25. April 2024

Auch nur eine Befragung...

...und nur, weil Mitarbeiter der Auffassung seien, die veränderte Sanktionspraxis stelle ein Problem dar, folgt daraus nicht, dass in der Verschärfung eine Lösung bestehe. Wie insgesamt in der Debatte, lassen sich Vorurteile auch bei Mitarbeitern im Jobcenter feststellen.

Hier der Link zur Studie des DIW

Eine standardisierte Befragung bleibt bezüglich der Denkwelten oberflächlich, auch wenn sie "repräsentativ" wäre, das liegt in der Methodik begründet und sollte einen dazu veranlassen, sich anderes Datenmaterial zu verschaffen. Wenn das nicht möglich ist, kann ein Anfang sein, die Komplexität von Alltagsbeobachtungen ernst zu nehmen. 

Sascha Liebermann

"Alter Wein in alten Schläuchen"...

...Stefan Sell mit einem informativen Beitrag zur Bürgergelddebatte und dem Vorschlag einer Neuen Grundsicherung von Seiten der CDU auf Makronom. Hier ein Zitat daraus:"'Im Dezember 2023 gab es 5,5 Millionen Regelleistungsberechtigte, davon mehr als ein Viertel Kinder und 3,9 Millionen erwerbsfähige Leistungsberechtigte. Das Bürgergeld ist eine existenzsichernde Sozialleistung für Haushalte mit mindestens einem erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, wobei der Erwerbsfähigkeitsbegriff im SGB II im internationalen Vergleich sehr weit definiert ist. Etwa 1,7 Millionen erwerbsfähige Leistungsberechtigte sind tatsächlich arbeitslos, fast die Hälfte davon ist langzeitarbeitslos, also länger als ein Jahr arbeitslos. Viele SGB-II-Arbeitslose weisen Eigenschaften auf, die eine schnelle Vermittlung in Arbeit ausschließen. Beispielsweise haben zwei Drittel der SGB-II-Langzeitarbeitslosen keine abgeschlossene Berufsausbildung. Umgekehrt sind 2,2 Millionen erwerbsfähige Leistungsberechtigte gar nicht arbeitslos.'"

Sell geht dabei auch auf die Widersprüche im CDU-Papier ein, das insgesamt auf eine Verschärfung der Bezugsbedingungen hinauslaufen würde. 

Unseren Kommentar zum CDU-Vorschlag finden Sie hier.

Abschließend schreibt Sell:

"Aber tatsächlich suggeriert das bestehende Bürgergeld bei dem einen oder anderen etwas, was das Bürgergeld nach SGB II nicht leisten kann. Und es ist weiterhin kein bedingungsloses Grundeinkommen, wie manche immer wieder suggerieren. Es ist eine bedürftigkeitsabhängige Sozialhilfeleistung – angereichert mit dann allerdings weit weniger verpflichtend ausgestalteten Förder-Komponenten für einen Teil der Leistungsempfänger."

Das wurde von Beginn an moniert und ist nach wir vor zutreffend. 

Nachdem also nun das Bürgergeld schon wieder in Frage gestellt wird und zugleich nur geringfügige Verbesserung gebracht hat, wäre es vermutlich an der Zeit, nicht nur "Mut zur semantischen Wahrheit" zu haben. Es drängt sich die Frage auf, wie ein soziales Sicherungssystem gestaltet sein müsste, das den vielfältigen Herausforderungen gerecht werden könnte und zugleich die Möglichkeiten des Einzelnen erweitert, nach einer auch für ihn geeigneten Lösung zu suchen, die nicht immer wieder in Erwerbsteilnahme, Erwerbsteilnahme und Erwerbsteilnahme besteht. Wenn man das will, muss man über ein Bedingungsloses Grundeinkommen reden, auch wenn das weit entfernt scheint. Manche der Debatten, die geführt werden, könnten wir uns dann sparen.

Sascha Liebermann

22. April 2024

Sanktionsfrei in Aktion...

...es mag Vorschriften geben, was wann unter welchen Bedingungen bewilligt werden kann, diese Kleinteiligkeit ist erschreckend.

Sascha Liebermann 

21. April 2024

„Das Ziel muss sein, dass jeder, der arbeiten kann, auch arbeitet“...

 ...so ist  Interview mit Christian Lindner in der Stuttgarter Zeitung überschrieben. Man ahnt schon, worauf es hinauslaufen wird. Es geht um viele Themen in diesem Gespräch, als er auf Erfahrungen mit 
dem Bürgergeld angesprochen wird, sagt er:

"Dass der Berechnungsmodus für den Regelsatz Probleme aufwirft, ist bekannt. Die Bürgergelderhöhung ist in diesem Jahr zu hoch ausgefallen, dafür wird es im nächsten eine Nullrunde geben. Entscheidend ist aber: Wir müssen mehr Druck aufbauen, wenn sich Menschen weigern, zumutbare Arbeit aufzunehmen."

In Kontrast dazu lese man dieses Interview hier. Es wird nicht nach den Gründen gefragt, weshalb jemand kein Stellenangebot annimmt bzw. keines sucht. Um zu verstehen, was das Problem ist, muss man danach aber fragen und nicht einfach behaupten, dass das es zu wenig "Druck" gebe. Aber wen interessieren die Gründe schon. Niemandem ist geholfen, wenn jemand aus dem Leistungsbezug gedrängt wird, ohne in der dann aufgenommen Erwerbstätigkeit auch erfolgreich sich einzubringen. Es wird Beschäftigung mit Leistung verwechselt, ein verbreitetes Phänomen:

"Wir brauchen ohne Wenn und Aber weitere Verschärfungen bei den Sanktionen. Der Staat muss alles tun, damit zumutbare Arbeit auch tatsächlich aufgenommen wird. Da ist noch Luft nach oben. Wenn wir Menschen verpflichten, Ein-Euro-Jobs zu übernehmen, wird es unattraktiver, sich aufs Bürgergeld zu verlassen. Und: Wir müssen die Erfahrungen mit dem Job-Turbo für die Flüchtlinge aus der Ukraine genau auswerten. Das, was da erfolgreich ist, müssen wir auf alle ausweiten."

Wer würde schon dagegen plädieren, die Vermittlungsbemühen der Arbeitsagenturen verbessern zu wollen, doch Illusionen zu nähren, ist keine Lösung. 

Sascha Liebermann

„Jemand, der arbeitet, muss deutlich mehr haben als jemand, der nicht arbeitet“...

...darüber schreibt Dietrich Creutzburg in der Frankfurter Allgemeine Zeitung und bezieht sich auf ein Gespräch mit dem Arbeitgeberpräsidenten Rainer Dulger. Ein etwas älteres Gespräch mit ihm haben wir hier kommentiert. Nun würde man erwarten, dass ein Arbeitgeberpräsident im Sinne unternehmerischen Handelns denkt und argumentiert, ist das hier der Fall?

Deutschland sei, so Dulger laut FAZ, mit dem Bürgergeld auf dem Weg zu einem Bedingungslosen Grundeinkommen. Hm, also, würde der Begriff ernst genommen "Bürger-Geld" als Geld für Bürger um ihres Bürgerdaseins willen, dann schon, aber das Bürgergeld weist in keiner Form in Richtung eines BGE, da es - wie sein Vorgänger - eine Einkommensersatzleistung ist, die beantragt werden muss, für die strikte Bezugsbedingungen gelten und die sanktionsbewehrt ist. Das ist alles ziemlich das Gegenteil eines BGE, die These also eher heiße Luft und Anzeichen dafür, wie sehr da einem vor den mündigen Bürgern zu grauen scheint, die mit einem BGE größere Handlungsfreiräume hätten.

Nun fordert Dulger eine "Grundsanierung des Systems" - was soll das heißen? Sollen bisher geltende Prinzipien der Existenzsicherung über Bord geworfen werden? Soll es noch strikter werden als zu Zeiten der alten Grundsicherung? Dann müsste Dulger aber ziemlich weit zurückgehen, vielleicht in die Zeit, als es noch gar kein Verständnis dafür gab, dass es Aufgabe des Sozialstaates ist, eine Existenzsicherung bereitzustellen, die dem Würdegebot gemäß ist. Das alles scheint er nicht zu wollen, sondern: „Eigenverantwortung stärken, gezielt unterstützen und auf wirklich Bedürftige konzentrieren“.

Das klingt nach einem ganz neuen Sicherungssystem, das die Welt noch nicht gesehen hat. Als sei es gegenwärtig so, dass alle nach Lust und Laune Bürgergeld beziehen könnten, es keine Bedarfsprüfung und auch keine Sanktionen gäbe. Das Plädoyer für "finanzielle Anreize" darf natürlich nicht fehlen, das ist ein Novum und verspricht eine vollkommen neue Dynamik in der sozialen Sicherung - oder vielleicht doch nur heiße Luft. 

"'Jemand, der arbeitet, muss immer deutlich mehr haben als jemand, der nicht arbeitet', betont Dulger. 'Und jemand, der seine Arbeit ausweitet, muss mehr in der Tasche haben als davor.' Tatsächlich werde dies aber durch das Bürgergeld und auch durch andere Sozialleistungen wie das Wohngeld derzeit unterlaufen. Die vielen kritischen Debatten über das Sozialsystem seien daher kein Zufall. 'Eine Mehrheit der Bevölkerung denkt, dass mit dem Bürgergeld zu wenig Anreize zum Arbeiten gesetzt werden.'"

Hier nun also die ganz neuen Ziele. Hilfreich wäre es, sich einmal in die Debatte der letzten Monate zu vertiefen und deutlich zu machen, wo es im bestehenden System tatsächlich solche Probleme gibt. Dann müsste der Blick nicht auf die unteren Einkommen fallen, sondern auf die mittleren (siehe hier und hier), die später im Text noch erwähnt werden. 

Was die "Mehrheit der Bevölkerung" dazu denkt, auf die man sich immer gerne berufen kann, ergibt sich wohl am ehesten aus Umfragen. Wenn aber schon Politiker und andere Amtsinhaber die vorliegenden Daten nicht angemessen deuten (können), kann man das wohl kaum von denjenigen erwarten, die sich mit den Zusammenhängen nicht so intensiv befassen. Die Berufung auf die "Bevölkerung" ist also eine schöne Nebelkerze. Auch hier, wie so oft in der Debatte, wird die Bereitschaft, den Umfang der Erwerbstätigkeit zu erhöhen, ausschließlich daran gemessen, ob ein entsprechender Einkommenszuwachs winkt - der Anreiz eben, es zählt aber nur einer.

Ziel müsse die Aufnahme von Arbeit sein, heißt es dann - aber um welchen Preis? Wenn Wertschöpfung der Zweck eines Unternehmens ist, dann benötigt es dazu, sofern nicht Arbeitskraft auf Maschinen übertragen werden kann, leistungsbereite und -fähige Mitarbeiter. Das sollte unstrittig sein. Muss man dann nicht vielmehr auf diese Bereitschaft schon setzen, statt sie dorthin drängen zu wollen? Man wartet ja noch immer auf die Belege dafür, welche großes Problem denn die "Arbeitsverweigerung" sei. Man könnte auf die Erfahrungen derer hören, die wissen wovon sie reden, also z. B. Leitungen von Jobcentern (siehe hier und hier). Die bloße Arbeitsaufnahme, zu der Leistungsbezieher gedrängt werden, führte bislang eher nicht zu anhaltenden Beschäftigungsverhältnissen und selbst wenn, ist damit noch nicht belegt, dass dies auch die Leistungsbereitschaft fördert oder diese ohnehin schon vorhanden war und es andere Hindernisse gab, weshalb sie sich nicht entfalten konnte.

Diese Diskussion ist trostlos und bewegt sich nur in den alten Fahrwassern, sie führt nicht weiter, anerkennt Leistungsbereitschaft als grundsätzliche Haltung, die sozialisatorisch sich herausbildet nicht - und geht damit an der Realität vorbei. Unternehmerisch ist also an diesem Blick auf die Verhältnisse nichts. Er gleicht dem, was auch in der Diskussion über Schule und Hochschule anzutreffen ist.

Sascha Liebermann

10. April 2024

"Fake oder Beratungsfehler?"

5. April 2024

Was will die CDU genau ändern am "Bürgergeld"?

Wenn man sich die Ausführungen Karin Priens anhört, sind sie etwa so weitreichend wie die Carsten Linnemanns oder der Broschüre "Neue Grundsicherung". Allenfalls bedeuteten sie eine Rückkehr zum Arbeitslosengeld II. 

À propos Bürgergeld: im Gesetz ist das nur ein Label, auf das sogleich die offizielle Bezeichnung "Grundsicherung für Arbeitsuchende" folgt. An ihr hat sich also durch die Einführung des "Bürgergeldes" nichts geändert, auch nicht am Zweck des Gesetzes. Dass die Bezeichnung "Bürgergeld" irreführend ist und schon, als der Vorschlag in die Diskussion gelangte, als kosmetische Veränderung bezeichnet werden konnte, sei hier nur erwähnt.

Sascha Liebermann

1. April 2024

Arbeitsangebot, Teilzeitarbeit, Ehegattensplitting und Familie...

...hier wieder einmal ein Vorschlag, wie das Arbeitsangebot von Frauen erhöht werden könnte, die Ersetzung des Ehegattensplittings reiche dazu nicht aus. 

Würde man - das ist hier allerdings nicht die Frage  des Autors - sich überlegen, was denn hilfreich wäre, damit Familien mehr Zeit füreinander haben können, dann ist die Erhöhung des Arbeitsangebots das Gegenteils dessen, was nötig wäre. Nicht nur Kleinkinder benötigen viel Zeit mit ihren Eltern, auch Jugendliche suchen Gespräche, aber nicht nach Termin und dann, wenn es den Eltern gerade passt. Gelegenheiten dazu entstehen am einfachsten, wenn man Zeit miteinander verbringt - das gilt auch noch für Jugendliche -, dazu muss man nicht aufeinandersitzen. Andersherum - für die Eltern - gilt das ebenso, sofern man nicht nur Lebensabschnittsbegleiter sein will, denn miteinander vertraut zu werden und zu bleiben, erfordert ebenfalls Zeit miteinander, überhaupt braucht es sie, um die Elternposition zu füllen (siehe auch unseren früheren Beiträge dazu hier und hier).

Sascha Liebermann

Automatisierung...

...erahnen lässt sich schon die alljährliche Diskussion über die Spargelernte.

 

"Die Neue Grundsicherung"...

...der CDU liegt als Kurzbroschüre vor (siehe hier). Ich kommentiere manche Passage aus dem Beschluss vom 18. März. Dass es sich nicht um den großen Aufbruch handelt, der verkündet wurde, haben wir schon  kommentiert (siehe hier). Was gäbe es sonst noch dazu zu sagen?

"Wir gehen davon aus, dass jeder Mensch etwas kann. Wir sind der festen Überzeugung, dass Arbeit sinnstiftend ist und Teilhabe sowie Eigenständigkeit ermöglicht. Dafür braucht es einen starken aktivierenden Sozialstaat, der den Prinzipien von Solidarität, Subsidiarität und Eigenverantwortung folgt." (S. 1)

Der erste Teil ist eine Selbstverständlichkeit, sonst könnte die Demokratie gleich einpacken und die Unternehmen ebenso, es gäbe sie gar nicht. Der zweite Teil hingegen betont, was ohnehin schon der Fall ist und von den etablierten Parteien vertreten wird - der Vorrang von Erwerbstätigkeit ist hier schon erkennbar. Eigenständigkeit und Erwerbstätigkeit sind jedoch nicht dasselbe, es sei denn, man behauptete, Eigenständigkeit hinge von erzieltem Einkommen ab. Eigenständigkeit im Sinne der Mündigkeit und Verantwortungsfähigkeit ist jedoch eine davon unabhängige Dimension. Sie kann lediglich durch Einkommensmangel in ihrer Entfaltung eingeschränkt sein. Wenn Arbeit "sinnstiftend" ist, sie ihre Bedeutung aus sich heraus gewinnt, dann bedarf es keiner sanktionsbewährten Grundsicherung. Dafür braucht es eben keinen "starken Sozialstaat", sondern einen, der die Eigenständigkeit stärkt, aber nicht verengt auf Erwerbsteilnahme. Solidarität im Sinne dessen, dass die Eigenständigkeitszumutung der Demokratie von jedem zuerst einmal alleine zu tragen ist und der Sozialstaat ihn darin unterstützen muss, erfordert gerade keine Verengung auf Erwerbstätigkeit. Subsidiarität in diesem Sinne ist nicht zu verwechseln mit Einkommenserzielung durch Erwerbsteilnahme. 

Dass die Bezeichnung "Bürgergeld" verwirrend ist, weil sie nahelegt, es stehe jedem Bürger ohne Wenn und Aber zu, ist durchaus zutreffend und wurde entsprechend schon früh gerade von BGE-Befürwortern kritisiert. Die CDU entdeckt hiermit Altbekanntes, trifft allerdings auch einen Punkt, obwohl sie an der Einführung ja selbst mitgewirkt hat.

"Schlecht gemachte Sozialpolitik bewirkt genau das Gegenteil. Sie alimentiert und lähmt damit Menschen. Sie frustriert die Fleißigen und schwächt damit die Bereitschaft zur Solidarität." (ebd.)

Zuerst einmal ist jede Sozialpolitik, die Einkommensunterstützungsleistungen vorsieht, alimentierend, insofern gibt es keine Sozialpolitik ohne dies. Gute lässt sich somit also nicht anhand dieses Kriteriums von schlechter Sozialpolitik unterscheiden. Alimentierung allerdings "lähmt" nicht, sofern sie den Alimentierten nicht in der Nutzung seiner Möglichkeiten einschränkt. Es ist jedoch gerade Charakteristikum bestehender Sozialpolitik à la Bürgergeld und derjenigen, die sich die CDU herbeiwünscht, die Leistungsbezieher in ihren Möglichkeiten zu beschränken. Wofür also plädiert die CDU hier, eine Rückkehr zu den Zeiten vor dem Bürgergeld kann damit kaum beabsichtigt sein.

Wer sind die Fleißigen und weshalb werden sie denjenigen gegenübergestellt, die alimentiert werden, die dann wohl die Faulen sein müssen? Wenn man sich die Kritik an bestehenden Leistungen anschaut, geht diese Kritik an der realen Lage doch eher vorbei - man erinnere sich nur an die evidenzlose Behauptung, das Bürgergeld lade zur "Arbeitsverweigerung" ein. Dass Sorgetätigkeiten ebenso erledigt werden müssen, wird ebenso übergangen und dass wir als Gemeinwesen davon leben, dass sie verantwortungsvoll übernommen werden. Weiter heißt es:

"Es ist nicht hinnehmbar, dass trotz dieses Arbeitskräftemangels die Zahl der Arbeitslosen wieder steigt. Wir wollen eine Rückkehr zu einem System des Förderns und Forderns, um den Menschen zu helfen, ihre Arbeitskraft in die Gesellschaft einzubringen, finanziell auf eigenen Beinen zu stehen und ihren Lebensunterhalt wieder aus eigener Kraft zu bestreiten." (ebd.)

Was unterscheidet dies nun vom bestehenden System?

"Die große Mehrheit der Menschen in der Grundsicherung will arbeiten und versucht, das System zu verlassen. Diese Menschen, die unsere Hilfe wirklich brauchen, müssen wir besser unterstützen. Eine Minderheit, die sich nicht an die Regeln hält bzw. diese ausnutzt, bringt das gesamte System in Verruf."

Der erste Teil - geschenkt, das kann man immer besser machen, allerdings wird hier keine Silbe davon erwähnt, was es heißt, unter Sanktionsandrohung Leistungen zu erhalten. Insofern wird schöngefärbt. Der zweite Teil ist herbeigeredet, das "System" gerät in Verruf, weil aus einer Fliege ein Elephant gemacht wird (siehe hier). Man könnte sich auch genauso fragen, inwiefern diese Regeln denn sinnvoll sind und ob das Ziel, dem sie dienen sollen, das richtige ist. Nimmt man die Rede von der "Eigenständigkeit" oben ernst, ist das Ziel des bestehenden Systems eben gerade nicht Eigenständigkeit, sondern Einkommenserwerbs durch Erwerbstätigkeit.

"Vermitteln, vermitteln, vermitteln. 

Das Ziel muss die Vermittlung in Arbeit sein. Viele Menschen sind seit vielen Jahren auf die Grundsicherung angewiesen. Ihnen fehlt die passende Qualifikation, oder sie sind durch Krankheiten nur bedingt arbeitsfähig. Wir fordern, dass der Fokus der Jobcenter auf eine intensive und qualifizierende Unterstützung der Hilfeempfänger gelegt wird, damit diese langfristig auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß fassen."

Wer würde dagegen etwas einwenden wollen, denjenigen zu helfen, damit sie langfristig wieder ihr Leben in die eigenen Hände nehmen können, wenn sie dazu heute nicht in der Lage sind. Die Frage ist jedoch, welche Ziele sind hierbei realistisch und muss sich das in Erwerbsbeteiligung niederschlagen? Was über langjährige Leistungsbezieher bekannt ist, lässt die Aussicht auf eine langfristige berufliche Entwicklung schon als ambitioniertes Ziel erscheinen. Dazu braucht es aber keine Sanktionen, die nur bedrohend und stigmatisierend wirken. Doch genau davon ist im großen Entwurf zur "neuen Grundsicherung" keine Rede. Insofern führt auch die folgende Passage nicht weiter:

"Sanktionen als Mittel für Akzeptanz. Jeder hat die Verpflichtung, alles zu tun, um möglichst schnell wieder ohne die Unterstützung der Solidargemeinschaft auszukommen. Mit dem Aussetzen von Sanktionen hat die Ampel den Mitarbeitern der Jobcenter die Mittel genommen, diesen berechtigten Anspruch der Steuerzahler auch einzufordern. Deshalb wollen wir Sanktionen schneller, einfacher und unbürokratischer durchsetzen. Wir vertrauen darauf, dass die Jobcentermitarbeiter die Sanktionsmöglichkeiten verantwortungsvoll, individuell angemessen und verhältnismäßig nutzen. Für uns ist klar: Jeder, der arbeiten kann, sollte auch einer Arbeit nachgehen. Lehnt ein arbeitsfähiger Grundsicherungsempfänger ohne sachlichen Grund eine ihm zumutbare Arbeit ab („Totalverweigerer“), soll zukünftig davon ausgegangen werden, dass er nicht bedürftig ist. Ein Anspruch auf Grundsicherung besteht dann nicht mehr. Dabei werden wir sicherstellen, dass die Kinder und Partner nicht unter dem Verhalten von Totalverweigerern leiden."

Hieran gäbe es Vieles zu kommentieren, so schief ist die Passage. Deutlich wird jedoch eines allzu sehr: es geht nicht um die Würde der Bürger als Bürger; es geht nicht um Leistungsbereitschaft und -fähigkeit, denn Erwerbstätigkeit ist kein Selbstzweck (oder doch?); Sorgetätigkeiten gibt es nicht, sie brauchen keine Zeit und keine Einkommensbasis; am Ende kommen wieder die "Totalverweigerer". Einfallslos, nicht weiterführend und eben gar nichts neu ist an diesem Vorschlag.

Sascha Liebermann

28. März 2024

Kleine Zusammenfassung der Vorteile

21. März 2024

"Es geht nicht um anstrengungslosen Wohlstand"...

...ein denkbarer Kontrast zur Warnung vor den "Arbeitsverweigerern" in der Diskussion um das Bürgergeld sind Ausführungen Götz Werners in einem Gespräch mit Planet Interview aus dem Jahr 2010. Man kann dies - wie immer wieder geschehen - als naiv abtun, die Überlegungen haben allerdings einiges für sich, wenn man sich die Zusammenhänge klar macht.

"Der Mensch in seiner Grundveranlagung versucht, Arbeit einzusparen und nicht Arbeit zu schaffen oder zu sichern. Er bemüht sich um einen sparsamen Umgang mit Ressourcen wie Zeit und menschliche Arbeit. Er will in der gleichen Zeit mehr schaffen, das führt zur Streichung von Arbeitsplätzen. Dass wir darin ein Problem sehen, liegt nur daran, dass wir Arbeit und Einkommen miteinander verkoppeln."

Von einer "Grundveranlagung" zu sprechen ist verkürzt, die Richtung hingegen nicht, wenn die Sache selbst betrachtet wird: Handlungsprobleme müssen gelöst, Arbeitsgänge also erledigt, bestenfalls reduziert statt vermehrt werden. Kaum jemand wird ernsthaft dafür plädieren, auf Automatisierungsmöglichkeiten zu verzichten, wo sie sinnvoll sind, Menschen zu entlasten und Lebenszeit frei werden lassen. Möglich ist das aber nur mit einer entsprechenden Haltung gegenüber Handlungsproblemen, die sich nicht erzwingen lässt, sich muss sich herausbilden (Sozialisation). Wer meint, mit Sanktionen, gar schärferen, wäre das zu erreichen, geht an der Sache vorbei. Entsprechend heißt es an einer anderen Stelle:

"Je besser sich die Mitarbeiter mit ihrer Arbeit verbinden können, desto kreativer, initiativer und desto leidenschaftlicher machen sie ihre Arbeit und das ist die Grundlage für den Erfolg."

Wer sich damit nicht "verbinden" kann, hat womöglich eine zu ihm nicht passende Aufgabe, schlechte Arbeitsbedingungen oder beides. Es geht also um ein Passungsverhältnis, das sich nicht durch Druck erreichen lässt. Insofern führt der Vorschlag der CDU nur zurück zu den Irrwegen unter "Hartz IV", weder ist das innovations- noch kreativitätsfördernd.

"Beim bedingungslosen Grundeinkommen geht es nicht um anstrengungslosen Wohlstand, sondern um die Sicherung einer bescheidenen, aber menschenwürdigen Existenz. Anstrengungslosen Wohlstand erlebt man im Jetset, das hat mit bedingungslosem Grundeinkommen gar nichts zu tun. Wer ein Grundeinkommen hat, der kann zeigen, was in ihm steckt, denn er muss sich nicht an einen unbefristeten Arbeitsvertrag festklammern, er kann Risiken eingehen."

"Anstrengungslos" kann das Leben gar nicht sein, denn niemandem wird es abgenommen, es zu führen. Daran kann man scheitern, das ist aber nicht die Regel; damit kann man ringen, das ist nicht ungewöhnlich, dann bedarf es der Suche nach passenden Antworten bzw. Lösungen. Bei allen Beratungs- und Therapiemöglichkeiten, die dabei zurategezogen werden können, am Ende hängt es vom Einzelnen ab, damit zurechtzukommen. Nur wer das nicht vermag, bedarf womöglich dauernder Begleitung, auch das ist ein Grenzfall und nicht die Regel. Wer aus dem Grenzfall die Regel machen will und annimmt, die allgemeine Sanktionsdrohung in der Grundsicherung sorge für Lösungen, verkehrt die Verhältnisse.

"Wir haben schon viele grundeinkommensähnliche Elemente, Steuerfreibeträge oder Kindergeld zum Beispiel. Wir erkennen langsam, dass wir ein Einkommen brauchen, wenn wir in dieser Gesellschaft leben wollen und dass es unabhängig sein muss von Arbeit."

Tja.

"Hartz IV ist offener Strafvollzug" (Arno Luik im Gespräch mit Götz W. Werner im stern)

Sascha Liebermann

19. März 2024

"...das komplette System vom Kopf auf die Füße stellen"...

...darüber spricht Carsten Linnemann in diesem Kurzinterview und sieht im Vorschlag der CDU, eine neue Grundsicherung einzuführen, offenbar den großen Wurf. Man fragt sich allerdings, ob das denn der Fall wäre. Vom Kopf auf die Füße wird den Ausführungen im Gespräch zufolge nichts gestellt, es sind doch eher Anpassungen innerhalb des bestehenden Gefüges, teils wäre es die Rückkehr zu Altbekanntem im Arbeitslosengeld II. Zu behaupten, es gebe keine verbindliche Kooperation mehr zwischen "Staat" und "Bürgergeldempfänger" muss man wohl als Wahlkampfgetöse verstehen. Linnemann sagt selbst, dass die Mehrheit der Bezieher gar nicht im Fokus der Neuen Grundsicherung stehe - "wir reden über den ganz harten Kern". Das ganze Getöse dient also der Aufmischung weniger Bezieher, als handele es sich dabei um gewiefte, hartgesottene, sich durch nichts beirren lassende Bürgergeldbezieher, die wirklich mit allen Wassern gewaschen sind. Man könnte meinen, es gebe heute keine Sanktionsmöglichkeiten im Bürgergeldbezug. Linnemann begründet das Getöse damit, es den "Menschen schuldig" zu sein, "die jeden Tag arbeiten gehen". Hat er die denn gefragt und haben sie dem zugestimmt? Oder handelt es sich nicht eher um unverhältnismäßige Mittel, die wenig Erfolg - gemessen an dem vorausgesetzten Ziel - versprechen? Wenn man den Worten der Leiterin eines Jobcenters (Interview im NDR) folgt, gelangt man zu einer ganz anderen Einschätzung (siehe auch hierhier und hier). Beratungsprozesse benötigen Zeit, gerade wenn es um den Personenkreis geht, der hier im Fokus steht, der in der Regel vielfältige Beschwernisse hat. Kurzfristige Erfolge seien unrealistisch. Sind das ganz neue Einsichten? Nein, sie sind altbekannt (siehe die Verlinkungen oben). Zuguterletzt meint Linnemann noch, wir brauchten "dringend in Deutschland einen Mentalitätswandel" - starker Tobak, würde ich denken. Sicher, wir stehen vor Herausforderungen; sicher ist auch, dass Altbewährtes sich nicht mehr eignen mag, dazu gehört aber gerade auch die Haudrauf-Sozialpolitik, die kein Problem löst. 

Sascha Liebermann

"demographic collaps" "just in the rear window"