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23. August 2025

"Normal gestrickte Menschen"...

...sind das Risiko schlechthin der Demokratie. So könnte man den Kommentar Markus Städelis in der Neue Zürcher Zeitung zusammenfassen, der dort den Vorschlag Sam Altmans und Elon Musks kommentiert, die im Bedingungslosen Grundeinkommen ein Mittel sehen, um den Folgen der KI-Nutzung, die ihrer Auffassung nach hohe Arbeitslosigkeit mit sich bringen werde, begegnen zu können. Ein BGE erlaube, so Städeli, ohne Existenzängste Möglichkeiten zu ergreifen, die dem Einzelnen gemäß seien.

Nicht ganz geheuer ist ihm dieser Vorschlag, weil er von zwei Unternehmern kommt, die doch selbst für diese Folgen verantwortlich seien, was ganz danach klingt, als sollte eine solche Entwicklung vermieden werden, wenn denn die KI tatsächlich diese Folgen hätte. Doch warum? Wenn nun KI zur Substituierung menschlicher Arbeitskraft in der Breite führen würde, weil sie Routinetätigkeiten zuverlässiger erledigen könnte, gewönne doch der Einzelne Zeit für das zurück, was die KI eben nicht kann. Wo ist das Problem?

Tja, das Problem ist die Grundverfasstheit des Menschen, so hat man den Eindruck, denn:

"Falls KI wirklich Massenarbeitslosigkeit verursachen sollte, sind gesellschaftliche Probleme programmiert: Arbeit ist ja nicht bloss eine Quelle des Einkommens, sondern auch ein wichtiger Teil der sozialen Identität und des Zusammenhalts. Der Wegfall einer Tagesstruktur würde zu mehr Alkohol- und Drogenkonsum sowie zur gesellschaftlichen Isolation führen."

Dahin ist die Vorstellung vom zur Selbstbestimmung fähigen Menschen, der für solche Veränderungen auch angemessene Antworten finden könnte. Obwohl Städeli selbst Ansatzpunkte dafür erkennen lässt, weshalb seine Behauptung fragwürdig erscheint, sieht er diese nicht. Zweifelsohne hat Erwerbstätigkeit heute einen hohen Stellenwert, aber doch nicht, weil der Einzelne ihr diesen verleiht, sondern weil er ihr gemeinschaftlich verliehen wird, man schaue sich nur die Systeme sozialer Sicherung an. Wenn also diese kollektiv vorherrschende Deutung aufgegeben würde, bräche der normative Vorrang von Erwerbstätigkeit zusammen, nicht aber das Leben als solches. Städeli sagt ja selbst, dass sie nur "ein wichtiger Teil" sei, nicht aber der alleinig wichtige. Dann folgt sogleich das Untergangsszenario ganz im Sinne von Brot und Spiele: der Absturz in Alkohol- und Drogenkonsum. Das führt einen direkt zur Forderung nach der Abschaffung der Rente, denn sie müsste ja das Vorspiel im Kleinen zu diesem Untergang sein. Scheint nicht so ganz zu stimmen mit der Behauptung, ja, weshalb nur?

Darüber hinaus droht Ungemach von anderer Seite: die Fleißigen und die Faulen werden sich als Feinde gegenüberstehen, weil ein BGE ja ungerecht sei. Moment, aber erhalten es nicht beide Gruppen? Wollte der Autor denn etwa dafür plädieren, lieber auf Rationalisierungs- und Automatisierungsvorteile zu verzichten, um Arbeitsplätze zu erhalten, damit "der Mensch" - wie es heute so gerne heißt - eine Aufgabe hat? Solchen Paternalismus aus der NZZ zu vernehmen, die sich stets um Eigenverantwortung Sorgen macht, ist wirklich unerhört.

Städeli aber ist vorbereitet, argumentativ, denn:

"Normal gestrickte Menschen komponieren nicht plötzlich den ganzen Tag Musik und verschreiben sich auch nicht der Nachbarschaftshilfe, wenn man ihnen einen monatlichen Check ausstellt. Sie bleiben morgens einfach im Bett liegen."

Ach so, sie sind zu dieser sagenumwobenden Eigenverantwortung gar nicht in der Lage, und zwar nicht nur Einzelne, ja insbesondere die "normal gestrickten Menschen", während die Kreativen eine herausgehobene Größe darstellen sozusagen die Krönung des Menschseins. Bass erstaunt kann man sein, dass Städeli diese Herablassung der sonst sich so nah am Menschen fühlenden und für ihn sprechenden NZZ nicht bemerkt oder eben für ganz angemessen hält. Sollte letzteres der Fall sein, wäre das Plädoyer für die NZZ-artige Eigenverantwortung hoffnungslos idealistisch. Wie ist dann nur die direkte Demokratie in der Schweiz mit guten Gründen vertretbar, stellt sie angesichts solchen Verständnisses des Menschseins nicht die Bedrohung für Wohlstand und Ordnung schlechthin dar? Die Schweizer demnach ein Volk von Träumern?

"Eine kleine Zahl von Menschen wird aktiv, lernfähig und erfolgreich bleiben, während eine wachsende Zahl von Menschen in Passivität gelähmt sein wird."

Zitiert Städeli nur Musk oder spricht Musk Städeli aus der Seele? Vielleicht sind sie doch Brüder im Geiste.

Sascha Liebermann

18. März 2024

"Auch das bedingungslose Grundeinkommen kommt wieder auf die Agenda"...

 ...ein Kommentar - oder besser gesagt ein ironisierendes Untergangsszenario - von Beat Balzli in der Neuen Zürcher Zeitung. Er beschließt seinen Beitrag folgendermaßen:

"Hinter jeder Disruption herrscht Dunkelheit. Maschinen machen Genies leistungsfähiger und dem Mittelmass den Garaus. Der Abgang der Boomer hinterlässt Lücken, dämpft den Absturz nur. Der empathiebefreite Volkswirt nennt es Sockelarbeitslosigkeit. Die KI besorgt künftig nicht demselben Menschen einen Job, dem sie ihn zuvor genommen hat. Die Mittelschicht findet sich im Abklingbecken der Transformation wieder: Mittelmanager, Marketingplaner . . . oder wie die Dinosaurier einer bald untergegangenen Arbeitswelt alle heissen."

Ein Szenario, das in der BGE-Diskussion immer wieder beschworen wurde, wenn auch unter wechselnden Schlagworten: Ende der Arbeit, Digitalisierung und jetzt Künstliche Intelligenz. Ob es nun eintreffen wird, wird sich zeigen. Auch früher schon war es verkürzt, ein BGE vor dem Hintergrund der Arbeitsmarktentwicklung für notwendig zu erachten, damit geriet aus dem Blick, worum es im Zentrum gehen müsste: die Selbstbestimmungmöglichkeiten in einem Gemeinwesen, die Eröffnung von Gestaltungsfreiräumen - letztlich die Anerkennung der Bürger um ihrer selbst willen in der politischen Ordnung.

"Die Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens beobachten die Entwicklung genau. Trotz Niederlagen an der Urne kommt das Konzept irgendwann zurück. Verlockender und unbezahlbarer denn je, trifft es dann auf eine gewandelte Schweiz, in der die Eigenverantwortung erodiert. Die Politik tut gut daran, sich bereits heute darauf vorzubereiten – mit einer intelligenten Antwort. Ahornsirup für alle ist keine Lösung."

Man könnte auch sagen, der Autor hat genau diese Dimension eines BGE, in der es um Demokratie und Bürger geht, nicht im Auge.

Sascha Liebermann





27. Juni 2022

Beschränkte Rationalität, Vorteile eines Bedingungslosen Grundeinkommens und doch die "Zielgenauigkeit" bevorzugen

Die Neue Zürcher Zeitung hat ein Interview mit der Wirtschaftswissenschaftlerin Esther Duflo geführt, in dem an einer Stelle das Bedingungslose Grundeinkommen ins Spiel kommt. Da Duflo sich dazu auch früher schon geäußert hat (siehe unseren Kommentar hier), sei die Stelle kommentiert.

"[NZZ] Um die Folgen solcher Schocks abzufedern, wird seit einigen Jahren das bedingungslose Grundeinkommen propagiert, als Mittel für Sicherheit und Teilhabe. Dies führt doch dazu, dass die Leute nicht mehr arbeiten?

[Duflo] Diese Effekte werden überschätzt. In Alaska wird jährlich pro Kopf ein Teil der Einnahmen aus dem Erdölfonds ausgeschüttet, was in die Richtung eines bedingungslosen Grundeinkommens geht, auch wenn es im Schnitt nur etwa 1600 Dollar pro Jahr sind. Die Menschen in Alaska arbeiten deswegen aber nicht weniger. Ein bedingungsloses Grundeinkommen erlaubt es den Leuten jedoch, nicht jede beliebige Stelle annehmen zu müssen, sondern sich bei der Arbeitssuche etwas Zeit zu nehmen."

Eine klare Einschätzung von Duflo, die sie auch an anderen Stellen schon gegeben hat. Allerdings ist der Verweis auf Alaska - wie sie selbst zu erkennen gibt - nur ein schwacher Beleg, da die Ausschüttungen des Alaska Permanent Fund sehr niedrig sind und insofern das Erwerbsgebot nicht wirklich antasten. 1600 Dollar pro Jahr (in 2021 waren es 1114 Dollar) sind etwa 133 Dollar im Monat. Verleiht dieser Betrag schon mehr Verhandlungsmacht oder weshalb schlägt sie die Brücke vom APF zum BGE? Darüber hinaus handelt es sich nicht um eine durch ein Gemeinwesen herbeigeführte Umverteilung aus der allgemeinen Wertschöpfung, sondern nur um einen Anteil an der Veräußerung von Rohstoffen, also eine Art Ressourcendividende. Das ist insofern interessant, als hinter einem solchen Umverteilungsverständnis ein anderer Solidaritätsbegriff steht als im Falle allgemeiner Umverteilung.

Die NZZ fragt nach:

"[NZZ] Sie würden es also empfehlen?

[Duflo] Für reiche Länder nicht, denn es würde extrem teuer, allen Menschen ein Grundeinkommen zu geben, mit dem sie würdig leben können. Man müsste dann an anderen Orten sparen, zum Beispiel bei der Bildung. Für die reichen Länder sind gezielte Transfers viel besser. Wenn Arbeiter wegen der Automatisierung ihren Job verlieren, brauchen diese etwa eine Umschulung."

Dass ein BGE teurer sei, ist eine häufig anzutreffende Behauptung, aber was heißt teurer? Teurer als was und wofür? Entscheidend ist, wofür ein Gemeinwesen seine (finanziellen) Mittel einsetzt und was damit erreicht werden kann. Wenn ein BGE die Person um ihrer selbst willen anerkennt und ihre Handlungsmöglichkeiten erweitert, stigmatisierende Effekte heutiger Leistungen aufhebt, würde es sich insgesamt autonomiestärkend auswirken - das hat Folgen für alle Zusammenhänge des Lebens. Duflo weist selbst auf die gewonnene Handlungsmacht hin, warum erwartet sie hier keine positiven Auswirkungen in den "reichen Ländern"? Im Falle von Bildung ist nicht das Das, sondern das Wie entscheidend und die Bedingungen, unter denen Bildung ermöglicht wird. Das wäre ebenfalls zu berücksichtigen. Ein BGE wäre eben nicht an eine Umschulung gebunden, gleichwohl aber wäre es eine Rückendeckung für eine solche. Und wenn nun "Arbeiter" ihren "Job" verlieren, wäre es dann nicht hilfreich, ein BGE zu haben und auf Erwerbstätigkeit nicht angewiesen zu sein? Duflo denkt innerhalb der Erwerbszentrierung, ohne darüber hinauszugehen. "Gezielte Transfers" von denen sie spricht, scheitern an ihrer Zielungenauigkeit, siehe hier.

"[NZZ] Reagieren Leute generell weniger stark auf monetäre Anreize, als Ökonominnen und Ökonomen meinen?

[Duflo] Das ist so, sie wechseln wegen eines höheren Lohns nicht einfach die Stelle und verlassen wegen höherer Steuern nicht unbedingt ihren Wohnort. Ökonomen haben oft ein ziemlich enges Bild von Rationalität. Die Menschen berücksichtigen dagegen mehrere Dimensionen, wenn sie sich ein Bild vom guten Leben machen."

In der Tat sind die Gründe für Handeln vielfältig und keineswegs bloß an einer Dimension orientiert, auch wenn Einwände gegen ein BGE das häufig behaupten. Diese Einsicht allerdings ist nicht neu, es ist eher verwunderlich, dass dies noch herausgestellt werden muss.

Sascha Liebermann

31. März 2022

NZZ schnappt sich Knallerzitat eines SVP-Mitglieds,...

...die im Beitrag versammelten Stimmen sind differenziert und bieten nachvollziehbare Einwände.

Zur Problematik solcher Versuche, siehe hier.

Sascha Liebermann 

27. August 2021

"Das Grundeinkommen ist wieder da – und soll die Marktwirtschaft retten" schreibt Christoph Eisenring...

 ...über das neue Buch von Thomas Straubhaar in der Neuen Zürcher Zeitung. Eisenring hatte schon das erste Buch Straubhaars zum Bedingungslosen Grundeinkommen "Radikal gerecht" rezensiert (siehe hier) und erwartbare, teils treffende Einwände vorgebracht. In der aktuellen Rezension geht es wieder um "Arbeitsanreize", die Eisenring ähnlich krude verwendet wie Straubhaar über die Jahre selbst. Wer behauptet, Erwerbsarbeit verliere aufgrund höherer Besteuerung an Attraktivität, sollte sich einmal damit befassen, welche Gründe es noch dafür gibt, erwerbstätig zu werden, dann würde die Deutung ungleich komplexer werden. Darauf habe ich in meinem damaligen Kommentar auch mit Verweis auf Ausführungen Karl Widerquists hingewiesen.

Entscheidend für die Einschätzung ist, wie differenziert die Motivierung von Handeln verstanden wird, da ist der Begriff "Anreiz" (siehe auch hier) nicht hilfreich, schon semantisch legt er eine Verkürzung nahe und in seinem Gebrauch in der fachwissenschaftlichen Literatur ist er häufig unterkomplex (obwohl es in der Psychologie durchaus komplexere Konzepte dazu gibt). Seine Attraktivität rührt sicher genau daher, dass er in einer Form Zusammenhänge vereinfacht, die so vereinfacht nicht zu verstehen sind, wie schon der Sozialphilosoph George Herbert Mead in "Mind, Self, and Society" sich zu zeigen bemühte.

Dass Eisenring hier wieder einmal die vermeintlich negativen Folgen eines BGE für die Bildungsambitionen junger Menschen herausstellt, ohne zu fragen, woher denn heute manche Verweigerung, Desinteresse oder gar Scheitern daran rührt, ist beredtes Zeugnis für eine verkürzte Betrachtung, für die der Gebrauch des Begriffs "Anreiz" steht. Siehe unsere Beiträge zu dieser Frage z.B.  hier und hier.

Straubhaar scheint auch in neuen Buch wieder ein BGE auf ein Mittel gegen etwaige Folgen der Digitalisierung zu verkürzen, die politische Dimension, es als Anteil der Bürger am Wohlstand des Gemeinwesens zu betrachten, ganz gleich, wie die Arbeitswelt sich entwickelt, sieht er anscheinend nicht.

Eisenring schreibt gegen Ende:

"Es [das BGE, SL] unterhöhlt einen zentralen Pfeiler unserer Gesellschaft: Wer von der Allgemeinheit Hilfe in Anspruch nimmt, sollte sich anstrengen, selbst wieder auf die Beine zu kommen. Solidarität ist keine Einbahnstrasse, sondern begründet eine Pflicht zur Selbsthilfe. Dazu passt das Motto «Fördern und fordern», das Straubhaar als «altbacken» abtut."

Kann man in einem Gemeinwesen leben, ohne Hilfe in Anspruch zu nehmen? Sind denn öffentliche Infrastruktur, Rechtssicherheit usw. keine Hilfe im weiteren Sinne? Der Kostgänger-Einwand greift nur, wenn die umfassenden Abhängigkeiten aller voneinander in einem Gemeinwesen geleugnet werden, wenn also auf Loyalität der Bürger zur politischen Ordnung, Leistungen außerhalb der Erwerbsförmigkeit und Leistungen vorangehender Generationen verzichtet werden könnte. Das ist jedoch unmöglich. Eisenring verkürzt Eigenständigkeit auf den Erwerbsbeitrag - das ist nur ein Aspekt des Zusammenlebens neben anderen ebenso wichtigen. Entscheidend aber bleibt die Stellung der Bürger im Gemeinwesen als Legitimationsquelle der politischen Ordnung - sie gilt bedingungslos.

Frühere Kommentare von uns zu Straubhaars Ausführungen finden Sie hier.

Sascha Liebermann

25. Januar 2021

"...eine Gruppe von Mitbürgern einfach mit bedingungslosem Grundeinkommen auszugliedern" - Unternehmerblick oder Sozialpaternalismus?

Diese Frage stellt sich anlässlich des Interviews mit Reinhold von Eben-Worlée, Präsident von Die Familienunternehmer, in der Neuen Zürcher Zeitung, der folgendes darin ausführt:

"[NZZ] Zuletzt hat aber auch der grüne Vorstand Vorschläge gemacht für eine sogenannte «Garantiesicherung» ohne Arbeitszwang, die ein bedingungsloses Grundeinkommen über die Hintertür einführen würde.

[Eben-Worlée] Die Schröderschen Hartz-IV-Reformen haben ja gerade deswegen so gut gewirkt, weil es kein bedingungsloses Grundeinkommen gab. Wir haben darüber hinaus ein erhebliches demografisches Problem in Deutschland und können es uns gar nicht leisten, eine Gruppe von Mitbürgern einfach mit bedingungslosem Grundeinkommen auszugliedern. Wir werden diese Leute brauchen, um unser Bruttosozialprodukt für alle aufrechtzuerhalten."

Gut gewirkt inwiefern? Und: um welchen Preis? Wenn es einem Unternehmer nicht gleichgültig sein kann, aus welchem Antrieb heraus ein Mitarbeiter sich bei ihm bewirbt und sich zu engagieren bereit ist, dann ist Hartz IV das denkbar abwegigste Instrument dafür. Wenn der Präsident des Bundesverbandes der Familienunternehmen spricht, müsste es ihm doch um Wertschöpfung gehen, dann würde die Leistungsbereitschaft zählen, die sich am besten erkennen lässt, wenn jemand sich nicht um des Einkommens willen bewerben muss. Wenn es das Ziel ist, eine Aufgabe möglichst gut zu erledigen, spielt die Motivation der Mitarbeiter eine entscheidende Rolle - nicht aber offenbar für die Familienunternehmer.

Schaut man sich die untenstehende Grafik an, zeigt sich als Erfolg, dass die Arbeitszeit je Erwerbstätigen abgenommen (hätte das nicht noch höher ausfallen können?), das Arbeitsvolumen hingegen zugenommen hat. Was ist nun wichtiger, die notwendigen Einsatz menschlicher Arbeitskraft, wo vernünftig, zu verringern oder möglichst viele Bürger in den Arbeitsmarkt zu "integrieren"? Unternehmerisch ist letzteres nicht von Bedeutung. Außerdem werden Mitbürger mit einem BGE gar nicht ausgegliedert, denn es erhalten alle. Man könnte ja vielmehr andersherum sagen, alle werden eingegliedert, ganz unabhängig davon, ob sie erwerbstätig sind. Das ist es, was ein Sozialstaat unter Bedingungen einer liberalen Demokratie zu leisten hat, wenn er ihren Grundfesten entsprechen soll. Wir brauchen also nicht unbedingt "Leute", sondern Wertschöpfung, die auch mit weniger oder gar ohne in bestimmten Bereichen möglich ist. In welchem Umfang ist aber keineswegs klar.

Eine ganz andere "Denke" bezüglich unternehmerischer Aufgaben zeigte schon vor Jahren Götz W. Werner. In einem Interview mit der Stuttgarter Zeitung sagte er:

[Stuttgarter Zeitung]"Wäre es nicht Ihre vornehmste Aufgabe, Arbeitsplätze zu schaffen?

[Götz W. Werner] Ich muss wirklich sagen, dass ich dieses Gerede von der Schaffung neuer Arbeits- plätze langsam nicht mehr hören kann. Warum wird dem so wenig widersprochen? Die Wirtschaft hat nicht die Aufgabe, Arbeitsplätze zu schaffen. Im Gegenteil. Die Aufgabe der Wirtschaft ist es, die Menschen von der Arbeit zu befreien. Und das ist uns in den letzten 50 Jahren ja auch grandios gelungen."

Arbeitsplätze sind kein Selbstzweck, wo möglich können Maschinen die Aufgaben übernehmen.

In einem Interview mit Der Standard erhält das noch eine andere Wendung:

"STANDARD: Arbeitgeber wären von der Verantwortung freigespielt [im Falle der Einführung eines BGE, SL], für existenzsichernde Jobs zu sorgen.

Werner: Das ist auch nicht Aufgabe der Unternehmer. Ihr Job ist es, unter Einsatz von Geist, ressourcenschonend, mit sparsamen Umgang mit menschlicher Lebenszeit konsumfähige Güter herzustellen. Wir nehmen als Unternehmer ja Lebenszeit in Anspruch."

Lebenszeit ist also hier etwas Kostbares, das nicht verschleudert werden sollte. Sie ist nicht zurückzuholen. Deswegen gilt es abzuwägen, ob sie tatsächlich für die Bereitstellung standardisierter Güter und Dienstleistungen notwendig ist.

Was ist also nur mit den Unternehmern los, dass sie so defensiv oder gar abwehrend über ein BGE sprechen, von wenigen Ausnahmen abgesehen? Angesichts solcher Ausführungen sind die Unterschiede zu gewerkschaftlichen Stellungnahmen beinahe zu vernachlässigen, wenn es um die Frage geht, wieviel Selbstbestimmung soll möglich sein. Dabei ist es gerade diese Selbstbestimmung, die die für die Entstehung von Problemlösungen nötige Pluralität ermöglicht.

Siehe frühere Beiträge zu dieser Thematik hier und hier.

Sascha Liebermann

20. Januar 2021

"Das liberale Denken beginnt nicht an der Decke, sondern gemäss Ralf Dahrendorf auf dem «gemeinsamen Fussboden»...

 ..., von dem aus jedes Individuum, dank seinem Antrieb und seinen Fähigkeiten, so hoch aufsteigen kann wie jemand, der in einem Penthouse ins Leben startet. Dazu beitragen können eine negative Einkommenssteuer (wie sie schon Milton Friedman empfahl), ein bedingungsloses Grundeinkommen (das bei einer Umfrage meines Forschungsteams in Oxford überwältigende 71 Prozent der Europäer bejahten), ein steuerfinanziertes universales Minimalerbe (besonders wünschenswert, wenn – wie in Grossbritannien und Amerika – der entscheidende Graben nicht beim Einkommen, sondern beim geerbten Vermögen klafft), ausserdem allgemeine Grundversorgung für Gesundheit, Wohnung und soziale Sicherheit. Es gibt ganz unterschiedliche nationale Varianten des liberalen, demokratischen Kapitalismus; deshalb wird sich der Mix dieser Massnahmen von Land zu Land unterscheiden."

Eine interessante und folgenreiche Einschätzung des Liberalismus durch Timothy Garton Ash in der Neuen Zürcher Zeitung. Der hier erwähnte Ralf Dahrendorf war auf der einen Seite einen klarer Vertreter einer Bürgergemeinschaft, in der es nicht entscheidend ist, welchen Beitrag jemand leistet, sondern dass er  um seiner selbst willen und um der Gemeinschaft willen anerkannt wird. Zugleich hatte Dahrendorf aber erstaunliche Vorbehalte gegen ein garantiertes Grundeinkommen.

Sascha Liebermann

26. August 2020

Almosenempfänger, sorgsam alimentierte Klientel, Gouvernanten-Staat...

....wahrlich ein Bedrohungsszenario, das Christoph Prantner in seinem Kommentar in der Neuen Zürcher Zeitung zum Bedingungslosen Grundeinkommen entfaltet:

"Die bedingungslose Mindestsicherung, das Steckenpferd der Salonlinken bei den Grünen, der Linken und der SPD, ist genau das Gegenteil. Sie macht aus Bürgern Almosenempfänger – eine sorgsam alimentierte Klientel, die wenig Anreize hat, andere Segnungen eines umfassenden Gouvernanten-Staates abzulehnen."

Doch: Almosen sind freiwillige Gaben, Gnadengeschenke - ein BGE wäre durch Gesetz eingeführt und der Anspruch damit etabliert; Klientel gäbe es keine, da es alle erhalten; die Beschwörung des Nanny-Staates, hier als Gouvernante, darf natürlich nicht fehlen - sind die Bürger solch schwächliche,  unmündige, ihre Interessen nicht verteidigen könnende Geschöpfe? Ja, das sind sie, denn wo keine Anreize sind, droht der Untergang. Dann wäre es vielleicht besser, gleich unterzugehen, ohne die gouvernantenhaften Anreize.

Sascha Liebermann

20. Dezember 2019

"Idee des bedingungslosen Grundeinkommens nicht totzukriegen" - warum wohl?


8. Oktober 2019

"Wir müssen das Konzept 'Hotel Mama' dringend überdenken" - Ablösung und Bedingungsloses Grundeinkommen...

...darum geht es in einem Interview mit Remo Largo in der Neuen Zürcher Zeitung. Largo war vor seiner Pensionierung u.a. für die Zürcher Longitudinalstudien verantwortlich, die am Zürcher Kinderspital durchgeführt wurden. Auf seiner Website finden sich etliche Veröffentlichungen dazu frei zugänglich.  In seinem jüngsten Buch "Das passende Leben" führt er seine über die Jahre gewonnenen Erkenntnisse zur kindlichen Entwicklung nochmals zusammen und kommt auf ein Bedingungsloses Grundeinkommen zu sprechen (siehe hier und hier). Seine Einsichten sind interessant, weisen auf ganz drängende Fragen dahingehend hin, wie viel Zeit und Raum Familie heute noch hat und wie sehr Kinder in ihrer Entwicklung durch die Vorstellungen der Erwachsenenwelt bedrängt werden.

Im Interview gleich zu Beginn geht es, wie der Titel schon sagt, darum, dass junge Erwachsene viel zu lange zu Hause lebten und Largo vorschlägt, Wohngemeinschaften für junge Menschen zu ermöglichen, damit die Ablösung von den Eltern früher vollzogen wird. Nun stellt sich die Frage nach den Gründen für die späte Ablösung und zugleich, wie eine frühere unterstützt werden könnte. Hier kommt ein BGE ins Spiel, nicht alleine wegen des gesichert verfügbaren Geldes, um das Leben in einer WG zu finanzieren, das wäre ebenso ein Effekt. Gewichtiger noch ist, dass ein BGE mit dem Erreichen der Volljährigkeit die volle Verfügbarkeit über das BGE selbstverständlich werden ließe. In eine WG zu ziehen und es sich von den Eltern finanzieren zu lassen, ist etwas anderes, als es alleine tragen zu können, weil die Gemeinschaft es einem ermöglicht.

Siehe unsere früheren Beiträge über Remo Largo

Sascha Liebermann

12. September 2019

"Gut gebildet, verheiratet – und in der Schweiz arbeitslos gestrandet"...

...ein interessanter Beitrag von Michael von Ledebur in der Neuen Zürcher Zeitung, der zeigt, dass es sich mit dem Fachkräftemangel nicht so verhält, wie gemeinhin gedacht wird und die Arbeitslosenstatistik manches nicht erfasst.

10. Juli 2019

"Republik kommt von Res publica"....

...ein Beitrag von Oliver Zimmer in der Neuen Zürcher Zeitung über das Schweizer "Milizsystem" (nebenberufliche Ausübung öffentlicher Ämter). Siehe dazu einen früheren Kommentar hier.

25. Juni 2019

"Sozialhilfe: Der Mann, der so tut, als würde er arbeiten"...

...auch wenn der Titel klingt, als folge eine Abrechnung mit der Sozialhilfe, gibt der Beitrag von Michael von Ledebur in der Neuen Zürcher Zeitung einen interessanten Einblick  in die Lage in der Stadt Zürich. Kürzlich war zu vernehmen, dass die Stadt überlegt, Sanktionen bei Sozialhilfebeziehern nur noch in bestimmten Fällen anzuwenden, siehe hier.

22. Mai 2019

"Helden der (Miliz-) Arbeit"...

...ein Beitrag von Lukas Leuzinger in der Neuen Zürcher Zeitung. Das Milizsystem in der Schweiz erläutert Andreas Kley im Historischen Lexikon der Schweiz. Siehe dazu auch den Beitrag von Markus Freitag  "Das Schweizer Milizsystem erodiert" ebenfalls in der Neuen Zürcher Zeitung. Vergleichbar ist das Milizsystem mit der Form des Ehrenamts, in der öffentliche bedeutsame Aufgaben wahrgenommen werden.

Deutlich wird an den Beiträgen, ein solches Engagement muss man sich leisten können, was für bürgerschaftliches Engagement in Deutschland gleichermaßen gilt.

Sascha Liebermann

16. April 2019

"Lohn für Hausarbeit ist und bleibt eine Herdprämie. Diese zu fordern, ist gefährlich und naiv"...

...schreibt Angelika Hardegger in der Neuen Zürcher Zeitung. Siehe auch diesen Beitrag, auf den sich Hardeggers Kommentar bezieht. Hier eine Stellungnahme von Anja Peter und Mitstreiterinnen aus dem Debattierclub WIDE.

Eine Debatte, die im Zusammenhang mit dem Bedingungslosen Grundeinkommen ebenso geführt wird. Hardegger verteidigt im Grunde das "Alleinernährermodell", das mittlerweile für alle gelten soll, an dessen Struktur sich nichts verändert hat: Erwerbsarbeit steht über allem, "unbezahlte Arbeit" ist für andere. Hardegger sieht die Entwertung der Haushaltstätigkeiten nicht, die damit einhergeht. Statt den Vorrang von Erwerbstätigkeit zu relativieren, wie es Anja Peter und andere anstreben, will sie ihn zementieren. Allerdings ist es tatsächlich so, dass Frauen nach wie vor sich in diesem Bereich viel stärker engagieren (siehe auch diese Kurzdarstellung des Statistischen Bundesamtes, hier ein ausführliche Version).

Sascha Liebermann

15. März 2019

"Arbeiten oder daheim bleiben? Ein Dilemma, das sich jungen Eltern auf der ganzen Welt stellt"...

...ein Beitrag von Roman Sigrist in der Neuen Zürcher Zeitung. Siehe auch unsere Kommentare zu dieser Thematik hier und hier.

12. März 2019

"Wenn es um die Zukunft mit Robotern geht, sieht der Ökonom Richard Baldwin schwarz"...

...Gerald Hosp besprach in der Neuen Zürcher Zeitung das neue Buch von Richard Baldwin Globotics Upheaval. Globalization, Robotics, and the Future of Work.

5. Februar 2019

Immer dieselben Experten in den Medien...

...das thematisierte ein Beitrag von Servan Grüninger in der Neuen Zürcher Zeitung schon im vergangenen November und weist darauf hin, dass dafür sowohl die Wissenschaften selbst, als auch die Medien verantwortlich seien. Während die einen zu wenig bereit seien, sich in die öffentliche Diskussion zu begeben, bedienen sich die anderen zu oft derselben Experten. Zwar bezieht sich der Beitrag auf die Situation in der Schweiz, ließe sich aber umstandlos auf Deutschland übertragen - die Grundeinkommensdiskussion wäre nur ein Beispiel dafür. Diese mangelnde Vielfalt ist für die öffentliche Diskussion und Meinungsbildung nicht förderlich. Was sich als Polarisierung darstellt, würde erheblich mehr Zwischentöne erkennbar machen, wenn die Vielfalt der Stimmen deutlicher würde.

Sascha Liebermann

13. September 2018

Vollbeschäftigung durch Bullshit-Jobs...

...das sei die "Rationalität moderner Wirtschaften", so Mathias Binswanger in der Neuen Zürcher Zeitung anlässlich eines Interviews mit David Graeber über sein Buch "Bullshit-Jobs". Hier ist die Passage im Wortlaut:

"Die Rationalität moderner Wirtschaften liegt gerade darin, dass sie auch Jobs generiert, die nach herkömmlicher Betrachtung wenig Sinn ergeben. Nur auf diese Weise lässt sich Vollbeschäftigung bei zunehmender Automatisierung und Digitalisierung weiterhin aufrechterhalten. Würden die Menschen nur noch in sogenannten «sinnvollen Jobs» arbeiten, dann hätten wir schon lange Massenarbeitslosigkeit. [...] Die Nachfrage nach den meisten Bullshit-Jobs ergibt sich somit aus konkreten Notwendigkeiten im Einzelfall. So würden wohl viele Menschen zustimmen, wenn man den Beruf eines Zertifizierungsauditors als Bullshit-Job bezeichnet. Doch dieser Beruf ist heute systemnotwendig, Zertifizierungen wurden eingeführt, damit die Einhaltung bestimmter Anforderungen nachgewiesen werden kann. Das verlangt aber wiederum nach Auditoren, welche die zu zertifizierenden Organisationen besuchen, um die dort installierten Systeme auf Konformität zu überprüfen."

Damit trifft Binswanger einen wunden Punkt in Graebers Studie und betont an den Bullshit-Jobs, dass es sich jedoch um erforderliche Tätigkeiten handelt, um bestimmte Aufgaben zu erledigen. Eines allerdings übersieht er dabei. Was würde denn aus diesen "Jobs", wenn niemand auf sie angewiesen wäre, was würde aus ihnen, wenn sie zur Einkommenssicherung nicht mehr nötig wären? Was also würde aus ihnen, wenn es ein BGE gäbe? Dann könnte jeder selbst entscheiden, ob er sie für bullshit hält oder nicht - die Freiheit hätte er.

Sascha Liebermann

11. September 2018