Posts mit dem Label Unternehmer werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Unternehmer werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

25. Januar 2021

"...eine Gruppe von Mitbürgern einfach mit bedingungslosem Grundeinkommen auszugliedern" - Unternehmerblick oder Sozialpaternalismus?

Diese Frage stellt sich anlässlich des Interviews mit Reinhold von Eben-Worlée, Präsident von Die Familienunternehmer, in der Neuen Zürcher Zeitung, der folgendes darin ausführt:

"[NZZ] Zuletzt hat aber auch der grüne Vorstand Vorschläge gemacht für eine sogenannte «Garantiesicherung» ohne Arbeitszwang, die ein bedingungsloses Grundeinkommen über die Hintertür einführen würde.

[Eben-Worlée] Die Schröderschen Hartz-IV-Reformen haben ja gerade deswegen so gut gewirkt, weil es kein bedingungsloses Grundeinkommen gab. Wir haben darüber hinaus ein erhebliches demografisches Problem in Deutschland und können es uns gar nicht leisten, eine Gruppe von Mitbürgern einfach mit bedingungslosem Grundeinkommen auszugliedern. Wir werden diese Leute brauchen, um unser Bruttosozialprodukt für alle aufrechtzuerhalten."

Gut gewirkt inwiefern? Und: um welchen Preis? Wenn es einem Unternehmer nicht gleichgültig sein kann, aus welchem Antrieb heraus ein Mitarbeiter sich bei ihm bewirbt und sich zu engagieren bereit ist, dann ist Hartz IV das denkbar abwegigste Instrument dafür. Wenn der Präsident des Bundesverbandes der Familienunternehmen spricht, müsste es ihm doch um Wertschöpfung gehen, dann würde die Leistungsbereitschaft zählen, die sich am besten erkennen lässt, wenn jemand sich nicht um des Einkommens willen bewerben muss. Wenn es das Ziel ist, eine Aufgabe möglichst gut zu erledigen, spielt die Motivation der Mitarbeiter eine entscheidende Rolle - nicht aber offenbar für die Familienunternehmer.

Schaut man sich die untenstehende Grafik an, zeigt sich als Erfolg, dass die Arbeitszeit je Erwerbstätigen abgenommen (hätte das nicht noch höher ausfallen können?), das Arbeitsvolumen hingegen zugenommen hat. Was ist nun wichtiger, die notwendigen Einsatz menschlicher Arbeitskraft, wo vernünftig, zu verringern oder möglichst viele Bürger in den Arbeitsmarkt zu "integrieren"? Unternehmerisch ist letzteres nicht von Bedeutung. Außerdem werden Mitbürger mit einem BGE gar nicht ausgegliedert, denn es erhalten alle. Man könnte ja vielmehr andersherum sagen, alle werden eingegliedert, ganz unabhängig davon, ob sie erwerbstätig sind. Das ist es, was ein Sozialstaat unter Bedingungen einer liberalen Demokratie zu leisten hat, wenn er ihren Grundfesten entsprechen soll. Wir brauchen also nicht unbedingt "Leute", sondern Wertschöpfung, die auch mit weniger oder gar ohne in bestimmten Bereichen möglich ist. In welchem Umfang ist aber keineswegs klar.

Eine ganz andere "Denke" bezüglich unternehmerischer Aufgaben zeigte schon vor Jahren Götz W. Werner. In einem Interview mit der Stuttgarter Zeitung sagte er:

[Stuttgarter Zeitung]"Wäre es nicht Ihre vornehmste Aufgabe, Arbeitsplätze zu schaffen?

[Götz W. Werner] Ich muss wirklich sagen, dass ich dieses Gerede von der Schaffung neuer Arbeits- plätze langsam nicht mehr hören kann. Warum wird dem so wenig widersprochen? Die Wirtschaft hat nicht die Aufgabe, Arbeitsplätze zu schaffen. Im Gegenteil. Die Aufgabe der Wirtschaft ist es, die Menschen von der Arbeit zu befreien. Und das ist uns in den letzten 50 Jahren ja auch grandios gelungen."

Arbeitsplätze sind kein Selbstzweck, wo möglich können Maschinen die Aufgaben übernehmen.

In einem Interview mit Der Standard erhält das noch eine andere Wendung:

"STANDARD: Arbeitgeber wären von der Verantwortung freigespielt [im Falle der Einführung eines BGE, SL], für existenzsichernde Jobs zu sorgen.

Werner: Das ist auch nicht Aufgabe der Unternehmer. Ihr Job ist es, unter Einsatz von Geist, ressourcenschonend, mit sparsamen Umgang mit menschlicher Lebenszeit konsumfähige Güter herzustellen. Wir nehmen als Unternehmer ja Lebenszeit in Anspruch."

Lebenszeit ist also hier etwas Kostbares, das nicht verschleudert werden sollte. Sie ist nicht zurückzuholen. Deswegen gilt es abzuwägen, ob sie tatsächlich für die Bereitstellung standardisierter Güter und Dienstleistungen notwendig ist.

Was ist also nur mit den Unternehmern los, dass sie so defensiv oder gar abwehrend über ein BGE sprechen, von wenigen Ausnahmen abgesehen? Angesichts solcher Ausführungen sind die Unterschiede zu gewerkschaftlichen Stellungnahmen beinahe zu vernachlässigen, wenn es um die Frage geht, wieviel Selbstbestimmung soll möglich sein. Dabei ist es gerade diese Selbstbestimmung, die die für die Entstehung von Problemlösungen nötige Pluralität ermöglicht.

Siehe frühere Beiträge zu dieser Thematik hier und hier.

Sascha Liebermann

24. Oktober 2018

"Wir brauchen den Anreiz zu arbeiten"...

...sagte die Unternehmerin Christine Ostermann in einem Gespräch mit Michele Marsching (Piratenpartei), das im Jahr 2012 in der Wirtschaftswoche zu lesen war. Das liegt zwar lange zurück, ist aber immer noch interessant, weil es den Paternalismus zeigt, der unter Unternehmern bzw. Managern nicht gering verbreitet ist. Nachstehend ein Kommentar zur entsprechenden Passage des Streitgesprächs, in der die Wirtschaftswoche die Sprache auf das BGE brachte:

"Stichwort bedingungsloses Grundeinkommen?
Marsching: Klar. Ich persönlich vertrete da einen Satz, der ungefähr bei Hartz IV plus Wohngeld liegt. Das würde verhindern, dass Menschen sich für diese Leistung ausziehen müssen bis aufs letzte Hemd in Bezug auf ihre Daten.
Ostermann: So weit gibt es das ja heute schon, nur dass es an Bedingungen geknüpft ist. Und das ist auch wichtig. Sonst fehlen die Anreize, sich Arbeit zu suchen.
Marsching: Die Arbeit muss gemacht werden.
Ostermann: Das sehen die Menschen nicht von allein, die nicht arbeiten gehen.
Marsching: Das werden sie aber, wenn der Müll sich vor ihrer Haustür stapelt. Bei einem Grundeinkommen wird es eine Umschichtung geben. Die Arbeit, die keiner machen will, wie die der Klofrau, müsste höher entlohnt werden, weil sie sonst liegen bleibt.
Ostermann: Wir brauchen den Anreiz zu arbeiten. Es gibt zu viele Menschen, die durch Sozialtransfers dazu verleitet werden, auf der faulen Haut zu liegen. Wir hatten einen Auszubildenden, der hat gekündigt, weil das Gehalt auf die Sozialhilfe des Vaters angerechnet wird.
Marsching: Das ist einfach dumm.
Ostermann: Aber so etwas erlebe ich fast täglich. Und wenn Sie die falschen Anreize setzen, wäre es noch öfter."

Marsching vertritt einen eher defensiven Vorschlag eines BGE, die Frage wäre hier, meint er das als Individual- oder als Haushaltsleistung? Dass er das BGE angesichts der volkswirtschaftlichen Leistung so gering ansetzt, wodurch letztlich ohne Erwerbstätigkeit kein Auskommen zu erzielen ist, ist nicht nachvollziehbar, er wird dafür womöglich andernorts Begründungen vorgelegt haben.

Ostermann, wenig unternehmerisch, kontert sogleich mit den "Anreizen", einer ziemlich kruden Vorstellung davon, wie Handeln entsteht, warum Menschen tun, was sie tun. Wer so denkt, benötigt grundsätzlich Kontrolle, Kontrolle sollen hier "Anreize" liefern. Unternehmerische Initiative? Müsste ein Fremdwort sein für sie, es sei denn, die "Anreiz"-Behauptung gilt nur für bestimmte Gruppen.

Wenn Marsching nun mit "Die Arbeit muss gemacht werden" darauf reagiert, fragt man sich, wie das gemeint ist, stimmt er zu, damit würde er sich widersprechen. Oder zielt er auf etwas anderes? Welche Arbeit muss denn von wem gemacht werden? Was heißt hier "muss"? Plädiert er deswegen für ein niedriges BGE? Das würde passen, so bliebe der Arbeits-"Anreiz" erhalten.

Ostermann scheint sich überhaupt nicht zu fragen, was den diejenigen machen, die nicht "arbeiten" und warum sie nicht "arbeiten"? Will man das verstehen, muss diese Frage aber gestellt werden, denn Entscheidungen werden nicht einfach so getroffen.

Marsching ändert dann die Richtung und geht von einer Verhandlungsmacht aus, die ein BGE verleihe, aber doch nicht ein so niedriges, besonders nicht für eine alleinstehende Person. Die Vorstellung ist illusionär, auf dieser Basis besonders gut verhandeln zu können, es sei denn, der Arbeitsmarkt wäre so leergefegt, das dies möglich wäre. Das hängt dann aber nicht vom BGE, sondern von der Lage am Arbeitsmarkt ab. Ein BGE will gerade davon unabhängig Entscheidungen ermöglichen.

Das Verführung-zur-Faulheit-durch-Sozialtransfers-Argument darf nicht fehlen, Ostermann kennt diese Gefahr offenbar aus eigener Erfahrung. Wie es mit Erfahrung aber manchmal so ist, sie kann auch trügerisch sein, weil man bestimmte Schlüsse aus ihr zieht, die nicht zwingend sind. Belege gibt es für Ostermanns Behauptung in dieser Form keine (siehe z. B. die Arbeiten von Gebauer, Petaschauer und Vobruba). Ostermanns Beispiel ist interessant: war der Grund, den sie nennt, der wahre oder steckte etwas Anderes dahinter? Liegt hier womöglich ein Ablösungsproblem vor, also mangelnd Abnabelung vom Elternhaus (siehe auch hier)? Und davon einmal abgesehen, gäbe es genau die Anrechnung, die sie hier moniert, mit einem BGE gerade nicht. Ostermann lässt sich in ihrer Haltung nicht beirren und kommt nicht auf den Gedanken, dass ihre Schlussfolgerungen aus den Erfahrungen in eine andere Richtung weisen könnten. Will sie denn etwa auf Mitarbeiter bauen, die nicht bei ihr arbeiten wollen und nur durch Sanktionsandrohungen bzw. "Anreize" den Weg zu ihr finden? Damit würde ihr Unternehmen sich eine Erziehungsanstalt verwandeln.

Sascha Liebermann

17. März 2017

Globale Wirtschaftselite? Eine Legende...

...wenn man den Untersuchungen von Michael Hartmann, Prof. em. für Soziologie an der TU Darmstadt, folgt. In einem Interview mit dem Deutschlandradio gab er über seine Forschung Auskunft, in der er sich seit Jahrzehnten schon damit beschäftigt, wie Eliten sich ausbilden. Ein Auszug:

"Hartmann: Ja, sie sind hoch mobil in dem Sinne, dass sie natürlich, wenn es sich um Topmanager handelt, diese berühmten Roadshows machen müssen. Also, sie müssen für Investoren dann eben nach New York oder nach Tokio fliegen, aber das sind immer nur kurze Stippvisiten. Wenn man sich anguckt, wo diese Topmanager tatsächlich arbeiten, so arbeiten 90 Prozent in ihrem Heimatland. Die fliegen nur hin und wieder weg. Und ich habe dann auch geguckt, wie viele von denen sind wenigstens einmal sechs Monate am Stück im Ausland gewesen? Das ist ja ein sehr geringer Maßstab. Auch das ist nur gut jeder Fünfte. Das heißt, die überwältigende Mehrheit von über 70 Prozent sind ihr ganzes Leben, was die Ausbildung angeht, was die Berufslaufbahn angeht, was den Wohnort angeht, in dem Land geblieben, in dem sie auch groß geworden sind..."

Dieser Befund hat Ähnlichkeiten mit Ergebnissen meiner Forschung, die im Jahr 2002 veröffentlicht wurde. Darin ging es um die Frage, ob es denn angesichts der internationalen Ausrichtung von Unternehmen noch so etwas wie Loyalität zu nationalstaatlichen Gerechtigkeitsvorstellungen gebe. Sie war viel stärker als erwartet. Näheres finden Sie hier.

Sascha Liebermann

21. September 2016