er ein "Gesellschaftsmodell" erkennen können, das längst auf die Anforderungen der Zukunft vorbereitet ist und längst praktiziert wird. Es ist gerade die Verfasstheit der Demokratie, die Pluralität fördert, dadurch die besten Bedingungen dafür schafft, dass Neues entstehen kann. Lebensführung heute ist Lebensführung angesichts einer enormen Autonomieerwartung an den Einzelnen, die Grundlage der Demokratie ist und im Grundgesetz zum Ausdruck kommt. Wenn Sattelberger Zweifel daran hat, ob die heutige Form der Sozialpartnerschaft noch für die Herausforderungen geeignet ist, dann wäre es naheliegend, im BGE eine Chance zu sehen, die aus dem Geist der Demokratie erwächst. Dass zu erkennen setzt jedoch voraus, nicht mehr die Erwerbstätigen im Zentrum zu sehen, sondern die Bürger. Dazu müsste ihre Mündigkeit ernstgenommen werden, statt sie paternalistisch zu unterlaufen.

Sascha Liebermann

"Gib' Arbeit keine Chance"


27. Februar 2017

Rayk Anders über Grundeinkommen "Geld für's Faulsein"?


"...a basic income should be given to all Ontarians living in poverty"...

...darum geht es beim Basic Income trial in Ontario, Canada, folgt man einem Bericht von Apolitical. Wobei noch nicht entscheiden zu sein scheint, wie genau das Projekt angelegt sein wird.

24. Februar 2017

"Mehrheit der Deutschen für bedingungsloses Grundeinkommen" - oder auch dagegen, je nachdem

WirtschaftsWoche online zitiert eine entsprechende "repräsentative Umfrage" des Cashbackportals shoop.de, die davon berichtet, wie groß die Zustimmung zum BGE sei. In die Studie selbst erhält man keinen Einblick, man weiß also nicht genau, was gefragt und wie das BGE erklärt wurde. Es ist nicht lange her, da wurde eine Umfrage mit gegenteiligem Ergebnis präsentiert, siehe hier. Oder vielleicht doch besser diese Umfrage nehmen, die positiver ausfiel, siehe hier. Die könnte dann mit einer anderen wieder verbunden werden, siehe hier.

Diese Meinungsumfragen, darüber habe ich schon öfter geschrieben, sind vollkommen nichtssagend - das hat methodische Gründe (siehe hier). Sie erfragen etwas, ohne dass sich der Befragte dazu verbindlich verhalten muss. Sie halten nicht tatsächliche Entscheidungen fest, sondern beschäftigen sich nur mit hypothetischen Welten im Sinne von "Was wäre wenn...?". Aus Zustimmung bzw. Ablehnung zu einer Frage folgt nichts - so oder so hat es keine Auswirkungen, die verantwortet werden müssen. Für das Leben kommt es aber stets auf darauf an, was tatsächlich getan wird, was also zu verantworten ist. Solange man etwas nicht konkret verantworten muss, kann man große Reden halten, das ist ein bekanntes Phänomen. Man kann gegen dieses und jenes oder auch für dieses und jenes sein. Doch wie sieht es aus, wenn es nicht beim Reden bleibt, sondern eine Entscheidung verantwortet werden muss?

Deswegen ist es ein eklatanter Unterschied, ob jemand befragt wird, nachdem er eine Entscheidung getroffen hat, wie z. B. bei Wahlen, wenn Wähler gerade das Wahlbüro verlassen haben. Oder ob er befragt wird, ohne dass eine konkrete Entscheidung bevorsteht. Was könnte aus diesen methodischen Eigenheiten von Meinungsumfragen folgen? Sie sollten als das genommen werden, was sie sind: als unverbindliche Befragungen, in denen man nichts darüber erfährt, weshalb jemand die Antwort gegeben hat, die er gegeben hat. Sie sagen nichts darüber aus, was die Befragten tatsächlich täten, wenn... . Deswegen ist es ein Akt der Mündigkeit, sie in ihre Schranken zu verweisen, was viel zu wenig geschieht. Oder am besten: gar nicht erst teilnehmen, wenn man darum gebeten wird. Auch das ist klärend.

Sascha Liebermann

"Es geht um Freiheit in der Arbeit"...

...Interview mit Philip Kovce bei n-tv über das mit Daniel Häni gemeinsam verfasste "Manifest zum Grundeinkommen". Siehe auch den Bericht der Schweizerischen Handelszeitung.

23. Februar 2017

Grundeinkommensprojekt in Kenia von GiveDirectly

Hierzu gab es verschiedene Meldungen in jüngerer Zeit. Die Basic Income News berichteten darüber, ebenso die Süddeutsche Zeitung. Noch hat GiveDirectly die Mittel für dasProjekt nicht zusammen, steht aber offenbar kurz davor. In der Berichterstattung wird hervorgehoben, was die Feldversuche leisten, welche Einsichten sie zutage fördern könnten usw. Über den eigenartigen Charakter solcher Projekte, die Entwicklungshilfevorhaben ähneln, nicht von den Regierungen der Länder, in denen sie stattfinden, finanziell unterstützt werden usw. wird wenig bis gar nichts geschrieben, das ist verwunderlich. Sascha Liebermann hat sich dazu mehrfach geäußert, siehe hier und hier

22. Februar 2017

21. Februar 2017

"Niemals frei"...

...unter diesem Titel veröffentlicht Zeit online einen Einblick in den Alltag von Rentnern, deren Rente nicht ausreicht, weil ihr Leben die eine oder andere unerwartete Wendung genommen hat.

"Grundeinkommen in der Schweiz: Wie weiter?"...

..."Analyse, Reflexion und ein Ausblick" von Che Wagner, veröffentlicht auf grundeinkommen.ch. Der Beitrag gibt Einblick in die Schweizer Diskussion vor der Volksabstimmung im letzten Juni und eröffnet eine Aussicht darauf, was nun folgen könnte.

Dass Volksabstimmungen Schritte erlauben, die dort, wo dieses Initiativrecht fehlt, nur auf Umwegen möglich sind, ist unbestritten. Deswegen aber repräsentative Demokratien damit gleichzusetzen, dass das Volk darauf warten müsse, bis "Eliten" bereit seien, Veränderungen herbeizuführen, wie Che Wagner schreibt, halte ich für überzogen. Denn diese "Eliten" sind gewählte Repräsentanten, die sehr wohl auf öffentliche Debatten reagieren und durch sie gedrängt werden können, Fragen aufzugreifen. Genau das war ja ein Ergebnis der jüngeren Grundeinkommensdiskussion nach der Jahrtausendwende, die mit wenigen Aktiven begann und sehr früh schon erstaunliche Resonanz erhielt, denn Parteien, Interessenverbände und die Kirchen nahme Stellung zum BGE. Heute kann der Vorschlag als etabliert gelten, obwohl er noch keine Mehrheiten findet, weder in der Schweiz noch in Deutschland.

Direkte oder repräsentative Demokratie - in beiden zählen Mehrheiten. Auf sie kommt es an. Es kommt einer Verklärung gleich zu meinen, in repräsentativen Demokratien gäbe es Mehrheiten, die sich gegenwärtig nicht artikulieren könnten, da es keine Volksabstimmungen gibt, wie man manchmal lesen kann.

Sascha Liebermann

20. Februar 2017

Andres Veiel über Joseph Beuys und das Bedingungslose Grundeinkommen

In einem Interview mit dem Tagesspiegel, "Die Kunst des Hakenschlagens", spricht Andres Veiel über seinen neuen Film über Joseph Beuys. Darin sagt er auch dies:

"...Beuys ging ja noch weiter. Er sagte, das Denken ist eine kreative Kraft, jeder Mensch hat das Potenzial, Gesellschaft zu gestalten und deshalb hat jeder das Anrecht auf Kredit. Niemand verstand, dass er keinen Bankenkredit meinte, sondern ein bedingungsloses Grundeinkommen."

"Robotik-Bericht: Nein zum bedingungslosen Grundeinkommen"...

...meldet EurActiv:

"In dem Dokument schlug man vor, neue Beschäftigungsmodelle zu diskutieren und die Nachhaltigkeit bestehender Steuer- und Sozialmodelle zu bewerten – „ausgehend von der Existenz eines ausreichenden Einkommens, einschließlich der möglichen Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens“.
Insgesamt 286 EU-Abgeordnete stimmten dafür dieses Konzept, 328 dagegen und acht enthielten sich. Das Konzept war ursprünglich vom Rechtsausschuss des Parlaments angenommen worden. Am Vorabend der Abstimmung betonte die luxemburgische Sozialistin noch einmal, wie wichtig eine Diskussion über die Frage sei, wie man den Bürgern angesichts schwindender Arbeitsplätze ein ausreichendes Einkommen sichern könne."

17. Februar 2017

"Bedingungsloses Grundeinkommen: Sozial abgesichert in der Zukunft oder unbezahlbare Utopie?"...

...ein MDR-Kultur Spezial vom 16. Februar, in dem Gespräche mit Philip Kovce, Wolfgang Strengmann-Kuhn und der Grundeinkommensinitiative Nordhausen geführt werden.

16. Februar 2017

"Heilserwartung", "sozialpolitische Widerstände" - und blinde Flecken

Stefan Sell, der das Blog "Aktuelle Sozialpolitik" betreibt, hat sich in einem längeren Artikel "Zwischen Heilserwartung und sozialpolitischen Widerständen" mit den Beiträgen in jüngster Zeit zum Bedingungslosen Grundeinkommen befasst. Der Titel kommt zwar etwas reißerisch daher, das erklärt sich jedoch teils aus der Kritik an fundamentalistschen Zügen, die Sell in der Diskussion auf beiden Seiten ausmacht. Er schreibt das zu Beginn:

"Um es gleich an den Anfang dieses Beitrags zu stellen: Hier soll und kann es nicht um eine abschließende Bewertung des Konzepts eines bedingungslosen Grundeinkommens gehen (oder sagen wir besser: der vielen teilweise sehr unterschiedlichen Vorstellungen davon). Zuweilen hat man in der heutzutage sowieso immer gleich von Null auf Hundert beschleunigenden Nicht-Diskussionslandschaft des "Dafür" oder "Dagegen" den Eindruck, dass die Auseinandersetzung mit dem, was unter dem Etikett des "bedingungslosen Grundeinkommens" verhandelt wird, partiell fundamentalistische Züge trägt. Die einen erwarten sich davon die Erlösung von Hartz IV und dem Erwerbsarbeitsjoch unserer Tage, die anderen sehen den Totalabriss der bestehenden sozialen Sicherungssysteme und ein perfides Täuschungsmanöver der Kapitalseite ante portas. Man kann aus guten Gründen die Debatte über ein bedingungsloses Grundeinkommen mit großer Sympathie verfolgen für den gedanklichen Grundansatz, ohne deshalb die skeptischen Stimmen und die Gegenargumente hinsichtlich einer Umsetzbarkeit verdrängen zu müssen."

Da trifft Sell einen Punkt, der sich in der medial aufbereiteten Debatte in der Tat häufiger findet. Wenig pragmatisch wird mit dem BGE umgegangen, hochgejubelt oder verteufelt wird es allzu oft. Es gibt jedoch durchaus eine sachliche, bodenständige Diskussion, die schon länger auslotet, welche Möglichkeiten ein BGE bietet ohne Heilsversprechen zu machen. In dieser Diskussion wird auf Grenzen dessen hinzugewiesen, was sich über tatsächlich eintretende Folgen eines BGE sagen lasst, da diese ja davon abhängen, was die Bürger mit dem BGE machen. Und selbstverständlich spielt die Ausgestaltung eine Rolle. Für diese realistisch-pragmatische Haltung, die auf Grenzen des Bestimmbaren hinweist, wird man dann durchaus ebenso gescholten, denn es sei ja fahrlässig, über die tatsächlichen Folgen nichts sagen zu können. Als hätte man bei Gründung der Bundesrepublik Deutschland gewusst, was aus der Demokratie wird, für ein Gelingen sprach damals nicht allzuviel angesichts dessen, dass das deutsche Volk die Schrecken des Dritten Reiches zu verantworten hatte und nicht in der Lage war, den Krieg zu beenden.

Sell schreibt über die Zustimmung unter Vorständen großer Unternehmen, die Volksabstimmung in der Schweiz, den internationalen Aufwind für die Idee und die Unterstützung aus der IT-Branche im Silicon Valley. Er referiert die Ausführungen Thomas Straubhaars, der jüngst in verschiedenen Tageszeitungen publizierte, sowie die Rezension dessen Buches durch Christoph Eisenring in der Neuen Zürcher Zeitung.

Zu Straubhaars Ausführungen schreibt er an einer Stelle:

"Und man könnte und müsste an dieser Stelle ergänzen: Und noch höhere Steuersätze würden anfallen müssen, wenn man berücksichtigt, dass in einer idealen Welt vielleicht der Normalbürger über das Grundeinkommen halbwegs abgesichert werden kann - was aber ist mit den Behinderten und den Leistungen zur Inklusion, die sie erhalten? Was ist mit Zuschlägen beispielsweise für Alleinerziehende oder andere Personengruppen, die einen höheren Bedarf haben? Und auch wenn es nervt, müsste man die Frage stellen - wie anders als über einen Staatsstreich will man die erworbenen Ansprüche an die Sozialversicherungssysteme - man denke hier nur an die Rentenanwartschaften - beseitigen, um alles zu ersetzen durch ein einheitliches Grundeinkommen?"

Was Straubhaar in seinem Buch zu diesen Fragen sagt, weiß ich nicht. Meines Wissens hat er in jüngerer Zeit deutlich betont, dass es bedarfsgeprüfte Leistungen weiter geben kann und muss, weil ein BGE sie nicht decken könne. Würde das nicht vorgesehen, würde ein BGE eben nicht leisten können, was es leisten soll: Freiräume zu eröffnen, um Entscheidungen breiter treffen zu können als heute.

Und was ist mit erworbenen Ansprüchen? Das ist eine eminent politische Frage. Das BGE könnte einen Teil dieser Ansprüche ersetzen, den Teil, der darüber hinaus besteht, nicht. Es könnte eine Umwandlung der Ansprüche angestrebt werden, wenn das politisch gewollt ist. Oder das Rentenversicherungssystem wird beibehalten, die Rente aber stärker besteuert. Wege sind viele denkbar.

Aber wie ist es mit der heutigen Rente, worüber reden wir da? Die Deutsche Rentenversicherung verfügt über entsprechende Daten (siehe hier, S. 34). So betrug die durchschnittliche Altersrente in Westdeutschland in 2015 787 € (Männer 1040, Frauen 580). Vergleicht man diese Werte mit den von Straubhaar - und früher schon von anderen - ins Spiel gebrachten 1000 Euro BGE pro Monat und Person, lässt sich leicht erkennen, dass Frauen sich erheblich besserstellen würden, Männer würden auf dem heutigen Niveau etwa verbleiben. Auf Haushalte bezogen würde sich die Lage erheblich verändern, da BGEs in einem Haushalt kumulieren, also sich addieren. Ein weiterer Effekt des BGE ist, dass es immer zur Verfügung steht, so wird der Einzelne in den Stand gesetzt, Vermögen aufzubauen, wenn er es will. In Haushalten wirkt dies noch stärker möglich und würde gerade denjenigen zugutekommen, die heute am wenigsten dazu in der Lage sind. Dafür spielt es eine entscheidende Rolle, dass ein BGE für Erwachsene wie Kinder gleichermaßen hoch ist und kein Unterschied in der Höhe gemacht wird. Dann erst würde es Alleinerziehenden auch helfen.

Es gibt noch einen ganz anderen Punkt, der gegen die bisherige Rentenversicherung spricht: Sie ist erwerbszentriert und bezieht andere Tätigkeiten kaum ein. Haushaltstätigkeiten, Sorge um die Familie, um Angehörige - sie finden nur geringe Berücksichtigung. Gemäß dem Motto "(Erwerbs)Arbeit schützt vor Armut" - was nicht stimmt - setzt deswegen die Sozial- und Arbeitsmarktpolitik darauf, die Erwerbsteilnahme weiter zu erhöhen, das betrifft vor allem Frauen, die meist diejenigen sind, die sich um Haushalt und Familie kümmern. Das hat jedoch zur Folge, die Anwesenheiten im familialen Nahraum zu reduzieren, weniger Zeit für die Kinder zu haben, weniger gemeinsame Erfahrungen zu machen. Denn gegenwärtig wird angestrebt, Fremdbetreuung immer früher zu nutzen. So wird indirekt Druck auf diejnigen ausgeübt, die das nicht wollen, aber sehen müssen, dass sie einen Ü3-Platz bekommen können, wenn in derselben Einrichtung auch U3-Betreuung angeboten wird. Denn die U3-Kinder wachsen in die Ü3-Plätze hinein. Was für Väter schon als Missstand gelten kann, wird durch eine solche Sozialpolitik für Mütter nun zum Leitstern. Ein BGE würde eine Abkehr von dieser Haltung erlauben und den Sorgetätigkeiten die Basis verschaffen, die sie benötigen. Warum taucht dieses Argument für das BGE bei Sell in keiner Weise auf, wo es doch von so großer Bedeutung ist?

Gegen Ende seines abwägenden wohlwollenden Beitrags schreibt Sell, indem er einen anderen Beitrag zitiert:

"Aber man sollte vorsichtig sein, wenn uns wieder einmal eine allzu einfache Lösung in Aussicht gestellt wird. So auch die Kritik bei Andreas Hoffmann in seinem Kommentar Das Grundeinkommen würde uns alle überfordern: »Je mehr ich über das Konzept nachdenke, umso mehr Fragen stellen sich mir. Es ist, als hätte sich die Tür in ein Labyrinth geöffnet. Bald taucht die nächste Tür auf. Dann noch eine. Und noch eine.« Als Beispiel: »Wie steht es mit Tarifverträgen oder Kündigungsschutz? Die Arbeitgeber könnten dann jeden sofort rausschmeißen und sagen: "Du hast ja dein Grundeinkommen." Wozu noch Abfindungen oder Betriebsräte? Oder Gewerkschaften? Das alles kann auf den Müllhaufen des Sozialstaats."

Nach wessen Dafürhalten kann das auf den "Müllhaufen des Sozialstaats"? Hier entscheidet nicht eine Partei, kein Unternehmen, sondern politische Willensbildung. Wenn dieser Wille tatsächlich alles auf den "Müllhaufen" werfen will, wird das geschehen, wenn nicht, dann eben nicht. Natürlich kann es Tarifverträge mit BGE ebenso geben, sie haben jedoch nicht mehr dieselbe Bedeutung wie heute. Außerdem dürfen wir nicht vergessen, dass Tarifverträge in etlichen Bereichen heute gar nicht greifen. Die Tarifbindung lag nach Sells eigenem Verweis auf eine Erhebung in 2015 in Westdeutschland bei 59% der Beschäftigten. Weitere 21% hatten Arbeitsverträge die sich an Tarifverträge anlehnten. 20% hatten Verträge gänzlich ohne Tarifbindung. Auch mit BGE wird es Arbeitsverträge geben, wird es ein Arbeitsrecht geben - Arbeitsverhältnisse bewegen sich nicht im luftleeren Raum. Wenn Betriebsräte für wichtig gehalten werden, wird es sie geben. Allerdings wird durch ein BGE ohnehin die Stellung der Belegschaften gestärkt. Das sollte nicht übersehen werden. Auch ein Betriebsrat ist nur so stark, wie er Unterstützung erfährt. Warum sollten Abfindungen nicht in Arbeitsverträgen geregelt werden können? Auch hier wieder ein blinder Fleck, weshalb taucht dieser gewichtige Aspekt in Sells Beitrag nicht auf? Straubhaar weist immerhin daraufhin.

In derselben Passage geht es mit Bezugnahme auf die Anfänge der "Hartz-Reform" weiter:

"Arbeitslos ist nicht gleich arbeitslos. Es gibt die alleinerziehende Mutter, die arbeiten und ihre Kinder versorgen will. Es gibt den schlecht ausgebildeten jungen Mann, der sucht und sucht. Es gibt den Langzeitarbeitslosen, der mit physischen und psychischen Problemen kämpft. Und. Und. Und. Die Idee der Pauschale wurde still beerdigt.«"

Sell zitiert wieder den Beitrag von Hoffmann. Nun, Thomas Straubhaar spricht von 1000 Euro BGE im Monat. Werden wir konkret. Eine alleinerziehende Mutter mit einem Kind hätten 2000, eine mit zwei Kindern 3000 Euro zur Verfügung. Wäre das eine Verschlechterung? Der hier zitierte junge Mann könnte sehr wohl weitersuchen, ohne sich den Regularien der Jobcenter unterwerfen zu müssen. Er könnte Beratungsangebote annehmen, die wirkliche Angebote sind, ohne Rechtsfolgenbelehrung wie heute. Wäre das keine Verbesserung? Würde die Befreiung von Druck nicht ihm vielleicht am meisten helfen? Zugleich ist das BGE Ausdruck eines starken Solidargefühls, weil es jedem zuallererst etwas zutraut. Auch das würde der junge Mann spüren können. Dasselbe gilt für den Langzeitarbeitslosen, der nicht mehr ausgeschlossen würde und sich angesichts des heute herrschenden Erwerbsideals als Gescheiterter sehen muss. Da sehe ich mehr Chancen als Probleme, die Probleme haben wir doch heute, nicht mit BGE.

Sell knüpft an die von Hoffmann zitierte Passage zu den Anfängen der Hartz-Reform an:

"An dem letzten Punkt könnte man etwas korrigierend ansetzen und sagen: Das Hartz IV-System hat genau deshalb so viele Probleme, weil es irgendwo hängen geblieben ist zwischen den Polen einer Einzelfallgerechtigkeit und einer unterschiedslosen Pauschalierung für alle, die aber aus fiskalischen Gründen zu niedrig bemessen wurde und ist. Und dann ist das "Grundeinkommen" nach Hartz IV auch noch ein nicht-bedingungsloses Grundeinkommen, also an Verhaltenserwartungen und bürokratische Nachweispflichten geknüpft, die alle Beteiligten erschöpfen und einige teilweise zerstören. Aber wenn das schon so ist im Grundsicherungssystem SGB II, soll man wirklich glauben dürfen, dass das bei einem Grundeinkommen für alle ganz anders ausfallen wird?
Fragen über Fragen."

Wenn das BGE ein gänzlich anderes Gefüge bildet und all die erniedrigenden Prozeduren des SGB II nicht enthält, dann wäre das ganz anders, sofern es nicht zu einer Sparversion eingedampft wird. Es steht außer Frage, dass es ein BGE in einer vernünftigen Variante nur geben wird, wenn die "schwarze Pädagogik" aufgegeben wird, die den heutigen Sozialstaat durchzieht. Es erfordert eine Verbschiedung des Vorrangs von Erwerbstätigkeit, ohne diese Verabschiedung wird es ohnehin nicht kommen. Sorgen, die sich auf das BGE richten, müssten sie sich nicht genauso auf das heutige Gefüge richten? Wenn sich etwas ändern soll, muss das gewollt werden. Das ist immer so. Was dabei herauskommt, hängt von den Bürgern ab, da sind es leerlaufende, vielleicht sogar entmündigenden Vorbehalte, dem BGE Sorgen zuzuschieben, die in der Gegenwart genauso angebracht sind.

Sascha Liebermann

15. Februar 2017

"Was machen wir, wenn sich zum Beispiel Pflegekräfte entschließen, weniger zu arbeiten?"...

...fragte sich laut einem Bericht von fnweb Kai Eicker-Wolf vom Deutschen Gewerkschaftsbund in einer Diskussion mit Wolfgang Strengmann-Kuhn (MdB, Bündnis 90/ Die Grünen) über das Bedingungslose Grundeinkommen in Bensheim. Was wie eine besorgte Frage klingt, kann durchaus als Drohung verstanden werden, anders ausgedrückt: Wenn wir Menschen nicht dazu drängen, so Eicker-Wolf, Erwerbsarbeit aufzunehmen, dann werden bestimmte Aufgaben nicht erledigt. "Sicherstellen" kann man das Erledigen von Aufgaben dann nur, wenn bei Nicht-Erwerbstätigkeit Einkommensentzug folgt. Genau das ist im heutigen Gefüge der Fall, wenn jemand keinen Arbeitsplatz findet bzw. im Leistungsbezug (ALG II) nicht bereit ist, seinen Pflichten nachzukommen. Doch, stellen wir so wirklich "sicher", dass für alle Aufgaben, die erwerbsförmig erledigt werden sollen, sich jemand bereiterklärt, sie zu übernehmen?

Nein.

Wollen wir denn eine solche Drohung über allen schweben lassen? Würde das nicht Zwangsarbeit bedeuten? Diese Frage stellt das BGE und beantwortet sie mit Nein (wie das Grundgesetz ebenfalls). Schafft eine solche Drohung denn eine gute Ausgangsbasis dafür, Aufgaben gewissenhaft zu erledigen? Auch nicht. Was soll das also? Der Arbeitsmarkt von heute bzw. der normative Vorrang von Erwerbstätigkeit wird indirekt so hingestellt, als löse er diese Fragen wie von selbst, doch das tut er nicht. Weshalb daran festhalten? Vielleicht müsste man die Perspektive auch herumdrehen: Ein BGE erleichtert es womöglich, Aufgaben zu übernehmen, die heute liegen bleiben. Darauf folgt dann wieder die Sorge, wer denn die "Scheißarbeit" mache usw. usf.

Letzlich geht es also immer um die Frage, ob man ermöglichen will, sich engagieren zu können, in welcher Form auch immer, oder "sicherstellen", dass dies in einer bestimmten Form geschieht - mit allen Konsequenzen, die wir heute ja erfahren.

Was die Digitalisierung bringen wird, ist nicht zu sagen, wir werden es sehen, welche Auswirkungen sie im auf die Arbeitswelt haben wird. Doch mit einer Aussage wie dieser "Alte Arbeitsplätze fallen weg, neue entstehen, aber die Arbeit geht nicht aus" sollte man sich auch nicht beruhigen lassen. Wir wissen es schlicht nicht.

Siehe
"Geht der Gesellschaft die Arbeit aus?" (und auch hier)

Sascha Liebermann

14. Februar 2017

"...weil der Mensch zur Lethargie neigt" oder: Nur lesen, was zu den eigenen Vorstellungen passt

In der Neuen Zürcher Zeitung hat Christoph Eisenring eine Rezension des neuen Buches von Thomas Straubhaar "Radikal gerecht" veröffentlicht. Ich kenne das Buch nicht, da es noch nicht erschienen ist, es wird für diejenigen, die mit Straubhaars Überlegungen vertraut sind, womöglich keine Überraschungen enthalten (siehe meine Kommentare zur Straubhaars Ausführungen). Die Rezension ist dennoch bemerkenswert - ihrer Vorurteile und ihrer Nachlässigkeit wegen.

Eisenring wundert sich darüber, weshalb Straubhaar die verschiedenen Feldexperimente mit einer Negativen Einkommensteuer in den den USA und Kanada nicht diskutiert, denn, so Eisenring, schlage Straubhaar doch eine Negative Einkommensteuer vor (was allerdings nicht dasselbe wäre wie ein BGE). Nun sind die Befunde zu den Experimenten in Nordamerika gar nicht so leicht zu deuten, die Rezeptionsgeschichte der Befunde ist widersprüchlich, wie Karl Widerquist in einem Artikel deutlich machte. Sie ähnelt in manchem offenbar der Rezeption der Speenhamland-Gesetzgebung, die nicht selten als Beleg für das Scheitern eines BGE herhalten muss oder mancher Fehldeutung, auf die Evelyn L. Forget aufmerksam gemacht hat. Eisenring bezieht sich lediglich auf eine Quelle aus dem Jahr 1983, obwohl es etliche Untersuchungen gibt, deren komplexe Befunde genauere Sichtung verlangten. Der schon erwähnte Karl Widerquist hat dies in seinem Beitrag unternommen und schreibt S. 66 (im Schlussteil des Beitrags):

"Hopefully, Sections 2 and 3 have demonstrated that the findings of the NIT experiments are far more complex, subtle, and ambiguous than one might be led to believe by findings such as an X% decline in hours worked. But as this section shows, the complexity of the results was largely lost on politicians and members of the media to whom the findings were reported."

Er fährt fort (S. 67):

"Results of the fourth and largest experiment, SIME/DIME, were released while Congress was debating PBJI. Dozens of technical reports with large amounts of data were simplified down to two statements: It decreased work effort and it supposedly increased divorce. The small size of the work disincentive effect that pleased so many of the researchers hardly drew any attention. Never mind that everyone going into the experiments agreed that there would be some work disincentive effect; members of Congress were appalled; and columnists across the country responded with a chorus of negative editorials decrying the guaranteed income and ridiculing the government for spending millions of dollars to find out whether people work less if you pay them not to work. "

Auf S. 69:

"Even if the public had been made to understand more of the complexities of results, as long as there is a significant political block believing that any work disincentive is unacceptable, the NIT experiments were bound to give ammunition to NIT opponents. To that extent it was a mistake for any guaranteed income supporters to agree to the ex- periments in the first place. [...]

"To those who believe that low-wage workers need more power in the labor market, the NIT experiments demonstrated the feasibility of a desirable program. To those who believe all work-disincentives are bad, the experiments demonstrated the undesirability of a well-meaning program. These normative issues separate supporters from opponents of the basic income guarantee, and therefore, the NIT experiments, as long as they are discussed, will always mean different things to different people. [...] It is better to understand that the NIT experiments were able to shed a small amount of light on the positive issues that affect this normative debate. They we able to indicate only that a basic income guarantee is financially feasible at a cost of certain side effects that people with differing political beliefs may take to be desirable or disastrous. To claim more would be to overstate the evidence."

Eisenring folgt denen, die, wie Widerquist demonstriert, die Ergebnisse so rezipieren, wie sie zu ihren normativen Vorstellungen passen. Das wird den Ergebnissen aber nicht gerecht. Davon abgesehen weist er selbst darauf hin, dass die damalige Situation in den USA nicht der heutigen entsprach. Ja, wäre zu ergänzen, es war ja nicht einmal ein BGE und schon gar kein allgemeines.

Einen wunden Punkt in Straubhaars Überlegungen scheint er zu treffen, wenn er ihm vorhält, auf eine Umfrage als Beleg dafür zu verweisen, was Menschen mit einem BGE machen würden. Er wisse sicher welchen Erkenntniswert Umfragen haben. Recht hat er diesbezüglich.


Zeit Online hat einen Auszug aus dem neuen Buch abgedruckt, der ein wenig Einblick gibt:

"
Zwischen den Arbeitsanreizen jener, die staatliche Unterstützung erhalten, und den Leistungsanreizen der anderen, die staatliche Transfers durch Steuern zu finanzieren haben, besteht ein Spannungsfeld – immer, nicht nur beim Grundeinkommen. Ein hohes Grundeinkommen macht hohe Steuersätze erforderlich. Dadurch werden Anreize zu eigener Leistung geschmälert. Erwerbsarbeit wird dann weniger attraktiv. Ein niedriges Grundeinkommen lässt sich mit niedrigen Steuersätzen finanzieren. Eine geringe Steuerbelastung wirkt sich positiv auf die Leistungsanreize aus. Erwerbsarbeit wird erstrebenswerter." [Hervorhebung SL]

Bei aller Befürwortung eines BGE erweist sich Thomas Straubhaar hier doch einer sehr vereinfachenden Sozialmechanik verhaftet, als orientiere sich jemand in seinen Entscheidungen direkt daran, was dabei herausspringt. Der Begriff Anreiz wird wie eine Blackbox behandelt, die irgendwie wirke. Im Grunde argumentiert er wie Christoph Eisenring, der dem Menschen attestiert, dass er zu Lethargie neige. Da Straubhaar vollkommen undifferenziert Leistungsanreize und Steuersätze miteinander verknüpft, setzt das voraus, dass der Mensch nichts macht, wenn es sich nicht lohnt. Aber was heißt sich lohnen? Eine differenziertere Betrachtung von Handlungsmotivation (wie z. B. hier) würde deutlich machen, dass die Zusammenhänge komplexer sind. Es lohnt sich etwas relativ dazu, was ich als Ziel habe oder worin ich den Erfolg erkenne. Und wenn ich in jedem Fall zum BGE ein Einkommen aus Erwerbstätigkeit oder Selbständigkeit hinzu erhalte, lohnt sich das immer. Allerdings macht es einen Unterschied, ob ein BGE immer zur Verfügung steht und nicht dem steuerbaren Einkommen zugeschlagen wird oder ob es mit diesem verrechnet wird.

Sascha Liebermann

"Bedingungsloses Grundeinkommen in Deutschland und Europa?"

Eine neue Veröffentlichung zur Diskussion um ein Bedingungsloses Grundeinkommen, hrsg. von Thomas Meyer und Udo Vorholt, in der Reihe Dortmunder politisch-philosophische Diskurse mit Beiträgen von Ute Fischer, Götz Werner, Christian Neuhäuser und Sascha Liebermann. Erschienen ist der schmale Band im projektverlag.

13. Februar 2017

"Ist es sinnvoll, junge Arbeitslose in Beschäftigung zu zwingen?" - Anke Hassel reagiert auf Zuschriften

Offenbar erhielt Anke Hassel auf ihren Beitrag in der Süddeutschen Zeitung "Süßes Gift" (siehe meinen Kommentar) viele Zuschriften. Auf Facebook reagierte sie noch einmal mit einer zusammenfassenden Stellungnahme.

Der Platz in einer Zeitung erlaube es nur, Argumente zu umreißen und darüber hinaus gebe es keine Erkenntnisse darüber, wie ein BGE wirken würde. Kritik richte sich gegen ihre Ausführungen dazu, wie es auf Jugendliche und ihre Bildungsambitionen wirken könne. Sie fasst zusammen:

"Die Annahme ist die folgende: Wenn ein 18jähriger Schulprobleme hat (weil die Schule schlecht ist oder er schlecht deutsch spricht z.B.) und dann die Wahl hat sich entweder weiter durch die Schule zu quälen, eine Ausbildung zu machen und dann eventuell als Polizist zu arbeiten oder zu wissen, dass er auch ohne Anstrengung ein Auskommen hat, dann befürchte ich, dass mehr junge Menschen mit Schwierigkeiten den zweiteren Weg gehen. Ist das überheblich oder paternalistisch? So sehr wie die Schulpflicht paternalistisch ist, weil Jugendliche nicht selbst darüber entscheiden sollen, ob sie zur Schule gehen."

Ist das nun eine rhetorische Frage? Offenbar nicht. Da Frau Hassel eine allgemeine Aussage trifft, ist sie von großer Bedeutung. Sie beruft sich selbst darauf, dass sie ein bestimmtes Handeln "befürchte". In der Tat ist es paternalistisch, dann mit einer allgemeinen Lösung zu antworten, die nicht auf Selbstbestimmung setzt. Diesen Jugendlichen könnten selbstverständlich doch Angebote unterbreitet werden, aber auf einer anderen Basis als der "Schulpflicht", Angebote eben, die ausgeschlagen werden können. Alleine, dass diese Option nicht vorgesehen ist, könnte ja schon zur Problemlage beitragen (viele Länder kennen nur eine Beschulungspflicht - sie erlaubt Homeschooling -, aber keine Schulpflicht). Die Schule ist ja nicht das Elternhaus, ebensowenig wie das Gemeinwesen eines ist.

Vorsicht oder Bedacht walten in Anke Hassels Ausführungen nicht, obwohl sie sich nur auf ihre Einschätzung stützt, auf sonst nichts. Es könnten die Gründe dafür differenziert erworgen werden, weshalb ein junger Mensch eine solche Haltung gegenüber der Schule hat, welchen Beitrag Lehrer dazu leisten, welchen die allgemeinen öffentlichen Debatten usw. Davon hinge nämlich ab, worin das Problem liegt und ob denn die allgemeine Schlulpflicht eine angemessene Problemlösung darstellt. Man kann nun nicht behaupten, dass es eine solche Diskussion nicht in differenzierter Form gäbe (siehe hier). Will man das differenziert betrachten, ist ein holzschnittartiges Beispiel wie oben wenig hilfreich.

Davon abgesehen muss gefragt werden, ob der Beispiel-Fall denn einer aus der Zukunft mit BGE ist? Treffen Jugendliche solche Entscheidungen nach Abwägen? Heute verlassen Jugendliche die Schule ohne Abschluss, ohne dass die allgemeine Schulpflicht das verhindern könnte. Ähnliche Erfahrungen machen auch Jugendämter mit Familien, die sich nicht erreihen lassen wollen. Und weil all das so ist, weil es also Menschen gibt, die wir nicht erreichen, soll allen gleichermaßen misstraut werden. Weil das solch schwierige Lebensgeschichten gibt, darf keiner ein BGE erhalten? Aus den Ausnahmen werden Regeln geschmiedet?

Sie fährt dann fort:

"Gibt es eine Evidenz außerhalb der Alltagserfahrung? Das iab hat gerade eine Studie zur Wirkung von Sanktionsmechanismen bei jungen Menschen veröffentlicht, die man so interpretieren kann, dass mehr Sanktionen zu mehr Arbeitsaufnahmen führen. Ist es sinnvoll junge Arbeitslose in Beschäftigung zu zwingen? Da werden sich die Geister scheiden, aber es nicht zu tun ist noch keine sinnvolle Arbeitsmarktpolitik."

Was ist damit erreicht, dass mehr Sanktionen zu mehr Arbeitsaufnahmen führen? Darin kann doch nur eine Lösung gesehen werden, wenn "jeder Arbeitsplatz besser als keiner" ist. Wer sagt, dass die Erfolge geringer wären, wenn mehr Vertrauen entgegengebracht würde? Mehr vertrauen darein, dass jeder erst einmal fähig ist, sich seinen Weg zu suchen - das erwarten wir ohnehin schon, und für den Fall, dass er das nicht ist, auf seine Verantwortung zu setzen, sich Hilfe zu suchen, z. B. in Form von Angeboten, die vorgehalten werden.

Es gibt sehr wohl Studien darüber, auf der Basis fallrekonstruktiver Verfahren, die besser verstehen lassen, wozu eine solche Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik führt, ihre stigmatisierenden Folgen, der zerstörerischen Druck, den sie aufbaut (siehe z. B. hier). Diese Art der Forschung jenseits standardisierter Verfahren erlaubt es, Bildungsprozesse in ihrer Individuierungsgeschichte zu verstehen, was die Voraussetzung dafür ist, angemessene Lösungen finden zu können. Sie erlaubt aber auch, allgemeine Einsichten in die Lebensführung zu gewinnen, die sich heute darin bewähren muss, mit den enormen Autonomieanforderungen eines enttraditionalisierten Lebens klarzukommen. Das ist weder etwas Besonderes, noch etwa neu, denn diese Autonomiezumutung ist in unsere politische Ordnung eingeschrieben, die in ihr Zentrum die Staatsbürger als Legitimationsbasis staatlicher Gewalt stellt. In der politischen Grundordnung setzen wir auf diese Selbstbestimmung sehr wohl: Den Souverän bilden die Staatsbürger. In der Sozialpolitik bleibt von ihnen nicht viel übrig. Von ihnen ist womöglich nicht ganz zufällig keine Rede in Anke Hassels Überlegungen.

Sascha Liebermann

"Ich glaube aber nicht", dass die Leute faul werden - Harald Lesch zum Bedingungslosen Grundeinkommen


Manche werden ihn aus dem Fernsehen kennen, Harald Lesch, Professor für Theoretische Astrophysik an der LMU München, ist einem breiteren Publikum durch seine zahlreichen Sendungen und Veröffentlichungen in diesem Feld  bekannt geworden. Nun hat er sich zum Bedingungslosen Grundeinkommen geäußert. Vertrauen sei wichtig, Misstrauen zerstörerisch. Ein BGE würde Kontinuität ermöglichen. Daran, dass ein BGE zu Faulheit führe, glaube er nicht. Falls es doch welche würden, müssten wir das eben aushalten. "Die Suche nach Wahrheit ist keine Bundesligasaison" - zur Forderung nach mehr Wettbewerb an den Universitäten. Bachelor und Master sind eine Vernichtung an Vertrauen. Das BGE könnte ein interessanter Versuch werden.

10. Februar 2017

"Das Grundeinkommen ist ein verführerisches Gift"...

...schreibt Anke Hassel, wissenschaftliche Direktorin des WSI der Hans Böckler Stiftung und Professorin an der Hertie School of Governance in der "Außenansicht" der Süddeutschen Zeitung über das Bedingungslose Grundeinkommen. Wie bei vielen Beiträgen zu diesem Thema steckt auch der von Anke Hassel voller weitreichender Annahmen, die nicht ausgeführt werden, aber die Basis für Schlussfolgerungen abgeben. Deswegen widme ich ihm etwas ausführlicher.

Nachdem in hier und da ironisierender Weise etwaige Folgen eines BGE aufgeführt werden, schreibt sie:

"Aber die finanzielle Seite ist noch nicht einmal das wichtigste Argument gegen ein Grundeinkommen. Das Grundeinkommen ist ein verführerisches Gift. Es nutzt den Rändern der Gesellschaft auf Kosten ihrer Mitte. Für Bedürftige und Langzeitarbeitslose ist das Grundeinkommen eine Hilfe, weil es den Druck zur Arbeitsaufnahme nimmt und die unangenehmen Seiten der Aktivierungspolitik beseitigt. Die Reichen wird es voraussichtlich nicht mehr kosten als bisher und ihnen zugleich ihr soziales Gewissen erleichtern. Steigende soziale Ungleichheit wäre dann kein gesellschaftlicher Skandal mehr, da alle ja ein Auskommen haben, liege es auch nahe an der Armutsgrenze. Gerade daraus ergeben sich drei wesentliche Gründe, die gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen sprechen:"

Ein starkes Bild wird hier benutzt, ein Gift kann tödlich sein, die Sinne vernebeln, die Wahrnehmung trüben usw. Heißt das, es gebe keine Argumente für ein BGE, die sich prüfen und abwägen ließen, um sich daran ein Urteil zu bilden? Auf der einen Seite nutze es den "Bedürftigen und Langzeitarbeitslosen", auf der anderen aber "auf Kosten der Mitte" - weshalb? Außerdem nimmt es den Druck von allen, man darf ja nicht übersehen, dass er nicht nur über das Jobcenter und die Arbeitsagentur weitergegeben wird, sondern über den normativen Vorrang von Erwerbstätigkeit.

Ist es Aufgabe der Reichen, für gemeinschaftlichen Ausgleich zu sorgen in einem demokratisch verfassten Gemeinwesen? Es geht ja hier nicht um Almosen oder freiwillige Leistungen, sondern um demokratisch herbeigeführte Entscheidungen, die dann Gesetzescharakter erhalten. Das "soziale Gewissen" der "Reichen" ist hierfür nicht maßgeblich. Sie sind Bürger wie allen anderen.

Weshalb wäre steigende soziale Ungleichheit kein "Skandal" mehr, wenn es ein BGE gäbe? Es wird einer sein, wenn die Bürger z. B. das BGE als zu niedrig erachten, dann sind sie aufgerufen, dagegen etwas zu unternehmen. Wenn es in ihren Augen ausreichend ist, werden sie nichts unternehmen. Übersieht Frau Hassel hierbei nicht, dass ein BGE, weil pro Person bereitgestellt, enorme Wirkungen auf jede Form von Haushalt hätte? Dass ein BGE dadurch gerade zu einer erheblichen Beitrag zur relativen Reduzierung dieser Ungleichheit beitrüge? Es lässt sich nun, nach den voraussetzungsvollen Ausführungen im ersten Drittel des Beitrags ahnen, in welche Richtung wohl die Gründe gehen, die gegen ein BGE sprechen sollen. Wie lauten sie?

"Erstens wird das Grundeinkommen die Gesellschaft weiter spalten und soziale Mobilität verhindern. Jene, die aufgrund ihrer familiären Herkunft gute Aussichten auf eine interessante Beschäftigung und ein hohes Einkommen haben, werden weiterhin am bestehenden Arbeitsethos festhalten, sich in Schule und Studium engagieren und zwischendurch das eine oder andere Sabbatical einlegen. Das ist eine feine Sache. Jungen Menschen aus der bereits bei der Bildung benachteiligten Hälfte der Gesellschaft, aus Arbeiter- und Migrantenfamilien, wird der Aufstieg jedoch noch schwerer gemacht, als er ohnehin schon ist."

Weshalb sollte das so sein und weshalb gerade durch das BGE? Interessant ist, dass soziale Mobilität hier offenbar nur auf Erwerbstätigkeit, also Einkommenserzielung, bezogen wird. Zumindest klingt das so. Eine weitere Verknüpfung fällt auf: zwischen familiärer Herkunft, Einkommenschancen und Schule/ Studium. Gerade ein BGE würde doch Kindern aus einkommensschwachen Haushalten erleichtern, ein Studium ernsthaft ins Auge zu fassen, Schülern ans Ausflügen teilzunehmen usw.

Hassel verknüpft wie selbstverständlich Bildungsaspiration und Einkommenschance, ohne es weiter zu erläutern. Wer ist denn heute von den Bachelor-Master-Studienstrukturen am meisten betroffen? Das sind die Kinder aus relativ einkommensschwachen Familien, weil sie nebenbei relativ viel durch Jobs verdienen müssen, um ihr Studium zu finanzieren. Sie sind aber noch in ganz anderer Weise benachteiligt. BA-MA-Strukturen sind - ganz gleich in welcher Ausgestaltung, es gibt rigide und weniger rigide Varianten - stark lenkend. In einem Studium sich auf die Suche zu machen, um herauszufinden, ob einen das wirklich interessiert, was man studiert, ist nicht mehr selbstverständlich. Das war aber die Chance früherer Studiengänge, vor allem der Magisterstudiengänge, in der Vor-Bologna-Zeit. Studienabbruch gilt heute, angesichts der hohen Studierquote, viel mehr als Scheitern denn zuvor. Warum sieht Hassel nicht, dass ein BGE also hier Unterstützung schaffen würde? Entweder ist sie der Meinung, dass Kinder sich nur des BGE wegen um Bildung nicht mehr scheren - weshalb sollte das BGE dafür die Verantwortung tragen und nicht vielmehr das Elternhaus, ein statusorientiertes Bildungswesen, in dem Mittelschichtsgeist herrscht, der schon in Bildungsstudien der 1960er und 1970er Jahre als das eigentliche Problem ausgemacht wurde. Bildungsbenachteiligung durch normative Überwertung der Lebensambitionen der Mittelschicht. Wenn, dann muss all dies auf den Tisch, statt es dem BGE zuzuschreiben.

Sie schreibt weiter:

"Das süße Gift des Grundeinkommens wird sie bei jedem Schritt in ihrer Schul- und Berufsausbildung begleiten. Die Kinder aus dem Berliner Problembezirk Neukölln sagen heute oftmals: "Ich werde Hartzer", wenn sie gefragt werden, was ihre Berufsziele sind."

Hier kehrt das Betäubende, Vernebelnde wieder, um dann die Berufswunschäußerung zu zitieren, die oft in diesem Zusammenhang zitiert wird. Und Anke Hassel lässt sie einfach so stehen, nimmt sie als Beleg. Ohne anzugeben, woher sie diesen Ausspruch bezieht, lässt sich wenig dazu sagen. Im Allgemeinen muss man sich allerdings nur fragen, was in Jugendlichen im Pubertätsalter vorgeht, die gerade auf der Suche nach ihrem Platz in unserem Gemeinwesen sind. Ist es angesichts einer Bildungs- und Sozialpolitik, die noch immer der Maxime folgt "Jeder Arbeitsplatz ist besser als keiner" nicht eine gewaltige Provokation, wenn Autoritäten wie Eltern und Lehrern entgegengeschleudert wird, "Hartzer" werden zu wollen? Und geht es in der Pubertät oder Adoleszenz nicht entscheidend darum, sich mit den Zumutungen des Erwachsenenlebens auseinanderzusetzen, wozu durchaus das demonstrative Abweisen gehört, wenn es denn dazu dient, die Peer Group zu stärken?

Dass dieser Druck objektiv besteht, kann Frau Hassel nicht entgangen sein, dann muss er aber auch einbezogen werden in die Deutung solcher Äußerungen. Desweiteren werden Problemlagen, die im heutigen Gefüge entstehen, einfach auf ein BGE übertragen. Das Provokative des Ausspruchs, "Hartzer" werden zu wollen, fiele mit einem BGE doch weg, weil es ein legitimes Einkommen wäre. Wer sagen würde "Ich werde Grundeinkommen", dem würde wohl entgegnet "Ja, und? Das sind ja alle".

Echte Integration würde gerade durch ein BGE möglich, weil es Jugendliche als erstes so anerkennt, wie sie sind und sie sich gegen Druck wehren können, der sie in eine Richtung drängt, in die sie nicht gehen wollen. Genau darin besteht ja durchaus das Innovative der Adoleszenz, andere Wegen gehen zu wollen als die Erwachsenen bisher. Das gehört zur Pluralität in einem Gemeinwesen, wie auch das Vertrauen darauf, dass Jugendliche ihren Platz schon finden, sofern man bereit ist, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Hier könnte Anke Hassel nun ernsthaft Sorgen artikulieren, denn wie ist eine solche Auseinandersetzung möglich, wenn die Vollerwerbstätigkeit beider Eltern zunimmt, wenn Betreuungszeiten in Kitas zunehmen, so dass für solche Auseinandersetzungen immer weniger Zeit und Raum bleiben?

Erwerbstätigkeit gewährleistet gerade keine Integration als ganze Person, denn relevant ist der Einzelne in Erwerbsverhältnissen nur bezogen auf Aufgaben, die es zu bewältigen gilt. Es geht diesbezüglich um Leistung. Wer sich dafür nicht eignet, muss gehen, ganz gleich, was für ein Mensch er ist. Es ist eine Illusion - wenn durchaus eine verbreitete - zu glauben, heute und in der Vergangenheit sei Integration auf diese Weise erreicht worden.

Das BGE ist eine starke Solidargeste, die nicht als Fürsorge und nicht als Almosen daherkommt, sondern als demokratisch beschlossene Einkommensgarantie. Weshalb wird das nicht gesehen von der Verfasserin?

Weiter heißt es:

"In Zukunft werden sie stattdessen "Ich werde Grundeinkommen" dazu sagen. Ihre Zahl wird in dem Maße steigen, wie auch das Grundeinkommen steigt. Ihre Motivation, in sich selbst zu investieren und über qualifizierte Arbeit aufzusteigen, wird täglich auf eine neue Probe gestellt werden, und zwar in einem Alter, in dem man sowieso mit sich und den Anforderungen der Umwelt zu kämpfen hat. Der Rest der Gesellschaft wird sich um diesen Aufstieg noch weitaus weniger kümmern als heute - die Leute sind ja versorgt."

Nun wird ausgesprochen, was zuvor nur angedeutet war: "in sich selbst zu investieren und über qualifizierte Arbeit aufzusteigen" - das ist das Ziel. Was bewegt nun Hassel zu diesem Schluss? Liegt er nahe? Doch nur, wenn bestimmte Voraussetzungen gemacht werden, dass nämlich der Wunsch, zum Gemeinwesen beizutragen, grundsätzlich durch ein BGE geschwächt wird. Je höher es ausfiele, um so stärker wäre das der Fall ihrer Meinung nach. Anstrengung, Neugierde, Bildungsprozesse - das alles hängt also davon ab, ob Einkommenschancen bestehen. Gespräche mit Jugendlichen zwischen 14 und 18 über Sozialstaat, Bildung und ähnliche Fragen lassen ebenso andere Schlüsse zu. Zuerst einmal wissen die meisten Schüler wie auch Studenten im ersten Semester überhaupt nicht, was "Hartz IV" überhaupt ist, wie es bereitgestellt wird, was Bezieher machen müssen. Die Funktionsweise der heutigen Sicherungssysteme ist ihnen meist nicht bekannt. Sie sind, wie es dieser Entwicklungsphase entspricht, sehr mit sich beschäftigt und sehen die Welt aus dieser Perspektive. Deswegen sind die Anforderungen der Umwelt auch eine Zumutung, eine notwendige, um aus dieser Phase herauszukommen. Dass dieser Zumutung trotzig begegnet wird, ist nicht ungewöhnlich. Der Trotz dient auch der Abwehr von Anforderungen, von denen der Jugendliche noch nicht weiß, ob er ihnen entsprechen kann und will.

Wie steht es mit dem zweiten Einwand?

"Zweitens fehlt dem bedingungslosen Grundeinkommen die gesellschaftliche Legitimation. Es lassen sich derzeit keine Modelle vorstellen, in denen alle Teile der Gesellschaft gleichermaßen gewinnen."

Ist mit Legitimation Mehrheit gemeint? Dass das BGE bislang nicht mehrheitsfähig ist, ist unstrittig (von Meinungsumfragen sollte man sich nicht beeindrucken lassen). Deswegen setzen sich Befürworter ja für eine Diskussion an, um auf etliche Vorurteile und Ilusionen hinzuweisen, mit denen wir leben. Nur weil die Relevanz nicht gesehen wird, setzt das Argumente nicht außer Kraft. Gleichwohl ist es richtig, dass Argumente nicht reichen, denn in der Gestaltung des Zusammenlebens geht es um Werturteile, um die Frage, was man für richtig hält. Eine Diskussion ist aber der einzige Weg in einer Demokratie, um auf Widersprüche in unseren Vorstellungen über unser Zusammenleben aufmerksam zu machen (siehe hier, hier und hier). Es ist also nicht so, dass das BGE den Gerechtigkeitsvorstellungen vollständige entgegenstehe, schon gar nicht der Verfasstheit unserer politischen Ordnung (siehe hier und hier).

Wenn alle ein BGE erhielten und es ausreichend hoch wäre, um auf Erwerbstätigkeit zu verzichten, dann würden doch alle gewinnen, oder ist etwas Anderes gemeint?

"Wahrscheinlich ist daher, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen von der Mitte der Gesellschaft an diejenigen umverteilt, die nicht oder nur in geringem Umfang erwerbstätig sind."

Das ist missverständlich. Ein BGE erhält doch jeder, es wird also von der Gemeinschaft an alle umverteilt. Oder ist hier die Verteilung der Steuerlast gemeint? Oder das Verhältnis von Nettoempfängern zu Nettozahlern? Wie das gestaltet wird, ist eine praktische Entscheidung.

"Umfassende Sozialleistungen, die über reine Armutsbekämpfung hinausgehen, werden jedoch über bestehende Gerechtigkeitsvorstellungen legitimiert - wie auch sonst? Dazu gehört das Ziel der Chancengleichheit, das etwa Bildungsausgaben oder die Erbschaftsteuer begründet."

Dahinter steht die Vorstellung, man müsse nur mehr investieren, dann werde das schon. In der Regel ist das verbunden mit starken normativen Lenkungen, so z. B. heute die Ausweitung der Kinderbetreuung sowohl was die Altersspanne der Kinder (ab dem ersten Lebensjahr oder auch früher) als auch die Menge des Angebots betrifft. Einher geht damit die enorme Aufwertung von Erwerbstätigkeit. Über all das verliert Frau Hassel wahrscheinlich deswegen kein Wort, weil sie es für richtig hält. Das ist ihr gutes Recht, nicht aber ein Problem des BGE, das genau daran ja etwas ändern will. Wer Bildung und Erwerbstätigkeit so eng miteinander verknüpft, wie es in dem Beitrag bislang der Fall ist, landet dort, wie wir heute im Bildungswesen stehen. Daran ändern Investitionen gar nichts, sie bestärken es nur. Die Frage ist, wollen wir das? Und wenn wir es wollen, sind wir bereit die Konsequenzen zu tragen?

"Drittens ist das bedingungslose Grundeinkommen das Gegenteil von dem, was eine rasch wachsende Einwanderungsgesellschaft braucht. Bei einer hohen Zahl von Arbeitsmigranten und anderen Zuwanderern sind mehr Mechanismen der gesellschaftlichen Integration nötig und nicht weniger."

Eben, das geht aber nicht über Erwerbstätigkeit, wenn man damit ernst machen will und so, wie bislang Einwanderung gehandhabt wurde, ist es kein Weg für die Zukunft.

"Es ist eine Erfahrung, die jeder im Alltag machen kann: Menschen begegnen sich am Arbeitsplatz, sie lernen einander kennen, erfahren Wertschätzung und lernen die Sprache. In dieser Situation den Menschen einen Grund zu geben, aus der Erwerbsarbeit auszusteigen, nicht mehr Qualifikationen zu erwerben, sondern zu Hause zu bleiben, wäre ein fatales Signal."

Auch hier werden wieder zwei verschiedene Formen der Wertschätzung in einen Topf geworfen: Wertschätzung der Leistung einer Person und Wertschätzung der Person um ihrer selbst willen. Am Arbeitsplatz steht Leistung im Zentrum, sie ist die Legitimationsbasis für Arbeitsverhältnisse. Sicher erfährt man manches über Kollegen, das nicht an den Arbeitsplatz gehört, das hat eben deswegen seine problematische Seite.

Die Wendung am Schluss des Absatzes spricht Bände. Weshalb sollte das BGE der Grund sein auszusteigen? Genauso gut ließe sich sagen, dass es eine andere Basis verschafft, einzusteigen. Wer beitragen will, wird beitragen, wer nicht will, wird es nicht tun. Dagegen ist kein Kraut gewachsen, es lässt sich nicht verhindern, wenn partout keine Bereitschaft besteht. Wo der Grund dafür jedoch der stigmatisierende Effekt der heutigen Erwerbszentrierung ist, wird er an  Bedeutung eben verlieren.

Der Schluss des Beitrags erstaunt:

"Dessen ungeachtet brauchen wir eine Debatte über eine gute Gesellschaft, die nicht allein auf Erwerbstätigkeit und den Arbeitsmarkt setzt. Es gibt viel gesellschaftlich notwendige Arbeit, die nicht über den Markt erfolgen kann und die honoriert werden muss. Das bedingungslose Grundeinkommen ist jedoch dafür der falsche Weg."

Nun hat Frau Hassel nicht die kleinste Bemerkung dazu gemacht, wie sie sich das vorstellt. Angesichts ihrer Ausführungen, die den normativen Vorrang von Erwerbstätigkeit überhaupt nicht in Frage stellen, mag sie an Lebenszeitkonten, "atmende Lebensverläufe" und ähnliche Arbeitszeitmodelle denken. Das BGE jedoch geht viel weiter und schafft mehr Freiraum als jedes dieser Modell vermag.

Baukje Dobberstein wandte sich in einem offenen Brief an Anke Hassel und kritisierte in ihrem Blog, dass manche Ausführungen überheblich klingen. Dagegen verwahrte sich Anke Hassel so:

"Ich verwahre mich jedoch ausdrücklich gegen den Vorwurf der elitären Überheblichkeit. Ich lebe in dieser Gesellschaft genau wie Sie und habe Zugang zu anderen Menschen. Ich habe Kinder und lange mit jungen Menschen gearbeitet. Es ist völlig unbenommen, dass Menschen, die nicht erwerbstätig sind, ein sinnvolles Leben führen. Warum auch nicht. Es geht hier nicht um intrinsische Motivation sondern darum, ob jungen Menschen die Orientierung an Erwerbsarbeit, die in unserer Gesellschaft die einzige Möglichkeit sozialer Mobilität außer dem Glücksspiel ist, eher genommen wird oder nicht. [Hervorhebung SL| Das ist nicht überheblich sondern eine ernsthafte Überlegung. Als elitär und überheblich empfinde ich es, wenn sehr reiche Menschen für ein BGE plädieren, weil sie davon ausgehen, dass man die Arbeitswelt nicht gerecht organisieren kann oder will. Aber selbst darüber würde ich eher mit ihnen diskutieren und sie nicht diffamieren."

Diese Sorge wie es um die Orientierung der "jungen Menschen" stehe, kann man haben. Dann ist man allerdings in der Verantwortung, Argumente dafür anzuführen. Einfach zu behaupten, dass ein BGE diese Orientierung "eher" nehme, ist kein Argument (siehe "Ich werde Hartzer"). Anke Hassels Beitrag ist voller Voraussetzungen, die ob ihrer diagnostischen Angemessenheit gerade in Frage stehen. Dass soziale Mobilität durch eine stabile Einkommenssituation, wie ein BGE sie schafft, gerade gefördert werden könnte; dass Qualifizierungen außerhalb von Erwerbsverhältnissen erworben werden könnten - das sollte dann zumindest erwogen werden. Ein BGE würde zur Öffnung der außerordentlich starken Erwerbszentrierung führen, das wäre die Chance.

Zum Vorwurf der Überheblichkeit. Anke Hassel weist ihn zurück und setzt auf Diskussion, wie sie am Ende bemerkt. Das ist sympathisch, eigentlich selbstverständlich. Die Passage über die "Ich werde Hartzer"-Jugendlichen, die ich oben kommentiert habe, ist jedoch mindestens ambivalent. Weder wird die Äußerung samt der Hintergründe, vor denen sie gemacht wird, analysiert, noch einbezogen, dass ein BGE eine ganz andere Situation schaffen würde. Von daher wohnt der Passage ein Paternalismus inne, der den Einzelnen bestimmte Freiräume nicht geben will, in der Sorge, sie könnten missbraucht werden. Ist diese Art von Paternalismus mit guten Absichten dann nicht doch überheblich? Stellt man sich nicht über denjenigen, über den man spricht, wenn man weiß, was für sie richtig ist?

Sascha Liebermann

9. Februar 2017

Precht und Blome über das Bedingungslose Grundeinkommen und die "Mitte"

In der jüngsten Sendung "Precht" im ZDF geht es auch um das Bedingungslose Grundeinkommen, besonders ab Minute 17. Precht wiederholt, was er jüngst in einem Interview mit jung & naiv über das BGE geäußert hat. Blome deutet, was die "Mitte" in Deutschland auszeichnet, Trägheit, das Verständnis von Lohn für Leistung usw. Treffend beschreibt er, was bislang einer breiten Auseinandersetzung mit dem BGE entgegensteht, teils werden Floskeln geäußert wie, Leistung müsse sich für die Mitte wieder lohnen. Dem steht das BGE ja gar nicht entgegen. Blome geht allerdings über die Widersprüche hinweg, die gegenwärtig vorherrschende Vorstellungen darüber, was unser Leben zusammenhält, erzeugen. Dass Leistung auf bestimmte Leistungsformen verengt wird, dass die Stellung der Bürger in der Demokratie anders verfasst ist als der der Erwerbstätigen.

Sascha Liebermann

"Grundeinkommen für alle? TA stößt Debatte in Thüringen an"...

...so titelt die Thüringer Allgemeine. Schon vor mehr als zehn Jahren hat sie ein langes Gespräch mit Sascha Liebermann, "Freiheit zur Muße", veröffentlicht.

Siehe dazu auch "Nordhäuser BGE-Partei für 1000 Euro Grundeinkommen"

8. Februar 2017

"Ich will das diskutieren" - das Grundeinkommen...

...sagte offenbar Natascha Kohnen, Generalsektretärin der Bayern-SPD, die für den SPD-Landesvorsitz kandidiert:

"Ich will eine Millionärssteuer, ich will eine Bodenpreisbremse - das fühlt man, dass da etwas nicht mehr stimmt. Ebenso das Grundeinkommen: Ich will das diskutieren."

Und das in den Bundestagwahlkampf hinein.

7. Februar 2017

Sonderbare Schlussfolgerungen bei 3Sat Nano...

...in dem Beitrag "Kein Geldregen für alle. Bedingungsloses Grundeinkommen funktioniert nur in kleinem Maßstab". Das Beispiel in dem Beitrag lässt sich ja einfach auf andere Situationen übertragen.

6. Februar 2017

"Wenn aber die Kinder kommen, arbeiten viele weniger"...

Cartoon von Christiane Pfohlmann www.pfohlmann.de





...deswegen sind Frauen von Altersarmut besonders betroffen. So erklärt das Stephan Lenhardt in einem Videoclip der tagesschau #kurzerklärt (ab Minute 2). Aber ist es nicht so, dass Eltern, insbesondere Frauen, wenn Kinder auf die Welt kommen, vielmehr arbeiten als vorher? Weil sie rund um die Uhr nicht nur den Bedürfnissen der Kinder nachkommen, sondern darüber hinaus für das Wohlbefinden der Familie Sorge tragen?

Aber mit Arbeit ist doch Erwerbsarbeit gemeint, könnte hier eingewandt werden. Eben, das ist ja das Problem. Altersarmut ist das Resultat eines verengten Arbeitsbegriffes, der nur erwerbsförmige Leistungen als Leistung anerkennt. Die anderen fallen einfach unter den Tisch.

Das würde ein Bedingungsloses Grundeinkommen ändern.

Sascha Liebermann

3. Februar 2017

"Die Einkommensflatrate"...

...ein Beitrag von Stephan Lorenz zum Bedingungslosen Grundeinkommen für die Freie Presse Sachsen. Auch Sascha Liebermann wurde für diesen Artikel interviewt.

Fatalistisch und technologiefeindlich seien die Anhänger des Bedingungslosen Grundeinkommens...

...laut Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, der einen Beitrag dazu in focus online veröffentlicht hat, der zuvor im Magazin Zukunft 2017 der Konrad- Adenauer-Stiftung erschienen ist.

Er schreibt zum Ergebnis der Volksabstimmung in der Schweiz:

"Denn das Ergebnis der vielschichtigen eidgenössischen Debatte war in erster Linie eine krachende Niederlage für die Initiatoren der Abstimmung. Lediglich 23 Prozent der Wählerschaft stellten sich hinter das Konzept. Das ist weniger Zustimmung als in den Jahren zuvor der Mindestlohn oder die Begrenzung von Managergehältern erhielten. Umfragen zufolge findet sich auch in Deutschland derzeit keine Mehrheit für ein bedingungsloses Grundeinkommen."

Dass der Mindestlohn mehr Zustimmung erhielt ist insofern nicht überraschend, als er sich im Gefüge der Erwerbszentrierung bewegt und daran nichts ändert. Ein BGE will darüber hinaus und die Erwerbszentrierung aufheben. Die Befürworter haben dem Bestehenden gegenüber also eine Bringschuld deutlich zu machen, dass das BGE etwas ermöglicht, was im heutigen Gefüge nicht möglich ist.

Ist eine Zustimmung von 23 Prozent angesichts eines solchen Ziels denn wenig? Es ist zu wenig, wenn eine Mehrheit gesucht wird, das ist richtig, aber Vorhaben, die größere Veränderungen nach sich ziehen, haben immer eine Weile gebraucht, bis sie Mehrheiten finden konnten. Was wäre wohl in Deutschland los, wenn sich in einem Verfahren 23 Prozent für ein BGE ausgesprochen hätten (also keine nichtssagenden Umfragen)? Es wäre nicht mehr als abwegige Utopie wegzudiskutieren.

Dann äußert sich Hüther zum gegenwärtigen Sozialstaat:

"Keineswegs bedeutet dies, dass man den deutschen Sozialstaat von Reformbedarf freimachen könne. Nichts läge ferner. Denn tatsächlich leiden der Bundeshaushalt und damit die Steuerzahler unter viel zu hohen Bürokratiekosten, Sozialtransferempfänger gleichzeitig unter Stigmatisierung. In der Theorie könnte das bedingungslose Grundeinkommen diese Probleme angehen, soll dieses doch das Gros an Sozialtransfers und der Sozialversicherung – wie der Name schon sagt bedingungslos – ersetzen."

Zumindest anerkennt er, was ein BGE ermöglichen könnte.

Weiter heißt es:

"Legitimiert die aktuelle Situation in Deutschland jedoch einen solch drastischen Schritt, der den jahrzehntelang weiterentwickelten Sozialstaat und unsere gesamte Wirtschaftsordnung auf den Kopf zu stellen vermag?"

Was genau würde ein BGE denn "auf den Kopf stellen"? Es würde vielmehr etwas miteinander verbinden, das heute nicht zu verbinden ist: Solidarität und Leistung. Denn auch mit einem BGE benötigt es Leistung, damit es dauerhaft bereitgestellt werden kann, aber eben nicht nur eine, sehr eingeschränkte Form von Leistung: Erwerbsarbeit. Es benötigt all die anderen auch, die heute unter dem Vorrang der einen herausgehobenen leiden: Familien, Freiwilligenengagment, staatsbürgerschaftliches Engagement für die Demokratie.

"Freilich beschwören die Befürworter des Grundeinkommens eine sich verschärfende Dringlichkeit. Hierfür bedient man sich der voranschreitenden Digitalisierung und prognostiziert ein rabenschwarzes Bild des Arbeitsmarktes. Maschinen mit künstlicher Intelligenz erledigen Aufgaben, die heute noch von Menschen durchgeführt wird, nur eine kleine Elite würde weiterhin einer entlohnten Tätigkeit nachgehen. Die Mehrheit der Arbeitskräfte wäre schlichtweg überflüssig."

So argumentieren allerdings nicht nur Befürworter eines BGE, sondern auch solche, die davon nicht so überzeugt sind wie z. B. Erik Brynjolfsson. Hüther trifft hier einen wunden Punkt der Debatte, denn in der Vergangenheit hat es immer wieder Szenarien gegeben, die nicht eintrafen. Außerdem bezieht das BGE seine Bedeutung nicht von etwaigen Entwicklungen durch Digitalisierung. Statt sich auf die Reparaturfunktion eines BGE zu kaprizieren, wäre es für die öffentliche Auseinandersetzung wichtig, dass es um etwas anders im wesentlichen geht - um mehr Selbstbestimmung und Vielfalt in Gemeinschaft.

Entsprechend verweist Hüther auf ein solches Szenario:

"Damit wird ein altbekanntes Narrativ aufgegriffen, auf das bereits Henry Ford während des Zeitalters der Elektrifizierung hereinfiel. „Autos kaufen keine Autos“, so lautete die Sorge des Unternehmers vor über 100 Jahren. Auch er dachte, die Nutzung von technologischen Innovationen führte zu Substitution von menschlicher durch maschinelle Arbeitskraft. Mit fallenden Löhnen und Beschäftigungsquoten würde dann das gesamte System in sich zusammenbrechen."

Abgesehen von dem schon oben erwähnten Punkt, dass es beim BGE nicht hauptsächlich um den "Arbeitsmarkt" geht, ist die indirekte Verklärung, die Hüther hier vornimmt, ebensowenig haltbar. Betrachtet man die Entwicklung von Arbeitsvolumen und Erwerbstätigkeit, bietet sich ein Bild, das erheblich differenzierter ist und von einem lang anhaltenden Trend eines sinkenden Arbeitsvolumens zeugt (siehe hier, S. 47 und meinen Kommentar hier).

Hüther folgert:

"Der Argumentation hängt eine fatalistisch-technologiefeindliche Note an. Mit Blick auf zukünftige Massenarbeitslosigkeit und soziale Verwahrlosung böte sich der Gesellschaft ein letzter Ausweg, den großen sozialen Knall zu verhindern: das bedingungslose Grundeinkommen."

So überzogen die Argumentation mancher BGE-Befürworter hier ist, so überzogen ist sein Abtun der Entwicklung des Arbeitsvolumens. Wir wissen tatsächlich nicht, was die Digitalisierung bringen wird, insofern trägt es zu einer Versachlichung der Debatte bei, hier weder ein Horror-, noch ein Verklärungsszenario zu entwerfen.

Genau dazu setzt Hüther dann aber an:

"Dabei hat sich die zweite industrielle Revolution Ende des 19. Jahrhunderts als Startpunkt einer schier unglaublichen (und inklusiven) Wohlstands- und Wohlfahrtsstory erwiesen. Auch heute läuft es rund in der deutschen Wirtschaft. Insbesondere auf dem deutschen Arbeitsmarkt jagt ein Rekord den anderen, wobei sich ebenfalls die Qualität der Arbeit gewandelt hat: Nicht der Subsistenzerhalt, sondern vielmehr die Hoffnung auf ein erfülltes Leben ist für viele Menschen heute die Triebfeder des Arbeitens. Technologischer Fortschritt hat dies erst ermöglicht und er wird ebenso in Zukunft dazu führen, dass noch mehr Menschen einer entlohnten sinnstiftenden Arbeit nachgehen können. Die Unabdingbarkeit des bedingungslosen Grundeinkommens lässt sich nicht herleiten."

Nicht die Spur von Aufmersamkeit für den Druck, den diese Erwerbszentrierung auf andere Leistungsformen erzeugt. Dass genau diese Erwerbszentrierung es nur unter Inkaufnahme der Folgen vorsieht, ihr für eine gewisse Zeit nicht zu folgen, wenn man sich z. B. dazu entscheidet, mehr Zeit für Familie, für die Fürsorge für Angehörige oder andere Aufgaben zu haben, die nicht bezahlt werden, ignoriert Hüther einfach. Das kann man tun, sollte dann aber nicht verschweigen, welche Konsequenzen es für diese anderen Sphären des Zusammenlebens hat.

Zur Finanzierung:

"Finanzierbarkeit und Arbeitsanreize sprächen demnach für und nicht gegen die Einführung des Grundeinkommens. Zwei Argumente, die doch auf sehr wackeligen Beinen stehen. Orientiert man sich beispielsweise am Grundeinkommensmodell von Götz Werner in der Höhe von monatlich 1000 Euro, belaufen sich die Kosten auf mehr als das Doppelte der gesamten Staatsausgaben des Bundes, gar auf das Sechsfache der öffentlichen Bildungsausgaben – und das allein für die 68 Millionen in Deutschland lebenden Erwachsenen. Zieht man Beträge für Kinder hinzu erhöhen sich die Zahlungen entsprechend."

Ja, was folgt nun daraus? Ist es finanzierbar oder ist es das nicht? Oder geht es eher darum, ob man dazu bereit ist, es zu finanzieren. Letzteres scheint hier der Fall zu sein.

Eine Schwäche, die alle Berechnungsversuche haben betrifft die Einnahmeseite. Da darüber nichts Verlässliches ausgesagt werden kann, wird nur die Ausgabeseite betrachtet. Aber was bedeutet ein BGE für die Einnahmeseite, welche Auswirkungen hat es auf Arbeitshaltung, Arbeitseffizienz und -effektivität? Das nicht zu beachten, würde darauf hinauslaufen zu behaupten, heute seien die Arbeitsbedingungen optimal, mit einem BGE kann es nur schlechter werden. Wenn nun aber ein BGE die Chance erhöht, dass Individuum und Aufgabe zueinanderpassen, hat dies Auswirkungen auf alle Leistungformen und damit auf die Einnahmeseite. Darüber hinaus wirkt ein BGE sich auf die Lebensführung im Ganzen aus, weil es die normative Bedeutung von Erwerbstätigkeit verändert, folglich auch damit zusammenhängende Phänomene wie demonstrativen Konsum, Krankheitsbilder usw. Wenn Hüther diese Seite, wie viele Kritiker des BGE, einfach übergeht, ist das unseriös.

Dann folgt ein interessanter Einwand zu Feldexperimenten:

"Das zweite Argument ist ebenfalls kaum haltbar, denn Experimente zum bedingungslosen Grundeinkommen haben einen grundsätzlichen Haken: Sie stellen keine authentische Institution dar, die Teilnehmern glaubwürdig einen lebenslangen gesellschaftsvertraglichen Überbau in Form von monatlichen Auszahlungen auf ihrem Konto bietet."

Das stimmt, siehe hierzu auch meinen Kommentar.

"Ist das Experiment zu klein, könnten Teilnehmer wegziehen, ist das Experiment zu groß, könnte es beispielsweise durch ein Referendum wieder umgekehrt werden. Selbst wenn die Schweizer sich also für ein Bedingungsloses Grundeinkommen entschieden hätten, wer könnte ihnen garantieren, dass sie sich auch im Alter auf die entsprechenden Zahlungen verlassen könnten und sich der Volkswille nicht nach einigen Dekaden wieder in eine andere Richtung verschiebt?"

Das kann niemand garantieren, ist das aber heute anders? Wenn es den politischen Willen gäbe, die Rentenversicherung vollständig umzubauen, würden dadurch tatsächlich die erworbenen Ansprüche von Rentner vollständig geschützt? Würde es noch Grundsicherung im Alter geben, wenn der politische Wille dazu da ist, eine solche Leistung nicht mehr bereitzustellen? Es ist also eine Frage des politischen Willens - das ist immer die entscheidende Frage. Was soll uns der Einwand nun sagen?

Weiter geht es in dieser Passage:

"Die vorhandene Evidenz ist damit kaum zu interpretieren, die simple Forderung nach mehr empirischen Befunden greift aber ebenfalls zu kurz. Teilnehmer reagieren in beiden Fällen mit verzerrtem Verhalten auf die Experimente. Einen Test kann es praktisch nicht geben – die Einführung des Grundeinkommens bleibt eine Reise in die institutionelle Ungewissheit."

Da hat Hüther in der Tat recht, denn die Experimente können uns nicht sagen, was tatsächlich geschehen wird. Das gilt gleichermaßen für Modellrechnungen? Nun müsste Hüther das aber auch auf seine Argumentation anwenden, denn wir wissen heute ebensowenig, wofür es morgen einen politischen Willen geben oder nicht geben wird. Gestaltung ist immer ein Gang ins Ungewisse, sei es als Gemeinwesen durch politische Entscheidungen, sei es als Unternehmer, sei es als Bürger, der sein Leben lebt. Was morgen kommt, wissen wir nicht, wenngleich wir uns auf Kontinuität verlassen.

Ist aber das BGE soweit entfernt von dem Leben, das wir heute führen? Bringt es so große Veränderungen mit sicht? Das ist eine verbreitete Behauptung, sonst nichts. Bei genauer Betrachtung ist das BGE nur eine konsequente Fortentwicklung des Sozialstaats, damit er endlich auf dem Fundament ruht, das heute schon für die Demokratie selbstverständlich ist: mündigen Bürgern, die ihre Leben leben, Verantwortung wahrnehmen und darum ringen, vernünftige Entscheidungen in ihrem Sinne und im Sinne des Gemeinwesens zu treffen. Würde das BGE daran etwas ändern? Nein. Es würde allerdings deutlicher werden lassen, wo überall diese Aufgaben liegen und wie unterschiedlich sie sind. Wenn also all das für ein BGE als Voraussetzung gilt, was heute schon der Fall ist, dann ist der Schritt eben nicht so groß, wie er scheint.

Hüther sieht das selbstverständlich anders, er schreibt dann:

"Unsere heutige Gesellschaft beruht auf der Maxime der Leistungsgerechtigkeit und der Fairness. Man kann sich durchaus andere Gesellschaftsformen vorstellen, die Besteuerung von Leistungseinkommen für leistungslose Einkommen ist jedoch keine davon. Zwar ist ein inhärenter Reformdruck auf den Sozialstaat zu spüren, und ein Grundeinkommen würde wohl der zunehmenden Bürokratisierung Rechnung tragen, die aus einer immer tiefergehenden Ausdifferenzierung der Arbeitswelt herrührt."

Leistungsgerechtigkeit? Welche ist gemeint? Die Leistung der Familien, der Ehrenamtlichen? Selbstverständlich nicht. Hüther kennt nur eine Form des Leistungsträgers: den Erwerbstätigen. Wieviele Stunden pro Jahre wenden wir - um das in Erinnerung zu rufen - für nicht bezahlte Arbeit auf? Ach so, ja, 35% mehr Zeit für unbezahlte als für bezahlte Arbeit (siehe Statistisches Bundesamt). Wird diese Leistung denn in irgendeiner Form ernsthaft berücksichtigt und als gleichwertig erachtet? Nein. Ist das Leistungsgerechtigkeit? Wenn man es entsprechend hinbiegt und das reale Leben nicht beachtet.

Was ist nun riskant, das BGE oder der heutige Zustand? Mir scheint, es ist der heutige Zustand, der Leistung missachtet und so tut, als sei unbezahlte Arbeit einfach so da und selbstverständlich. Die Verschiebung, die statistisch beobachtbar ist, von unbezahlter zu bezahlter Arbeit macht allerdings deutlich, dass das eine auf Kosten des anderen geschieht. Wieviele Eltern - tatsächlich sind es zwar Mütter, es wäre wünschenswert, wenn es genauso Väter wären - sind denn heute bis zum Eintritt in den Kindergarten zuhause und konzentrieren sich auf die Bedürnisse der Familie? Und wieviele sind es danach? Ein Blick in die Betreuungsquote gibt Einblick darein? Wollen wir diese Degradierung von Familie und anderer unbezahlter Arbeit noch weiter treiben? Und die Folgen tragen?

Das BGE, im Unterschied zu heutigen Leistungen, würde es freistellen, wie Eltern dazu stehen. Erst dann könnten diese sich aber auch unbedrängt auf die Aufgabe einlassen, die Elternschaft darstellt. Dann würden wir sehen, wie sie ihre Prioritäten setzen. Heute drängen wir sie durch den normativen Vorrang von Erwerbstätigkeit in eine Richtung: Erwerbstätigkeit. Was dies mit dem Solidarzusammenhang unseres Gemeinwesens anstellt, können wir erahnen.

Sascha Liebermann

2. Februar 2017

"Ist das bedingungslose Grundeinkommen eine Utopie?"...

fragt Joachim Wilde, Professor an der Universität Osnabrück, in einem Beitrag für die Neue Osnabrücker Zeitung.

1. Februar 2017