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28. Februar 2025

Vorrang von Erwerbstätigkeit nicht weniger hart, wenn es mehr Kitaplätze gäbe

18. Februar 2025

"Wenn Elternschaft bezahlt würde"...

...ein Feature im WDR im Rahmen der Sendung Neugier genügt. Der Beitrag befasst sich mit den Herausforderungen von Elternschaft und der mangelnden gesellschaftlichen Anerkennung der Leistung, die Eltern, in der Regel erheblich mehr die Mütter, erbringen. Einige Gesprächspartner berichten aus ihrem Alltag und machen die Zerrissenheit deutlich, die ihn prägt, wenn sie Beruf und Familie unter einen Hut bringen wollen. Anders als sonst üblich, wenn es um die "Vereinbarkeit von Familie und Beruf" geht, wird die Zerrissenheit durch zweierlei Verpflichtungen, die denkbar unterschiedlich sind, nicht geglättet. Vor diesem Hintergrund wird dann die Frage gestellt, wie Familien gestärkt werden, wie sie mehr gesellschaftliche Anerkennung erfahren könnten? Der Vorschlag eines "Erziehungsgehalt[s]" kommt dabei zur Sprache, das Christian Leipert und Michael Opielka Ende der 90er Jahre vorgestellt hatten (eine kurze Übersicht zum Konzept eines Erziehungsgehalts von Leipert und Opielka in einer Kurzfassung von 2002 finden Sie hier, die Langfassung von 1998 hier). 

Im Vergleich zur heutigen Familienpolitik der vergangenen Jahre - man vergleich nur die Vorschläge dazu in den Familienberichten der Bundesregierung, die auf immer mehr Erwerbstätigkeit hinauslaufen - ist der Vorschlag eines Erziehungsgehalts sehr weitreichend, auch wenn er den Vorrang von Erwerbstätigkeit nicht aufgibt, aber immerhin doch stark relativiert. Insofern bietet es die Möglichkeit, tatsächlich mehr Zeit mit der Familie zu verbringen.

Noch weiter ginge der Vorschlag eines Bedingungslosen Grundeinkommens, da er die finanzielle Absicherung gar nicht an die konkrete Lebenssituation knüpft, doch davon ist im Feature leider keine Rede, obwohl genau das in der BGE-Diskussion eine erhebliche Rolle spielt. Die Stellung von Erwerbstätigkeit wird im Beitrag des WDR nur relativiert, nicht aber hinterfragt, obwohl die Folgen ihres Vorrangs allzu sichtbar sind. Nicht beleuchtet wird die Frage, inwiefern Eltern ihre Lage verbessern könnten, indem zeitweise Ansprüche aufgegeben und ruhen gelassen werden. In Analysen, die ich im Rahmen meiner Forschung durchgeführt habe (siehe z. B. hier), zeigte sich eher, dass Eltern geradezu selbstverständlich auf die Nutzung von Kitas vor dem dritten Lebensjahr setzen und sich gerade die Zeit eher nicht nehmen, die es für ein lebendiges Familienleben bräuchte.

Der im Beitrag befragte Ökonom, Helmut Reiner, beklagt vor allem die durch eine solche Unterstützung zu erwartende Reduktion des Arbeitsangebots, insobesondere bei Alleinerziehenden, und stellt sich die Frage nicht, zumindest nicht in den erwähnten Passagen, dass Familie ohne Zeit füreinander eben kein Familienleben haben kann. Es ist also kaum überraschend, dass gerade Alleinerziehende ihre Arbeitszeit dann womöglich reduzieren würden, weil sie in ihrer Elternposition besonders gefordert sind.

Die Behauptung, dass viele Eltern ihre Kinder nicht in langen Betreuungszeiten in Kitas unterbringen wollen, scheint mir doch sehr gewagt, sowohl angesichts unserer Befunde aus verschiedenen Analysen von Interviews mit Eltern als auch mit Blick auf den Familienreport 2024 (S. 79 ff.), wobei dessen Grundlage standardisierte Befragungen sind (zur einer methodischen Einordnung ihres Stellenwerts, siehe hier und hier).

Es geht in der Diskussion also um eine grundsätzliche Frage: will ein Gemeinwesen Eltern die Möglichkeit geben, sich nach eigenem Dafürhalten ihrer Verantwortung zu stellen, dann ist ein erwerbsunabhängige Einkommensquelle unerlässlich. Der Vorschlag eines Erziehungsgehalts geht einen deutlichen Schritt in diese Richtung. Weiter allerdings geht ein BGE, weil es eine Einkommenssicherung gar nicht mehr von den Lebensumständen abhängig macht - so kann jeder entscheiden, wie er sein Leben gestalten will, ob dazu Erwerbstätigkeit gehört und in welchem Umfang oder auch gar nicht oder nur phasenweise.

Sascha Liebermann

6. Januar 2025

Der Maßstab wird einfach gesetzt

Erwerbstätigkeit bei syrischen Flüchtlingen - der Zeitverlauf ist relevant...

...darüber hinaus weist der Beitrag des IAB auf ähnliche Phänomene hin, wie bei Flüchtlingen aus der Ukraine, dass Sprachkenntnisse zu Beginn eine hohe Hürde sind, Möglichkeiten der Kinderbetreuung usw.

Davon abgesehen lässt sich zurecht fragen, ob das Ziel einer möglichst hohen Erwerbsquote über allem anderen stehen soll, denn eine hohe Erwerbsbeteiligung, nach Vorstellungen einiger in Vollzeit, bedeutet wenig Zeit für Familie. Wer also über das eine spricht, sollte über das andere nicht schweigen.

Sascha Liebermann

20. August 2024

1. April 2024

Arbeitsangebot, Teilzeitarbeit, Ehegattensplitting und Familie...

...hier wieder einmal ein Vorschlag, wie das Arbeitsangebot von Frauen erhöht werden könnte, die Ersetzung des Ehegattensplittings reiche dazu nicht aus. 

Würde man - das ist hier allerdings nicht die Frage  des Autors - sich überlegen, was denn hilfreich wäre, damit Familien mehr Zeit füreinander haben können, dann ist die Erhöhung des Arbeitsangebots das Gegenteils dessen, was nötig wäre. Nicht nur Kleinkinder benötigen viel Zeit mit ihren Eltern, auch Jugendliche suchen Gespräche, aber nicht nach Termin und dann, wenn es den Eltern gerade passt. Gelegenheiten dazu entstehen am einfachsten, wenn man Zeit miteinander verbringt - das gilt auch noch für Jugendliche -, dazu muss man nicht aufeinandersitzen. Andersherum - für die Eltern - gilt das ebenso, sofern man nicht nur Lebensabschnittsbegleiter sein will, denn miteinander vertraut zu werden und zu bleiben, erfordert ebenfalls Zeit miteinander, überhaupt braucht es sie, um die Elternposition zu füllen (siehe auch unseren früheren Beiträge dazu hier und hier).

Sascha Liebermann

12. September 2023

Anderer Blickwinkel...

..., der die Erwerbszentrierung deutlich bezeugt und daraus folgend das Ausblenden unbezahlter Arbeit

Sascha Liebermann

30. August 2023

Erwerbsbeteiligung Alleinerziehender nicht rückläufig und Reaktionen auf die "Anreiz"-Keule...

..., gut, dass hier gegen anscheinend unhaltbare Behauptungen entsprechende Daten genutzt werden. Drastischer fällt die Stellungnahme aus, die sich gegen die Verunglimpfung Alleinerziehender wendet. Dabei 
geht es um diese Äußerung:

"Wir wollen einerseits die materielle Situation Alleinerziehender verbessern, aber andererseits nicht zusätzliche Anreize geben, sich nicht um Arbeit zu bemühen. Es ist ja eine beklagenswerte Tatsache, dass die Erwerbsbeteiligung von Alleinerziehenden im vergangenen Jahrzehnt trotz des Ausbaus der Kinderbetreuungsstruktur zurückgegangen ist. Also weniger Erwerbsbeteiligung bei Alleinerziehenden während des vergangenen Jahrzehnts. Da dürfen wir kein Signal setzen, dass das verfestigt."

Der Finanzminister bleibt sich damit treu, wenn man das so sagen kann. Zu "Anreizen" siehe hier.

Sascha Liebermann

7. August 2023

Zumindest eine Möglichkeit...

...schafft das BGE diesbezüglich und eine Anerkennung dessen, dass dieses Kümmern als etwas Wichtiges verstanden wird im Gemeinwesen, indem es der Erwerbstätigkeit nicht mehr nachgeordnet ist. 

Allerdings, betrachtet man die Altersstufe Kita bzw. Kindergarten, deren Besuch in Deutschland heute (noch) nicht verpflichtend ist, muss man sich fragen, weshalb Eltern diesen Freiraum so wenig nutzen, sich mehr Zeit zu nehmen (siehe die seit 2006 gestiegenen Zahlen dazu). Im März 2022 lag die Quote der Kinder, die dort versorgt werden, bei 35,5% im Bundesdurchschnitt, im Westen allerdings erheblich niedriger (31,8%) als im Osten (53,3%) Deutschlands (siehe auch hier, S. 12). Auch die Betreuungsdauer hat zugenommen, mittlerweile werden 52% der Kinder mehr als 35 Stunden betreut, während nur noch 13% bis 25 Stunden betreut werden (siehe hier, S. 39).

Sicher gibt es Familien, die aufgrund ihrer Einkommenssituation keine Alternative zur Nutzung außerhäuslicher Betreuung haben, aber das erklärt kaum den rasanten Anstieg. Die Folgen für das Familienleben sowie für die Zeit, die Erfahrungen miteinander benötigen, sind gravierend. Wenn diese Entscheidungen also nicht vor allem aus Not getroffen werden, sondern wegen der Lebensentwürfe der Eltern in Verbindung mit der normativen Stellung von Erwerbstätigkeit, wird man sehen müssen, ob ein BGE auch tatsächlich im Sinne des Tweets genutzt werden würde. Die Möglichkeit dazu böte es in jedem Fall.

Sascha Liebermann

10. Juli 2023

Emanzipation? Alle Jahre wieder...

 ...wird das Ehegattensplitting als Haupthindernis "emanzipatorischer" Lebensverhältnisse angeführt, dabei geht es in der Argumentation vorwiegend darum, die Erwerbsbeteiligung von Frauen (siehe auch hier) zu erhöhen - also ein sehr bestimmtes und eingeschränktes Emanzipationsverständnis (siehe auch hier). Die Folge ist, weniger Zeit für andere Lebensbereiche zu haben. 

Statt also diese Fixierung auf Erwerbstätigkeit - auch für Männer - in Frage zu stellen und die Weite des Lebens in den Blick zu bekommen, soll die Verengung vorangetrieben werden. Mit Emanzipation im politischen Sinne hat das nichts zu tun, mit Normkonformität viel. Erwerbsbeteiligung als entscheidender Beitrag, den Rest kann man der "Freizeit" überlassen. Dabei wäre wirkliche Emanzipation eine, in der Erwerbsbeteiligung nur eine Dimension unter anderen ausmachte, nicht aber die entscheidende wäre.

Die Frage wäre also, wie gelangt man aus der Erwerbszentrierung hinaus? Das geht  nur, wenn der Vorrang von Erwerbstätigkeit aufgegeben wird.

Sascha Liebermann

14. Mai 2023

"World's toughest Job" - gelungen komprimiert dargestellt, was es bedeutet, Eltern zu sein, auch wenn es hier um den Muttertag geht

Familie als Solidarverband lässt sich nicht erfahren, wenn man keine ungeplante Zeit füreinander hat oder das Zusammenleben in die Randzeiten des Erwerbsarbeitstages verbannt. Lösungen dafür zu finden, die nicht dazu führen, dem Einzelnen zu sagen, was er zu tun hat bzw. ein bestimmtes Handeln als erwünscht zu bewerten (Norm) kann es nur geben, wenn der Vorrang von Erwerbstätigkeit aufgegeben wird. Ohne Bedinungsloses Grundeinkommen geht das nicht.

Sascha Liebermann

21. März 2023

"Das Ziel:..."

 

Siehe zu dieser Frage auch diese Beiträge hier.

14. November 2022

Einst hatte "unbezahlte Arbeit" in der CDU noch ein gewisses Ansehen,...

...was die Union hier abliefert, spricht dem Hohn. Da waren die Ausführungen Norbert Blüms noch ein Lichtblick, wenn er auch nicht weit genug ging, siehe auch hier.

Sascha Liebermann 

9. November 2022

"Betreuungsbedarf" oder Aufgehobensein? Erwerbsintegration oder Freiheit, sich zu entscheiden?

Auch wenn es in diesem Kommentar nur darum geht, dass Kitaplätze gemessen am Bedarf fehlen, sei doch auf etwas aufmerksam gemacht, wofür der Bedarf steht. Die prozentualen Angaben zur Altersgruppe stellen sich anders dar, wenn sie aufgeschlüsselt werden nach Alter. Dann gilt nur noch für Kinder unter einem Jahr einschränkungslos bzw. für Kinder im Alter bis zwei Jahren in Westdeutschland, nicht aber in Ostdeutschland, dass die Mehrheit tagsüber zuhause versorgt wird. Ab dem zweiten Jahr trifft es nicht einmal für Westdeutschland mehr zu (siehe Statistisches Bundesamthier mit Kartenmaterial), insgesamt werden da schon 64% der Kinder in Kitas versorgt. Die Betreuungsquoten haben sich rasant innerhalb von 15 Jahren verändert, ebenso der Betreuungsumfang, denn 54,3% der Kinder unter drei Jahren werden schon 35 Stunden und mehr pro Woche außerhäuslich versorgt (BMAS Kindertagesbetreuung kompakt, S. 34 f.). Dahinter zu erkennen ist eine Sozialpolitik, die die Erwerbsbeteiligung von Eltern für etwas sehr wichtiges hält, die Zeit für Familie hingegen für etwas erheblich weniger Bedeutsames, man schaue sich nur entsprechende Ausführungen im Neunten Familienbericht an, im Achten war es nicht anders. Die Diskussion über Vereinbarkeit von Familie und Beruf läuft in vielerlei Hinsicht auf den Beruf hinaus, zudem die Familie nur noch als Beiwerk erscheint. Die Frage wäre also, wie ist es möglich, Eltern mehr Zeit dafür zu verschaffen, sich entscheiden zu können, ohne dass ihnen eine Richtung hin zu Erwerbstätigkeit gewiesen wird? Wer das will, kommt an einem Bedingungslosen Grundeinkommen nicht vorbei.

Sascha Liebermann

10. August 2022

Hoch, die Arbeit...

..., so könnte der Beitrag von Mirna Funk "Emanzipation gibt’s nicht in Teilzeit" auf Spiegel Online übertitelt werden. Funk kritisiert einen "Privilegsfeminismus", der die Vorstellung einer Vereinbarkeit von Familie und Beruf für unrealistisch halte (das liest man aber selten, meiner Erfahrung nach), und feiert demgegenüber die Erwerbsteilnahme als wirklichen Freiheitsgewinn, als Emanzipation schlechthin. Sie spießt manche Einseitigkeit in der Debatte um "Care-Arbeit" (ein wenig hilfreicher Begriff) auf, um selbst allerdings einseitig zu werden, indem sie behauptet, es gehe sehr wohl, das mit der Vereinbarkeit, die Frau müsse nur als "autonomes Subjekt" ernstgenommen werden, sich unsolidarischen Partner verweigern und das gehe am besten, wenn sie unabhängig sei, also Einkommen unabhängig von ihrem Partner habe. Abgesehen von der Feier der Erwerbstätigkeit, die sie vollzieht, statt ihren Vorrang zu hinterfragen und weitgehend polemisch die Degradierung von Zeit für Familie abzufertigen, übergeht sie mit dem Verweis auf ihre DDR-Biographie nonchalant die Erfahrungen, die dort mit dem "flächendeckenden Ausbau der Kinderbetreuung" gemacht und in der Forschung entsprechend aufgegriffen wurden, so die differenzierten Betrachtungen z. B. von Lieselotte Ahnert und Agathe Israel (siehe auch hier). Es darf der Hinweis auf die Vorbilder "Frankreich, Skandinavien und Israel" nicht fehlen, die angeblich zeigten, dass es ja gehe mit der Vereinbarkeit - nun, sie machen es einfach und nehmen die Folgen in Kauf. 

Funks Verständnis von Unabhängigkeit in Paarbeziehungen führt in letzter Konsequenz dazu, dass Paarbeziehungen doch nur Aggregate von Einzelpersonen sind und keine Lebensgemeinschaften, in denen das ganze Leben miteinander geteilt wird und man sich vorbehaltlos wechselseitig annimmt als ganze Person. Denn in einer solchen Paarbeziehung kann es keine separaten Einkommen geben, insofern ist Einkommen immer gemeinsames Einkommen und die Abhängigkeit ergibt sich aus der Paarbeziehung selbst, nicht daraus, vom anderen einkommensabhängig zu sein. Gerade heutzutage, da es einen Sozialstaat mit seinen Leistungen gibt, ist diese Einkommens-Unabhängigkeit zumindest insofern grundständig gesichert, wenn auch nicht finanziell komfortabel. Die Frage nach Autonomie ist immer auch die Frage danach, wieviel einem das wert ist, also notfalls eben Einschränkungen in Kauf zu nehmen.

Einen anderen Weg würde natürlich ein Bedingungsloses Grundeinkommen eröffnen, das scheint für Mirna Funk jedoch gar keine Alternative zu sein.

Siehe auch meine Beiträge hier und hier.

Sascha Liebermann

8. August 2022

"Gratismentalität" - ohne "Gratis" gäbe es keine gelingende Sozialisation, keine Familien, keine politischen Gemeinwesen...

...in unserem heutigen Verständnis in einer Demokratie, denn für alles drei gilt: das Gedeihen hängt von der vorbehaltlosen Anerkennung ab, was nicht mit Verantwortungslosigkeit zu verwechseln ist. Wo Anerkennung des Gegenübers an Gegenleistungen gebunden, wo Zuwendung davon abhängig gemacht wird, wird die sie tragende Beziehung zerstört (auch wenn das manche durchaus anders zu sehen scheinen, wie z. B. Dominik Enste hier und hier).

Außer Frage steht, dass ein solches Gefüge in der Tat erodieren kann, wenn diese Anerkennung nicht erfolgt, wenn die Verantwortung dafür nicht übernommen wird, doch das wäre Folge eines Versagens, nicht der Ausgangspunkt.

Sascha Liebermann 

4. August 2022

Steigerung der Erwerbsquoten statt Frage danach, ob der Stellenwert von Erwerbstätigkeit angemessen ist...

...das findet sich im Beitrag von Sabine Rennefanz auf Spiegel Online, die zwar zurecht auf eine einseitig geführte Debatte über die Erhöhung der Erwerbsarbeitszeit hinweist, die aber den Blick auf die Mütter dabei vermisst. Dabei gelte es, so ihre Einschätzung, die Frauenerwerbsquote und -erwerbsarbeitszeit zu erhöhen. Die Folgen erhöhter Erwerbstätigkeit sieht sie glasklar:

"Denn wenn alle mehr arbeiten, wer kümmert sich dann um die Kinder und die Alten? Über 70 Prozent der unter Dreijährigen in Westdeutschland werden zu Hause überwiegend von ihren Müttern betreut, um vier von fünf Pflegebedürftigen kümmern sich Angehörige, auch meistens Frauen. Wer soll das machen, wenn alle arbeiten? Und was macht das mit der mentalen und physischen Gesundheit?"

Daraus ließe sich nun einiges gegen den Vorrang von Erwerbstätigkeit ableiten und für die stärkere Präsenz der Eltern, noch mehr der Väter ins Felde führen. Doch das geschieht nicht, der Beitrag nimmt eine andere Wendung. Dabei ist hier noch eine nicht unerhebliche Korrektur nötig, denn die Angabe von 30 Prozent der unter Dreijährigen in Tagesbetreuung ist nur richtig, wenn nicht zwischen den Altersgruppen differenziert wird. Im ersten Lebensjahr ist die Betreuungsquote nach Angaben des Statistischen Bundesamtes noch vergleichsweise niedrig, dann aber steigt sie rasant an und erreicht im zweiten Lebensjahr schon etwa 30 Prozent im Westen, im dritten, also immer noch vor Eintritt in den Kindergarten, liegt sie dann bei 60, im Osten bei 80 Prozent. Keineswegs also sind 70 Prozent der Kinder zuhause, wenn man altersspezifisch die Sache betrachtet. Man könnte hieran sehen, dass die Erwerbsorientierung schon erhebliche Folgen hatte bislang, die Zeit für Familie indes immer weniger wird.

Fraglos ist, wie Rennefanz anmerkt, Familienleben mit der Präsenz der Mütter zuhause gleichgesetzt worden, die Väter spielten keine so große Rolle, auch familienpolitisch nicht. Doch daraus eine Tugend zu machen und mit dem Verweis auf Schweden, Frankreich und die DDR (mit Vorbehalten) eine bessere Welt zu zitieren, überrascht doch. Worauf es hinausläuft ist dann auch absehbar:

"Bis heute handelt es sich zwischen Ost und West um geteilte Länder, was Frauenerwerbstätigkeit angeht: Während im Osten 51 Prozent der Mütter spätestens 15 Monate nach der Geburt wieder in Beschäftigung sind, sind es im Westen nur 36 Prozent. Ostdeutsche Mütter beginnen mit im Schnitt 16 Stunden pro Woche, westdeutsche Mütter mit nur 8,5 Stunden. Westdeutsche Frauen kommen kurz vor dem 18. Geburtstag des Kindes auf ein Arbeitsvolumen von 22 Wochenstunden, ostdeutsche Frauen erreichen das, wenn ihr Kind etwa drei Jahre alt ist."

Wenn das das Ziel sein soll, dann ist die Denkweise konsequent, wenn aber Zeit für Familie ebenso wichtig ist, dann muss die Frage gestellt werden, wie das erreicht werden könnte. Keinesfalls damit, den Vorrang von Erwerbstätigkeit unangetastet zu lassen. Wie wäre es denn, wenn als Kriterium dafür, wann Kinder Betreuungseinrichtungen besuchen, ihre Bereitschaft, ohne weiteren Aufwand dort zu bleiben, herangezogen würde? Wir wäre es denn, wenn man sagte, solange sie dort nicht ohne Eingewöhnungsprogramm zu bleiben bereit sind, solange sind sie noch nicht so weit? Die statistischen Mittelwerte aus der Bindungsforschung helfen doch bei der Entscheidung, wann Kinder es dort gut aushalten können, nicht weiter und laufen nur auf eine Anpassung an den Erwerbsrhythmus hinaus im Sinne einer Haltung des "da müssen sie durch". Wenn eine Entscheidung sich daran orientieren soll, was für das Kind gut und für die Eltern auszuhalten ist, dann müsste auf das einzelne Kind geschaut werden. Selbst dann gibt es noch Tage, an denen Kinder nicht gehen möchten - aus vielerlei Gründen. Es ist doch kein Zufall, dass Kinder ab einem bestimmten Zeitpunkt, der etwa zwischen drei und viereinhalb Jahren liegt, gerne in den Kindergarten gehen, aber nicht unbedingt jeden Tag, nicht immer die ganze Zeit und schon gar nicht den ganzen Tag.

Sicher ist es wünschenswert, dass Väter präsenter sind, das würde auch die Möglichkeiten für Mütter verändern. Auch hierfür müsste der Vorrang von Erwerbstätigkeit in Frage gestellt werden. Doch was ist mit den Kindern, zählen sie denn? Zählt es, ab wann sie bereit sind? Man kann es nicht oft genug sagen, die schönfärberische Formel von der Vereinbarkeit von Familie und Beruf täuscht über den permanenten Konflikt hinweg, der sich zwischen zwei Beziehungswelten auftut, die ganz unterschiedlich sind (siehe auch das Gespräch mit Susanne Garsoffsky, die mit Britta Sembach dazu ein Sachbuch verfasst hat). In der einen steht die Lebensgemeinschaft im Zentrum, impulsive Bedürfnisse, die Erfahrung des Zusammen- und Miteinanderseins, das Einander-Beistehen. In der anderen geht es überwiegend um organisierbare Prozesse, Kollegialbeziehungen und die Austauschbarkeit der Mitarbeiter (auch im Bereich der Pflege). Bislang räumen wir letzterer eine Dominanz und eine normative Vorrangstellung ein, die zur Konsequenz hat, den Blick auf das andere Leben außerhalb zu vernachlässigen - und zwar in immer stärkerem Maße in den letzten Jahrzehnten. 

Sascha Liebermann

3. Mai 2022

"Fehlanreize abbauen, Kinderbetreuung ausbauen und finanzielle Absicherung stärken"...

...so das wirklich überraschende - irgendwie doch ewig gleiche - Ergebnis eine Studie der BertelsmannStiftung, mit ungeahnten Schlussfolgerungen. Man lese nur dies und beachte die Wunderwirkung von "Anreize":"Insbesondere die Kombination aus Ehegattensplitting, steuer- und abgabenfreien Minijobs und fehlenden Betreuungsmöglichkeiten setzt starke Anreize für eine traditionelle Rollenaufteilung, in der die Frau weniger Erwerbsarbeit und dafür mehr Sorgearbeit übernimmt als der Mann. Dabei sind die Vorteile einer solchen Spezialisierung im Haushalt über das Leben gering, der Preis langfristig aber hoch: 'Viele Frauen stecken in der Zweitverdienerinnenfalle fest. Dadurch sind es bei Trennungen und im Alter vor allem Frauen, die gravierende finanzielle Einbußen in Kauf nehmen müssen', mahnt Barišić. 'Wohlfahrtstaatliche Leistungen, die einen spezifischen Lebensentwurf fördern, sollten der Vergangenheit angehören, zumal Familie heute deutlich vielfältiger ist als früher.'

Stattdessen müsse es um eine universellere Absicherung unterschiedlicher Lebenswirklichkeiten gehen – durch verlässliche und qualitativ hochwertige Kinderbetreuung und größeren finanziellen Spielraum. Dies seien wichtige Rahmenbedingungen für eine gleichmäßigere Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit zwischen den Geschlechtern und eine bessere Absicherung von Alleinerziehenden."

Diese Schlussfolgerung ist ganz im Einklang mit dieser Studie derselben Stiftung - nichts Neues also hierzu. Weshalb aber führt die Aussage "Wohlfahrtstaatliche Leistungen, die einen spezifische Lebensentwurf fördern..." nicht dazu, die Fixierung auf Erwerbstätigkeit der Vergangenheit angehören zu lassen, statt sie zu zementieren? Aussagen wie "Familie ist deutlich vielfältiger als früher" sind trivial und zugleich gehen sie an der Sache vorbei, denn in einer Hinsicht hat sich Familie überhaupt nicht verändert: dass es Kinder gibt, die umsorgt werden müssen und die die Nähe zu den Eltern einer Kita vorziehen, wenn sie denn die Wahl haben. Man fragt sich, wie die Erwerbsfixierung einen Beitrag dazu leisten können soll, die Degradierung von "Sorgearbeit" aufzuheben. Sie setzt diese ja vielmehr fort.

Siehe unsere früheren Beiträge zu Ehegattensplitting und Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Sascha Liebermann

24. Januar 2022

"Auch wenn Väter nur zwei Monate Babypause machen, fließt schon das volle Elterngeld"...

...das hält Charlotte Parnack auf Zeit Online (Bezahlschranke) für nicht mehr zeitgemäß und schlägt vor, die Auszahlung des vollen Betrages an eine gleichmäßige Aufteilung zwischen Mutter und Vater zu binden. Das wäre ein Fortschritt in Sachen Gleichstellung, so Parnack, denn Mütter, so wird mit dem Verweis auf die Gehaltsentwicklung von Frauen und Männern ab 30 festgestellt, gerieten sonst ins Hintertreffen. Ihre Argumentation für eine andere Regelung bezieht sich nur auf die vermeintlichen Folgen der Elterngeldkonstruktion für die Gehaltsentwicklung. Um mehr Zeit für Familie für beide Elternteile über das Elterngeld hinaus geht es nicht. Es geht also auch gar nicht um das, was eine Familienförderung bzw. -unterstützung eigentlich leisten sollte, den Eltern Zeit zu verschaffen, statt sie für Erwerbsteilnahme zu belohnen. Parnack schreibt damit die Eigenheit des Elterngeldes fort, eine Prämie für Besserverdiener zu sein, was sich daran zeigt, dass die meisten Bezieher unter 1000 Euro liegen (siehe auch monatliche Elterngeldzahlbeträge). Das allerdings ist ihr keine weitere Ausführung wert, obwohl darin die entscheidende Veränderung gegenüber dem Erziehungsgeld besteht. Abschließend schreibt sie in ihrem Beitrag:

"Es ist doch nicht so, dass eine gerechtere Aufteilung der Partnermonate irgendjemanden zu irgendetwas zwingen würde. Vom Elterngeld profitieren die Bezieher höherer Gehälter am stärksten. Kein Paar wäre verpflichtet, künftig zu gleichen Teilen in Elternzeit zu gehen. Alle können so lange pausieren, wie sie möchten. Im Zweifel gibt es dafür eben nur weniger finanziellen Ausgleich. Es herrscht ja keine Pflicht für Paare, Elterngeld in voller Höhe zu beziehen. Aber eine Pflicht für die Politik, einen attraktiven Anreiz zu schaffen, Ungerechtigkeiten zu beseitigen: Die gibt es schon."

Abgesehen davon, dass hier formal auf Gleichstellung Bezug genommen und diese nur mit Bezug auf die Erwerbsbeteiligung betrachtet wird, nimmt Parnack in Kauf, dass mit einer Verschärfung in ihrem Sinne gerade diejenigen, die niedrige Zahlbeträge erhalten, das Nachsehen haben werden, wenn sie nicht spuren. In keiner Weise stellt Parnack die Frage, welchen Beitrag der normative Vorrang von Erwerbstätigkeit für die ungleiche Wahrnehmung von Sorgetätigkeiten durch Mütter und Väter hat. Vätern fehlen entscheidende auf das Elternsein vorbereitende Erfahrungen, um in das Vatersein hineinzufinden, die Mütter allerdings durchleben: Schwangerschaft und Geburt. Wer also an dieser Ungleichheit etwas ändern will, muss Möglichkeiten schaffen, damit Eltern in dieses Elternsein leichter hineinfinden können, ohne sie in Erwerbstätigkeit zurückzudrängen. Es ist naiv zu glauben, ein paar Monate Elterngeld könnten das richten, es braucht die Freiräume und die Anerkennung dessen, dass diese Zeit wichtig ist. Das Elterngeld wirbt zwar damit, diese Anerkennung zu bieten, tatsächlich ist es eine Erwerbsprämie. Es muss also am Stellenwert von Erwerbstätigkeit gerüttelt werden, wenn es hier Veränderungen geben soll. Ein Bedingungsloses Grundeinkommen täte genau das, ohne irgend jemanden erziehen zu wollen.

Sascha Liebermann

4. Januar 2022

Etwa ganz paternalismusfrei? Da scheint mir die Diskussion um ein BGE anderes zu zeigen (ganz im Sinne der Tweet-Antwort)...

...abgesehen davon ist die Frage, welche Rechte hier gemeint sind und wie sie im Verhältnis zum Erwerbsgebot stehen. Zwar werden solche Rechte nicht unmittelbar vom Erwerbsgebot angetastet, doch solange Erwerbsteilnahme über allem steht, verbleibt nur ein enger Korridor des Möglichen, der zugleich alles, was nicht Erwerbstätigkeit ist, normativ degradiert. Bekräftigt wird das noch sich durch die sanktionsbewehrten Einkommensersatzleistungen. An dieser normativen Vorrangstellung ändert sich nichts, wenn neue Arbeitszeitmodelle entwickelt werden, die eine andere "Vollzeit", mit weniger Stunden, vorsehen, denn das Erwerbsgebot wird dadurch nicht angetastet.

Das Erwerbsgebot und seine emanzipatorische Umdeutung ist der Grund für den Ausbau der Ganztagsbetreuung in Kindergarten und Schule, ohne zugleich die Möglichkeit zu bieten, dem Erwerbsgebot legitim ausweichen zu können. Seit vielen Jahren gilt, in anderen Ländern mit Sozialstaaten noch länger, der Ausbau als eines der wichtigen sozialpolitischen Ziele. Es scheint dabei überhaupt keine Rolle zu spielen, dass damit das Erkundungsbestreben von Kindern und Jugendlichen immer mehr nur  unter Beaufsichtigung stattzufinden hat und nicht mehr die Welt in dem Sinne offensteht, sie dort zu erkunden, wo es der Betreffende für interessant hält. Gerade das früher einmal Herumstromern genannte Erkunden des Lebensumfeldes ohne Beaufsichtigung ist elementarer Bestandteil von Bildungsprozessen über die gesamte Kindheit und Jugend. Folgerichtig führt die Ausweitung von Betreuung dazu, das Eigenleben von Familie entsprechend an den Rand des Erwerbslebens zu verlagern, weil nur da Zeit bleibt, sich einander zu widmen. Welche Rechte also wären auszuweiten, wenn hieran etwas geändert werden sollte? Mir ist nur ein Vorschlag bekannt, der das zu leisten vermag, und das ist ein Bedingungsloses Grundeinkommen in entsprechender Höhe.

Sascha Liebermann