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12. Mai 2025

"Grundeinkommen für alle?" - ein Gespräch zwischen Marcel Fratzscher und Andreas Peichl...

...mit teils unerwarteten und vielen erwartbaren Einschätzungen - hier geht es zum Gespräch bei Zeit Online (Bezahlschranke)

Ausgewählte Passagen seien hier wieder kommentiert. Zuerst einmal ist festzustellen, dass Marcel Fratzscher herausstellt, dass er selbst gegenüber dem BGE kritisch war - genau genommen hat er es mit einer ausgesprochen paternalistischen und in manchem der Haltung Peichls entsprechenden Ausführungen abgelehnt, das war 2017, also noch nicht so alt. Ähnlich in diesem Streitgespräch aus dem Jahr 2018.

Andreas Peichl hat sich wiederholt ablehnend zum BGE geäußert wegen der Auswirkungen, die er befürchte, diese Einwände wiederholt er mehr oder weniger im Zeit-Gespräch. 

Wie begründet Fratzscher seine veränderte Haltung: "Der Hauptgrund dafür ist das positive Menschenbild, das dem Grundeinkommen zugrunde liegt. Es betrachtet den Menschen als soziales Wesen, das intrinsisch motiviert ist, einen Beitrag zum Wohl der Gemeinschaft zu leisten". Diese Begründung ist eher eine weltanschaulich praktische, ihr unterliegt ein Werturteil. Doch Fratzscher spricht hier, so werden beide zumindest angesprochen, als Wissenschaftler und Präsident des DIW. Dafür ist es irrelevant, ob man etwas sympathisch, unsympathisch oder sonstwie findet. Stattdessen müsst er zumindest Belege oder argumentative Herleitungen präsentieren, die deutlich machen, dass diesem "Menschenbild" eine Realität zugrundeliegt, die wir sozialwissenschaftlich untersuchen können - und nicht eine weltanschauliche Einordnung. Es müsste also darum gehen, aufzuzeigen, dass ein BGE Voraussetzungen enthält, die zum einen schon in der politischen Ordnung Deutschlands eine harte Wirklichkeit darstellen, zum anderen die Entscheidungsfindung des Einzelnen schon heute damit konfrontiert ist, genau die Handlungsfähigkeit in die Tat umzusetzen, die ein BGE verlangen würde.

Irritierend ist dann folgende Formulierung Fratzschers:

"Es [das BGE, SL] betont die Notwendigkeit, unsere Sozialsysteme umzugestalten, weg von einem reaktiven und sanktionierenden und hin zu einem aktivierenden Sozialstaat, der Freiheiten und Chancen schafft, damit möglichst alle Menschen ein selbstbestimmtes Leben führen können."

Fratzscher macht hier einen Gegensatz zwischen einem sanktionierenden und einem aktivierenden Sozialstaat auf, ganz ähnlich wie einst Robert Habeck Boni im Leistungsbezug den Sanktionen vorziehen wollte. Doch eine Aktivierung benötigen Bürger nicht, allenfalls müssen Hindernisse der Selbstbestimmung aus dem Weg geräumt werden - das ist etwas ganz anderes. Außerdem hatte die Vokabel von der Aktivierung ihre Hochzeit mit Einführung von Hartz IV. Chancen schafft der Sozialstaat, indem er zuerst einmal auf den Einzelnen vertraut und dann Angebote macht, die wahrgenommen werden können.

Wie äußert sich Andreas Peichl dazu:

"Peichl: Das [dass Menschen ihr Arbeitsangebot nicht reduzieren, SL] wäre natürlich eine positive Entwicklung, ich will aber noch einmal zum Ausgangspunkt zurück. Es gibt Menschen, die intrinsisch motiviert sind, wie du es gesagt hast, Marcel. Sie arbeiten gern, zum Beispiel weil sie ihre Tätigkeit als sinnstiftend empfinden oder das soziale Umfeld schätzen. Das widerspricht dem im ersten Semester gelehrten volkswirtschaftlichen Grundmodell, das nur Arbeitsleid kennt und keine Arbeitsfreude. Dass das anders sein kann, sehen wir in den Daten. Es gibt aber auch Menschen, für die die Entlohnung der wichtigste Grund für die Aufnahme einer Arbeit ist. Deshalb muss man staatliche Leistungen so austarieren, dass sie die intrinsische Motivation erhalten, ohne die extrinsische zu zerstören. Auch mit einem Grundeinkommen muss es sich lohnen, eine Arbeit aufzunehmen."

Peichl stellt die intrinsische der extrinsischen Motivation gegenüber und legt damit nahe, dass für die einen ein BGE richtig und angemessen wäre, weil sie intrinsisch motitivert seien, für die anderen aber nicht. Wenn aber ein BGE als Basis dient und ein Lohn hinzukommen kann, dann ist dem, was er "extrinsische" Orientierung nennt, Genüge getan. Was als Einwand gedacht ist, ist keiner. Davon abgesehen wäre es ein Missverständnis zu meinen, "extrinsische Motivierung" sei eine eigene Quelle von Aktivität, denn auch die Orientierung am Lohn ist eine intrinsische, denn den Lohn als vorrangiges Ziel oder Motiv zu betrachten, ist eine Haltung, die der Betreffende zum Lohn einnimmt, es ist seine Haltung. Das von Peichl erwähnte Theorem vom Arbeitsleid ist eines der empiriefreien Lehnstuhltheoreme, das in vielen Simulationen zu etwaigen Auswirkungen eines BGE die entscheidende Annahme bildet mit entsprechenden Ergebnissen. Was wäre, wenn andere Annahmen die Simulationen leiten würden? 

Fratzscher antwortet Peichls Motivierungsthese:

"Fratzscher: Die Frage ist mir zu despektierlich [zuvor wurde gefragt, wer den Müll wegräume]. Auch die Tätigkeit bei der Müllabfuhr kann sinnstiftend sein. In Deutschland gehen viele Millionen Menschen zur Arbeit und machen einen harten Job, der ihnen viel abverlangt – obwohl sie vielleicht nur ein paar Euro mehr bekommen als im Bürgergeld. Es gibt auch im Niedriglohnsektor eine intrinsische Motivation. Es kommt aber natürlich darauf an, dass der Lohnabstand groß genug ist, dass ich also, wenn ich arbeite, mehr Geld habe, als wenn ich nur das Grundeinkommen beziehe. Das bedeutet, dass nach der Einführung eines solchen Einkommens die Löhne steigen müssten. Dann würden einfache Dienstleistungen wahr- scheinlich teurer werden, aber das ist aus meiner Sicht gut. Der Abstand zwischen hohen Löhnen und niedrigen Löhnen ist in den vergangenen Jahrzehnten stark gestiegen, wenn diese Lohnspreizung zurückgeht, wäre das im Sinne des sozialen Zusammenhalts eine positive Entwicklung."

Fratzscher antwortet hier treffend auf einen Klassiker der Einwände gegen ein BGE (siehe unsere Kommentare zu diesem Einwand hier). Wer diese Frage als ernsthaften Einwand betrachtet, müsste zeigen können, dass eine solche Bereitschaft zu Engagement in diesen Berufen nicht gibt - wo ist dieser Beleg? Wie das empirielose Lehnstuhltheorem vom Arbeitsleid, so beruht auch diese Einschätzung - Peichl nennt keine Studie oder Quelle - auf sehr voraussetzungsvollen Annahmen oder eben auf Vorurteilen. In den vielen Jahren, die ich schon Vorträge zum BGE gehalten und Diskussionen bestritten habe, konnte nie ernsthaft belegt werden, dass es am Interesse an einer solchen Tätigkeit fehlt. Eher ist es so, dass, wenn die Bezahlung es nicht erlaubt, die eigenen Lebenshaltungskosten zu decken oder die Arbeitsbedingungen zu schlecht wurden, dann deswegen der Beruf gewechselt wurde - nicht aber des Inhaltes wegen. Fratzscher allerdings unterläuft hier ein Denkfehler, denn im Unterschied zu heute gibt es zwischen BGE ohne und BGE mit Lohn immer einen relevanten Abstand, da der Lohn nicht angerechnet wird. Wenn also ein BGE eingeführt würde und die derselbe Lohn wie zuvor würde gezahlt, könnte das immer noch attraktiv sein. In dieser Überlegung Fratzschers scheint noch das Armutsfallentheorem fortzuwirken, das wie selbstverständlich genutzt, aber ebensowenig belegt ist (siehe hier). 

Wie sehr Peichl noch am Arbeitsleid- und Anreiztheorem hängt, zeigt sich hier:

"Peichl: Mit den Regeln, die wir jetzt haben, würden sie dafür in vielen Fällen faktisch bestraft werden, weil dann möglicherweise Transferleistungen wie zum Beispiel das Wohngeld wegfallen und Steuern und Sozialabgaben gezahlt werden müssen. Das führt dazu, dass vom zusätzlich erzielten Bruttoeinkommen netto wenig übrig bleibt – wenn überhaupt etwas. Man müsste also das Sozialsystem umbauen, um die Arbeitsanreize zu stärken, und gleichzeitig sicherstellen, dass der Staat genug Geld einnimmt, um das Grundeinkommen zu finanzieren."

Und hier wiederholt sich das:

"Peichl: Das Problem mit solchen Berechnungen ist, dass mögliche Anpassungsreaktionen nicht berücksichtigt werden. Wir müssen zum Beispiel davon ausgehen, dass die Leute weniger arbeiten, wenn Arbeit höher besteuert wird. Dann geht die Wirtschaftsleistung zurück, und die Steuereinnahmen sinken. Ich kann da in den Modellen ganz verheerende Wirkungen berechnen, je nachdem, welche Annahmen ich treffe – vor allem, wenn zu der 50-Prozent-Steuer noch Sozialabgaben dazukommen. Ich kann natürlich auch zu weniger dramatischen Ergebnissen kommen. Es ist schwierig bis unmöglich, die Folgen einer derart weitreichenden Änderung mit den Methoden, die uns zur Verfügung stehen, abzuschätzen."

Welche Anpassungsreaktionen, auf Basis welcher Annahmen erfolgen sie? Wenn ein BGE eingeführt wird und die höhere Besteuerung seiner Finanzierung dient, weshalb sollte das in der Breite es weniger attraktiv machen, erwerbstätig zu sein. Auch das ist eine Behauptung. Peichl sagt ja selbst - "je nachdem, welche Annahme ich treffe" -, eben, "je nachdem". Wie aber gelange ich denn zu diesen Annahmen? Nur weil etwas aufgrund der Verbreitung dieser Vorstellung von Arbeitsanreizen plausibel erscheint, muss es noch lange nicht plausibel sein. Dass er als Wissenschaftler das einfach so dahin stellt, ist erstaunlich. 

Aufschlussreich an dem Gespräch ist auch, dass Peichl lediglich einräumt, welch negative Auswirkungen Sanktionen haben können, wenn sie nur zu kurz anhaltenden Beschäftigungsverhältnissen führen. Dass er aber überhaupt in der Erhöhung der Beschäftigungsverhältnisse ein relevantes Ziel sieht und nicht darin, durch eine Veränderung der Existenzsicherungsbedingungen durch ein BGE die Chancen für ein gutes Passungsverhältnis zwischen Arbeitsuchendem und Unternehmen zu verbessern oder sogar darüber hinaus die offensive Nutzung von Automatisierungsmöglichkeiten zu befeuern, überrascht.

"ZEIT: Letzte Frage: Ab welchem Einkommen würden Sie aufhören zu arbeiten?

Peichl: Ich glaube, auch mit sehr viel mehr Geld würde ich mir ein Büro einrichten und weiter an den inhaltlichen Themen arbeiten. Es gibt für mich keine Summe, die groß genug wäre, um diesen Job nicht zu machen.

Fratzscher: So ist das auch bei mir. Ich sehe die Arbeit, die ich machen darf, als Privileg an. Ich gebe aber zu, dass ich mich sehr schwertun würde, mit 1.200 Euro im Monat auszukommen."

Die Frage ist ein Klassiker und wurde schon im ersten langen Grundeinkommensfilm gestellt, die Antworten waren damals schon bezeichnend und sind es auch hier. Was für Peichl gilt, scheint für andere ja nicht gelten zu können; was Fratzscher sagt, bestätigt, was BGE-Befürworter schon lange sagen, auch wenn es nur ein Aspekt unter anderen ist.

Sascha Liebermann

22. April 2025

"Was das Grundeinkommen wirklich verändert"

Darüber schrieb David Gutensohn auf Zeit Online, nachdem die Ergebnisse des Pilotprojekts Grundeinkommen nun vorliegen. Zuerst berichtet er über eine Gewinnerin und was sie mit dem Grundeinkommen über drei Jahre gemacht hat. Diesen Abschnitt beschließt er mit folgender Passage:

"Korves ist dankbar für das bedingungslose Geld, steht dem Grundeinkommen aber trotzdem kritisch gegenüber. Sie finde es toll, dass Menschen damit ihre Träume verwirklichen können, frage sich jedoch: 'Würden andere das Geld so sinnvoll einsetzen wie ich?'" 

Da für dieses Zitat keine Quelle angegeben wird, nehme ich es so, wie es präsentiert wird. Die Gewinnerin sieht die positive Seite des Grundeinkommens, hat sich etwas aufgebaut als Schwimmtrainerin und ist dennoch skeptisch - aber nicht sich selbst gegenüber. Diese Skepsis gegenüber den Anderen, was die wohl damit machen würden, ist eines der interessantesten Phänomene in der Debatte und taucht schon im ersten Film über das Grundeinkommen von Daniel Häni und Enno Schmidt auf (ab Minute 26). Genauso hätte sie davon ausgehen können, dass Andere eben das tun, was ihnen sinnvoll erscheint, das tut sie aber offenbar nicht. Dieser Haltung bin ich in meiner Forschung zum BGE immer wieder begegnet, sie ist die eigentliche Crux, wenn es um eine Einführung überhaupt einmal gehen sollte. Woher aber rührt diese Skepsis, wenn doch im Alltagshandeln sich diese Skepsis nicht gleichermaßen zum Ausdruck bringt wie in den Deutungen, die zu diesem Handeln entwickelt werden? 

Andere Gewinner ziehen ja durchaus andere Schlüsse. Es spricht einiges dafür, dass hinter dieser Skepsis eine ähnliche Haltung sich artikuliert, wie sie gegenüber Bürgeldbeziehern immer wieder zu vernehmen ist, ganz gleich, was Studien dazu zu sagen haben. Da wird über "Totalverweigerer" phantasiert, über die Chance, bei der nächsten Gelegenheit, die Stelle zu kündigen, um endlich Bürgergeld zu beziehen usw. Dass solche Überlegungen einem durch den Kopf gehen mögen, ist das eine, daraus allgemeine Behauptungen zu machen, ist das andere. Doch befinden sich diese Vorbehalte in guter Gesellschaft, wenn andere in einem BGE "Opium für das Volk" sehen (Thomas Satterlberger), ein "süßes Gift" (Anke Hassel) oder "Wahnsinn mit Methode" (Norbert Blüm).

Nachdem Gutensohn Für und Wider der Studie sowie ihrer Belastbarkeit erwogen hat, schließt er folgendermaßen seinen Beitrag:

"Ohnehin stellt sich aktuell die Frage, wie zeitgemäß die Idee des Grundeinkommens noch ist. Diskutierten vor Jahren Menschen ernsthaft über das Konzept und die Frage, ob es zu mehr Selbstverwirklichung führt, wird heute darüber debattiert, ob nicht noch mehr gearbeitet werden kann. Vor einigen Jahren wurde das milde Bürgergeld eingeführt, nun wird es abgeschafft und es werden Sanktionen für Arbeitslose verschärft."

Woran bemisst man die Relevanz eines Vorschlages? Man kann dies am Stand der gegenwärtigen Diskussion tun, wie Gutensohn es hier macht, man kann aber auch die Defizite dieser Debatte zum Anlass nehmen, um langfristige Lösungen zu erwägen. Zwischen "Selbstverwirklichung", auch wenn der Begriff eine einseitige Zuspitzung beinhaltet, und Engagement bzw. Leistung besteht allerdings gar kein Gegensatz. Nur weil manche in der Debatte über ein BGE sie als Gegensatz behandelten, muss es keiner sein. Gutensohn müsste ja eher die Frage stellen, unter welchen Bedingungen denn Leistungen möglich sein soll, ob denn Sanktionen leistungsfördernd sind oder eher -zerstörend. Für ein Gemeinwesen kann es nicht um die Frage gehen, Beschäftigung zu schaffen oder zu sichern, damit Bürger eine Aufgabe haben, wie es manchmal heißt. Vielmehr muss die Frage beantwortet werden, wozu denn diese Leistung dienen soll, wie sich ein Gemeinwesen versteht und was es ermöglichen will.

Dass "CDU und SPD [...] weit davon entfernt" sind, sich damit zu befassen, spricht das nun für oder gegen ein BGE? Nur weil die in den vergangenen Jahrzehnten sozialpolitisch vor sich hindümpelten Parteien mit einem Rückgriff auf Klischees und Vorurteile Sozialpolitik gemacht haben, soll das das letzte Wort sein?

Man könnte ebensogut den Bedarf an einer sachhaltigen öffentlichen Diskussion erkennen, wie sie nicht nur in Fragen der Sozialpolitik fehlt.

Sascha Liebermann

Weiter eine Utopie

Ohnehin stellt sich aktuell die Frage, wie zeitgemäß die Idee desGrundeinkommens noch ist. Diskutierten vor Jahren Menschen ernsthaft über das Konzept und die Frage, ob es zu mehr Selbstverwirklichung führt, wird heute darüber debattiert, ob nicht noch mehr gearbeitet werden kann. Vor einigen Jahren wurde das milde Bürgergeld eingeführt, nun wird es abgeschafft und es werden Sanktionen für Arbeitslose verschärft. 

CDU und SPD sind weit davon entfernt, sich mit einem Grundeinkommen zu beschäftigen. Selbst die Linke, die der Idee lange nahestand, hat sich auf ihrem Parteitag dagegen ausgesprochen. Es dürfte also auf absehbare Zeit unrealistisch sein, dass bei Menschen wie Samira Korves und Bianca Radlbeck erneut 1.200 Euro bedingungslos Monat für Monat auf dem Konto landen.

8. Januar 2024

Ist die Frage nach der Finanzierbarkeit das "wichtigste Argument" gegen ein BGE?

Marcel Fratzschers Beitrag erschien auf Zeit Online. Er behauptet darin folgendes:

"Das wohl wichtigste Argument dagegen [gegen das BGE, SL] ist die Finanzierbarkeit: Die notwendigen Steuererhöhungen würden das Land in den wirtschaftlichen Ruin treiben."

Diese Einschätzung halte ich für nicht zutreffend, er ist ein wichtiger Aspekt der Debatte, aber nicht der wichtigste. Zwar ist es so, dass in Diskussionen dieser Einwand als erstes angeführt wird, in der Regel erweist er sich aber als unterkomplex. Darüber hinaus beruht der Einwand auf Annahmen, die häufig gesetzt und nicht weiter geprüft werden, so z. B. die Auswirkungen auf die Wertschöpfung durch Rückgang des Arbeitsangebotes usw. Positive Auswirkungen werden selten berücksichtigt, gerade darauf was Leistungsfähigkeit und -bereitschaft betrifft - Fratzscher erwähnt es immerhin, was seine Ausführungen heraushebt. Zugrundeliegt dieser negativen Erwartung die Behauptung, Erwerbstätigkeit erzeuge Arbeitsleid, dieses Leid werde durch Lohn  und Freizeit ausgeglichen. Stehe ein BGE zur Verfügung, müsse nicht dasselbe Leid ertragen werden, um ausreichend attraktives Einkommen zu erzielen. Dass Erwerbstätigkeit wie jede Tätigkeit verschiedene Momente hat, wie z. B. das Beitragen zu einer allgemeinen Leistung, die Erfahrung des Gelingens oder Erfülltseins u.a. wird selten berücksichtigt. 

Bedenkt man, wie er sich früher, und das ist noch nicht allzulange her, zum BGE geäußert hat (siehe diesen Beitrag in Wirtschaftsdienst und dieses Streitgespräch), sind seine Ausführungen beachtlich.

Sascha Liebermann

30. August 2023

"Eine Billion für's Nichtstun"...

..., wenn so ein sachorientierter Titel aussieht, dann ist von Kolja Rudzios Beitrag auf Zeit Online über die Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) nicht viel zu erwarten. Vielleicht ist der Beitrag aber auch besser als der Titel. Derselbe Autor hat schon zu Beginn der jüngeren Grundeinkommensdebatte seine Einschätzung deutlich gemacht, an der sich trotz intensiver Diskussion wenig geändert zu haben scheint.

Wir lassen den vermeintlich witzigen Auftakt aus, der eine sachliche Auseinandersetzung nicht erwarten lässt, dann aber vom Autor selbst gegen den Strich gebürstet wird. Die Studie wird vorgestellt, die eine Finanzierbarkeit ermittelt zu haben beansprucht, "auch wenn andere Experten das bezweifeln", wie Rudzio schreibt. Ja, bezweifeln kann man viel, wissenschaftlich ist das nicht relevant, solange es nicht mit konkreten Argumenten unterlegt wird. 

Rudzio schreibt dann:

"Eine mögliche Variante für das realistische Grundeinkommen sieht nach den Angaben des Vereins so aus: Jeder Erwachsene erhält 1.200 Euro im Monat, für jedes Kind gibt es 600 Euro. Zugleich wird die Einkommensteuer deutlich erhöht, der Steuersatz beträgt für Einkommen jeder Höhe einheitlich ("Flat Tax") 50 Prozent. Außerdem werden entlastende Regelungen wie etwa der Grundfreibetrag, die Kinderfreibeträge oder die Anrechnung von Werbungskosten abgeschafft. Zusätzlich werden eine Vermögenssteuer und eine hohe CO₂-Steuer (200 Euro pro Tonne) erhoben. Zudem müssten etliche Sozialleistungen wie Elterngeld, Kindergeld, Bafög oder der Unterhaltsvorschuss gestrichen werden. Obwohl das alles nach einer Belastungsorgie klingt, hätten nach der DIW-Modellrechnung im Ergebnis 83 Prozent der Bevölkerung mehr Geld als heute zur Verfügung, nur 10 Prozent wären finanziell schlechter gestellt. Und die Zahl der armutsgefährdeten Menschen würde von 13 auf 4 Millionen sinken."

Man sieht hieran schon, was alles in Berechnungen einbezogen werden muss, wenn sie aussagekräftig sein können sollen. So vergessen manche Kritiker eines BGE, die der Auffassung sind, als Gutverdiener benötigen sie es nicht, dass sie selbst in den Genuss des Grundfreibetrags in der Einkommensteuer gelangen,  für den sie nichts tun, der als Rechtsanspruch aber garantiert ist.

Rudzio kommt dann auf "Haken" der Studie zu sprechen:

"Allerdings haben die DIW-Studie und das von ihr abgeleitete Internettool einige Haken. Der wichtigste: Das Modell berücksichtigt nur, wie sich das Geld durch die Einführung des Grundeinkommens neu verteilen würde, wenn die Menschen sich in dem neuen System genauso verhalten würden wie heute. Wenn also die Minijobber, Selbstständigen, Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten alle genauso viel arbeiteten wie zuvor. Es unterstellt, dass niemand wegen des Grundeinkommens früher in Rente ginge, sich ein zusätzliches Sabbatical gönnen würde. Und dass auch Investoren, Vermögende und Unternehmer exakt so weitermachen würden wie bisher – trotz der radikalsten Steuer- und Sozialreform der Geschichte. Realistisch ist das nicht. Doch die Verhaltensänderungen zu prognostizieren, sei mit sehr großer Unsicherheit verbunden, sagt der DIW-Forscher Bach. Deshalb enthält sein Rechenmodell gerade das nicht, was den Reiz des Grundeinkommens ausmachen könnte – eine andere Art zu leben."

Warum ist das ein Haken, es sei denn, es wäre ein Haken aller Simulationsmodelle, die ja keine Auskunft über Realentwicklungen geben, sondern darüber, was auf der Basis von Annahmen sich entwickeln könnte, wenn... . Dabei ist stets entscheidend, welche Annahmen zugrundeliegen, müssen dabei in jede Richtung berücksichtigt werden, was aber selten geschieht (siehe siehe auch hier und hier) - und bleiben trotz allem Simulationen. Statt durch Simulation etwas zu erschließen, was man nicht erschließen kann, läge es viel näher, auf solche Untersuchungen zu setzen, die etwas über handlungsleitende Überzeugungen heute zu erkennen geben (siehe hier und hier), dazu bedürfte es anderer Datentypen, solcher, wie sie in der sogenannten qualitativen Forschung genutzt werden. Denn dann ließe sich zumindest vergleichen, ob das BGE an den Voraussetzungen dafür, dass sich diese Überzeugungen herausbilden und entfalten können, etwas ändern würde. Man könnte darüber hinaus nach den Voraussetzungen der Demokratie in Deutschland fragen und worauf unsere politische Ordnung setzt, auch da finden sich Antworten, was Mündigkeit und Autonomie betrifft.

Am Ende fragt Rudzio:

"Wer hat nun recht? Die DIW-Studie widerspricht dem Ergebnis der ifo-Forscher nicht direkt, denn sie blendet eben alle denkbaren Verhaltensänderungen aus. Was wirklich nach Einführung des Grundeinkommens passieren würde, lässt sie offen. Die ifo-Experten haben dagegen auch dafür eine Berechnung vorgelegt. Mit dem ernüchternden Ergebnis: Das Grundeinkommen bleibt eine ­Utopie."

Die Studie, auf die sich der Autor hier bezieht, muss die gutachtliche Stellungnahme des wissenschaftlichens Beirats beim Bundesministerium der Finanzen sein. In der Kurzfassung zum Gutachten steht z. B. in der Schlussbetrachtung der Kurzfassung zu Verhaltensänderungen:

"Simulationsrechnungen zeigen, dass bereits die Einführung eines partiellen BGE in Höhe der derzeit geltenden Regelsätze in der Grundsicherung zu weitreichenden negativen Arbeitsangebotsreaktionen führt. Ein wirklich existenzsicherndes BGE ist nicht mehr aufkommensneutral zu finanzieren."

Keineswegs werden darin "alle denkbaren Verhaltensänderungen" simuliert, sondern nur solche, die zu den gewählten Annahmen passen. Wie aber wäre es, wenn andere Annahmen getroffen würden, die z. B. der Demokratie innewohnen? Weshalb werden sie nicht einbezogen, solche, wie sie z. B. Stefan Bach formuliert hat? 

Weitere Kommentare von unserer Seite zu Ausführungen des Autors finden Sie hier.

Sascha Liebermann

4. Mai 2023

Mündigkeit durch Erwerbsarbeit?

In einem Interview mit Axel Honneth auf Zeit Online (Bezahlschranke) äußert er sich dazu, weshalb er gegen ein Bedingungsloses Grundeinkommen sei, aber auch zum Verhältnis von Erwerbsarbeit und Mündigkeit. Beide Passagen seien hier kommentiert, zu früheren Ausführungen Honneths siehe hier und hier.

"ZEIT ONLINE: Wenn der Mensch Sicherheit und mehr Zeit braucht, um sich zu engagieren, warum sind Sie trotzdem gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen?
Honneth: Das Grundeinkommen [sic] aus meiner Sicht ein Mittel zur weiteren Privatisierung des Menschen. Der Einzelne würde sich wahrscheinlich nur noch als Empfänger einer staatlichen Zuwendung verstehen und sich immer weiter aus der sozialen Kooperation ausklinken. Das Grundeinkommen garantiert in keiner Weise, dass das Interesse des Einzelnen an sozialen und politischen Zusammenhängen zunimmt. Ich denke eher, dass es das Gegenteil bewirkt und zu einem immer stärkeren Rückzug in die eigene kleine Welt führt, die aus Gleichgesinnten besteht. Daher verstehe ich auch nicht, woher der Glaube kommt, dass sich durch das Grundeinkommen mehr Menschen politisch engagieren würden. Wenn die Privatisierung zunimmt, erlischt vielmehr die Triebfeder demokratischen Engagements."

Wie gelangt Honneth zur ersten Schlussfolgerung? Woraus schließt er auf eine "weitere[...] Privatisierung des Menschen", weshalb sollte er sich aus der "sozialen Kooperation" weiter ausklinken? Da er das komparativisch formuliert, müsste es heute schon Tendenzen in diese Richtung geben, woraus schließt er das? Darüber erfahren wir nichts, obwohl es sich um weitreichende Behauptungen handelt. Seine Überlegungen sind insofern nicht ungewöhnlich, als manche Befürworter, wie z. B. Thomas Straubhaar, ein BGE tatsächlich ähnlich begründet haben, wenn sie es als individualistisches Projekt bezeichneten. Doch Straubhaar zielte mit dieser Äußerung darauf, dass ein BGE nicht mehr an Wohlverhalten gebunden sei, es also eher um die Stärkung der Freiräume für das Individuum geht, denn darum, sich auszuklinken. Straubhaar vertraut darauf, dass die Bürger diese Freiräume nach ihrem Dafürhalten nutzen würden - wie sie es heute ja auch schon tun. Wenn ein BGE eine Einkommenssicherung ist, die das Gemeinwesen der Bürger seinen Angehörigen bereitstellt, damit sie freier entscheiden können, dann bedeutet das mehr finanzielle "Sicherheit" und mehr "Zeit", um "sich zu engagieren" bzw. sich engagieren zu können. In der Tat müssen sie es nicht und es kann gute Gründe dafür geben, sich nicht zu engagieren, sondern sich um sich selbst zu kümmern. Eine Privatisierung folgte daraus keineswegs und schon gar nicht zwingend, eher signalisiert die Gemeinschaft doch, dass sie sich darüber im Klaren ist, diese Entscheidung ihren Bürgern überlassen zu wollen und zu müssen. Zugleich aber können diese nur freier entscheiden, weil die Gemeinschaft ein BGE bereitstellt, so dass deutlich wird, wie sehr diese Freiräume davon abhängen, dass sie gemeinschaftlich unterstützt werden. Ein BGE macht diese Abhängigkeit sicht- und erfahrbar. Heute engagieren sich viele im bürgerschaftlichen Engagement trotz der ungünstigen Bedingungen dafür, die Bereitschaft ist also groß. Selbst die Leistungsbereitschaft im Erwerbsleben resultiert grundsätzlich daraus, einer Sache dienen zu wollen, Lösungen für ein Handlungsproblem zu entwerfen und zu entwickeln. Auch dahinter steht eine Bindung an das Gemeinwesen und dessen Verständnis von Leistung, die sich sozialisatorisch herausbildet. Warum sollte dies durch ein BGE abnehmen, wenn es doch vielmehr die Möglichkeiten für Leistung verbessert, das Leistungsverständnis pluralisiert und die Abhängigkeit von einem Erwerbsverhältnis reduziert?

Honneth ist einschränkungslos zuzustimmen, wenn er sagt, das BGE garantiere nicht, dass das Interesse "an sozialen und politischen Zusammenhängen" zunehmen werde, auch wenn das manche Befürworter vertreten und erhoffen - nur ist das auch heute nicht garantiert und kann gar nicht garantiert werden. Wir müssten die Frage doch herumdrehen: Wenn es nicht garantiert werden kann, woher rührt die Bereitschaft dann heute, ganz ohne BGE?

Das "Interesse" erwächst im Zuge der Sozialisation, die in der Adoleszenz die Frage zu beantworten fordert, wo der Einzelne sich verortet und was er mit seinem Leben in dem konkreten Gemeinwesen, in dem er aufwächst, vorhat. Diese Frage wird beantwortet durch die Auseinandersetzung mit den in einem Gemeinwesen geltenden Normen und dem dort vorherrschenden Selbstverständnis. Das ist der Boden, auf dem eine Gemeinwohlbindung entsteht und die stets wieder befestigt und bekräftigt werden muss durch öffentliche Willensbildung auf der einen, angemessene Entscheidungen für Probleme, vor denen ein Gemeinwesen steht, auf der anderen Seite. Sie hängt aber nicht von Erwerbsteilnahme ab, die Lebendigkeit eines demokratischen Gemeinwesens kann sich aber bis ins Erwerbsverhältnis hinein artikulieren, wie es z. B. am Arbeitsrecht erkennbar ist.

Ein Rückzug in die Welt der "Gleichgesinnten", den Honneth befürchtet, ist nicht zu verhindern, wenn die Bürger sich denn zurückziehen wollen. Allerdings wäre hier die Frage zu stellen, inwiefern ein solcher Rückzug gar nichts mit einem BGE, viel aber mit einer sinkenden Gemeinwohlbindung zu tun hat, weil das Vertrauen in die Demokratie verloren gegangen ist. Dann wäre die Frage, woher rührt sie, weshalb ist Vertrauen in Institutionen und Verfahren verloren gegangen. Honneth konstruiert den Gegensatz zwischen Privatisierung und Engagement, den er als Problem sieht, ohne ihn plausibel machen zu können, denn Auseinandersetzung mit Andersgesinnten, um es einmal so auszudrücken, kann man vielerorts führen. 

Nun zur anderen Frage nach der Mündigkeit:

"ZEIT ONLINE: Verlernen wir im Homeoffice also die Demokratie?

Honneth: Zugespitzt gesagt, ja. Denn wer sich nicht mehr so oft mit anderen absprechen muss, erfährt auch weniger über andere Lebensweisen, und damit verliert man tendenziell auch das Verständnis dafür, weshalb man sich um die Nöte anderer kümmern soll. Je geringer der persönliche Austausch unter den Bürgerinnen und Bürgern, desto geringer auch ihr Interesse füreinander – und das wiederum ist eine Quelle des demokratischen Denkens."

Auch diese Ausführungen überraschen. Im Homeoffice fehlen zwar die Begegnungen auf dem Flur einer Organisation, in der Kaffee-Küche und der Kantine, man ist aber nicht isoliert und hat Besprechungen, muss Aufgaben oder Prozesse koordinieren, wodurch man mit anderen "Lebensweisen", sofern sie sich in Kollegialbeziehungen Ausdruck verschaffen, konfrontiert wird. Richtig ist, man muss auf die Kollegen zugehen und Gesprächsgelegenheiten schaffen, die sich nicht einfach auf dem Flur ergeben. Dafür erlaubt das Homeoffice viel besser, Haushaltsaufgaben mit Berufsaufgaben zu koordinieren, auch sieht man die Kollisionen beider im Alltag deutlicher, als es die illusorische Formel der "Vereinbarkeit von Familie und Beruf" suggeriert. Honneth zeichnet ein Zerrbild, das in der Form für jeden Außendienst in den Zeiten vor mobiler Kommunikation gegolten haben müsste. Waren diese Mitarbeiter weniger mündig? Überschätzt er nicht den Anteil des Austauschs über "Lebensweisen", denn am Arbeitsplatz steht das Kollegialverhältnis im Zentrum, es sollte dabei vornehmlich um Aufgaben gehen, die mit der Organisation und ihren Zwecken zu tun hat, es sei denn die Integrität der Person, ihre Würde, wird angegriffen. Interessen als Mitarbeiter wahrzunehmen, auch Bereichsinteressen, für die man an Besprechungen teilnimmt, streift nur am Rande andere "Lebensweisen". Wie Honneth diese Seite hier überhöht, so unterschätzt er sie in all den anderen Zusammenhängen der Begegnung, in Vereinen, im Freiwilligenengagement, vermittelt über den Kindergarten und die Schule, die Eltern vor Augen führen, vor welchen Herausforderungen andere Familien stehen und vielfältigen Austausch ermöglichen. Vereine sind auch weniger homogen, als Honneth meint. Mit dem größten Teil der Bürger tauscht der Einzelne sich persönlich ohnehin nie aus, sie bleiben ihm insofern fremd, sind aber eben Bürger desselben Landes und damit Gleichrangige. Honneth zeichnet ein geradezu mechanistisches Bild davon, sich Gedanken über andere zu machen, als sei das dadurch schon gegeben, dass man ihnen begegnet. Eine solche Begegnung kann ebenso an einem spurlos vorübergehen, weil man sich für diese "anderen Lebensweisen" gar nicht interessiert, obwohl sie einem direkt vor der Nase stehen. Wo Aufgeschlossenheit fehlt, bleiben Begegnungen folgenlos.

Die nachfolgende Passage folgt direkt auf die gerade kommentierte:

"ZEIT ONLINE: Umgekehrt heißt das ja, dass Arbeit den Menschen mündig macht.

Honneth: Ich würde es vorsichtiger ausdrücken: Sie kann, wenn sie fair organisiert ist, zur demokratischen Mündigkeit verhelfen. Demokratie fängt mit der Erziehung an, etwa wenn Kinder dazu ermutigt werden, ihre Meinungen zu äußern und die der anderen zu respektieren. Das geht in der Schule weiter, wo Jugendliche zu zukünftigen Bürgerinnen und Bürgern erzogen werden, indem sie Mitbestimmung erlernen. Und das kann und sollte sich eigentlich in der Arbeitswelt dadurch fortsetzen, dass die Beschäftigten über das Ziel und die Organisation ihrer Arbeit mitbestimmen dürfen. Das ist aber kaum der Fall, meistens ist die Arbeit ganz anders organisiert, entlang von hierarchischen Anweisungsketten und ohne jede Mitbestimmung – so wird man im Job zum Untertan."

Honneth drückt sich hier zwar vorsichtiger aus, angesichts seiner vorangehenden Ausführungen müsste er indes Mündigkeit direkt an Erwerbsteilnahme binden, denn nur sie eröffne seines Erachtens den Blick über die Welt mit Gleichgesinnten hinaus. Von diesem Blick lebt die Demokratie, Problemlagen vor dem Hintergrund eines Gemeinwesens und seines Gerechtigkeitsentwurfs zu betrachten. Ist aber Mündigkeit nicht vielmehr eine Haltung zur Wirklichkeit? Bildet sie sich nicht grundständig im Zuge der Sozialisation heraus und liegt erst mit gelingender Bewältigung der Adoleszenzkrise vor - Andeutungen in diese Richtung lässt Honneth erkennen? Dann kann Erwerbsteilnahme den Erfahrungsschatz anreichern, ist aber nicht konstitutiv für Mündigkeit. Mündigkeit ist nicht eine Frage inhaltsbezogener Expertise, sondern eine Haltung zur Notwendigkeit, Entscheidungen treffen und diese in ihren Konsequenzen verantworten zu müssen, seien es die eigene, seien es andere Personen betreffende. Entscheidungen treffen und verantworten zu können ist das eine, Rechte der Mitgestaltung zu haben, ist das andere. Die Grundrechte ruhen ja gerade auf der vorausgesetzten und nicht vom Staat herbeiführbaren Mündigkeit der Bürger und bestärken sie zugleich. 

Was Honneth über die "hierarchischen Anweisungsketten" schreibt, bietet doch nur einen sehr schematischen Blick auf Erwerbsverhältnisse. In der Tat gibt es Hierarchien in Organisationen, die daraus resultieren, dass Diskussionen über Ziele und Mittel zu ihrer Erreichung in Entscheidungen münden müssen, wenn gestaltet werden soll. Doch Erwerbsverhältnisse sind nur so produktiv, wie die Mitarbeiter bereit sind, sich einzubringen, das galt schon in der Montanindustrie, in der die Kollegialgruppe die Arbeitsgeschwindigkeit und den Elan definierte, mit denen ans Werk gegangen wurde. Machtverhältnisse liegen nicht nur vor, wo es formal eingerichtete Machtpositionen gibt, sondern dort, wo sich Interessen organisieren und ihre Macht einsetzen, weil sie Arbeitsprozesse aufhalten, bremsen oder umlenken können.

Sascha Liebermann

23. November 2022

28. Februar 2022

Mindestlohn, Grundeinkommen und die Frage nach dem sozialen Zusammenhalt...

...darum geht es im Interview mit Christian Neuhäuser, Professor für Philosophie an der TU Dortmund, auf Zeit Online (paywall)Neuhäuser hatte sich bislang gegen ein Bedingungsloses Grundeinkommen ausgesprochen, was hat ihn dazu bewogen, seine Einschätzung zu revidieren?

"Neuhäuser: Als zweite Maßnahme würde ich mehr diskursive demokratische Elemente in Unternehmen etablieren, die Arbeitnehmer sollen mitsprechen dürfen, was Löhne anbelangt. Und als dritte Maßnahme – und das passiert jetzt auch, aber aus meiner Sicht noch zu zaghaft – sollte man den Mindestlohn anheben. Oder man sollte eine Kombination aus Mindestlohn und bedingungslosem Grundeinkommen einrichten. Das Grundeinkommen sollte ein bisschen niedriger liegen als der Mindestlohn, damit es einen Anreiz gibt, arbeiten zu gehen. Das würde den Menschen eine erhebliche Autonomie und Verhandlungsmacht verschaffen, um diesen Diskurs zu starten: Welche Arbeit hat eigentlich welchen Lohn verdient?"

Neuhäuser plädiert dafür, den Mindestlohn anzuheben, um Löhne nach unten abzusichern. Alternativ sei eine Kombination aus Mindestlohn und Grundeinkommen einzurichten - das sind zwei unterschiedliche Mittel, denn das eine sichert Erwerbstätige ab, Nicht-Erwerbstätige hingegen gar nicht, das andere hilft beiden. Wie verhalten sie sich zueinander? Das Grundeinkommen sollte "ein bißchen", also wirklich wenig, niedriger sein als der Mindestlohn, um den "Anreiz" zu erhalten, erwerbstätig zu werden. Zum einen stellt sich hier die Frage, worin er den "Anreiz" erkennt, wenn der Unterschied nur gering ist? Damit rückt er vom Stellenwert des Lohnabstandsgebots schon weitgehend ab, das sich auf das Armutsfallentheorem gründet. Welche Art von Grundeinkommen mag Neuhäuser hier vor Augen haben, wenn es doch ohnehin so wäre, dass ein BGE immer ausbezahlt würde und jedes andere Einkommen "oben drauf" käme und - je nach Vorschlag - besteuert würde? Das alleine würde immer bedeuten, dass jemand, der erwerbstätig wäre, auch über mehr Einkommen verfügte (BGE plus Lohn). Wozu dann noch den Abstand, der ohnehin gering sein soll? Neuhäusers Überlegungen wirken hier nicht ganz durchdacht. Wenn ein Grundeinkommen "erhebliche Autonomie und Verhandlungsmacht" verleihe, wozu braucht es dann einen Anreiz? Apropos, Autonomie lässt sich stärken, aber nicht verleihen, denn sie zeichnet den Menschen aus. Verhandlungsmacht allerdings würde durch ein Grundeinkommen erheblich gestärkt, weil nun auf Erwerbstätigkeit verzichtet werden kann - anders als heute. Direkt im Anschluss an diese Passage geht es wie folgt weiter:

"ZEIT ONLINE: In Ihrem Buch waren Sie ja noch gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen, Sie forderten nur ein bedingtes als Entschädigung, falls jemand wirklich keine Erwerbsarbeit findet. Wieso haben Sie Ihre Meinung geändert? 

Neuhäuser: Ich habe mich von Kolleginnen und Kollegen überzeugen lassen, die sagen, es muss in einer Gesellschaft, die so reich ist wie unsere, die Möglichkeit geben, dass auch die Menschen ein hinreichend hohes Einkommen haben, die keiner Erwerbsarbeit nachgehen. In dem Buch habe ich noch gedacht, die faulenzen dann und lassen sich von der Gesellschaft alimentieren. Kolleginnen sagten mir, das sei gar nicht so, sondern diese Menschen gingen dann einem Ehrenamt nach oder leisteten wertvolle soziale und kulturelle Arbeit. Ich habe mich sicherlich auch aufgrund der Entwicklungen in Deutschland – Rechtsruck, Populismus, aber auch Vereinzelung und Vereinsamung in der Pandemie – davon überzeugen lassen, dass diese Aufgaben des sozialen Zusammenhalts wahnsinnig wichtig sind, derzeit aber erodieren. Das bedingungslose Grundeinkommen ist doch ein ganz gutes Instrument, Freiräume dafür zu schaffen."

Was Neuhäuser hier als Begründung anführt, die überzeugend klingt, überrascht doch ein wenig, wenn man bedenkt, dass er sicher theoretisch und philosophisch versiert ist. Wie gelangte er früher zu der Einschätzung, ein BGE würde dazu führen, dass Bürger "faulenzen"? War ihm denn zuvor nicht klar, dass alles vom Zusammenhalt abhängt? Und erodiert er tatsächlich? Ein Gemeinwesen ist stets gefordert, das, was es zusammenhält, zu erneuern, durch Entscheidungen und Gestaltung des Zusammenlebens zu bekräftigen, ohne den Zusammenhalt selbst schaffen zu können. Die Demokratie modernen Charakters lebt nicht nur davon, sie hat genau dies zu ihrem Fundament erhoben. Diese Verbindung zum BGE sieht Neuhäuser überhaupt nicht, wie auch unbezahlte Arbeit nur in Form des Ehrenamtes Erwähnung findet.

Sascha Liebermann

11. August 2021

Das Elend historischer Vergleiche - hier Alan Posener, Grundeinkommen, das alte Rom

Die entstellende Behauptung vom "vergoldeten Nichtstun" hat viele Anhänger, siehe z. B. hier 

15. April 2021

Das "alte Rom", die "Golfstaaten", der Raub der Motivation durch ein Bedingungsloses Grundeinkommen - oder argumentative Verirrungen?

Das ist nicht der erste Vergleich mit den Golfstaaten, siehe hier.

Sascha Liebermann 

5. März 2021

"Freiheit und Freizeit für alle" - aber wie und auf welcher Basis?

Lukas Hermsmeier schreibt auf Zeit Online über Erwerbsarbeit und ihre Überschätzung, ja Glorifizierung als Ort der Erfüllung und Selbstverwirklichung. Dabei bezieht er sich auf Ausführungen verschiedener Autoren, die sich zur Entwicklung des Arbeitsverständnisses und seiner Folgen äußern. An einer Stelle taucht der Vorschlag eines Bedingungslosen Grundeinkommens auf:

"Benanavs Analyse geht über die übliche Dystopie-Utopie-Binarität der Diskurse zum Thema Automation hinaus. Weder werden uns Roboter zwangsläufig alle Jobs wegnehmen und uns so zu Sklaven der Technik machen, erklärt Benanav, noch werden sie uns von aller Arbeit erlösen und dadurch befreien. Entscheidend dafür, in welche Richtung es gehe, sei, wer die Technologien für wen unter welchen Bedingungen vorantreibe. Auch an die angebliche Allheilkraft der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens glaubt Benanav nicht. Die Vorschläge dazu ließen das zentrale Problem unangetastet, das darin liege, wie Arbeit generell organisiert ist, so nämlich, dass die allermeisten Menschen keinerlei Kontrolle haben und die allerwenigsten davon profitieren. "Die Menschen haben heute wenig Mitspracherecht, wie ihre Arbeit erledigt wird", schreibt Benanav, was daher komme, dass eine "winzige Klasse von ultrareichen Individuen die Entscheidungen über Investitionen und Beschäftigung monopolisieren"."

"Allheilkraft" - sollte Benanav das so vertreten haben, erstaunt einen der Popanz, denn wo behauptet jemand ernsthaft, ein BGE könne eine solche "Allheilkraft" sein? Ähnlich wie bei Vertretern einer Jobgarantie wird behauptet, ein BGE lasse "das Problem unangetastet", wie "Arbeit generell organisiert" sei.

In der Tat lässt ein BGE direkt die Organisation von Arbeit unangetastet. Aber durch die Handlungsmöglichkeiten, die es schafft, schafft es zugleich eine Machtumverteilung, von der relativen Asymmetrie heute zu mehr Egalität.

Mit der Möglichkeit, jeglichen Erwerbsarbeitsbedingungen zu entsagen, stünde etwas bereit, das es heute gar nicht gibt. Die Stärkung des Einzelnen kann im Gefolge eine Stärkung der kollektiven Interessenvertretung bedeuten. Hier könnten Kollektivvertretungen auf Unternehmensebene ganz andere Aktivitäten entfalten als bislang. Was Benanav allerdings unterschätzt, ist, dass die heutigen Verhältnisse nicht verstanden werden können, ohne die Gerechtigkeitsvorstellungen zu bestimmen, die kollektiv dominieren. Der Rang, den Erwerbstätigkeit innehat, ist nicht dekretiert worden, er ist auch keine Erfindung des Neoliberalismus oder sonstigen Kräften, sondern historisch gewachsen, weil er einst mit Möglichkeiten des Aufstiegs und der Befreiung von feudalen Fesseln einherging. Ihm wohnt ein Egalitätsverständnis inne, das historisch neu war. Heute jedoch paart sich eine Überhöhung von Erwerbstätigkeit mit einer Überhöhung des Individuums im Sinne einer Missdeutung von Individualität als Freiheit von Abhängigkeiten bzw. von Beziehungen. Man könnte dafür als Grund anführen, dass im Zuge eines Prozesses der Enttraditionalisierung von Gemeinschaftsvorstellungen kein neue Gemeinschaftsverständnis im Sinne des universalistisch verfassten Nationalstaats an diese Stelle getreten ist, zumindest nicht im öffentlichen Bewusstsein, obwohl die politische Grundordnung in Deutschland sich genau darauf stützt.

Hermsmeier greift diese Zusammenhänge bedauerlicherweise gar nicht auf und beschließt seinen Beitrag hiermit:

"Auf Dauer nachhaltiger und gerechter als dieses Irgendwie-besser-Zurück wäre ein entscheidendes Neu-nach-Vorne. Welche Arbeit brauchen wir wirklich? Welche macht uns nur kaputt? Und wie teilen wir die Arbeit auf? Würden die Menschen über solche Fragen demokratisch bestimmen können, käme mit großer Wahrscheinlichkeit etwas anderes heraus als das, was wir jetzt haben. Ein erster Schritt könnte das sein, was Eva von Redecker unter "aktivem Streik" versteht, wem es denn möglich ist: "Ein Aussetzen der Arbeit, um einen anderen Alltag zu erproben, oder vielleicht noch treffender: ein Aussetzen des Alltags, um eine andere Arbeit zu erproben."

Ja, warum nicht, doch weshalb so abstrakt? Was kann schon bestreikt werden, die Aufgaben im Haushalt z. B. nicht, es sei denn von Hausangestellten. Hier erscheint der Schluss dann ziemlich einfallslos, statt am Bestehenden anzuknüpfen, auch hinsichtlich der Demokratie, in der wir leben und wir als Bürger tragen. Im Unterschied zu solchen schönen Gedanken, um eine Formulierung Hegels zu verwenden, wären konkrete Vorschläge hilfreicher. Bei aller Radikalität ist ein BGE auch pragmatisch, geht vom Bestehenden aus, es kann an es anknüpfen. Die Möglichkeiten, die es bietet, reichen jedoch ungleich weiter.

Sascha Liebermann

11. Februar 2021

"Das teure Nest" - Elisabeth von Thadden über Ungleichheit, den Mythos der Leistungsgesellschaft - und die Alternative?

In ihrem Beitrag auf Zeit Online wirft Elisabeth von Thadden wichtige Fragen auf und blickt auf gegenwärtige Schieflagen in der Vermögensverteilung. Diese entlarven den Mythos von der Leistungsgesellschaft, den von Thadden allerdings recht eng fasst. In dieser Form der Erzielung von Einkommen und der Bildung von Vermögen war er ohnehin nie gegeben, denn die Leistung, die zu Einkommen führen kann, entsteht nicht im luftleeren Raum, sie hat vielerlei Voraussetzungen, von denen Arbeitsbedingungen und Löhne nur wenige sind. Um überhaupt leistungsfähig in diesem engen Sinne zu werden, bedarf es anderer Leistungen im Sinne einer sorgsamen Zuwendung und Anerkennung des Individuums, wie sie zuallererst in der Familie erfahren wird. Im Zuge der Sozialisation gehen Bildungsprozesse, die durch die familiale Dynamik initiiert und getragen werden, anderen Leistungen voraus und ermöglichen sie erst. Schon hier also bedarf es einer Korrektur am enggeführten Leistungsverständnis. Aber selbst wenn man ein Leistungsverständnis im engen Sinne betrachtet, wird deutlich, dass auch hier allerlei Illusionen im Spiel sind, denn arbeitsteilige Prozesse der Erzeugung und Bereitstellung standardisierter Güter machen es unmöglich, Leistungsergebnisse individuell zuzurechnen. Das ist der Grund dafür, weshalb Löhne willkürliche Vereinbarungen im Rahmen des Verteilbaren darstellen. Insofern also ist die Vorstellung, Leistung gehe vor allem und alleine auf individuelle Anstrengungen und Erfolge zurück, stets eine Illusion gewesen. Das soll nicht die Bedeutung der Leistungsbereitschaft des Einzelnen schmälern, aber ohne sie im weiteren Zusammenhang zu sehen, führt sie zu Verklärung. Hier ein Zitat aus dem Beitrag von Thaddens:

"Wenn es sich für die junge Generation bis auf ein paar finanzmutige Glückspilze nicht mehr lohnt, zu arbeiten (zumal für Ostdeutsche, denen nach 1989 die Immobilien von Westdeutschen, unterstützt durch staatliche Steuergeschenke, weggekauft wurden und die also deutlich weniger erben, wie es auch die Kinder aus Zuwandererfamilien tun), dann wird das Versprechen von demokratischen Leistungsgesellschaften zur Chimäre. Dann macht sich ein Gefühl von Ohnmacht breit.

Dann wächst der Ärger, ohne eigenes Zutun zu den Verlierern zu zählen, während andere unverdient die Erfolgreichen spielen."

Lohnen würde es sich nur, wenn was möglich ist? Vermögensbildung? Dass sich über Löhne streiten lässt, ist klar, doch sind sie der Grund dafür "zu arbeiten"? Leistung wird hier mit der Sicherung oder Erreichung von Erbchancen gleichgesetzt - das scheint doch ziemlich verkürzt. Sicher lässt sich über ungleiche Einkommensmöglichkeiten diskutieren und sie haben Einfluss darauf, ob man es sich noch(!) leisten kann, einen bestimmten Beruf bzw. eine bestimmte Tätigkeit auszuüben, doch ist das eine beschränkende Folge des Lohngefüges, nicht indes der Grund für das Tätigsein. Insofern findet hier eine Verkehrung statt.

An anderer Stelle schreibt die Autorin:

"In einer US-amerikanischen Variante des 19. Jahrhunderts bedeutete liberale Freiheit, dass Vermögen in einer Demokratie fair verteilt sein muss, wenn Ungleichheit sich nicht vererben soll. In tagesaktuellen europäischen Varianten kommt das gemeinsame Eigentum hinzu, ob in Bauprojekten oder in Bürgergesellschaften, denen etwa Solaranlagen oder Windräder gehören. So oder so: Freiheit in Demokratien müsste heißen, dass alle als Eigentümer an der Macht partizipieren. Freiheitsdenken im 21. Jahrhundert würde mithin auf Ideen vom gerechten Eigentum ruhen."

Es geht hier nicht um absolute, sondern um relative Ungleichheit, denn eine gewisse Ungleichheit ist gar nicht vermeidbar - so weit, so gut. Die Frage ist dann eine eminent politische, wo eine nicht mehr akzeptable Ungleichheit beginnt. Freiheit als Partizipation aller als "Eigentümer an der Macht" - aber wie genau? Wird die legitimatorische Macht des Souveräns ernst genommen, also auch von diesem selbst, dann bestünde dieses Eigentum doch längst - mehr oder weniger ausgeprägt. Ist es nicht vielmehr die Frage, weshalb bestimmte Entwicklungen hingenommen werden, die Grund dieser Schieflagen sind? Einen Vorschlag, wie dieser Gedanke gerechten Eigentums aussehen könnte folgt dann sogleich:

"Atkinsons Star-Schüler Thomas Piketty hat daraus seine Ideen für eine künftige Gerechtigkeit im 21. Jahrhundert geschmiedet. Er nennt das Projekt "Erbschaft für alle", finanziert durch progressive Steuern auf das Eigentum, konkret: Die Idee zielt darauf, jeden jungen Erwachsenen zum 25. Geburtstag mit einem Kapital auszustatten, das 60 Prozent des aktuellen Durchschnittsvermögens pro Erwachsenem in seinem Land entspricht. In Deutschland wären das knapp 140.000 Euro, überreicht durch den Staat."

Das klingt sehr nach dem vor etlichen Jahren schon in Gestalt eines "stakeholder grants" unterbreiteten Vorschlags Bruce A. Ackermans und Anne Alstotts (siehe hier). Immerhin, könnte man sagen, hätte damit jeder Erwachsene eine Ausgangsbasis, um Investitionen zu tätigen. Eine verlässliche Basis über die Lebensspanne wäre es nicht und um das Startkapital langfristig nicht zu verlieren, müsste man sich mit Investitionsmöglichkeiten beschäftigen. Was aber, wenn man Besseres zu tun hätte? Weshalb spart Frau von Thadden hier den Vorschlag eines Bedingungslosen Grundeinkommens aus, wenn es ihr doch darum geht, ein Gegengewicht zur von ihr kritisierten Ungleichheit zu schaffen? Vielleicht weil er gegenwärtig unrealistisch erscheint? Dabei ist er viel näher am Sozialstaatsgefüge dran als das Mindesterbe. Ein BGE wäre darüber hinaus viel weitereichender und es würde gerade den Gedanken des Eigentums an der Macht stärken, indem es zu einer Machtverteilung beitrüge, wenn die Existenzsicherung nicht mehr von Erwerbstätigkeit abhängig wäre.

Siehe frühere Beiträge Diskussion um eine Leistungsgesellschaft hier.>

Sascha Liebermann

10. Februar 2021

"So glücklich war ich noch nie in meinem Leben" - Wenn es auch ein wenig übertrieben sein mag, interessante Einblicke...

 ...gibt dieser Beitrag auf Zeit Online Fragen, die die Corona-Pandemie aufwirft. 

4. Februar 2021

"Wenn nur noch Online-Almosen helfen"...

 ...darüber schreibt Jörg Wimalasena auf Zeit Online. Es geht hierbei um das Sozialsystem in den USA und deutlich wird auch hier, was ein Bedingungsloses Grundeinkommen leisten könnte.

11. Januar 2021

"...dass Menschen etwas Sinnvolles bewerkstelligen wollen..." - scheint gegen ein Grundeinkommen zu sprechen,...

...zumindest sieht das der ehemalige Conti-Vorstandsvorsitzende Elmar Degenhart in einem Interview auf Zeit Online so. Hier der Ausschnitt:

"ZEIT: Es gibt Wirtschaftsführer, die sagen: Wir brauchen ein staatliches Grundeinkommen, um diejenigen, die wir nicht mehr erreichen, abzusichern. Halten Sie das für eine gute Lösung?

Degenhart: Nein, weil ich tief überzeugt davon bin, dass Menschen etwas Sinnvolles bewerkstelligen wollen und auch das Gefühl haben müssen, dass sie einen Beitrag leisten. Ein Grundeinkommen würde das Risiko erhöhen, das Wertgefühl vieler Menschen stark negativ zu beeinträchtigen, wenn sie diesen Beitrag dann nicht mehr leisten könnten."

Die Frage ist allerdings schon bemerkenswert, was heißt es, jemanden "nicht mehr zu erreichen" und weshalb sollte es eine Aufgabe von Wirtschaftsführern sein, jemand anderes zu erreichen als den möglichen Kunden? Ein Grundeinkommen wird hier zum einen als Notfallinstrument verstanden, denn es wäre nur für genau diese Gruppe vorgesehen, zum anderen werden überhaupt keine Aspekte benannt, die die Einführung eines Grundeinkommens aufgrund unseres spezifischen Zusammenlebens nahe legen würde. Was antwortet Degenhart?

Degenharts Antwort ist eine Steilvorlage für ein Grundeinkommen, was er gar nicht so sieht, denn er erkennt darin eine Begründung dagegen.

Wenn "Menschen" etwas Sinnvolles bewerkstelligen wollen, dann wäre doch alles bestens. Der folgende Satz allerdings ist aufschlussreich: sie müssen "das Gefühl" haben, einen Beitrag zu leisten - das ist nicht dasselbe wie, tatsächlich einen Beitrag zu leisten. Wie gelangen sie aber zu diesem "Gefühl"? Entweder lässt man ihnen den Freiraum, etwas zu bewerkstelligen, dann benötigen sie eine Basis dafür, um sich auf die Suche zu machen, wo das geschehen kann. Das Gefühl, einen Beitrag zu leisten, wäre dann die Folge davon, tatsächlich einen geleistet zu haben, wobei die Verknüpfung zwischen tatsächlich Ergebnis und Gefühl überhaupt nicht zwingend ist. Auch jemand, der tatsächlich eine Beitrag geleistet hat, kann das Gefühl haben, dies nicht getan zu haben. Darüber hinaus muss derjenige auf der einen Seite selbst den Beitrag noch als Beitrag betrachten, auf der anderen muss es auch tatsächlich einen Beitrag darstellen, dazu ist er von anderen abhängig, die das anerkennen, z. B. die Leistungen in der Pflege, über die in letzter Zeit viel gesprochen wird. Die Sache mit dem Gefühl ist also nicht so einfach, ein Gefühl, dem keine Realität entspricht, ist unwirklich.

Degenhart nun macht zweierlei. Er sorgt sich um das Wertgefühl der Menschen, das durch ein Grundeinkommen beeinträchtigt werden könnte, aber weshalb? Degenhart selbst stellt die Verbindung zwischen wirklichem Beitrag und Gefühl her. Hier ist nun zweierlei möglich: entweder wird allgemein definiert, worin ein Beitrag besteht, ohne auf Interessen und Neigungen einer Person zu achten - das wäre die sozialistische Variante, in der das Individuum nichts zählt. Ein Beitrag wäre dann das, was wir als Beitrag kollektiv definieren. Oder es wird beliebig, jeder definiert für sich, worin ein Beitrag besteht. Beides geht an der Sache vorbei, weil entweder das Individuum oder das Gemeinwesen missachtet wird. Also müssen beide Seiten miteinander verbunden werden, das genau ist, was Demokratie auszeichnet, Pluralität zu fördern, also die Selbstbestimmung des Individuums zur Geltung kommen lassen und zugleich sich darüber zu verständigen, worin ein Gemeinwohlbeitrag bestehen kann. Gegenwärtig stellt sich dies widersprüchlich dar, denn zum einen gilt das Erwerbsgebot im Sinne eines "Du sollst erwerbstätig sein", darin besteht der zu leistende Beitrag. Zum anderen jedoch anerkennt die Demokratie als ihre Grundlage die Selbstbestimmung und müsste damit eine möglichst freie Suche nach dem für jeden Einzelnen sinnvollen Beitrag eröffnen. Letzteres ist aber nicht der Fall, weil der Vorrang von Erwerbstätigkeit über anderen Beitragsformen herrscht. Degenharts Diagnose ist also nur nachvollziehbar, wenn er den Beitrag an eine bestimmte Leistungsform bindet und diese gegebenenfalls von der Sache ablöst. Genau das geschieht seit Jahrzehnten, wenn das Schaffen und Bewahren von Arbeitsplätzen als höchster Zweck betrachtet wird, statt ihre Sinnhaftigkeit an der Sache zu messen, zu der sie beitragen sollen. Es geht also um die Frage Arbeitsplätze oder Leistungsbeitrag - das stellt heute durchaus einen Gegensatz dar.

Sascha Liebermann

15. Dezember 2020

11. Dezember 2020

"Nichtstun vergolden" - Sehen so differenzierte Fragen aus?

30. Oktober 2020

"Ein Grundeinkommen macht genau so wenig faul, wie Erwerbsarbeit fleißig macht" - Theo Wehner in einem Interview mit Die Zeit...

...das schon aus dem Jahr 2011 stammt und damals zahlreiche Kommentare erhielt. Theo Wehner uns Sascha Liebermann waren im Gespräch mit Max Neufeind. Hier geht es zum Interview. 

15. Oktober 2020

"Wer diese Regeln macht, hat keine Ahnung von Selbstständigkeit"...

 ...ein Beitrag über Corona-Hilfemaßnahmen auf Zeit Online. Wieder ein Beleg für die Zielungenauigkeit vermeintlich zielgerichteter Hilfsprogrammen. Siehe dazu auch hier

7. Oktober 2020

"Bundesagentur für Arbeit bereitet sich auf mögliche Pleitewelle vor"...

...berichtet Zeit Online. Da die Bundesagentur nicht gerade für einen pessimistischen Blick auf den Arbeitsmarkt steht, macht die Schlagzeile deutlich, wie weit die Auswirkungen der im ersten Halbjahr ergriffenen Maßnahmen reichen. Dass für den Vorsitzenden, Detlef Scheele,  es keine Alternative zu dem bestehenden Sozialstaat und seinen sanktionsbewehrten Leistungen gibt, hat er des öfteren Kund getan, siehe hier.

Sascha Liebermann

22. September 2020

"Es muss etwas passieren. Sonst gehen alle pleite"...

...Daniel Gerhardt schreibt auf Zeit Online über die Lage derer, die von öffentlichen Auftritten leben, die gegenwärtig nicht stattfinden können. Und wieder einmal wird deutlich, eine welch einfache und effektive Hilfe ein Bedingungsloses Grundeinkommen sein könnte.