7. August 2018

Propaganda, Meinungsmache, Manipulation - ein Interview...

...mit Walter Ötsch zu diesen Fragen ist auf den Nachdenkseiten erschienen. Gleich zu Beginn spricht Ötsch davon, dass jedes Herrschaftssystem auch der "minimalen Zustimmung der Beherrschten" bedürfe, ihre Herzen gewonnen werden müssten. Ötsch ist dann durchaus vorsichtig damit, was als "Propaganda" bezeichnet werden sollte, weil es immer um ein Ringen verschiedener "Machtsysteme" gehe. Manipulation sei erkennbar, die allgegenwärtige Werbung führe auch zu Gegenreaktionen, die Bürger seien also nicht einfach Opfer von Manpulations- und Beeinflussungsversuchen. Was in Lippmanns Worten als "Pseudoumwelt" bezeichnet wirde, könnte man in soziologischen Begriffen als Deutungsmuster bezeichnen (ein komplexeres Phänomen als "frames", über die in jüngerer Zeit viel diskutiert wird; die fram-Theorie tendiert dazu, die Individuen zu Opfern zu machen), denn die Realität eröffnet immer verschiedene Deutungsmöglichkeiten und nicht nur eine. Was dann im hier kurz kommentierten ersten Interviewteil nicht vorkommt, aber wichtig wäre, dass die Deutungsmuster auf Gerechtigkeitskeitsentwürfe verweisen, also auf positiv besetzte Weltdeutungen, die dann bestimmte, an politische Diskussionen anknüpfen müssen. Das gilt z. B. für die Agenda 2010 und ihre Individualisierung von Verantwortung bei Leistungsbeziehern des Arbeitslosengeldes, denn die Beschimpfung von "Sozialschmarotzern" oder "Faulen" ist kein neues Phänomen, es hat eine lange Geschichte. Wer z. B. die Verschärfung der Sozialpolitik mit der Agenda 2010 verstehen will, muss die Deutung von Autonomie und Selbstbestimmung in Deutschland verfolgen, das wird in der Diskussion um ein Bedingungsloses Grundeinkommen deutlich.

Sascha Liebermann