19. September 2025

Eine Unzeit für ein Bedingungsloses Grundeinkommen?

Angesichts des unisono erklärten Bedarfs an Einsparungen im Sozialstaat scheint es vollkommen klar, dass gegenwärtig keine Idee weniger realitätstauglich ist als die eines Bedingungslosen Grundeinkommens. Wo die "Abschaffung" oder "Reform" des Bürgergeldes im Raum steht und so getan wird, als sei eine Umbenennung in "Grundsicherung" (so heißt die Leistung schon heute) gemeinsam mit einer Verschärfung des Förderns und Forderns der Weisheit letzter Schluß, bleibt für ein BGE kein Raum - oder doch? 

Diskutiert wird über die aufwendige Verwaltung des Bürgergeldes, denn immerhin muss die Bedürftigkeit geprüft und der Bedarf ermittelt werden. Gerade hier aber wäre ein BGE, zumindest auf der Ebene der Regelleistung, eine erhebliche Vereinfachung, weil die Bedürftigkeit nicht festgestellt und der Bedarf nicht ermittelt werden muss. Erst wenn Leistungen über ein BGE hinaus nötig werden, wäre eine Bedarfsermittlung gefragt. Selbst da jedoch lässt sich darüber nachdenken, mehr mit Pauschalen zu arbeiten, wie es schon früher vorgeschlagen wurde.

Das heute an die Aufsichtspflicht gebundene Fördern und Fordern könnte einem Fördern weichen, in dessen Zentrum der Beratungsnehmer steht - wie es in einem Beratungssetting am besten ist. Die Disziplinierung durch Beaufsichtigung wiche einer Beratung, die den Beratungsnehmer als Klienten ernst nehmen kann. Gespräche hätten nicht mehr den Charakter von Vorladungen, damit verbesserten sich die Aussichten, dass eine Beratung angenommen und nicht nur absolviert wird.

Über die genannten Punkte hinaus wäre zweierlei erreicht. Die erwünschte Zielgenauigkeit der Leistungen wäre sichergestellt, weil jede Existenzsicherung garantiert wäre und die Leistung die Anspruchsberechtigten auch erreicht. Verdeckte Armut, seit Jahren ein bekanntes Phänomen, also die Nichtinanspruchnahme von Leistungen, gehörten der Vergangenheit an, denn ein BGE kennt keine Hürde, es ist nicht schambehaftet und nicht stigmatisierend. Das gilt auch für die Bedarfsermittlung oberhalb des BGE, denn sie stünde auf einer anderen Grundlage als die heutige Bedarfsermittlung.

So abwegig es manchen erscheinen mag, gerade jetzt über ein BGE zu diskutieren, so nahe liegt es gerade jetzt. Denn die Diskussion um das Bürgergeld im Besonderen und den Sozialstaat im Allgemeinen ist ein Rückfall um zwanzig Jahre. Alles, was nun wieder favorisiert, in dem eine Lösung gesehen wird, wurde eingesetzt. Sanktionen wurden ja gerade wegen unerwünschter Folgen etwas entschärft; für diejenigen, die über Jahre erwerbslos sind, sind Verschärfungen keine Lösung, das ist bekannt. Zumal es schon damals  ein Mythos war, dass die Sozialhilfe eine Armutsfalle berge bzw. sie die Erwerbsbeteiligung verhindere. Man müsste nur die schon vor mehr als zwanzig Jahren veröffentlichte Studie von Georg Vobruba und Kollegen lesen, dann wäre das bekannt. Das Theorem von der Armutsfalle ist ein Wolkenkuckucksheim, das der Vorurteilspflege dient, nicht aber entspricht es den  Befunden. Doch wer in der vereinfachten Welt von Anreiz-Stimulationsmodellen denkt, kommt diesbezüglich nicht vom Fleck, er kann nicht vom Fleck kommen. Statt Wertschöpfung ins Zentrum zu rücken, geht es dann um Beschäftigung, Unternehmen werden zu Beschäftigungs- gar zu Erziehungsanstalten, Leistung wird zweitrangig. 

Es nimmt allerdings nicht Wunder, wie beharrlich diese Irrwege beschritten werden, denn, wer der Überzeugung ist, Erwerbsarbeit halte das Gemeinwesen zusammen, integriere es, sei identitätsbildend, der sieht die Bürger nicht, übersieht sie und übergeht sie damit. Die "Arbeitsgesellschaft" gräbt am Fundament der Bürgergemeinschaft. Wer von den Bürgen nicht viel hält, ihnen nicht zutraut und vertraut, im Sinne des Ganzen zu handeln, der kann auf Aufsicht nicht verzichten.

Sascha Liebermann