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22. Oktober 2023

"Eine andere Demokratie wagen?"

Siehe auch diesen Beitrag hier

Sascha Liebermann

17. Mai 2023

"Direkte Demokratie: Die Angst vor dem Souverän"...

...eine Besprechung des neuen Buches der ehemaligen Richterin am Bundesverfassungsgericht, Gertrude Lübbe-Wolff, über "Demophobie" von Otfried Höffe in der Frankfurter Rundschau.

Die äußerst wohlwollende Besprechung der offenbar differenzierten Auseinandersetzung mit direkter Demokratie ist deswegen bemerkenswert, weil Höffe in seinen Ausführungen zum Bedingungslosen Grundeinkommen, das er stets als "Bügerlohn" bezeichnet, erheblich skeptischer gegenüber dem Bürger ist, so dass einen seine Begeisterung für Lübbe-Wolffs Ausführungen doch überraschen. Siehe hierzu meine Kommentierung zu Höffes Beitrag "Das Unrecht des Bürgerlohns".

Vor einiger Zeit habe ich meine Erfahrungen in der Schweiz angesichts der Volksabstimmung über die Eidgenössische Volksinitiative zum BGE geschildert und eine Verbindung zwischen BGE und Demokratie stark gemacht, siehe hier

Weitere Beiträge von uns zu direkter Demokratie, auch zum Unterschied zu "Bürgerräten", finden Sie hierhier und hier. Wie sehen Schweizer das, dazu ein Beispiel: "Volksabstimmung sind für uns wie Zähneputzen".

Sascha Liebermann

17. August 2022

"Swiss Direct Democracy in the 21st Century"

3. Mai 2021

Ein neuer Anlauf - die Volksinitiative in der Schweiz zum Grundeinkommen nimmt Fahrt auf

Unter dem obigen Link im Tweet finden sich ein Entwurf für den Initiativtext sowie Angaben zu den Initianten. Zum Kommitee gehören manche bekannte Unterstützer, die sich schon länger für ein Bedingungsloses Grundeinkommen einsetzen:

Kalina Angeluova, Josef Brusa, Lorenza Giorla, Rebecca Panian, Ursula Piffaretti, Ina Praetorius, Thomas Produit, Oswald Sigg, Philip Stolkin und Elli von Planta.

Der Aufruf macht darauf aufmerksam, wie wichtig es für Volksinitiativen ist, genügend Engagierte zu haben, die beim Sammeln von Unterschriften helfen. Im Zuge der ersten Volksiniative habe ich mir selbst einen Eindruck verschaffen können, wie das so vor sich gehen kann, siehe dazu hier.

Für die neue Initiative sind Erfahrungen der alten hilfreich, siehe dazu auch die Website von grundeinkommen.ch

Kommentare und Hinweise von unserer Seite finden sich hier.

Sascha Liebermann

3. Dezember 2020

"Bedingungsloses Grundeinkommen und direkte Demokratie" - ein Beitrag aus dem Archiv...

...der im Jahr 2013 entstand, als die Initianten der "Eidgenössischen Volksinitiative Für ein bedingungsloses Grundeinkommen" noch dabei waren, Unterschriften zu sammeln und es keineswegs klar war, ob es zu einer Volksabstimmung kommen wird. Hier wird die leicht überarbeitete Fassung aus dem Jahr 2016 veröffentlicht, da sie im Internet nicht mehr frei zugänglich ist.

[Anfang]

„Wo kämen wir dahin?“ oder „Sicher nöd“ – in der Schweiz können Reaktionen auf die Idee eines Bedingungslosen Grundeinkommens durchaus ähnlich entschieden sein wie in Deutschland. In dieser Hinsicht also sind die Gemeinsamkeiten zwischen beiden Ländern groß. In anderer indes sind sie klein. Wer in unserem Land angesichts eines solchen Vorschlags skeptisch ob seiner Folgen wäre, würde wohl eher nicht dazu beitragen, dass es dennoch – so es sie denn gäbe – zu einer Volksabstimmung über ihn käme. In der Schweiz hingegen habe ich es selbst erlebt, dass beim Sammeln von Unterschriften für die Eidgenössische Volksinitiative „Für ein bedingungsloses Grundeinkommen“, über die in diesem Sommer abgestimmt werden soll, auch jemand, der skeptisch – nicht ablehnend – ist, es dennoch dem Volk überlassen will, wie es dazu steht – und die Volksinitiative unterstützt. Das ist für die Schweizer so selbstverständlich, darüber ist keine Verständigung nötig. Sicher, wer skeptisch ist, vertraut darauf, dass andere es womöglich ebenso sehen. Durch die Unterstützung der Volksinitiative setzt sich jeder, der das zustande kommen unterstützt, jedoch der Möglichkeit aus, dass sie in der Abstimmung eine Mehrheit erhält. Er lässt sich also darauf ein, dass andere es anders sehen mögen und bringt damit zum Ausdruck, die Folgen dennoch tragen zu wollen. Schon das Sammeln von Unterschriften, das Werben für eine Alternative bei den Bürgern – gesammelt wird auf der Straße – setzt eine Offenheit voraus, allen als Bürgern und damit möglichen Unterstützern zu begegnen. Darin bekunden sich unmittelbar Vertrauen in die Mündigkeit der Bürger und Solidarität Demokratie wird so auf einfache Weise erfahrbar und lebendig.

– Wir tun uns hingegen schwer, diese Mündigkeit vorbehaltlos anzuerkennen. Man schaue sich nur die Einwände gegen Volksabstimmungen in Deutschland an. Experten werden von Bürgern für praktisch klüger gehalten als sie selbst.

Durch das Initiativrecht, Volksinitiativen lancieren zu dürfen, können die Bürger Fragen und Themen auf die öffentliche Agenda setzen und darüber befinden. Alleine schon die Möglichkeit einer Volksabstimmung oder des Ergreifens eines Referendums wirkt auf die Praxis von gewählten Delegierten in politischen Ämtern und Gremien zurück: Das Volk kann Entscheidungen herbeiführen oder revidieren – zu jeder Zeit. In Deutschland geht das in dieser Form nicht, nur auf Landes- und Kommunalebene gibt es direktdemokratische Elemente, allerdings in bescheidener Form. Im Unterschied zu diesen verbindlichen Verfahren wird das in Deutschland geltende Petitionsrecht auf Bundesebene in seiner Unverbindlichkeit – es stellt eine Bitte an den Deutschen Bundestag dar – womöglich nur durch die Europäische Bürgerinitiative übertroffen. Wer also bei uns etwas erreichen will, muss Umwege gehen. Manche unken deswegen, wir seien gar keine Demokratie, die Eliten machten, was sie wollten, wir könnten ohnehin nichts dagegen unternehmen. Im Zweifelsfall rufen wir lieber das Bundesverfassungsgericht an, statt durch öffentliche Meinungsbildung Mehrheiten zu suchen. Dabei bestätigen alle Bürgerinitiativen, die etwas bewegen wollten, das Vieles möglich ist. Wo sich Mehrheiten für ein Anliegen finden, lässt sich auch ohne direktdemokratische Verfahren etwas bewegen: durch beharrliche öffentliche Meinungsbildung unter anderem durch Demonstrationen. Es ist also nicht so, wie wir allzu gerne selbst uns einreden, dass wir direktdemokratische Verfahren bräuchten, um uns einmischen zu können. Sie würden jedoch Initiativ- und Einspruchsverfahren institutionalisieren; Demokratie würde anders erfahren und gelebt.

Es wäre vermessen, die direkte Demokratie zu überschätzen, unterschätzt werden sollte sie allerdings ebensowenig. Dass sie ein „scharfes Schwert“ ist, wie Manfred G. Schmidt es einmal ausdrückte, zeigt sich an den Volksinitiativen zum Minarettverbot und zur Masseneinwanderung. Sie wurden in Deutschland mit Unverständnis aufgenommen und herablassend kommentiert. An ihnen könne man ja sehen, wohin Volksabstimmungen führen, es sei doch gut, dass wir keine hätten. Gewiss, beide Volksinitiativen spielten auf der Klaviatur der Vorurteile. Dass sie angenommen wurden, führte auch in der Schweiz durchaus zu entsetzten Reaktionen und überraschte viele. Wer dies als Beleg dafür nimmt auf die Gefahren hinzuweisen, die von der direkten Demokratie ausgehen, entmündigt die Bürger als Souverän. Darüber hinaus gibt sich in dem Urteil eine Haltung zu erkennen, direkte Demokratie nur haben zu wollen, wenn der Ausgang einer Abstimmung dem eigenen Empfinden genehm ist oder zumindest erwünschte Resultate hervorbringt. Genau das würde dem Geist der Demokratie zuwiderlaufen. Gerade Abstimmungen mit unangenehmem Ausgang machen darauf aufmerksam, dass offenbar existierende Sorgen und Bekümmernisse der Bürger nicht ernst genommen wurden. Genau darüber wurde in der Schweiz im Gefolge diskutiert. Die Annahme einer Volksinitiative kann insofern als Auftrag gelesen werden, sich mit Ängsten, Vorbehalten, begründeten Einwänden – aus welchen Gründen sie auch immer bestehen mögen – auseinanderzusetzen, sie nicht zu übergehen. Sie sind wirklich, haben sich in der Abstimmung Ausdruck verschafft – ganz im Unterschied zu den unverbindlichen Meinungsumfragen, auf die sich in deutschen Diskussionen all zu oft bezogen wird. Sie sind unverbindlich und bedeuten im Grunde gar nichts, weil eine Abstimmung damit einhergeht für eine Entscheidung Verantwortung zu übernehmen, eine Meinungsumfrage ist keine Entscheidung, es gibt also auch nichts zu verantworten – sie sind eben unverbindlich.

Was hat dies alles nun mit dem Bedingungslosen Grundeinkommen zu tun?

Nicht selten wird die Idee mit dem vermeintlichen „Ende der Arbeit“, also dem über einen langen Zeitraum betrachtet sinkenden Arbeitsvolumen in Deutschland, anhaltend hoher Arbeitslosigkeit und der Vermeidung von Armut in Verbindung gebracht. Gerade jüngst wurde diese Diskussion durch etwaige Folgen der Digitalisierung wieder angefacht, in der sich namhafte internationale Investoren wie Albert Wenger sowie Vorstände von Großunternehmen wie Timotheus Höttges und Bernd Leukert für eine langfristige Einführung ausgesprochen haben. Das BGE bleibt in diesen Überlegungen meist eine Reparaturmaßnahme. Es soll die dramatischen Folgen der Automatisierung auffangen und Kaufkraft sichern. Kaum hingegen wird die Geistesverwandtschaft von Demokratie und Bedingungslosem Grundeinkommen herausgehoben, die viel naheliegender ist als alle anderen Begründungen für es. Worin besteht sie?

In einem Nationalstaat, um einmal die gegenwärtig weitreichendste Gestalt der Demokratie heranzuziehen, gibt es nur zwei soziale Positionen, in denen Menschen um ihrer selbst willen involviert sind: in Familie (Verwandtschaftssystem) und Gemeinwesen. In beiden gilt ihre Angehörigkeit bedingungslos, weder werden Leistungen dafür vorausgesetzt, noch werden bei Nicht-Erbringung von Leistungen Angehörige aus diesen Positionen „entlassen“. Sie können gar nicht entlassen werden, weil sie nicht zur Erledigung spezifischer Zwecke eingestellt wurden. In einer republikanischen Demokratie werden Bürgerrechte den Staatsbürgern bedingungslos verliehen. Gemeinwesen sind auf die Loyalität ihrer Bürger, auf ihre Bereitschaft, sich einzubringen angewiesen und verfügen über keine Mittel, die sie zur „Herstellung“ von Loyalität einsetzen könnten, ohne sich selbst das Wasser abzugraben. Ohne die Bürger geht gar nichts, um es salopp auszudrücken. Sie sind es, die dafür Sorge tragen, parlamentarische Entscheidungen in ihre Lebensführung zu integrieren und so die politische Ordnung zu tragen. Was spektakulär oder pathetisch klingen mag, ist ein trivialer Zusammenhang, der ganz selbstverständlich, ohne viel Tamtam tagtäglich praktiziert wird. Genau darin liegt der Grund für die bedingungslose Verleihung der Bürgerrechte. Ernest Renan hat nicht von ungefähr die Existenz einer Nation als ein tägliches Plebiszit bezeichnet. Diese Abhängigkeit des Gemeinwesens von seinen Bürgern und ihrer Loyalität ist nicht aus dem Weg zu räumen, ohne die Grundfesten der Demokratie zu erschüttern. Loyalität zum Gemeinwesen wie Solidarität der Bürger sind Voraussetzungen des Bestehens, auf die ein Gemeinwesen vertrauen muss. Dass sie jeweils eine konkrete Gestalt haben, das unterscheidet sie voneinander, wie z.B. das Selbstverständnis als Gemeinwesen in der Schweiz und in Deutschland.

Was hätte nun ein Bedingungsloses Grundeinkommen zur Folge, der Sache nach, ganz gleich, wie die dadurch entstehenden Möglichkeiten genutzt würden? Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Verfasstheit der politischen Ordnung würde das BGE nur eine Konsequenz aus dem Bestehenden ziehen: die Vergemeinschaftung der Bürger, auf die heute schon vertraut werden muss, würde ins Zentrum der Systeme sozialer Sicherung rücken. Allerdings, und da erweist sich der kleine Schritt als großer, rüttelt genau dies am vorherrschenden Selbstverständnis als Gemeinwesen. Denn bisher gilt – auch in der Schweiz trotz direkter Demokratie –, dass der Legitimationszusammenhang zwischen Demokratie und Bürgerstatus nicht in der Gestaltung der Einkommensbildung zum Ausdruck kommt: Kein legitimes Einkommen ohne Erwerbstätigkeit, so ist es heute. Erwerbstätigkeit hat den Rang eines Gebots, das an erster Stelle steht, vor allem anderen Engagement, sei es in Familie oder Gemeinwesen. Für die Familie, in der Pflege von Angehörigen oder im Ehrenamt sich zu engagieren, das muss man sich leisten können, es setzt Einkommen voraus. Ohne Erwerbseinkommen gerät gar die Wahrnehmung der Bürgerrechte in Bedrängnis, da die „Rückkehr“ in den Arbeitsmarkt erklärtes Ziel der meisten Leistungen sozialer Sicherung ist. Helfer dabei ist der Sanktionsapparat nach dem Sozialgesetzbuch. Mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen von der Wiege bis zur Bahre, für jeden Staatsbürger und Personen mit Aufenthaltsbewilligung, als eigenständige Einkommensquelle, würde genau dasjenige gestärkt, was die Grundfesten der Demokratie ausmacht: die Souveränität der Bürger im Gemeinwesen. Es würde ausdrücklich anerkannt, dass Wohl und Wehe eines Gemeinwesens davon abhängt, die Bürger als Bürger in ihrer fundamentalen Bedeutung anzuerkennen. So würde durch ein Bedingungsloses Grundeinkommen der Pluralität des Interessenstreits, der für die Demokratie konstitutiv ist, eine Pluralität der Lebensentwürfe an die Seite treten können, deren Wertigkeit sich nicht mehr an Erwerbstätigkeit bestimmen würde. Was die Bürger daraus machten, wäre ihnen überlassen. Die Verantwortung hätten sie in jedem Fall zu tragen. Das Bedingungslose Grundeinkommen wäre also nicht mehr und nicht weniger als die Konsequenz aus dem Selbstverständnis als Demokratie, die unsere politische Ordnung auszeichnet.

Die Schweizer direkte Demokratie, wenngleich die Einwände dort gegen die Idee des BGE gleichermaßen stark sind, zeigt uns, was möglich ist, wenn die Stellung der Bürger ernst genommen wird statt unverbindliche Bürgerbeteiligung zu praktizieren.

[Ende]

"Heuss hätte vorsichtiger sein sollen" - plebiszitäre Elemente hielt er aus historisch nicht zutreffenden Erwägungen für gefährlich...

 ...erläuterte der Trierer Politikwissenschaftler Winfried Thaa in einem Interview mit 16VOR Nachrichten aus Trier schon vor einigen Jahren. Er äußerte sich darin auch zu Bürgerbeteiligungsverfahren ("Bürgerhaushalten"). Theodor Heuss Deutung hält sich dennoch hartnäckig, dass der Untergang der Weimarer Republik auch an den plebiszitären Elementen der Weimarer Reichsverfassung hing, doch waren Volksentscheide eher wenig erfolgreich, siehe dazu hier. Angesichts der Einwände, die jüngst wieder gegen Volksentscheide bzw. Volksabstimmungen vorgebracht wurden, ist es hilfreich, sich eine Schweizer Einschätzung dazu anzuhören (siehe hier), in der Andreas Gross, der sich seit Jahrzehnten mit dem Thema befasst, gerade die Konfrontation mit den Folgen einer Abstimmung für die Bürger für äußerst klären und hilfreich hält.

Weitere Beiträge zu diesem Thema finden Sie hier. Viele Einwände, die gegen direkte Demokratie nach Schweizer Vorbild eingewandt werden, werden auch gegen ein BGE eingebracht.

Sascha Liebermann

28. September 2017

Volksabstimmungen - Segen oder zweifelhaft? Weder noch, bloß bodenständig

Demokratische Instrumente können missbraucht werden - können sie?

Niemand würde wohl bestreiten, dass es einseitige Berichterstattung, Parteinahme, voreingenommene Journalisten und ähnliches gibt. Gerade in den Wochen vor der Bundestagswahl konnte man beobachten, wie stark Moderatoren in Diskussionssendungen teils volkspädagogisch eingriffen. Diese Vorgänge kann man kritisieren, beklagen, bedauern, sich für Veränderungen einsetzen. Sie sind nicht gerade pluralitätsfördernd, doch sind sie schon eine Gefahr?

Sicher, sich über Sachfragen zu informieren ist durchaus aufwendig, es braucht Zeit, in vielen Fragen fehlt einem der Sachverstand, um die Zusammenhänge beurteilen zu können. Das ist richtig. Geht das Experten aber nicht ebenso außerhalb des Gebiets ihrer Expertise? Die jüngste Ablehnung einer Rentenreform in der Schweiz wird nun wieder einmal als Beispiel dafür angeführt, weshalb Volksabstimmungen doch eine zweifelhafte Angelegenheit sind. Zu diesem Schluss gelangt Albrecht Müller (Nachdenkseiten), kritischer Geist gegen voreingenommene Meinungsbildung. Seine Vorbehalte äußert er nicht das erste Mal. Was schreibt er genau?

"Die Möglichkeit, Volksentscheide zu beantragen, würde mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Belebung der öffentlichen Debatte in Deutschland beitragen. Aber ob dabei fortschrittliche, sachlich gerechte und der Mehrheit der Menschen dienende Lösungen herauskommen, ist fraglich und wird quasi jeden Tag fraglicher – je mehr unsere Medien nämlich in den Einflussbereich von großen Interessen geraten. Medien und die hinter ihnen steckenden Interessen können, wie man an der Schweiz im konkreten Fall sieht, auch Volksentscheide zu beeinflussen versuchen und dies mit Erfolg tun."

Zuerst einmal kann er Volksentscheiden (in der Schweiz sind es "Volksabstimmungen") etwas abgewinnen. Aber, aber - dann kommt seine Sorge, was dabei wohl für Entscheidungen herauskommen? Müsste er diese Sorge nicht gegen die parlamentarische Demokratie in Deutschland ebenso richten? Sie hat ja nun gerade etliche Entscheidungen hervorgebracht, mit denen Müller nicht einverstanden ist. Er verweist auf den zunehmenden Einfluss bestimmter Interessenlagen auf die Medien und deren Berichterstattung. Wie weit aber reicht dieser Einfluss, gar soweit, Wahlergebnisse zu seinen Gunsten richten zu können? Behauptet ist das schnell, aber wie sieht es mit Belegen aus? Der Wunsch, Einfluss zu nehmen und gewünschte Ergebnisse zu erzielen ist das eine, wie die Bürger abstimmen das andere. Müller verweist auf einen Artikel über die Bemühungen der Schweizer SVP, die Abstimmung über die Rentenreform in ihrem Sinne zu beeinflussen. In dem Artikel, auf den er sich beruft, ist davon die Rede, dass die SVP die Schweizer Stimmbürger "verführte". Zu einer Verführung gehören aber immer zwei Seiten, die einen, die verführen wollen, die anderen, die sich verführen lassen. Beachtet man das nicht wird daraus schnell eine entmündigende Behauptung. In der Schweiz gibt es zu jeder Volksabstimmung ein Argumentarium, das Pro- und Contra-Positionen aufführt. Die Berichterstattung in den Medien ist umfangreich. Gerade die SVP ist nun des öfteren schon mit ihren Vorhaben gescheitert. Warum erwähnt Müller das nicht? Und selbst wenn Volksabstimmungen unliebsame Ergebnisse haben, dann sind es Ergebnisse, von denen man genau weiß, dass es für sie tatsächlich Mehrheiten gab. Das ist eine gute Basis für Auseinandersetzungen. In repräsentativ geprägten Systemen bleiben zwischen den Wahlen nur die Umfagen der Demoskopen, auf die man sich berufen kann. Das sind aber keine Abstimmungen, Befragungen sind folgenlos, der Befragte hat für seine Antwort praktisch nicht die Verantwortung zu übernehmen (siehe hier). Was schreibt Müller noch?

"An diesen Beobachtungen und Erkenntnissen sollte man nicht vorübergehen, wenn man den durchaus demokratisch klingenden Vorschlag für mehr Volksentscheide vertritt. Das neueste Beispiel aus der Schweiz zeigt, dass die vierte Beobachtung in der Realität belegt wird. Die rechtsnationale SVP kann offenbar viel Geld und viel publizistische Macht mobilisieren. Bei uns wäre das in ähnlich gelagerten Fällen einer Abstimmung durchaus auch ähnlich. Der Volksentscheid kann sehr schnell zum Einfallstor der recht bequemen Durchsetzung der Interessen publizistisch mächtiger und reicher Gruppen und Personen werden. Das ist der eigentliche Grund für meine Skepsis."

Ja, kann sie, sie kann zum Einfallstor werden. Volksabstimmungen sind kein Automatismus, sie leben vom Bürgerethos, die Bürger müssen sie selbst ernst nehmen. Das gilt für eine repräsentative Demokratie allerdings genauso, auch sie kommt ohne das Bürgerethos nicht aus. In Deutschland ist die Haltung zur Demokratie eben auch ambivalent, auf der einen Seite wird den Bürger viel zugetraut, auf der anderen Seite wenig.

Skepsis, so wie Müller, kann man haben, sollte sich aber doch genau anschauen, was in der Schweiz passiert. Und ist es nicht so, dass der von Müller befürchtete Fall immer eintreten kann, vor allem dann, wenn die Bürger willfährig einer Kampagne folgen? Doch tun sie das? Unterschätzt Müller womöglich nicht die Eigensinnigkeit des täglichen Lebens? Wie würde er die AfD-Erfolge in Deutschland erklären? Was wäre wohl passiert, wenn es eine Volksabstimmung zu den Fragen gegeben hätte, die die Wähler der AfD - und sicher auch andere - umtreiben? Wäre dann womöglich nicht schon viel früher darauf reagiert worden? Würde die AfD dann überhaupt soweit gekommen sein? Man darf nicht vergessen, dass die Sprache mancher in der AfD, die so heftig in den Medien kritisiert wurde, doch eine Sprache ist, die in der Diskussion um Sozial- und Arbeitsmarktpolitik in vielleicht milderer Form ebenso anzutreffen ist. Wenn die Bürger zum Objekt werden, zu einer Sache, die man hin- und herschieben will durch "Aktivierung" und "Sanktionen", die "Druck" benötigen oder einen "Arschtritt" (Christian Lindner, FDP). Was ist das für eine Haltung, wenn eine Bundesministerin Fraktionsvorsitzende wird und der Regierung ankündigt, dass sie "ab morgen [...] in die Fresse] kriegen"?

Worin "sachlich gerechte" Entscheidungen bestehen und was "der Mehrheit dienende Lösungen" sind, ist nicht abstrakt zu sagen. Entscheidungen müssen gewollt werden, Argumente reichen dafür nicht aus. Entscheidungen haben mit tief verankerten Gerechtigkeitsvorstellungen zu tun. Ganz gleich, welches Ergebnis eine Volksabstimmung bringt, sie ist zugleich der Auftrag, sich mit ihren Folgen auseinanderzusetzen, und zwar sehr konkret. Das macht Demokratie greifbarer, sie rückt näher an die Bürger heran. Damit sind repräsentative Elemente nicht getilgt, aber relativiert.

Die Vorbehalte gegen direkte Demokratie sind doch sehr ähnlich wie diejenigen gegen das BGE. Es geht offenbar um eine ganz grundsätzliche Frage, welche Stellung man den Bürgern als Trägern der politischen Ordnung einräumt und wie sehr man bereit ist, auf die Verantwortungsbereitschaft dafür zu setzen, dass sich eine für alle tragbare Lösung für Probleme finden wird. BGE und direkte Demokratie gehen in den Augen mancher hier sehr weit. Doch ein Blick auf die Grundfesten der Demokratie zeigt, dass dies nur konsequent wäre, statt in alten Vorbehalten zu verharren (Siehe auch hier)

Sascha Liebermann

9. Juni 2017

Volksabstimmung - "das ist für uns ein normaler Vorgang wie Zähneputzen...

...ein Interview von Brigitte Krenkers mit Daniel Häni über direkte Demokratie für die Aktion "ich will abstimmen".

11. April 2017

"Investiert in die Gesellschaft!" - doch weshalb aus dem bedingungslosen ein bedingtes Grundeinkommen machen?

Darüber schreibt Doris Aebi in der Neuen Zürcher Zeitung und weist auf die etwaigen Herausforderungen durch Digitalisierung, ihre Folgen für soziale Ungleichheit, die Aufgabe des Gemeinwesens, die Freiheitsrechte in der Schweiz, die direkte Demokratie - und das Grundeinkommen hin. Allerdings geht es nicht um das Bedingungslose Grundeinkommen, sondern eines, das an soziale Pflichten gekoppelt wird. Ein solches hatte vor vielen Jahren schon der vor wenigen Monaten verstorbene Anthony Atkinson vorgeschlagen. Siehe dazu den Kommentar von Sascha Liebermann.

21. Februar 2017

"Grundeinkommen in der Schweiz: Wie weiter?"...

..."Analyse, Reflexion und ein Ausblick" von Che Wagner, veröffentlicht auf grundeinkommen.ch. Der Beitrag gibt Einblick in die Schweizer Diskussion vor der Volksabstimmung im letzten Juni und eröffnet eine Aussicht darauf, was nun folgen könnte.

Dass Volksabstimmungen Schritte erlauben, die dort, wo dieses Initiativrecht fehlt, nur auf Umwegen möglich sind, ist unbestritten. Deswegen aber repräsentative Demokratien damit gleichzusetzen, dass das Volk darauf warten müsse, bis "Eliten" bereit seien, Veränderungen herbeizuführen, wie Che Wagner schreibt, halte ich für überzogen. Denn diese "Eliten" sind gewählte Repräsentanten, die sehr wohl auf öffentliche Debatten reagieren und durch sie gedrängt werden können, Fragen aufzugreifen. Genau das war ja ein Ergebnis der jüngeren Grundeinkommensdiskussion nach der Jahrtausendwende, die mit wenigen Aktiven begann und sehr früh schon erstaunliche Resonanz erhielt, denn Parteien, Interessenverbände und die Kirchen nahme Stellung zum BGE. Heute kann der Vorschlag als etabliert gelten, obwohl er noch keine Mehrheiten findet, weder in der Schweiz noch in Deutschland.

Direkte oder repräsentative Demokratie - in beiden zählen Mehrheiten. Auf sie kommt es an. Es kommt einer Verklärung gleich zu meinen, in repräsentativen Demokratien gäbe es Mehrheiten, die sich gegenwärtig nicht artikulieren könnten, da es keine Volksabstimmungen gibt, wie man manchmal lesen kann.

Sascha Liebermann

11. Januar 2017

Fundamentalismus versus Pragmatismus - oder wie schiefe Gegensätze zur Selbstblockade führen können

In der Grundeinkommensdiskussion trifft man immer wieder einmal, wenn es darum geht, wie "echte" Demokratie auszusehen habe, auf einen Gegensatz, der dabei aufgebaut wird. Auf der einen Seite steht dabei die repräsentative Demokratie, die gar keine wirkliche Demokratie sei, weil sie das Volk nicht recht zu Wort kommen lasse bzw seinen Einfluss auf Wahlen reduziere. Auf der anderen wird dieser verkürzten oder unechten Demokratie die Kraft direkter Demokratie entgegengehalten, die erst zu wirklich demokratischen Verhältnissen dadurch führe, dass Referenden, fakultative wie obligatorische, abgehalten werden. Die Schweiz dient nicht selten als Vorbild dafür.

Nun, in der Tat hat die direkte Demokratie Möglichkeiten, die die repräsentative nicht hat, alleine die Möglichkeit von Referenden ist nicht gering zu schätzen. Schon der Umstand, dass gegen eine Entscheidung Referendum ergriffen werden kann, zeigt, an wem sich Entscheidungen auszurichten haben: dem Souverän. Es führt aber einer schiefen Entgegensetzung, wenn die repräsentative Demokratie auf die eine, die direkte auf die andere Seite gestellt wird. Denn in der Schweiz handelt es sich um eine Mischform, da nicht alle Entscheidungen tatsächlich zum Gegenstand von Referenden werden, das wäre praktisch auch nicht zu bewältigen. Unterschätzt wird dabei allerdings, welche Möglichkeiten die repräsentative Demokratie bietet. Es ist nicht so, dass in ihr "Politiker" "von oben" etwas entscheiden oder verordnen. Sie sind vom Souverän beauftragt, Lösungen für Probleme zu finden und dann in Kraft zu setzen. Entscheidungen "von oben" sind insofern immer Entscheidunge "von unten". Auch in einer direkten Demokratie gibt es keine unmittelbare Übersetzung von Einzelwillen in politische Gestaltung, das erfolgt nur über Mehrheiten. In der repräsentativen Demokratie haben Politiker ein Mandat des Souveräns - ein freies, kein imperatives. Sie sollen dabei ihrem Gewissen folgen können und nicht an Weisungen gebunden sein.

Nicht nur kommt es einer Überhöhung direkter Demokratie gleich, sie als einzig richtige Demokratie zu bezeichnen, denn eine Demokratie lebt vom Bürgerethos, vom Selbstverständnis des Gemeinwesens. Verfahren können dies nur stützen und bekräftigen, nicht aber hervorbringen.

Nun sind in Deutschland auf Bundesebene keine Referenden vorgesehen, auf Landesebene sind sie meist aufwendig, nur auf kommunaler Ebene sind sie lebendiger. Keineswegs bedeutet dies, machtlos zu sein, wie manchmal behauptet wird, denn Willensbildung beginnt schon in der Öffentlichkeit. Bürgerinitiativen praktizieren genau das und da ist schon mit erstaunlich wenigen Mitteln viel zu bewegen. Das kann aber nicht heißen, dass jede Bürgerinitiative, jede Interessenartikulation selbstverständlich aufgenommen werden muss, weil dem gegenüber ja die anderen stehen, die sich nicht artikulieren und damit wenigstens das Bestehende tolerieren oder sich gar mit ihm einverstanden erklären. Manche Befürworter direkter Demokratie übersehen, dass auch in der Schweiz, wie z. B. 130 000 Unterschriften für die Volksinitiative "Für ein bedingungsloses Grundeinkommen" eben nur 130 000 Tausend waren, bevor es zur Abstimmung kam. Und dann waren es 23 % der Stimmen dafür, aber 77 % dagegen.

Die strikte Gegenüberstellung von repräsentativer und direkter Demokratie, wie sie manchmal anzutreffen ist, ist Ausdruck einer Selbstentmündigung und Verklärung des Volkswillens, der ja heute schon angeblich für Volksabstimmungen und gegen Hartz IV sei. "Die da oben" wollten das nur nicht hören. Als Beleg dafür müssen dann Meinungsumfragen z. B. von yougov oder anderen Einrichtungen herhalten, die im Allgemeinen nichts darüber aussagen, wie im Falle einer tatsächlich zu verantwortenden Entscheidung votiert würde. Sich auf angebliche Mehrheiten zu berufen, die sich nicht verbindlich artikuliert haben bislang, trägt zur Mythenbildung bei.

Vor diesem Hintergrund geht das Bündnis Grundeinkommen einen pragmatischen Weg - bei allen Schwierigkeiten, die ich sehe - und versucht angesichts dieser Lage Möglichkeiten zu nutzen, die unserem heutigen Selbstverständnis entsprechen. Das halte ich für pragmatisch. Sonst bliebe nur, bis auf den Sankt Nimmerleinstag zu warten. Siehe hierzu auch den Beitrag von Enno Schmidt und einen früheren von mir.

Sascha Liebermann

4. November 2016

Volksabstimmung oder Volksabstimmung?! - Ein Nachtrag zur Diskussion bei "hart aber fair"

Volksabstimmung ist nicht gleich Volksabstimmung - auf diese einfache Formel brachte es der Politikwissenschaftler Werner Patzelt in der Diskussionsrunde bei hart aber fair, auf die wir kürzlich hingewiesen haben. In der Sendung wurde kaum differenziert, worüber gesprochen wurde, wenn die Begriffe Volksentscheid, -begehren, -gesetzgebung munter durcheinanderflogen. Folglich wusste man bis zum Schluss nicht, was denn nun genau die Diskutanten befürworteten bzw. ablehnten. Auf der einen Seite konnte man überrascht sein, dass in Gestalt von Markus Söder (CSU), dem bayrischen Staatsminister für Finanzen, ein ausgesprochener Befüworter von Volksabstimmungen zu erkennen war. Auf der anderen Seite wiederum konnte erstaunen, mit welchen Vorbehalten der frühere Befürworter Wolfgang Kubicki (FDP) sich gegen Volksabstimmungen aussprach. Er sah die Gefahr, dass mit Stimmungen Entscheidungen herbeigeführt werden könnten - siehe Brexit in seinen Augen - und so die Haltung "wir wollen's denen dann mal zeigen" schlussendlich "das arme britische volk [...] mit dieser entscheidung" - allein lasse. Wenn er Bedenken äußerte, zu welchen Konflikten Volksabstimmungen führen könnte, argumentierte er ausschließlich juristisch, nannte das Beispiel der Schweizer Massenzuwanderungsinitiative. Leicht empört verwies er darauf, dass sich die ja gegen Deutsche richtete. Plasberg verwiest zurecht darauf, dass wir dort eben Ausländer seien, Kubicki hingegen hob die Gemeinschaften aufgrund der Sprachen hervor. Was die politische Kultur betrifft, sind die Unterschiede zwischen Deutschland und der Schweiz allerdings erheblich.

Es durfte in dieser Sendung die gute alte Meinungsumfrage nicht fehlten, derzufolge angeblich 71% für Volksabstimmung im Allgemeinen, 53% für Volksabstimmung über Flüchtlingspolitik seien. Doch ihre Aussagekraft ist gering, siehe frühere Kommentare dazu hier und hier.

Es lohnt, um die Diskussion besser einschätzen zu können, ein genauer Blick auf Formulierungen. Sehr klar war Werner Patzelt in seiner Haltung, der die Chance von Volksabstimmungen sah, differenziert auf die Unterschiede zwischen verschiedenen Formen hinwies, wie auch darauf, dass direkte und repräsentative Demokratie keineswegs gegeneinanderstehen. Was aber sagte Markus Söder als Befürworter genau?

Mehrfach wies er darauf hin, man müsse ja nicht über alles abstimmen, Volksabstimmungen dürften nicht inflationär gebraucht werden - warum so zögerlich, darüber würde doch das Volk selbst befinden müssen, wenn das Instrument eingeführt wäre? Wichtige Fragen aber sollten Gegenstand sein. Nimmt man Schweizer Referenden und das Instrument der Volksinitiative als Vorbild, dann kann bzw. muss ein Referendum von verschiedenen Seiten initiiert werden. Die Volksinitiative zum BGE ging von Bürgern aus, die Unterschriften gesammelt haben, und hatte zum Ziel, die Schweizer Bundesverfassung zu ändern. Söder sprach mehrfach davon, das Volk zu "beteiligen", so als würde die Regierung oder das Parlament eine Frage an das Volk richten. Das klang wie eine großzügige Geste und nicht wie ein dem Souverän verpflichtetes Verfahren. Denn den Souverän muss bzw. kann man nicht "beteiligen", er ist immer schon beteiligt, weil er die Geltungsquelle politischer Ordnung darstellt (GG, Art.20 (2) "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus"). Will man den Souverän veralbern oder zeigen, wie wenig ernst es einem ist, spricht man sich für "Bürgerbeteiligungen" aus, die zwar so tun, als gäbe es mehr Mitgestaltung, tatsächlich aber sind sie unverbindlich, weil die Bürger nichts entscheiden in solchen Verfahren.

Bettina Gaus äußerte sich differenziert, wollte auch nicht die behaupteten Gefahren teilen, die manche mit Volksabstimmungen verbanden. In ihren Augen sind sie auf Bundesebene nicht das richtige Instrument, wenn es um komplexe Entscheidungen ging. Darauf entgegnete Söder, dass aber auch Wahlen komplex seien und die Bürger darin ebenso Stellung beziehen müssten. Hinzugefügt werden könnte noch, dass gerade Volksabstimmungen dahin drängen würden, solch komplexe Fragen stärker einer differenzierten Erörterung in der Öffentlichkeit zuzuführen. Denn letztlich geht es nicht zuerst um technische Fragen nach der optimalen Lösung, es geht um die Frage, in welche Richtung eine Lösung führen soll. Womöglich hätte eine Volksabstimmung in Deutschland dazu geführt, härtere Konsequenzen aus der Finanzkrise zu ziehen, z. B. ernsthafter über eine Trennung von Investmenbanking und Kreditvergabe nachzudenken, um die Verantwortung für Spekulationsgeschäfte ganz auf diejenigen zu übertragen, die sie tätigen, ohne dass die Bürger am Ende die Lasten tragen müssen.

Was ist nun also gewollt von Befürwortern wie Markus Söder, Volksabstimmungen mit Initiativrecht, wie sie in der Schweiz praktiziert werden oder nur eine selektive Nutzung dieser Instrumente direkter Demokratie?

Sascha Liebermann

2. November 2016

"Volksabstimmungen für alle"...

...eine Diskussionsrunde bei hart aber fair mit einer irreführenden Ankündigung.

Auf der Website der Sendung finden sich informative Hinweise. Deutlich machen sie, sehr klar ist das auf der Seite der Schweizer Bundesverwaltung, dass repräsentative und direkt Demokratie nicht gegeneinanderstehen, wie so oft suggeriert wird. Auch sind Volksabstimmungen nicht einfach JA-NEIN-Entscheidungen, sondern Entscheidungen über einen formulierten Vorschlag, der abgelehnt oder dem zugestimmt wird. Bei Zustimmung sind Regierung und Parlament mit der Umsetzung beauftragt. In der Schweiz werden die meisten Gesetze vom Parlament erlassen und nicht über Volksabstimmungen auf den Weg gebracht. Die Schweizer können aber gegen Parlaments- Kantons- und Gemeindeentscheidungen Referendum ergreifen. 

Mehr Demokratie e.V. hat eine Übersicht zur Haltung der deutschen Parteien zur Volksabstimmung auf Bundesebene angefertigt und zugleich nachgefragt, wie sie dazu stehen. Die Antworten sind interessant und vielschichtig. Die meisten, bis auf die CDU, befürworten Volksabstimmungen in der einen oder anderen Form.
 Auf die überraschenden Positionsverschiebungen im Verhältnis zu früheren Diskussionen über Volksabstimmungen hat Frank Lübberding in seinem Kommentar zur Sendung hingewiesen.

Sascha Liebermann

11. Juli 2016

"Grundeinkommen abstimmen - Jetzt müssen wir selber ran"


Die Aktion "grundeinkommen abstimmen" from OMNIBUS on Vimeo.

Es handelt sich unter anderem um einen Zusammenschnitt der Veranstaltung "Grundeinkommen abstimmen" in Berlin am 29. Mai.

Siehe auch den Blogbeitrag von Susanne Wiest dazu und die Frage, ob der Impuls, Volksabstimmungen auf Bundesebene in Deutschland einzuführen, nicht in die Bundestagswahlkampagnen 2017 getragen werden kann und wie.

5. Juli 2016

Direkte Demokratie nach dem "Brexit" - ein Gespräch mit Andreas Gross...

...sendete das Schweizer Radio. Angesichts manch bezeichnender Kommentare zur Abstimmung, die sogleich die Überforderung des Volkes als Problem ausmachen, ein Gegengewicht. Obwohl dann am Ende dies steht: "Der Erfolg der Schweizer Demokratie liegt aber darin, dass sie den Bürger direkt mit den Folgen seiner Entscheidungen konfrontiert. Meistens im Kleinen, hin und wieder auch im Großen. Aus Schweizer Sicht kann die Konsequenz aus dem Brexit daher nicht lauten: weniger abstimmen lassen. Sondern: viel, viel mehr." Ja, hier würde ich zustimmen und dennoch würde ich nicht unterstellen, dass die Briten überfordert waren. Denn zum einen hatte Großbritannien immer eine Sonderstellung in der Europäischen Union, zum anderen ist das Votum zuerst einmal, ganz im Schweizer Sinne, ernst zu nehmen. Mit den Konsequenzen werden die Briten ja schon konfrontiert. Allerdings, sind das auch die typischen Reaktionen aus der EU, die sie vernehmen und insofern sie doch auch bestätigen mögen.

Sascha Liebermann

8. Mai 2016

"Lange Nacht des Grundeinkommens" - Einblick in die Schweizer Debatte, Einblick in das Demokratieverständnis...

  ...das bot die "Lange Nacht des Grundeinkommens" im Theater Basel (zur Orientierung im Video hier das Programm). Dankenswerterweise ist die Veranstaltung aufgezeichnet worden und bietet einen Einblick in die Schweizer Diskussion über Demokratie, die nicht nur über die Art und Weise erstaunen lässt, wie öffentlich debattiert werden kann. Sie gab auch Einblick darein, wie groß selbst in einer direkten Demokratie, die Volksabstimmungen selbstverständlich praktiziert, die Vorbehalte gegenüber dem Einzelnen sind, mit seiner Freiheit vernünftig umzugehen. Diese Diskrepanz fällt noch mehr ins Auge als in Deutschland, weil die direkte Demokratie noch weitergeht als die repräsentative, denn sie räumt ihren Bürgern noch mehr Möglichkeiten ein zu gestalten. Um so mehr verwundert es, wie abfällig teils über die Bürger gesprochen wurde. Ebenso erstaunlich waren die Aggressivität und der Zynismus  - besonders bei Reiner Eichenberger und Lukas Rühli - in den ersten beiden Runden, in denen es um die Finanzierung und um Arbeitsmotivation ging.

Weitere Videos zur Langen Nacht finden Sie hier.

Sascha Liebermann

29. April 2016

Volksabstimmung in der Schweiz – Veranstaltungen in Deutschland

Am 5. Juni stimmt die Schweiz ab. Ideal um in Deutschland für das Bedingungslose Grundeinkommen zu werben und zugleich die direkte Demokratie ins Gespräch zu bringen. Denn zwischen beiden gibt es eine Geistesverwandtschaft. Doch, was ist los mit den Grundeinkommensbefürworter - oder gibt es nur so wenige, dass es gerade zu zwei Veranstaltungen in Deutschland reicht? Zumindest tut sich im Vorfeld einiges (siehe den Kalender beim Netzwerk Grundeinkommen). Bisherige Veranstaltungen am Abstimmungstag, die uns bekannt sind:


  • Alfter, Alanus Hochschule, 14-19 Uhr: „Die Schweiz stimmt ab – Bedingungsloses Grundeinkommen und direkte Demokratie“ (Kontakt: andreas.zaeh@alanus.edu, weitere Informationen folgen) (Kurztext zum Thema)

18. April 2016

"Denn beim Volk, das ist eine paradoxe Wahrheit, ist die Demokratie nicht gut aufgehoben"...

...meint Jakob Augstein in seiner Kolumne bei Spiegel online mit dem Titel "Volk und Wahrheit". Über manche Kommentare kann man nur staunen, auch darüber wie weit sie an der Realität vorbeigehen. Augstein erweist sich hier selbst als einer derer, die es besser zu meinen wissen als die Bürger, doch von welcher Warte aus? Die Einwände kommen einem, wenn man mit der Grundeinkommensdiskussion vertraut ist, bekannt vor.

Er schreibt unter anderem:

"...Zwischen Wahlvolk und Politik macht sich eine große Entfremdung breit. Es herrscht ein Notstand der politischen Legitimation. Wie behebt man den? Durch Partizipation? Sollen die Menschen an den politischen Entscheidungen mehr beteiligt werden? Bloß nicht.
"Wenn man Europa kaputtmachen will, dann braucht man nur mehr Referenden zu veranstalten." Jean Asselborn, Außenminister von Luxemburg, sagte das nach dem Nein der Niederländer zum EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine. Asselborn findet, dass Referenden in einer parlamentarischen Demokratie kein geeignetes Instrument sind, um schwierige Fragen zu beantworten..."

Nun, Referenden und repräsentative Demokratie widersprechen sich nicht. In der Schweiz wird beides praktiziert und man kann nicht gerade sagen, dass es nicht funktionieren würde. Dass die EU nicht gerade über Referenden erfreut ist, hat sich schon öfter gezeigt. Sie werden so lange für gut befunden, so lange die gewünschten Ergebnisse herauskommen. Solche Kommentare trifft man in Deutschland übrigens auch öfter, wenn - wie Augstein es ebenfalls tut - auf Abstimmungsergebnisse in der Schweiz geschaut werden. "Oben" weiß man also besser als "unten", was richtig und gut ist. Das ist der Elitismus, der den Bürgern vielleicht gerade zum Halse heraushängt.

In anderem historischem Zusammenhang hat Max Weber einmal etwas beschrieben, dass Augsteins Befürchtungen in einem besonderen Licht erscheinen lässt:

"Daß der Deutsche draußen, wenn er das gewohnte Gehäuse bürokratischer Bevormundung um sich herum vermißt, meist jede Steuerung und jedes Sicherheitsgefühl verliert, — eine Folge davon, daß er zu Hause sich lediglich als Objekt, nicht aber als Träger der eigenen Lebensordnungen zu fühlen gewohnt ist —, dies eben bedingt ja jene unsichere Befangenheit seines Auftretens, welche die entscheidende Quelle seiner so viel beklagten »Fremdbrüderlichkeit« ist. Und seine politische Unreife ist, soweit sie besteht, Folge der Unkontrolliertheit der Beamtenherrschaft und der Gewöhnung der Beherrschten daran, sich ohne eigene Anteilnahme an der Verantwortlichkeit und folglich ohne Interesse an den Bedingungen und Hergängen der Beamtenarbeit ihr zu fügen." (Max Weber, "Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland“, in: Gesammelte politische Schriften, S. 258, Tübingen 1988)

Theodor W. Adornos schon in den 1960er Jahren geäußerter Einwand gegen die Sorge, man könne den Menschen zuviel zumuten, weist in eine ähnliche Richtung.

Augstein schreibt weiter:

"...Wer mehr Partizipation in die Demokratie rührt, dem fliegen die Reagenzgläser um die Ohren. Aus gutem Grund gibt es Parlamente. Sie schützen die Demokratie vor dem Volk und das Volk vor sich selbst. Denn beim Volk, das ist eine paradoxe Wahrheit, ist die Demokratie nicht gut aufgehoben. Volkes Stimme und Fortschritt - das geht nicht gut zusammen. Die Schweizer wollten keine Minarette, die Hamburger keine Gemeinschaftsschulen und die Niederländer jetzt keinen Vertrag mit der Ukraine. Vernünftig war das alles nicht - und fortschrittlich erst recht nicht..."

Was ist an der Entscheidung der Schweizer unvernünftig oder undemokratisch gewesen? Läge es nicht zuerst einmal näher, sich zu fragen, was die Bürger damals dazu bewogen hat, den Neubau von Minaretten zu verbieten, statt die Entscheidung für unvernünftig zu erklären? Dasselbe gilt für die Entscheidungen in Hamburg und den Niederlanden.

Wenn Augstein auf Erkenntnisse der Wahlforscher verweist, dass bestimmte Milieus ihre Rechte, hier: das Wahlrecht, stärker wahrnehmen als andere, dann wäre ebenfalls zu fragen, ob die Bürger dafür nicht selbst gerade zu stehen haben, wenn sie ihre Rechte nicht wahrnehmen? Er scheint einen politischen Paternalismus vorzuziehen, der weiß, was für die Bürger gut ist. Das Wahlrecht ist zum Glück nicht mit einer Wahlpflicht verbunden und dennoch entlässt es die Mehrheit nicht aus der Verantwortung, auch die Interessen der Minderheit zu beachten.

Zum Schluss schreibt er noch:

"Das ist auch eine Erklärung dafür, wie es sein kann, dass seit zwanzig Jahren in den westlichen Staaten die soziale Ungleichheit trotz freier Wahlen immer weiter zunimmt. Offenbar ist die Demokratie kein geeignetes Instrument, um für Gerechtigkeit zu sorgen. Die Welt hat ihren Siegeszug gesehen. Aber das Wort Demokratie bedeutet nichts mehr."

Wie schnell dann doch die Bereitschaft sich zeigt, die Demokratie auch abzuräumen, wenn sie Entscheidungen zustande bringt, die einer für ungerecht hält.

Sascha Liebermann

Siehe auch folgende Kommentare zu Augsteins Beitrag:
Kommentar von Mehr Demokratie e.V.
Kommentare auf den Nachdenkseiten
Kommentar von Susanne Wiest 

17. März 2016

"Apropos Reifeprüfung"...

...ein Beitrag vn Martin Senti in der Neuen Zürcher Zeitung über die Mündigkeit des Volkes, der folgendermaßen schließt:

"Es ist also die Direktdemokratie als Verfahren, welche die Politik legitimiert, und nicht das sachpolitisch tatsächlich Erreichte. Damit wird auch jede situativ bewertete «Mündigkeit» der Stimmbürger obsolet - das bleibt Geschmacksache. Wenn schon pädagogisiert werden muss, dann passt «Reife» am ehesten auf das System der Konkordanz selber, das auch verhaltensauffällige Parteien wie die SVP auszuhalten versteht."

Siehe auch "Niemand sagt, Direktdemokratie sei das Allheilmittel"

10. März 2016

Volksabstimmung in der Schweiz - Veranstaltungen in Deutschland

Die Volksabstimmung in der Schweiz am 5. Juni über die Volksinitiative "Für ein bedingungsloses Grundeinkommen" ist ein guter Anlass, um auch in Deutschland darüber zu sprechen, wie BGE und direkte Demokratie miteinander zusammenhängen könnten. Es kann beides ohne einander geben und dennoch gibt es eine Verwandtschaft zwischen BGE und direkter Demokratie.

Veranstaltungen am Tag der Volksabstimmung:
  • Alfter, Alanus Hochschule, 14-19 Uhr: "Die Schweiz stimmt ab - Bedingungsloses Grundeinkommen und direkte Demokratie" (Kontakt: andreas.zaeh@alanus.edu, weitere Informationen folgen) (Kurztext zum Thema)
Die Hinweise werden laufen aktualisiert.