21. Februar 2025

„Das ist nicht akzeptabel“,...

...darüber herrschte Einigkeit im Gespräch zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz und Friedrich Merz hinsichtlich der Haltung eines Bürgergeldbeziehers, der mit einem Einspieler im "Duell" bei Welt TV vorgeführt wurde. Diese Vorführung erinnert unweigerlich an die Fernsehkarriere Arno Dübels, der wiederholt als Vorzeigearbeitsverweigerer genutzt wurde und sich offenbar auch dafür angeboten hatte. Doch was ist von solchen Einspielern zu halten?

1) Eine Person wird aufgrund ihrer Lebenssituation für ein Interview ausgewählt, das später in den Medien ausgestrahlt wird, gekürzt oder auch nicht. Die Person befindet sich in einer Lebenssituation, die strukturell stigmatisierend ist und Bürgegeldbezieher in eine Rechtfertigungssituation bringt, man erinnere sich nur an die nicht selten pauschale Verunglimpfung. Die Stigmatisierung struktureller Art geht auf den normativen Vorrang von Erwerbstätigkeit zurück. Warum ist es wichtig, sich das klarzumachen? Weil der Befragte dadurch schon in der Defensive ist.

2) Beim Einspieler handelt es sich um eine kurze Sequenz, einen Zusammenschnitt, man erfährt nicht viel und gleichwohl wird zu Beginn schon deutlich, dass hinter der Lebenssituation eine lange Leidensgeschichte steht, mit etlichen Aufs und Abs, wie der Befragte selbst schildert. Nun ist er 58, hat keine abgeschlossene Berufsausbildung, kommt mit dem Bürgergeld 'rum, wie er sagt, aber an den Ausführungen ist zu erkennen, dass die Leidensgeschichte noch nachwirkt. Seine Position im Arbeitsmarkt ist äußerst schwierig.

3) Wie groß ist seine Leistungsfähigkeit und -bereitschaft angesichts der Lebenssituation und der Vorgeschichte? Was kann er leisten und damit einem Arbeitgeber bieten, der in der Regel kontinuierliche Mitarbeit benötigt, ohne ständig unterstützen zu müssen? Der Einspieler zumindest macht den Eindruck, als seien die Möglichkeiten hier sehr eng gesteckt.

4) Wenn er nun am Ende des Clips sagt, dass er nicht bereit sei, irgendeine Arbeit anzunehmen, nur um arbeiten zu gehen, dann macht er lediglich deutlich, dass es doch nicht um Arbeit als Selbstzweck gehe, sondern um Leistung. Damit Leistung erbracht werden kann, muss es ein Passungsverhältnis zwischen Neigungen, Fähigkeiten, Interessen auf der einen und der Aufgabe, die es zu bewältigen gibt, auf der anderen Seite geben. Kurz gesagt, die Sache muss jemandem liegen, damit er kontinuierlich etwas leisten kann. Es geht letztlich um Leistung und nicht um Beschäftigung.

5) Unisono reagieren die der Bundeskanzler und Herr Merz mit Unverständnis, Verschärfungen werden in Aussicht gestellt, denn es gehe ja schließlich nicht, dass sich jemand derart verweigere. Denkt man nur ein wenig nach, betrachtet die gegenwärtige Lage des Befragten vor dem Hintergrund seiner Lebensgeschichte und setzt sie ins Verhältnis dazu, was für Leistungserbringung notwendig ist, kann einen diese Reaktion nur verwundern. Zumindest der Videoclip lässt erahnen, dass weder dem Befragten mit einer Verschärfung geholfen wäre, noch der Wertschöpfung, es scheint lediglich darum zu gehen, ein bestimmtes Gerechtigkeitsempfinden zu bedienen, das mit Leistung nichts und mit Würde der Person auch nichts zu tun zu haben scheint.

Apropos: Das Bürgergeld heißt im entsprechenden Sozialgesetzbuch übrigens immer noch "Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende". Eine Umbenennung in "Neue Grundsicherung" wäre eine kosmetische Veränderung, wie schon die Umbenennung von Hartz IV eine solche war. Dass Volksmund und öffentliche Diskussion die Kurzform "Bürgergeld" bevorzugen hat vermutlich denselben Grund wie schon bei "Hartz IV", auch das war nicht die offizielle Bezeichnung, sie war aber griffiger als die Bezeichnung aus dem Sozialgesetzbuch, die lautete "Grundsicherung für Arbeitsuchende". 

Scheindebatten und -lösungen führen also nicht weiter, für niemanden. Dass es aber genau solche Debatten sind, die mögliche Lösungen überdecken und Vorurteile pflegen, sollte mittlerweile offensichtlich sein, ist es aber wohl nicht.

Sascha Liebermann

20. Februar 2025

Erwerbsarbeitszeit erhöhen oder alternative Einkommenssicherung?

Einkommenssicherung nur über Erwerbstätigkeit und daran gebundene Sicherungssysteme zu gewährleisten, führt zur geschilderten Folge. Wer dann Familie ein großes Gewicht einräumt, hat das Nachsehen. Statt, wie in der Diskussion um Frauenarmut üblich, die Kur vor in der Ausweitung von Erwerbstätigkeit zu sehen, eröffnet sich eine Alternative nur in der Abwendung vom Erwerbsvorrang. Das würde den Stellenwert von Erwerbstätigkeit im Allgemeinen relativieren. Das geht nur mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen.

Sascha Liebermann

19. Februar 2025

Merz phantasiert erneut über "Totalverweigerer"

18. Februar 2025

"Wenn Elternschaft bezahlt würde"...

...ein Feature im WDR im Rahmen der Sendung Neugier genügt. Der Beitrag befasst sich mit den Herausforderungen von Elternschaft und der mangelnden gesellschaftlichen Anerkennung der Leistung, die Eltern, in der Regel erheblich mehr die Mütter, erbringen. Einige Gesprächspartner berichten aus ihrem Alltag und machen die Zerrissenheit deutlich, die ihn prägt, wenn sie Beruf und Familie unter einen Hut bringen wollen. Anders als sonst üblich, wenn es um die "Vereinbarkeit von Familie und Beruf" geht, wird die Zerrissenheit durch zweierlei Verpflichtungen, die denkbar unterschiedlich sind, nicht geglättet. Vor diesem Hintergrund wird dann die Frage gestellt, wie Familien gestärkt werden, wie sie mehr gesellschaftliche Anerkennung erfahren könnten? Der Vorschlag eines "Erziehungsgehalt[s]" kommt dabei zur Sprache, das Christian Leipert und Michael Opielka Ende der 90er Jahre vorgestellt hatten (eine kurze Übersicht zum Konzept eines Erziehungsgehalts von Leipert und Opielka in einer Kurzfassung von 2002 finden Sie hier, die Langfassung von 1998 hier). 

Im Vergleich zur heutigen Familienpolitik der vergangenen Jahre - man vergleich nur die Vorschläge dazu in den Familienberichten der Bundesregierung, die auf immer mehr Erwerbstätigkeit hinauslaufen - ist der Vorschlag eines Erziehungsgehalts sehr weitreichend, auch wenn er den Vorrang von Erwerbstätigkeit nicht aufgibt, aber immerhin doch stark relativiert. Insofern bietet es die Möglichkeit, tatsächlich mehr Zeit mit der Familie zu verbringen.

Noch weiter ginge der Vorschlag eines Bedingungslosen Grundeinkommens, da er die finanzielle Absicherung gar nicht an die konkrete Lebenssituation knüpft, doch davon ist im Feature leider keine Rede, obwohl genau das in der BGE-Diskussion eine erhebliche Rolle spielt. Die Stellung von Erwerbstätigkeit wird im Beitrag des WDR nur relativiert, nicht aber hinterfragt, obwohl die Folgen ihres Vorrangs allzu sichtbar sind. Nicht beleuchtet wird die Frage, inwiefern Eltern ihre Lage verbessern könnten, indem zeitweise Ansprüche aufgegeben und ruhen gelassen werden. In Analysen, die ich im Rahmen meiner Forschung durchgeführt habe (siehe z. B. hier), zeigte sich eher, dass Eltern geradezu selbstverständlich auf die Nutzung von Kitas vor dem dritten Lebensjahr setzen und sich gerade die Zeit eher nicht nehmen, die es für ein lebendiges Familienleben bräuchte.

Der im Beitrag befragte Ökonom, Helmut Reiner, beklagt vor allem die durch eine solche Unterstützung zu erwartende Reduktion des Arbeitsangebots, insobesondere bei Alleinerziehenden, und stellt sich die Frage nicht, zumindest nicht in den erwähnten Passagen, dass Familie ohne Zeit füreinander eben kein Familienleben haben kann. Es ist also kaum überraschend, dass gerade Alleinerziehende ihre Arbeitszeit dann womöglich reduzieren würden, weil sie in ihrer Elternposition besonders gefordert sind.

Die Behauptung, dass viele Eltern ihre Kinder nicht in langen Betreuungszeiten in Kitas unterbringen wollen, scheint mir doch sehr gewagt, sowohl angesichts unserer Befunde aus verschiedenen Analysen von Interviews mit Eltern als auch mit Blick auf den Familienreport 2024 (S. 79 ff.), wobei dessen Grundlage standardisierte Befragungen sind (zur einer methodischen Einordnung ihres Stellenwerts, siehe hier und hier).

Es geht in der Diskussion also um eine grundsätzliche Frage: will ein Gemeinwesen Eltern die Möglichkeit geben, sich nach eigenem Dafürhalten ihrer Verantwortung zu stellen, dann ist ein erwerbsunabhängige Einkommensquelle unerlässlich. Der Vorschlag eines Erziehungsgehalts geht einen deutlichen Schritt in diese Richtung. Weiter allerdings geht ein BGE, weil es eine Einkommenssicherung gar nicht mehr von den Lebensumständen abhängig macht - so kann jeder entscheiden, wie er sein Leben gestalten will, ob dazu Erwerbstätigkeit gehört und in welchem Umfang oder auch gar nicht oder nur phasenweise.

Sascha Liebermann

3. Februar 2025

"Rückblick auf einen spannenden Fachtag:...

 ... Grundeinkommen und öffentliche Güter, Infrastruktur und Dienstleistungen", von Ronald Blaschke auf der Website des Netzwerk Grundeinkommen.

Bedingungsloses Grundeinkommen, Wohlverhalten und der entscheidende Unterschied

2. Februar 2025

24. Januar 2025

Zehnter Familienbericht erschienen - was bleibt von Familie übrig?

Die Kurzfassung des Berichts finden Sie hier, die Langfassung hier.

"Empfehlungen der Sachverständigenkommission orientieren sich an den Zielen einer zukunfts­orientierten und nachhaltigen Familienpolitik", das stellt der Bericht heraus. Das klingt gut, was aber beinhaltet es? Zum Beispiel dies hier gleich zu Beginn der Empfehlungen:

"Um das Ziel der Stärkung ökonomischer Eigenständigkeit zu erreichen, empfiehlt die Sachverständigenkommission, den Ausbau der Kinderbetreuung quantitativ und qualitativ weiter voranzubringen und Vereinbarkeit zu fördern." (S. 27)

Zuerst einmal bedeutet diese Empfehlung, dass Familien weniger Zeit miteinander haben - das entspricht den Empfehlungen der vergangenen Berichte, besonders absurd im Achten Familienbericht, der noch mit "Zeit für Familie" (2012) übertitelt war. Nachhaltige Familienpolitik wäre demnach eine, die die Zeitsouveränität für Familien so deutet, dass außerhäusliche Versorgung gestärkt werden muss.

Die wohlklingende Formel von der "Vereinbarkeit von Familie und Beruf" ist ein nicht einlösbares Versprechen, denn sie führt zu weniger Zeit auf beiden Seiten, sie täuscht etwas vor und  mündet letztlich darein, dass Erwerbstätigkeit noch dominanter wird, als sie schon ist. Angemessener wäre es, diese Politik als eine des doppelten Verzichts (siehe auch hier) zu bezeichnen, denn das ist sie tatsächlich. Wer keine Zeit für Familie haben möchte, um es zuzuspitzen, strebt nach Vereinbarkeit. Das mag nun übertrieben klingen, ist aber die praktische Folge des Aufgeriebenwerdens durch Verantwortung für beides im Alltag. 

Laut Kommission sieht die Vereinbarkeit dann so aus. Sie fordert

"einen Rechtsanspruch auf acht Stunden institutioneller Betreuung in einer Kindertageseinrichtung, Tagespflege oder Ganztagsschule an allen fünf Werktagen einzuführen". (ebenda)

Da könnte ein Kind ja beinahe dort einziehen (siehe hier), denn der Kitaaufenthalt entspräche dem Umfang einer Vollerwerbstätigkeit. Wann soll da - insbesondere bei kleinen Kindern - noch Zeit füreinander bleiben, wenn das Erwerbsleben den Takt bestimmt? Dass in dem Bericht auf der einen Seite hervorgehoben wird, wie wichtig das Wohl der Kinder sei und zugleich solche Vorschläge gemacht werden, spricht Bände. Zumal der Bericht sich auf die Lage der Alleinerziehenden konzentriert, da durchaus treffend Problemlagen identifiziert, aber all das unter der Erwerbsfixierung letztlich verschüttet.

Eine weitere solche Empfehlung:

"Politik muss Wahlmöglichkeiten eröffnen, damit Eltern – unter Berücksichtigung der Bedürfnisse der Kinder – nach Trennung und Scheidung jene Betreuungsarrangements wählen können, welche ihren Vorstellungen am besten entsprechen." (S. 30)

Schließt diese Wahl denn ein, mit dem Kind zuhause sein zu können? Wenn das der Fall ist, muss der Bezug einer wie auch immer gestalteten Grundsicherung genau das ermöglichen. Heute aber ist es so, dass - wie der Bericht schreibt - Eltern erwerbstätig werden sollen, wenn das Kind das Alter von drei Jahren erreicht hat. Zwar wird hier ein weniger rigider Umgang empfohlen, doch die Erwerbsverpflichtung bleibt in Kraft. Das erkennt man auch an der folgenden Passage:

"Wege in die ökonomische Eigenständigkeit und damit aus dem Transferbezug aufzuzeigen, sollte das Primat einer nachhaltigen Familienpolitik sein." (S. 35)

Nachhaltige Familienpolitik bedeutet eben nicht, Eltern darin zu unterstützen, möglichst umfänglich die Verantwortung für ihre Kinder zu übernehmen und nach ihrem Dafürhalten zu entscheiden, wann sie erwerbstätig sein wollen. Stattdessen ist "ökonomische Eigenständigkeit" das Ziel, die hier nichts anderes bedeutet, als Einkommen durch Erwerbstätigkeit zu erzielen. Nachhaltige Familienpolitik ist also eine Familienpolitik, die von Familie nicht viel wissen will. Wäre es anders müsste sie Zeitsouveränität fördern, um Zeit füreinander haben zu können.

Sascha Liebermann

17. Januar 2025

Wertschöpfung statt Beschäftigung, darum müsste es gehen

"Beobachtung aus der Klinik" - zur Diskussion um Krankenstände

Die Anreize, die Anreize...

..., sie dürfen nicht fehlen. Sebastian Thieme spießt das auf. Wir sehen einmal ganz davon ab, was an den Meldungen als solchen überhaupt dran ist, siehe hier.

Siehe unsere früheren Beiträge zu diesem vereinfachten und verkürzten Verständnis davon, warum Menschen handeln, wie sie handeln, hier.

Sascha Liebermann

Berechtige Kritik und eine Verklärung

"Was Deutschland von der Schweiz lernen kann"...

....siehe auch frühere Beiträge von uns zur direkten Demokratie hier.

So unterstützend sich Gertrude Lübbe-Wolff zur direkten Demokratie äußert, so ablehnend ist sie gegenüber dem Bedingungslosen Grundeinkommen, das ist interessant, denn beides könnte leicht als zusammengehörig betrachtet werden (siehe hier und hier).

Sascha Liebermann

Differenzierte Betrachtung zur Lage der Rentenversicherung...

..., gerade angesichts der jüngst im ZDF ausgestrahlten Doku dazu. Siehe auch die Einschätzung von Mark Schieritz zur Entwicklung der Rentenversicherung hier.

Sascha Liebermann