Ja, es zeigt sich der Vorrang von Erwerbstätigkeit in seiner Härte, besser würde es aber nicht, wenn es die Kitaplätze gäbe; dann wäre nur die "Versorgungsfrage" gelöst, nicht aber, was denn die Eltern für sinnvoller halten: mit den Kindern zu sein oder nicht. https://t.co/wPYEZE8QUz
— Sascha Liebermann (@SaschaLieberman) February 28, 2025
28. Februar 2025
18. Februar 2025
"Wenn Elternschaft bezahlt würde"...
Noch weiter ginge der Vorschlag eines Bedingungslosen Grundeinkommens, da er die finanzielle Absicherung gar nicht an die konkrete Lebenssituation knüpft, doch davon ist im Feature leider keine Rede, obwohl genau das in der BGE-Diskussion eine erhebliche Rolle spielt. Die Stellung von Erwerbstätigkeit wird im Beitrag des WDR nur relativiert, nicht aber hinterfragt, obwohl die Folgen ihres Vorrangs allzu sichtbar sind. Nicht beleuchtet wird die Frage, inwiefern Eltern ihre Lage verbessern könnten, indem zeitweise Ansprüche aufgegeben und ruhen gelassen werden. In Analysen, die ich im Rahmen meiner Forschung durchgeführt habe (siehe z. B. hier), zeigte sich eher, dass Eltern geradezu selbstverständlich auf die Nutzung von Kitas vor dem dritten Lebensjahr setzen und sich gerade die Zeit eher nicht nehmen, die es für ein lebendiges Familienleben bräuchte.
Der im Beitrag befragte Ökonom, Helmut Reiner, beklagt vor allem die durch eine solche Unterstützung zu erwartende Reduktion des Arbeitsangebots, insobesondere bei Alleinerziehenden, und stellt sich die Frage nicht, zumindest nicht in den erwähnten Passagen, dass Familie ohne Zeit füreinander eben kein Familienleben haben kann. Es ist also kaum überraschend, dass gerade Alleinerziehende ihre Arbeitszeit dann womöglich reduzieren würden, weil sie in ihrer Elternposition besonders gefordert sind.
Die Behauptung, dass viele Eltern ihre Kinder nicht in langen Betreuungszeiten in Kitas unterbringen wollen, scheint mir doch sehr gewagt, sowohl angesichts unserer Befunde aus verschiedenen Analysen von Interviews mit Eltern als auch mit Blick auf den Familienreport 2024 (S. 79 ff.), wobei dessen Grundlage standardisierte Befragungen sind (zur einer methodischen Einordnung ihres Stellenwerts, siehe hier und hier).
Es geht in der Diskussion also um eine grundsätzliche Frage: will ein Gemeinwesen Eltern die Möglichkeit geben, sich nach eigenem Dafürhalten ihrer Verantwortung zu stellen, dann ist ein erwerbsunabhängige Einkommensquelle unerlässlich. Der Vorschlag eines Erziehungsgehalts geht einen deutlichen Schritt in diese Richtung. Weiter allerdings geht ein BGE, weil es eine Einkommenssicherung gar nicht mehr von den Lebensumständen abhängig macht - so kann jeder entscheiden, wie er sein Leben gestalten will, ob dazu Erwerbstätigkeit gehört und in welchem Umfang oder auch gar nicht oder nur phasenweise.
Sascha Liebermann
6. Januar 2025
Der Maßstab wird einfach gesetzt
Es wird ein Maßstab gesetzt und von diesem aus ein "Problem" bestimmt. Warum gilt der Maßstab, warum sollte er gelten? Setzt man einen anderen Maßstab, ergibt sich ein anderes Problem: zu wenig Zeit füreinander, gerade für Eltern und ihre Kinder. (1/2)
— Sascha Liebermann (@SaschaLieberman) January 3, 2025
Erwerbstätigkeit bei syrischen Flüchtlingen - der Zeitverlauf ist relevant...
In dieser Frage scheint es mir doch unerlässlich, die Längsschnittdaten einzubeziehen, also den Verlauf zu beachten, wie das IAB (https://t.co/jGd50mfd4e, https://t.co/ycMQ8FJMRC) es jüngst getan hat. Dann stellt sich die Lage differenzierter dar. https://t.co/Gd5e9og7ET
— Sascha Liebermann (@SaschaLieberman) January 6, 2025
...darüber hinaus weist der Beitrag des IAB auf ähnliche Phänomene hin, wie bei Flüchtlingen aus der Ukraine, dass Sprachkenntnisse zu Beginn eine hohe Hürde sind, Möglichkeiten der Kinderbetreuung usw.
Davon abgesehen lässt sich zurecht fragen, ob das Ziel einer möglichst hohen Erwerbsquote über allem anderen stehen soll, denn eine hohe Erwerbsbeteiligung, nach Vorstellungen einiger in Vollzeit, bedeutet wenig Zeit für Familie. Wer also über das eine spricht, sollte über das andere nicht schweigen.
Sascha Liebermann
20. August 2024
1. April 2024
Arbeitsangebot, Teilzeitarbeit, Ehegattensplitting und Familie...
2. Zentral für das Arbeitsangebot von Eltern ist aus meiner Sicht zweierlei: A) Die Verfügbarkeit und Verlässlichkeit von Kinderbetreuung; B) De facto ist es schwierig, zwei Vollzeitstellen mit Verantwortung für (kleine) Kinder zusammenzubringen. 3/
— Sebastian Dullien (@SDullien) March 30, 2024
...hier wieder einmal ein Vorschlag, wie das Arbeitsangebot von Frauen erhöht werden könnte, die Ersetzung des Ehegattensplittings reiche dazu nicht aus.
Würde man - das ist hier allerdings nicht die Frage des Autors - sich überlegen, was denn hilfreich wäre, damit Familien mehr Zeit füreinander haben können, dann ist die Erhöhung des Arbeitsangebots das Gegenteils dessen, was nötig wäre. Nicht nur Kleinkinder benötigen viel Zeit mit ihren Eltern, auch Jugendliche suchen Gespräche, aber nicht nach Termin und dann, wenn es den Eltern gerade passt. Gelegenheiten dazu entstehen am einfachsten, wenn man Zeit miteinander verbringt - das gilt auch noch für Jugendliche -, dazu muss man nicht aufeinandersitzen. Andersherum - für die Eltern - gilt das ebenso, sofern man nicht nur Lebensabschnittsbegleiter sein will, denn miteinander vertraut zu werden und zu bleiben, erfordert ebenfalls Zeit miteinander, überhaupt braucht es sie, um die Elternposition zu füllen (siehe auch unseren früheren Beiträge dazu hier und hier).
Sascha Liebermann
12. September 2023
Anderer Blickwinkel...
„wenn eine Frau ein Kind bekommt,arbeitet sie 1 Jahr danach 50% weniger als zuvor“?
— Corinna Milborn (@corinnamilborn) September 11, 2023
richtig wär: „arbeitet sie 1J danach mehr als doppelt so viel, bekommt aber 50% weniger bezahlt“
unbezahlte Arbeit nicht zu sehen ist Teil des Problems thank you for coming to my ted talk https://t.co/xrhop6r5BW
..., der die Erwerbszentrierung deutlich bezeugt und daraus folgend das Ausblenden unbezahlter Arbeit.
Sascha Liebermann
30. August 2023
Erwerbsbeteiligung Alleinerziehender nicht rückläufig und Reaktionen auf die "Anreiz"-Keule...
Erwerbsbeteiligungsrückgang von Alleinerziehenden im letzten Jahrzehnt? Anreize für Arbeit setzen?
— Andreas Hövermann (@AndreasHoev) August 29, 2023
Zahlen laut @Bundesagentur:
Erwerbstätigenquote unter Alleinerziehenden:
2011: 70,7%
2021: 74%
Erwerbslosenquote unter Alleinerziehenden:
2011: 12,2%
2021: 5,3%
via @MKreutzfeldt https://t.co/GkPvAjLfim pic.twitter.com/z1ZYHcOwVW
..., gut, dass hier gegen anscheinend unhaltbare Behauptungen entsprechende Daten genutzt werden. Drastischer fällt die Stellungnahme aus, die sich gegen die Verunglimpfung Alleinerziehender wendet. Dabei
geht es um diese Äußerung:
"Wir wollen einerseits die materielle Situation Alleinerziehender verbessern, aber andererseits nicht zusätzliche Anreize geben, sich nicht um Arbeit zu bemühen. Es ist ja eine beklagenswerte Tatsache, dass die Erwerbsbeteiligung von Alleinerziehenden im vergangenen Jahrzehnt trotz des Ausbaus der Kinderbetreuungsstruktur zurückgegangen ist. Also weniger Erwerbsbeteiligung bei Alleinerziehenden während des vergangenen Jahrzehnts. Da dürfen wir kein Signal setzen, dass das verfestigt."
Der Finanzminister bleibt sich damit treu, wenn man das so sagen kann. Zu "Anreizen" siehe hier.
Sascha Liebermann
7. August 2023
Zumindest eine Möglichkeit...
Das #BGE könnte dafür sorgen, dass sich die Eltern mehr um ihre Kinder kümmern. Sie hätten den Rücken frei! https://t.co/5RSTElSwPh
— Christiane Gorius *Germanistin/Psychologin M.A. (@schreibtatze) August 3, 2023
...schafft das BGE diesbezüglich und eine Anerkennung dessen, dass dieses Kümmern als etwas Wichtiges verstanden wird im Gemeinwesen, indem es der Erwerbstätigkeit nicht mehr nachgeordnet ist.
Allerdings, betrachtet man die Altersstufe Kita bzw. Kindergarten, deren Besuch in Deutschland heute (noch) nicht verpflichtend ist, muss man sich fragen, weshalb Eltern diesen Freiraum so wenig nutzen, sich mehr Zeit zu nehmen (siehe die seit 2006 gestiegenen Zahlen dazu). Im März 2022 lag die Quote der Kinder, die dort versorgt werden, bei 35,5% im Bundesdurchschnitt, im Westen allerdings erheblich niedriger (31,8%) als im Osten (53,3%) Deutschlands (siehe auch hier, S. 12). Auch die Betreuungsdauer hat zugenommen, mittlerweile werden 52% der Kinder mehr als 35 Stunden betreut, während nur noch 13% bis 25 Stunden betreut werden (siehe hier, S. 39).
Sicher gibt es Familien, die aufgrund ihrer Einkommenssituation keine Alternative zur Nutzung außerhäuslicher Betreuung haben, aber das erklärt kaum den rasanten Anstieg. Die Folgen für das Familienleben sowie für die Zeit, die Erfahrungen miteinander benötigen, sind gravierend. Wenn diese Entscheidungen also nicht vor allem aus Not getroffen werden, sondern wegen der Lebensentwürfe der Eltern in Verbindung mit der normativen Stellung von Erwerbstätigkeit, wird man sehen müssen, ob ein BGE auch tatsächlich im Sinne des Tweets genutzt werden würde. Die Möglichkeit dazu böte es in jedem Fall.
Sascha Liebermann
10. Juli 2023
Emanzipation? Alle Jahre wieder...
...wird das Ehegattensplitting als Haupthindernis "emanzipatorischer" Lebensverhältnisse angeführt, dabei geht es in der Argumentation vorwiegend darum, die Erwerbsbeteiligung von Frauen (siehe auch hier) zu erhöhen - also ein sehr bestimmtes und eingeschränktes Emanzipationsverständnis (siehe auch hier). Die Folge ist, weniger Zeit für andere Lebensbereiche zu haben.
Statt also diese Fixierung auf Erwerbstätigkeit - auch für Männer - in Frage zu stellen und die Weite des Lebens in den Blick zu bekommen, soll die Verengung vorangetrieben werden. Mit Emanzipation im politischen Sinne hat das nichts zu tun, mit Normkonformität viel. Erwerbsbeteiligung als entscheidender Beitrag, den Rest kann man der "Freizeit" überlassen. Dabei wäre wirkliche Emanzipation eine, in der Erwerbsbeteiligung nur eine Dimension unter anderen ausmachte, nicht aber die entscheidende wäre.
Die Frage wäre also, wie gelangt man aus der Erwerbszentrierung hinaus? Das geht nur, wenn der Vorrang von Erwerbstätigkeit aufgegeben wird.
Sascha Liebermann
14. Mai 2023
"World's toughest Job" - gelungen komprimiert dargestellt, was es bedeutet, Eltern zu sein, auch wenn es hier um den Muttertag geht
21. März 2023
"Das Ziel:..."
Das Ziel: noch mehr Erwerbsteilnahme, was bislang schon für eine hohe Abwesenheit der Väter gesorgt hat, nun dasselbe für die Mütter. Und Familienleben? Was wäre die Wirtschaft ohne Familien, die sich um das Wohlergehen ihrer Kinder kümmern. Beides geht nicht zur selben Zeit. https://t.co/v93Qxijdag
— Sascha Liebermann (@SaschaLieberman) March 21, 2023
Siehe zu dieser Frage auch diese Beiträge hier.
14. November 2022
Einst hatte "unbezahlte Arbeit" in der CDU noch ein gewisses Ansehen,...
Keine Milderung von ALG führt ins #BGE.
— BGE Eisenach (@bge_esa) November 14, 2022
60 % der Arbeitsstunden sind keine Lohnarbeit. Das ist vor allem Fürsorge in den Familien. Die ist essenziell.
Es ist unfair & folgenreich, diese Leistungen wie Herr Merz als Nicht-Arbeit zu klassifizieren.#Grundeinkommen #Buergergeld https://t.co/jaJZZ34B7X
...was die Union hier abliefert, spricht dem Hohn. Da waren die Ausführungen Norbert Blüms noch ein Lichtblick, wenn er auch nicht weit genug ging, siehe auch hier.
Sascha Liebermann
9. November 2022
"Betreuungsbedarf" oder Aufgehobensein? Erwerbsintegration oder Freiheit, sich zu entscheiden?
Aktuell werden 838.700 Kinder U3 in Kitas betreut, das sind 35,5% in der Altersgruppe.
— teresa bücker (@teresabuecker) November 8, 2022
Trotz niedriger Betreuungsquote U3 fehlen 2023 schon 384.000 Kitaplätze.
Würden ab morgen alle Eltern von Kindern unter 3 Vollzeit arbeiten wollen, bräuchte es über 1,5 Millionen neue Plätze.
Auch wenn es in diesem Kommentar nur darum geht, dass Kitaplätze gemessen am Bedarf fehlen, sei doch auf etwas aufmerksam gemacht, wofür der Bedarf steht. Die prozentualen Angaben zur Altersgruppe stellen sich anders dar, wenn sie aufgeschlüsselt werden nach Alter. Dann gilt nur noch für Kinder unter einem Jahr einschränkungslos bzw. für Kinder im Alter bis zwei Jahren in Westdeutschland, nicht aber in Ostdeutschland, dass die Mehrheit tagsüber zuhause versorgt wird. Ab dem zweiten Jahr trifft es nicht einmal für Westdeutschland mehr zu (siehe Statistisches Bundesamt, hier mit Kartenmaterial), insgesamt werden da schon 64% der Kinder in Kitas versorgt. Die Betreuungsquoten haben sich rasant innerhalb von 15 Jahren verändert, ebenso der Betreuungsumfang, denn 54,3% der Kinder unter drei Jahren werden schon 35 Stunden und mehr pro Woche außerhäuslich versorgt (BMAS Kindertagesbetreuung kompakt, S. 34 f.). Dahinter zu erkennen ist eine Sozialpolitik, die die Erwerbsbeteiligung von Eltern für etwas sehr wichtiges hält, die Zeit für Familie hingegen für etwas erheblich weniger Bedeutsames, man schaue sich nur entsprechende Ausführungen im Neunten Familienbericht an, im Achten war es nicht anders. Die Diskussion über Vereinbarkeit von Familie und Beruf läuft in vielerlei Hinsicht auf den Beruf hinaus, zudem die Familie nur noch als Beiwerk erscheint. Die Frage wäre also, wie ist es möglich, Eltern mehr Zeit dafür zu verschaffen, sich entscheiden zu können, ohne dass ihnen eine Richtung hin zu Erwerbstätigkeit gewiesen wird? Wer das will, kommt an einem Bedingungslosen Grundeinkommen nicht vorbei.
Sascha Liebermann
10. August 2022
Hoch, die Arbeit...
Einen anderen Weg würde natürlich ein Bedingungsloses Grundeinkommen eröffnen, das scheint für Mirna Funk jedoch gar keine Alternative zu sein.
Siehe auch meine Beiträge hier und hier.
Sascha Liebermann
8. August 2022
"Gratismentalität" - ohne "Gratis" gäbe es keine gelingende Sozialisation, keine Familien, keine politischen Gemeinwesen...
https://t.co/Ai4YWqX01z@c_lindner sei "von einer 'Gratismentalität à la bedingungsloses #Grundeinkommen' auch im öffentlichen Nahverkehr nicht überzeugt"
— BGE Eisenach (@bge_esa) August 7, 2022
Dafür ist er wohl von der Gratismentalität des "Arbeitsmarktes" überzeugt - ohne familiale Gratis-Fürsorge gäb’s ihn nicht
...in unserem heutigen Verständnis in einer Demokratie, denn für alles drei gilt: das Gedeihen hängt von der vorbehaltlosen Anerkennung ab, was nicht mit Verantwortungslosigkeit zu verwechseln ist. Wo Anerkennung des Gegenübers an Gegenleistungen gebunden, wo Zuwendung davon abhängig gemacht wird, wird die sie tragende Beziehung zerstört (auch wenn das manche durchaus anders zu sehen scheinen, wie z. B. Dominik Enste hier und hier).
Außer Frage steht, dass ein solches Gefüge in der Tat erodieren kann, wenn diese Anerkennung nicht erfolgt, wenn die Verantwortung dafür nicht übernommen wird, doch das wäre Folge eines Versagens, nicht der Ausgangspunkt.
Sascha Liebermann
4. August 2022
Steigerung der Erwerbsquoten statt Frage danach, ob der Stellenwert von Erwerbstätigkeit angemessen ist...
"Denn wenn alle mehr arbeiten, wer kümmert sich dann um die Kinder und die Alten? Über 70 Prozent der unter Dreijährigen in Westdeutschland werden zu Hause überwiegend von ihren Müttern betreut, um vier von fünf Pflegebedürftigen kümmern sich Angehörige, auch meistens Frauen. Wer soll das machen, wenn alle arbeiten? Und was macht das mit der mentalen und physischen Gesundheit?"
Daraus ließe sich nun einiges gegen den Vorrang von Erwerbstätigkeit ableiten und für die stärkere Präsenz der Eltern, noch mehr der Väter ins Felde führen. Doch das geschieht nicht, der Beitrag nimmt eine andere Wendung. Dabei ist hier noch eine nicht unerhebliche Korrektur nötig, denn die Angabe von 30 Prozent der unter Dreijährigen in Tagesbetreuung ist nur richtig, wenn nicht zwischen den Altersgruppen differenziert wird. Im ersten Lebensjahr ist die Betreuungsquote nach Angaben des Statistischen Bundesamtes noch vergleichsweise niedrig, dann aber steigt sie rasant an und erreicht im zweiten Lebensjahr schon etwa 30 Prozent im Westen, im dritten, also immer noch vor Eintritt in den Kindergarten, liegt sie dann bei 60, im Osten bei 80 Prozent. Keineswegs also sind 70 Prozent der Kinder zuhause, wenn man altersspezifisch die Sache betrachtet. Man könnte hieran sehen, dass die Erwerbsorientierung schon erhebliche Folgen hatte bislang, die Zeit für Familie indes immer weniger wird.Fraglos ist, wie Rennefanz anmerkt, Familienleben mit der Präsenz der Mütter zuhause gleichgesetzt worden, die Väter spielten keine so große Rolle, auch familienpolitisch nicht. Doch daraus eine Tugend zu machen und mit dem Verweis auf Schweden, Frankreich und die DDR (mit Vorbehalten) eine bessere Welt zu zitieren, überrascht doch. Worauf es hinausläuft ist dann auch absehbar:
"Bis heute handelt es sich zwischen Ost und West um geteilte Länder, was Frauenerwerbstätigkeit angeht: Während im Osten 51 Prozent der Mütter spätestens 15 Monate nach der Geburt wieder in Beschäftigung sind, sind es im Westen nur 36 Prozent. Ostdeutsche Mütter beginnen mit im Schnitt 16 Stunden pro Woche, westdeutsche Mütter mit nur 8,5 Stunden. Westdeutsche Frauen kommen kurz vor dem 18. Geburtstag des Kindes auf ein Arbeitsvolumen von 22 Wochenstunden, ostdeutsche Frauen erreichen das, wenn ihr Kind etwa drei Jahre alt ist."Wenn das das Ziel sein soll, dann ist die Denkweise konsequent, wenn aber Zeit für Familie ebenso wichtig ist, dann muss die Frage gestellt werden, wie das erreicht werden könnte. Keinesfalls damit, den Vorrang von Erwerbstätigkeit unangetastet zu lassen. Wie wäre es denn, wenn als Kriterium dafür, wann Kinder Betreuungseinrichtungen besuchen, ihre Bereitschaft, ohne weiteren Aufwand dort zu bleiben, herangezogen würde? Wir wäre es denn, wenn man sagte, solange sie dort nicht ohne Eingewöhnungsprogramm zu bleiben bereit sind, solange sind sie noch nicht so weit? Die statistischen Mittelwerte aus der Bindungsforschung helfen doch bei der Entscheidung, wann Kinder es dort gut aushalten können, nicht weiter und laufen nur auf eine Anpassung an den Erwerbsrhythmus hinaus im Sinne einer Haltung des "da müssen sie durch". Wenn eine Entscheidung sich daran orientieren soll, was für das Kind gut und für die Eltern auszuhalten ist, dann müsste auf das einzelne Kind geschaut werden. Selbst dann gibt es noch Tage, an denen Kinder nicht gehen möchten - aus vielerlei Gründen. Es ist doch kein Zufall, dass Kinder ab einem bestimmten Zeitpunkt, der etwa zwischen drei und viereinhalb Jahren liegt, gerne in den Kindergarten gehen, aber nicht unbedingt jeden Tag, nicht immer die ganze Zeit und schon gar nicht den ganzen Tag.
Sicher ist es wünschenswert, dass Väter präsenter sind, das würde auch die Möglichkeiten für Mütter verändern. Auch hierfür müsste der Vorrang von Erwerbstätigkeit in Frage gestellt werden. Doch was ist mit den Kindern, zählen sie denn? Zählt es, ab wann sie bereit sind? Man kann es nicht oft genug sagen, die schönfärberische Formel von der Vereinbarkeit von Familie und Beruf täuscht über den permanenten Konflikt hinweg, der sich zwischen zwei Beziehungswelten auftut, die ganz unterschiedlich sind (siehe auch das Gespräch mit Susanne Garsoffsky, die mit Britta Sembach dazu ein Sachbuch verfasst hat). In der einen steht die Lebensgemeinschaft im Zentrum, impulsive Bedürfnisse, die Erfahrung des Zusammen- und Miteinanderseins, das Einander-Beistehen. In der anderen geht es überwiegend um organisierbare Prozesse, Kollegialbeziehungen und die Austauschbarkeit der Mitarbeiter (auch im Bereich der Pflege). Bislang räumen wir letzterer eine Dominanz und eine normative Vorrangstellung ein, die zur Konsequenz hat, den Blick auf das andere Leben außerhalb zu vernachlässigen - und zwar in immer stärkerem Maße in den letzten Jahrzehnten.
Sascha Liebermann
3. Mai 2022
"Fehlanreize abbauen, Kinderbetreuung ausbauen und finanzielle Absicherung stärken"...
Diese Schlussfolgerung ist ganz im Einklang mit dieser Studie derselben Stiftung - nichts Neues also hierzu. Weshalb aber führt die Aussage "Wohlfahrtstaatliche Leistungen, die einen spezifische Lebensentwurf fördern..." nicht dazu, die Fixierung auf Erwerbstätigkeit der Vergangenheit angehören zu lassen, statt sie zu zementieren? Aussagen wie "Familie ist deutlich vielfältiger als früher" sind trivial und zugleich gehen sie an der Sache vorbei, denn in einer Hinsicht hat sich Familie überhaupt nicht verändert: dass es Kinder gibt, die umsorgt werden müssen und die die Nähe zu den Eltern einer Kita vorziehen, wenn sie denn die Wahl haben. Man fragt sich, wie die Erwerbsfixierung einen Beitrag dazu leisten können soll, die Degradierung von "Sorgearbeit" aufzuheben. Sie setzt diese ja vielmehr fort.
Siehe unsere früheren Beiträge zu Ehegattensplitting und Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Sascha Liebermann
24. Januar 2022
"Auch wenn Väter nur zwei Monate Babypause machen, fließt schon das volle Elterngeld"...
Abgesehen davon, dass hier formal auf Gleichstellung Bezug genommen und diese nur mit Bezug auf die Erwerbsbeteiligung betrachtet wird, nimmt Parnack in Kauf, dass mit einer Verschärfung in ihrem Sinne gerade diejenigen, die niedrige Zahlbeträge erhalten, das Nachsehen haben werden, wenn sie nicht spuren. In keiner Weise stellt Parnack die Frage, welchen Beitrag der normative Vorrang von Erwerbstätigkeit für die ungleiche Wahrnehmung von Sorgetätigkeiten durch Mütter und Väter hat. Vätern fehlen entscheidende auf das Elternsein vorbereitende Erfahrungen, um in das Vatersein hineinzufinden, die Mütter allerdings durchleben: Schwangerschaft und Geburt. Wer also an dieser Ungleichheit etwas ändern will, muss Möglichkeiten schaffen, damit Eltern in dieses Elternsein leichter hineinfinden können, ohne sie in Erwerbstätigkeit zurückzudrängen. Es ist naiv zu glauben, ein paar Monate Elterngeld könnten das richten, es braucht die Freiräume und die Anerkennung dessen, dass diese Zeit wichtig ist. Das Elterngeld wirbt zwar damit, diese Anerkennung zu bieten, tatsächlich ist es eine Erwerbsprämie. Es muss also am Stellenwert von Erwerbstätigkeit gerüttelt werden, wenn es hier Veränderungen geben soll. Ein Bedingungsloses Grundeinkommen täte genau das, ohne irgend jemanden erziehen zu wollen.
Sascha Liebermann
4. Januar 2022
Etwa ganz paternalismusfrei? Da scheint mir die Diskussion um ein BGE anderes zu zeigen (ganz im Sinne der Tweet-Antwort)...
Sehen aber im #BGE, was nichts anderes ist als ein Recht auf Einkommen, Sozialabbau und eine Stilllegungsprämie? (MS)
— BGE Eisenach 🧢 (@bge_esa) January 3, 2022
...abgesehen davon ist die Frage, welche Rechte hier gemeint sind und wie sie im Verhältnis zum Erwerbsgebot stehen. Zwar werden solche Rechte nicht unmittelbar vom Erwerbsgebot angetastet, doch solange Erwerbsteilnahme über allem steht, verbleibt nur ein enger Korridor des Möglichen, der zugleich alles, was nicht Erwerbstätigkeit ist, normativ degradiert. Bekräftigt wird das noch sich durch die sanktionsbewehrten Einkommensersatzleistungen. An dieser normativen Vorrangstellung ändert sich nichts, wenn neue Arbeitszeitmodelle entwickelt werden, die eine andere "Vollzeit", mit weniger Stunden, vorsehen, denn das Erwerbsgebot wird dadurch nicht angetastet.
Das Erwerbsgebot und seine emanzipatorische Umdeutung ist der Grund für den Ausbau der Ganztagsbetreuung in Kindergarten und Schule, ohne zugleich die Möglichkeit zu bieten, dem Erwerbsgebot legitim ausweichen zu können. Seit vielen Jahren gilt, in anderen Ländern mit Sozialstaaten noch länger, der Ausbau als eines der wichtigen sozialpolitischen Ziele. Es scheint dabei überhaupt keine Rolle zu spielen, dass damit das Erkundungsbestreben von Kindern und Jugendlichen immer mehr nur unter Beaufsichtigung stattzufinden hat und nicht mehr die Welt in dem Sinne offensteht, sie dort zu erkunden, wo es der Betreffende für interessant hält. Gerade das früher einmal Herumstromern genannte Erkunden des Lebensumfeldes ohne Beaufsichtigung ist elementarer Bestandteil von Bildungsprozessen über die gesamte Kindheit und Jugend. Folgerichtig führt die Ausweitung von Betreuung dazu, das Eigenleben von Familie entsprechend an den Rand des Erwerbslebens zu verlagern, weil nur da Zeit bleibt, sich einander zu widmen. Welche Rechte also wären auszuweiten, wenn hieran etwas geändert werden sollte? Mir ist nur ein Vorschlag bekannt, der das zu leisten vermag, und das ist ein Bedingungsloses Grundeinkommen in entsprechender Höhe.
Sascha Liebermann