24. September 2025

"Der unbedingte Sozialstaat"...

...so lautet der Titel eines Beitrags von Gerald Wagner (Bezahlschranke) in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Der Autor greift eingangs auf die Ergebnisse des Pilotprojektes Grundeinkommen zum einen und diejenigen einer von Sam Altman finanzierten Studie zum anderen zurück, um ein BGE vorzustellen und etwaige Auswirkungen knapp zu erörtern. Die Kritik an den Studien wird nicht ausgespart. Es geht im Beitrag jedoch gar nicht vor allem um ein BGE, sondern um die Ausgaben für den Sozialstaat. 

Dann schreibt er an einer Stelle:

"Dabei steht die tatsächliche Einführung eines BGE weder in Deutschland noch in den Vereinigten Staaten zur Debatte. Was allerdings zur Debatte steht, ist die Frage nach einem Ausweg aus der tatsächlichen Bedingungsarmut der längst eingeführten sozialstaatlichen Grundversorgung. Denn nur wenn dies gelänge, könnte der Versuch einer merklichen Verringerung der deutschen Sozialausgaben Erfolg haben."

Wagner hält offenbar die "Bedingungsarmut" der Leistungen für ein entscheidendes Problem, doch worauf bezieht er sich? Wenn er auf das BGE referiert, müsste es ihm um die Sicherung des Existenzminimums gehen, die das Bürgergeld bereitstellen soll, doch das ist ja nur eine Leistung unter vielen. Genau im Bürgergeld sind nicht viele Einsparungen zu erreichen, wie jüngst wieder eine Studie des IAB zu bedenken gab. Zu sozialstaatlichen Leistungen zählen aber auch Renten- und Krankenversicherung, doch was hat ein BGE mit denen gemein? Die kann Wagner nicht vor Augen haben, oder etwa doch? Das sind jedoch Versicherungssysteme, wo könnte hier eine "Bedingungsarmut" vorliegen?

Einen wunden Punkt würde Wagner treffen, wenn es um die Effektivität von Leistungen ginge, z. B. ob denn die Existenzsicherung heutiger Art ihren Zweck erfüllt, ob sie zielgenau ist, wie es in der Diskussion heißt, oder ob sie Anspruchsberechtigte nicht erreicht, weil sie aus verschiedenen Gründen, u. a. der Stigmatisierung wegen, ihre Ansprüche nicht stellen (verdeckte Armut). Ebenso könnte die Bedürftigkeitsprüfung hinsichtlich des Existenzminimums in Frage gestellt werden, denn sie ist aufwendig und erzeugt ebenfalls Kosten. Doch genau das geschieht nicht, insofern steckt Wagner genau dort fest, wo es die herkömmliche Diskussion auch tut, es werden keine grundlegenden Fragen gestellt.

Abschließend schreibt er:

"Auch dieses Desinteresse lässt sich als Indiz lesen für die intellektuelle Auszehrung der Debatte um den Sozialstaat. Das gilt nicht für die Volkswirte, die etwa im Rahmen des wissenschaftlichen Beirats des Bundeswirtschaftsministeriums unverdrossen Vorschläge durchrechnen, wie die Kosten des Sozialstaats begrenzt werden könnten. Wissenschaftlich fundierte Impulse aber für den neuen Gesellschaftsvertrag, den es für einen stabilen Sozialstaat bräuchte, etwa aus der Sozialethik oder der politischen Philosophie, sind aktuell nicht spürbar. Die Impulse, die aus harmlosen Experimenten zum BGE kommen, sind kein Ersatz dafür."

Die Volkswirte "rechnen" Vorschläge durch, operieren dabei aber stets mit simplifizierten Modellen, zumal wenn es um das Bürgergeld geht. Etwas anderes als "Anreize" scheinen dort nicht bekannt zu sein, vor allem Lohnzuwachs als Anreiz. Für das Bürgergeld gibt es zumindest deutliche Hinweise, dass es nicht an den vermeintlich fehlenden Anreizen liegt, sondern an unangemessenen Erwartungen und überhaupt am Ziel des Systems, das die Erwerbsteilnahme ins Zentrum stellt. Auch diesbezüglich fehlt in dem Beitrag leider jeder Hinweis.

Warum tut er das BGE so schnell ab? Gerade ein BGE ermöglicht eine andere Ausrichtung: verlässliche Absicherung, Leistungsförderung, Zielgenauigkeit, Vielfalt der Lebensentwürfe. Ein Gemeinwesen wie das unsrige, das von Vielfalt, von Initiative, von Verantwortungsbereitschaft lebt, würde zu einem BGE passen, das Bürger nicht erziehen will zu Erwerbstätigen, sondern auf ihre Verantwortungsbereitschaft vorbehaltlos setzt - sie ist die Grundlage des Zusammenlebens.

Sascha Liebermann