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12. Mai 2025

"Grundeinkommen für alle?" - ein Gespräch zwischen Marcel Fratzscher und Andreas Peichl...

...mit teils unerwarteten und vielen erwartbaren Einschätzungen - hier geht es zum Gespräch bei Zeit Online (Bezahlschranke)

Ausgewählte Passagen seien hier wieder kommentiert. Zuerst einmal ist festzustellen, dass Marcel Fratzscher herausstellt, dass er selbst gegenüber dem BGE kritisch war - genau genommen hat er es mit einer ausgesprochen paternalistischen und in manchem der Haltung Peichls entsprechenden Ausführungen abgelehnt, das war 2017, also noch nicht so alt. Ähnlich in diesem Streitgespräch aus dem Jahr 2018.

Andreas Peichl hat sich wiederholt ablehnend zum BGE geäußert wegen der Auswirkungen, die er befürchte, diese Einwände wiederholt er mehr oder weniger im Zeit-Gespräch. 

Wie begründet Fratzscher seine veränderte Haltung: "Der Hauptgrund dafür ist das positive Menschenbild, das dem Grundeinkommen zugrunde liegt. Es betrachtet den Menschen als soziales Wesen, das intrinsisch motiviert ist, einen Beitrag zum Wohl der Gemeinschaft zu leisten". Diese Begründung ist eher eine weltanschaulich praktische, ihr unterliegt ein Werturteil. Doch Fratzscher spricht hier, so werden beide zumindest angesprochen, als Wissenschaftler und Präsident des DIW. Dafür ist es irrelevant, ob man etwas sympathisch, unsympathisch oder sonstwie findet. Stattdessen müsst er zumindest Belege oder argumentative Herleitungen präsentieren, die deutlich machen, dass diesem "Menschenbild" eine Realität zugrundeliegt, die wir sozialwissenschaftlich untersuchen können - und nicht eine weltanschauliche Einordnung. Es müsste also darum gehen, aufzuzeigen, dass ein BGE Voraussetzungen enthält, die zum einen schon in der politischen Ordnung Deutschlands eine harte Wirklichkeit darstellen, zum anderen die Entscheidungsfindung des Einzelnen schon heute damit konfrontiert ist, genau die Handlungsfähigkeit in die Tat umzusetzen, die ein BGE verlangen würde.

Irritierend ist dann folgende Formulierung Fratzschers:

"Es [das BGE, SL] betont die Notwendigkeit, unsere Sozialsysteme umzugestalten, weg von einem reaktiven und sanktionierenden und hin zu einem aktivierenden Sozialstaat, der Freiheiten und Chancen schafft, damit möglichst alle Menschen ein selbstbestimmtes Leben führen können."

Fratzscher macht hier einen Gegensatz zwischen einem sanktionierenden und einem aktivierenden Sozialstaat auf, ganz ähnlich wie einst Robert Habeck Boni im Leistungsbezug den Sanktionen vorziehen wollte. Doch eine Aktivierung benötigen Bürger nicht, allenfalls müssen Hindernisse der Selbstbestimmung aus dem Weg geräumt werden - das ist etwas ganz anderes. Außerdem hatte die Vokabel von der Aktivierung ihre Hochzeit mit Einführung von Hartz IV. Chancen schafft der Sozialstaat, indem er zuerst einmal auf den Einzelnen vertraut und dann Angebote macht, die wahrgenommen werden können.

Wie äußert sich Andreas Peichl dazu:

"Peichl: Das [dass Menschen ihr Arbeitsangebot nicht reduzieren, SL] wäre natürlich eine positive Entwicklung, ich will aber noch einmal zum Ausgangspunkt zurück. Es gibt Menschen, die intrinsisch motiviert sind, wie du es gesagt hast, Marcel. Sie arbeiten gern, zum Beispiel weil sie ihre Tätigkeit als sinnstiftend empfinden oder das soziale Umfeld schätzen. Das widerspricht dem im ersten Semester gelehrten volkswirtschaftlichen Grundmodell, das nur Arbeitsleid kennt und keine Arbeitsfreude. Dass das anders sein kann, sehen wir in den Daten. Es gibt aber auch Menschen, für die die Entlohnung der wichtigste Grund für die Aufnahme einer Arbeit ist. Deshalb muss man staatliche Leistungen so austarieren, dass sie die intrinsische Motivation erhalten, ohne die extrinsische zu zerstören. Auch mit einem Grundeinkommen muss es sich lohnen, eine Arbeit aufzunehmen."

Peichl stellt die intrinsische der extrinsischen Motivation gegenüber und legt damit nahe, dass für die einen ein BGE richtig und angemessen wäre, weil sie intrinsisch motitivert seien, für die anderen aber nicht. Wenn aber ein BGE als Basis dient und ein Lohn hinzukommen kann, dann ist dem, was er "extrinsische" Orientierung nennt, Genüge getan. Was als Einwand gedacht ist, ist keiner. Davon abgesehen wäre es ein Missverständnis zu meinen, "extrinsische Motivierung" sei eine eigene Quelle von Aktivität, denn auch die Orientierung am Lohn ist eine intrinsische, denn den Lohn als vorrangiges Ziel oder Motiv zu betrachten, ist eine Haltung, die der Betreffende zum Lohn einnimmt, es ist seine Haltung. Das von Peichl erwähnte Theorem vom Arbeitsleid ist eines der empiriefreien Lehnstuhltheoreme, das in vielen Simulationen zu etwaigen Auswirkungen eines BGE die entscheidende Annahme bildet mit entsprechenden Ergebnissen. Was wäre, wenn andere Annahmen die Simulationen leiten würden? 

Fratzscher antwortet Peichls Motivierungsthese:

"Fratzscher: Die Frage ist mir zu despektierlich [zuvor wurde gefragt, wer den Müll wegräume]. Auch die Tätigkeit bei der Müllabfuhr kann sinnstiftend sein. In Deutschland gehen viele Millionen Menschen zur Arbeit und machen einen harten Job, der ihnen viel abverlangt – obwohl sie vielleicht nur ein paar Euro mehr bekommen als im Bürgergeld. Es gibt auch im Niedriglohnsektor eine intrinsische Motivation. Es kommt aber natürlich darauf an, dass der Lohnabstand groß genug ist, dass ich also, wenn ich arbeite, mehr Geld habe, als wenn ich nur das Grundeinkommen beziehe. Das bedeutet, dass nach der Einführung eines solchen Einkommens die Löhne steigen müssten. Dann würden einfache Dienstleistungen wahr- scheinlich teurer werden, aber das ist aus meiner Sicht gut. Der Abstand zwischen hohen Löhnen und niedrigen Löhnen ist in den vergangenen Jahrzehnten stark gestiegen, wenn diese Lohnspreizung zurückgeht, wäre das im Sinne des sozialen Zusammenhalts eine positive Entwicklung."

Fratzscher antwortet hier treffend auf einen Klassiker der Einwände gegen ein BGE (siehe unsere Kommentare zu diesem Einwand hier). Wer diese Frage als ernsthaften Einwand betrachtet, müsste zeigen können, dass eine solche Bereitschaft zu Engagement in diesen Berufen nicht gibt - wo ist dieser Beleg? Wie das empirielose Lehnstuhltheorem vom Arbeitsleid, so beruht auch diese Einschätzung - Peichl nennt keine Studie oder Quelle - auf sehr voraussetzungsvollen Annahmen oder eben auf Vorurteilen. In den vielen Jahren, die ich schon Vorträge zum BGE gehalten und Diskussionen bestritten habe, konnte nie ernsthaft belegt werden, dass es am Interesse an einer solchen Tätigkeit fehlt. Eher ist es so, dass, wenn die Bezahlung es nicht erlaubt, die eigenen Lebenshaltungskosten zu decken oder die Arbeitsbedingungen zu schlecht wurden, dann deswegen der Beruf gewechselt wurde - nicht aber des Inhaltes wegen. Fratzscher allerdings unterläuft hier ein Denkfehler, denn im Unterschied zu heute gibt es zwischen BGE ohne und BGE mit Lohn immer einen relevanten Abstand, da der Lohn nicht angerechnet wird. Wenn also ein BGE eingeführt würde und die derselbe Lohn wie zuvor würde gezahlt, könnte das immer noch attraktiv sein. In dieser Überlegung Fratzschers scheint noch das Armutsfallentheorem fortzuwirken, das wie selbstverständlich genutzt, aber ebensowenig belegt ist (siehe hier). 

Wie sehr Peichl noch am Arbeitsleid- und Anreiztheorem hängt, zeigt sich hier:

"Peichl: Mit den Regeln, die wir jetzt haben, würden sie dafür in vielen Fällen faktisch bestraft werden, weil dann möglicherweise Transferleistungen wie zum Beispiel das Wohngeld wegfallen und Steuern und Sozialabgaben gezahlt werden müssen. Das führt dazu, dass vom zusätzlich erzielten Bruttoeinkommen netto wenig übrig bleibt – wenn überhaupt etwas. Man müsste also das Sozialsystem umbauen, um die Arbeitsanreize zu stärken, und gleichzeitig sicherstellen, dass der Staat genug Geld einnimmt, um das Grundeinkommen zu finanzieren."

Und hier wiederholt sich das:

"Peichl: Das Problem mit solchen Berechnungen ist, dass mögliche Anpassungsreaktionen nicht berücksichtigt werden. Wir müssen zum Beispiel davon ausgehen, dass die Leute weniger arbeiten, wenn Arbeit höher besteuert wird. Dann geht die Wirtschaftsleistung zurück, und die Steuereinnahmen sinken. Ich kann da in den Modellen ganz verheerende Wirkungen berechnen, je nachdem, welche Annahmen ich treffe – vor allem, wenn zu der 50-Prozent-Steuer noch Sozialabgaben dazukommen. Ich kann natürlich auch zu weniger dramatischen Ergebnissen kommen. Es ist schwierig bis unmöglich, die Folgen einer derart weitreichenden Änderung mit den Methoden, die uns zur Verfügung stehen, abzuschätzen."

Welche Anpassungsreaktionen, auf Basis welcher Annahmen erfolgen sie? Wenn ein BGE eingeführt wird und die höhere Besteuerung seiner Finanzierung dient, weshalb sollte das in der Breite es weniger attraktiv machen, erwerbstätig zu sein. Auch das ist eine Behauptung. Peichl sagt ja selbst - "je nachdem, welche Annahme ich treffe" -, eben, "je nachdem". Wie aber gelange ich denn zu diesen Annahmen? Nur weil etwas aufgrund der Verbreitung dieser Vorstellung von Arbeitsanreizen plausibel erscheint, muss es noch lange nicht plausibel sein. Dass er als Wissenschaftler das einfach so dahin stellt, ist erstaunlich. 

Aufschlussreich an dem Gespräch ist auch, dass Peichl lediglich einräumt, welch negative Auswirkungen Sanktionen haben können, wenn sie nur zu kurz anhaltenden Beschäftigungsverhältnissen führen. Dass er aber überhaupt in der Erhöhung der Beschäftigungsverhältnisse ein relevantes Ziel sieht und nicht darin, durch eine Veränderung der Existenzsicherungsbedingungen durch ein BGE die Chancen für ein gutes Passungsverhältnis zwischen Arbeitsuchendem und Unternehmen zu verbessern oder sogar darüber hinaus die offensive Nutzung von Automatisierungsmöglichkeiten zu befeuern, überrascht.

"ZEIT: Letzte Frage: Ab welchem Einkommen würden Sie aufhören zu arbeiten?

Peichl: Ich glaube, auch mit sehr viel mehr Geld würde ich mir ein Büro einrichten und weiter an den inhaltlichen Themen arbeiten. Es gibt für mich keine Summe, die groß genug wäre, um diesen Job nicht zu machen.

Fratzscher: So ist das auch bei mir. Ich sehe die Arbeit, die ich machen darf, als Privileg an. Ich gebe aber zu, dass ich mich sehr schwertun würde, mit 1.200 Euro im Monat auszukommen."

Die Frage ist ein Klassiker und wurde schon im ersten langen Grundeinkommensfilm gestellt, die Antworten waren damals schon bezeichnend und sind es auch hier. Was für Peichl gilt, scheint für andere ja nicht gelten zu können; was Fratzscher sagt, bestätigt, was BGE-Befürworter schon lange sagen, auch wenn es nur ein Aspekt unter anderen ist.

Sascha Liebermann

22. April 2025

"Grundsicherung, aber wie?" - In jedem Fall ohne Grundeinkommen,...

...da ist sich Andreas Peichl, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Uni München und Mitarbeiter des ifo-Instituts, in seinem Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sicher. 

Peichl befasst sich in seinem Beitrag mit dem Vorhaben einer "Neuen Grundsicherung", das die Gelegenheit biete, Verbesserungen im bestehenden bedarfsorientierten System der sozialen Sicherung zu erreichen. In diesem Zusammenhang äußert er sich zum konkurrierenden Vorschlag eines Bedingungslosen Grundeinkommens, das durch die Präsentation der Ergebnisse des Pilotprojekts von Mein Grundeinkommen kürzlich wieder medial größere Aufmerksamkeit erhalten hat (siehe z. B. hier und hier). Er weist - wie manche schon - auf die Grenzen der Studie von Mein Grundeinkommen und deren positiver Ergebnisse hin, was deswegen interessant ist, weil er sie mit den "negativen Ergebnissen" einer anderen Studie aus den USA vergleicht, ohne deren Begrenzung allerdings zu benennen. Das ist schon ein interessantes Framing für einen solchen Beitrag, weil damit behauptet wird, die Ergebnisse der anderen Studie seien belastbarer. Dabei haben Guy Standing und Scott Santens auf ebendiese Grenzen der  US-amerikanische Studie schon lange hingewiesen.

Warum schließt Peichl das BGE als mögliche Alternative aus? Ganz überraschend kommt diese Stellungnahme nicht, denn schon in der Vergangenheit hatte er sich wiederholt dagegen ausgesprochen (siehe z. B. hier und hier). Um die Folgen eines BGE auszumalen greift er auf die Ergebnisse einer Studie zurück, an der er selbst mitwirkte:

"Für eine vierköpfige Familie ergäbe sich ein Betrag von 3784 Euro pro Monat, was zu einem jährlichen Finanzierungsbedarf von rund 1100 Milliarden Euro führen würde. Dem stünden mögliche Einsparungen bei den bestehenden Sozialausgaben von nur rund 230 Milliarden Euro gegenüber, sodass eine Finanzierungslücke von rund 870 Milliarden Euro pro Jahr verbliebe. Um diese Lücke zu schließen, müsste die Steuerquote massiv erhöht werden. Das würde sich zwangsläufig negativ auf Arbeitsanreize, Investitionen und Standortattraktivität auswirken [Hervorhebung SL]."

Auffällig ist hier die Einseitigkeit, mit der Peichl nicht nur etwaige Folgen in Erwägung zieht, es handelt sich immerhin um bloße Schätzungen einer Simulationsstudie, sondern sie als gewiss behauptet. Wie kommt er dazu? Er muss, um diesen Schluss zu ziehen, bestimmte Annahmen treffen, die ja nun gerade zu diskutieren wären, ganz vorne steht hier die Konzeptualisierung von Leistungsbereitschaft vor dem Hintergrund eines Modells von Arbeitsleid (siehe die Studie von Ronald Gebauer, schon einige Jahre alt, aber immer noch lesenswert, der sich mit diesen Annahmen beschäftigt; die ganze Diskussion um die sogenannte Armutsfalle beruht darauf), das mit dem Lohn vergolten wird. Dieses Modell ist sehr einfach gestrickt und unterkomplex, weil es einige Dimensionen menschlichen Handelns schlicht nicht berücksichtigt. Stefan Bach (DIW), der ebenfalls an einer Studie zur Finanzierung mitgewirkt hat (siehe auch hier), kommt entsprechend zu anderen Schlüssen, weil er diese Dimensionen einzubeziehen scheint und verweist darauf, dass die meisten Ökonomen negative Effekte von höherer Besteuerung erwarten. Alexander Spermann hatte sich ebenso kritisch zum Gutachten, auf das Peichl rekurriert, geäußert und auf die Grenzen der Simulationsstudie hingewiesen.

Über die negativen Auswirkungen der höheren Besteuerung wegen hinaus schreibt Peichl:

"Darüber hinaus ist ein BGE ineffizient und auch ungerecht, weil es individuelle Bedürfnisse nicht berücksichtigt. So würden zum Beispiel Personen in günstigen Wohnregionen unnötig hohe Zahlungen erhalten, während Personen in Hochpreisregionen möglicherweise nicht ausreichend unterstützt würden. Zudem steht es in klarem Widerspruch zu den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, das eine individuelle und bedarfsgerechte soziale Sicherung fordert."

Hier scheint er auf die Straubhaar-Version eines BGE zurückzugreifen und setzt sie mit der Idee im Allgemeinen gleich, das ist nicht nur nachlässig, sondern ein Pappkamerad, der seiner Begründung dient, nicht aber der Idee entspricht, wie sie weithin diskutiert wird. Seit Jahren wird darüber gesprochen, dass ein BGE substitutiv gestaltet werden soll und der Betrag in seiner Höhe bestehende Leistungen in der entsprechenden Höhe ersetzen kann.

Weiterhin schreibt er:

"Dies hat zur Folge, dass die bedarfsorientierte Grundsicherung für einkommensschwache Haushalte gleichen Typs mit gleichem Bruttoeinkommen regional sehr unterschiedlich ausfällt und zudem zu großen Unterschieden bei den Arbeitsanreizen führt. Die unterschiedliche Zuständigkeit von vier Ministerien (Arbeitsministerium für Bürgergeld, Bauministerium für Wohngeld, Familienministerium für Kinderzuschlag und Finanzministerium für Kindergeld) hat in der Vergangenheit dazu geführt, dass Änderungen der einzelnen Leistungen unzureichend aufeinander abgestimmt wurden und damit die Intransparenz des Systems weiter erhöht haben. Die komplizierten, nicht aufeinander abgestimmten Berechnungssysteme von Bürgergeld, Wohngeld und Kinderzuschlag führen häufig zu Situationen, in denen sich Mehrarbeit finanziell kaum oder gar nicht lohnt."

Die berechtigte Kritik am Wirrwarr bestehender Leistungen lässt zugleich erkennen, dass Peichl wie schon oben erwähnt tatsächlich eine sehr einfaches Konzept der Wirkung von Lohn auf Leistungsbereitschaft voraussetzt. Damit behauptet er, dass der Lohn die entscheidende Dimension für Leitungsbereitschaft sei, nur dann nämlich kann die Bewertung, etwas lohne sich finanziell nicht, angestellt werden. Weshalb berücksichtigt er nicht die erfüllende Seite von Erwerbstätigkeit, weshalb nicht die Wertschätzung durch kollegialen Austausch und letztlich die gemeinwohlbezogene Seite, etwas für andere zu leisten?

"Empirisch überrascht es daher nicht, dass von den rund vier Millionen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten im Bürgergeld nur rund 800.000 (20 Prozent) überhaupt erwerbstätig sind, davon weniger als 80.000 in Vollzeit. Die meisten arbeiten in Teilzeit oder haben nur einen Minijob. Die Menschen reagieren auf die Anreize, die ihnen das Sozialsystem bietet."

Hier wiederholt sich, was er einfach voraussetzt - das Zauberwort ist "Anreiz", das für eine extrem verkürzte Deutung von Handlungsmotivierungen steht. Interessant wäre es hier zu erfahren, wie er das belegen würde. Gerade die Diskussion über das Bürgergeld seit dem Herbst 2023 hat doch zutage gefördert, und zwar sowohl von Jobcentern als auch von anderen Studien, dass die Gründe dafür, nicht erwerbstätig zu sein oder es nur in Teilzeit zu tun, vielfältig sind (siehe hier).

Ein häufig anzutreffender Vergleich, wenn es um "Anreize" geht, ist der folgende:

"Warum wurden diese Reformen bisher nicht verwirklicht? Fehlt der Glaube an Anreize? Wer Kinder hat, weiß, dass Menschen auf Belohnung oder Bestrafung [Hervorhebung SL] – positive oder negative Anreize – reagieren. In der Diskussion werden immer wieder zwei Argumente angeführt. Zum einen wird häufig argumentiert, man müsse höhere Löhne durchsetzen etwa durch eine Erhöhung des Mindestlohns. Eine solche Lohnerhöhung verpufft aber bei Grundsicherungsempfängern, wenn der höhere Lohn zu fast 100 Prozent auf die Transferleistung angerechnet wird. Man hat brutto mehr, netto nicht. Ohne eine Reform der Transferentzugsraten läuft der Mindestlohn im Bereich der Aufstocker ins Leere."

Was genau versteht Peichl darunter, eine behavioristische Konditionierung? Intrinsische Motivierung scheint es überhaupt nicht zu geben, zumindest findet sie keine Erwähnung. Was Peichl mit dem Vergleich ebenfalls unterschlägt, ist, dass Kinder aufgrund besonderen Beziehung zu den Eltern ihnen ein außerordentlich großes und belastbares Vertrauen entgegenbringen, man also eher von einer intensiven Bindung sprechen muss. Sie erlaubt es dann auch zu erklären, weshalb das, was Eltern sagen, lange Zeit einfach unhinterfragt gilt. Im vorliegenden Zusammenhang diesen Vergleich zu ziehen und ihn auf Anreize zu verkürzen, ist ein Kategorienfehler oder anders ausgedrückt: es wird Unvergleichbares miteinander verglichen und zugleich verkürzt.

Sascha Liebermann

30. August 2023

Kein "Geld für's Nichtstun"...

..., worauf hier treffend hingewiesen wird. 

Stefan Bach hat im Interview mit der taz deutlich gemacht, weshalb sie auf die Modellierung von Verhaltensveränderungen verzichtet haben, da sie nicht aussagekräftig sind und auf Annahmen (siehe auch hier und hier) beruhen, die nur in eine Richtung getroffen werden (oder gar mit einem Werturteil verbunden sind). Bach hingegen bezieht die andere Richtung immerhin ein.

Sascha Liebermann

16. August 2021

Bedingungsloses Grundeinkommen unbezahlbar, zur Studie des BMF - wer steckt u.a. dahinter?

Wer das wissen möchte, muss die Website des Bundesministeriums der Finanzen besuchen und versuchen herauszufinden, was die Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats bislang zum BGE geäußert haben. Drei Beispiele seien herausgegriffen. Wolfram F. Richter, Professor i. R. für VWL an der TU Dortmund, äußerte sich in einem Kurzinterview im Jahr 2006 zum BGE, siehe hier. Es wird nicht überraschen, dass er mit dem Menschenbild argumentiert, das gegen ein BGE spreche. Ganz ähnlich übrigens Clemens Fuest, Professor für VWL an der LMU München. Seine Äußerungen habe ich wiederholt kommentiert, siehe hier und hier. Andreas Peichl, Professor für VWL an der LMU München, ebenfalls ifo-Institut wie Fuest auch. Seine Äußerungen habe ich hier und hier kommentiert.

Es ist nicht vermessen, die Annahmen zum Menschenbild, die den Aussagen innewohnen, als ziemlich einseitig zu bezeichnen. Wenn diese also die Grundlage für Mikrosimulationen waren und von den anderen Mitgliedern geteilt werden, dann ist das eine Art self-fulfilling prophecy.

Sascha Liebermann

11. Dezember 2020

"Nichtstun vergolden" - Sehen so differenzierte Fragen aus?

21. Januar 2019

"Ein 'Garantieeinkommen für Alle'"...

...eine Studie von Maximilian Blömer und Andreas Peichl vom Ifo Institut in Zusammenarbeit mit der Bundesarbeitsgemeinschaft Wirtschaft und Finanzen von Bündnis 90/Die Grünen.

"Diese Studie untersucht verschiedene Reformvorschläge, die als Grundelement eine Reform der Transferleistungen vorsehen. Im Gegensatz zu bestehenden Regelungen soll die Transferleistung dabei automatisch (z.B. durch das Finanzamt) ausgezahlt werden, um eine Hundertprozentige Inanspruchnahme-Quote zu erreichen. Damit das „Garantieeinkommen für Alle“ automatisch berechnet und ausgezahlt werden kann, ist der Wegfall der bürokratischen Hürden vorgesehen."

13. September 2018

"...da geht das Arbeitsangebot zurück..."

...das hört man immer wieder einmal, wenn mit Wirtschaftswissenschaftlern über das Bedingungslose Grundeinkommen diskutiert wird, so auch im vergangenen Jahr anlässlich der Fair-Finance-Week in Frankfurt (siehe auch hier zu einem der Diskutanden). Der Grund für diese Einschätzung ist schnell benannt. In einer Studie des Ifo-Instituts zum Solidarischen Bürgergeld von Dieter Althaus wird es so ausgedrückt:

"Das vorgeschlagene Bürgergeldkonzept führt nicht zu einer Entlastung des Arbeitsmarkts. Durch das Grundeinkommen, das alle (erwachsenen) Staatsbürger unabhängig von etwaigen Erwerbseinkünften erhalten, wird die Option, nicht bzw. weniger zu arbeiten, attraktiver als im geltenden Steuersystem. Personen, die derzeit ein niedriges Einkommen erzielen, können im Althaus-Konzept weniger oder nicht mehr arbeiten, ohne dabei deutlich Einkommenseinbußen hinnehmen zu müssen." ("Beschäftigungs- und Finanzwirkungen des Althauskonzepts" (2007) von Clemens Fuest, Andreas Peichl und Thilo Schaefer, S. 40)

Auffällig bei diesen Studien ist stets, dass im Indikativ geschlussfolgert wird, obwohl die Simulation mit Annahmen arbeitet, von denen niemand weiß, ob sie in Zukunft gelten werden. Im Grunde müsste hier also immer im Konjunktiv geschlussfolgert werden. Das kann man für eine Kleinigkeit halten, da doch jeder weiß, dass es sich nur um ein Simulationsmodell handelt. Es wird dann aber doch in entsprechenden Diskussionen so getan, als spiegele die Simulation tatsächliche Ereignisse in der Zukunft wieder. Das kann sie aber gar nicht. Simulationen sind keine empirische Forschung, auch wenn diejenigen, die diese Modelle nutzen, das Gegenteil behaupten. Simulationsmodelle sind ein Zugeständnis der Forschung an die politische Planung, um vermeintliche Sicherheit über die Folgen von Entscheidungen zu gewinnen, eine Sicherheit, die trügerisch ist. Letzlich wird also nur die Vergangenheit in die Zukunft verlängert unter Berücksichtigung einer vermeintlichen, nicht tatsächlichen Veränderung.

Entscheidend sind für solche Simulationen die Annahmen:
1) Im zitierten Fall wird von einem direkten Zusammenhang zwischen Grundeinkommen und Arbeitsbereitschaft ausgegangen. Ist ein gewisses Einkommen sicher gegeben, sinke die Arbeitsbereitschaft. Das gelte besonders dort, wo niedrige Einkommen erzielt werden. Diesen Zusammenhang kann man nur herstellen, wenn man behauptet, Arbeitsbereitschaft hänge direkt vom Einkommen ab bzw. dem Streben nach Einkommen. Dass dies nicht so ist, darauf haben wir in unserem Blog schon öfter hingewiesen, direkt dazu besonders interessant sind diese Studien:

Zur Kritik des Armutsfallentheorems (Ronald Gebauer und Hanna Petschauer)
Die Arbeitslosigkeitsfalle vor und nach der Hartz-Reform (Georg Vobruba und Sonja Fehr)
Fordern statt Fördern? – Nein! Wege aus Arbeitslosigkeit und Armut erleichtern (Ronald Gebauer)
Arbeit gegen Armut. Grundlagen, historische Genese und empirische Überprüfung des Armutsfallentheorems (Ronald Gebauer)

Sie zeigen, wie sehr dieses "Anreizdenken" von empirisch nicht gedeckten Annahmen ausgeht und dennoch weiter als harte Wirklichkeit betrachtet wird. Würde eine andere Annahme getroffen, dass nämlich Arbeitsbereitschaft auf habituellen Neigungen und Motivierungen beruhe und in keiner direkten Relation zu Einkommserzielung steht, würde man zu einem anderen Ergebnis gelangen.

2) Die einseitige Bewertung von Folgen ist für solche Simulationen ebenso bedeutend. Die hier zitierte Studie konstatiert vermeintliche Effekte auf das Arbeitsangebot. Sie sagt aber nichts darüber, weshalb das ausschließlich negativ wäre und vor allem wird nicht berücksichtigt, was der Zugewinn an Freiräumen, der die Chance erhöht, das für einen Passende zu finden, zugleich ein Zugewinn an Verhandlungsmacht gegenüber einem Arbeitgeber mit sich brächte. Hier sind also verschiedene Effekte denkbar, die trotz Reduzierung des Arbeitsangebots positive Auswirkungen auf die Arbeitsleistung insgesamt haben könnte. Wer einen Beruf ausübt, der zu ihm passt, und das noch unter Arbeitsbedingungen tut, die seine Motivierung unterstützten, leistet mehr und anders. Da dies als allgemeiner Effekt eines Grundeinkommens (je nach Ausgestaltung) betrachtet werden muss, hätte es ebenso allgemeine Auswirkungen auf die Leistungserstellung. Das wiederum hätte Auswirkungen auf die Einnahmeseite des Staates. Darüber hinaus kann die Entscheidung dafür, das Arbeitsangebot zu reduzieren oder zurückzuziehen für den Einzelnen eben die angemessene Entscheidung sein. Würde er sie nicht treffen können, weil unbedingte Arbeitsbereitschaft erwartet würde, so wie heute, hat dies eben auch Folgen für die Leistungsfähigkeit. Das wird in der Studie nicht einmal erwähnt.

Interessant ist, dass die Argumentation in der Studie auf ähnlichen Annahmen beruht, wie sie in gewerkschaftsnahen Kreisen genutzt werden (siehe "Brüder im Geiste" sowie hier und hier). Das war auf der Fair-Finance-Week eben auch der Fall.

Da sich die Autoren der oben genannten Studie an einer Stelle für ihre Erläuterungen auf die Negative Income Tax-Experimente in den USA Anfang der 1970er beziehen, sei dazu auf den Artikel von Karl Widerquist hingewiesen, der sich mit der Rezeption der Ergebnisse dieser Experimente ausführlich befasst hat. Auf Studien berufen sich Autoren aus unterschiedlichen Gründen und mit unterschiedlichen Motiven. Das macht Widerquist in seinem Beitrag deutlich.

Sascha Liebermann