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9. Dezember 2020

"Im Lichte der Corona-Krise gewinne ich Sympathie für ein Grundeinkommen" - dass es einer solchen Krise bedarf,...

...um die Möglichkeiten eines Bedingungslosen Grundeinkommens sympathisch finden zu können, zeigt womöglich am deutlichsten, wie schwer es ist, sich vom Erwerbsgebot mit all seinen Folgen zu verabschieden. Jedenfalls steht Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung nun der Idee aufgeschlossen gegenüber, ohne eine gewissen Skepsis aufzugeben. Aufhänger für seine Ausführungen ist das neue Buch von Papst Franziskus:

"Der Papst fordert ein bedingungsloses Grundeinkommen! Das ist, wie man so sagt, ein Hammer, das könnte auch die Debatte darüber in Deutschland befruchten. Schwierig wird es, wenn man die Details des bedingungslosen Grundeinkommens zu formulieren versucht, wenn's also konkret wird - sie verlangen nach einer ad-hoc-Umstellung des ganzen Steuersystems. Zu schwierig? Eine starke Idee ist es trotzdem."

Wie eine solche Umverteilung am bestehenden System andocken könnte, wird ja schon viele Jahre diskutiert. Ein wichtiger Ansatzpunkt ist die Umdefinition des Grundfreibetrags in der Einkommenssteuer von einem Besteuerungsvorbehalt in eine Ausschüttungsbetrag im Allgemeinen.

Papst Franziskus, auf den sich Prantl in der Folge bezieht, bemüht offenbar viele Argumente, die in der Debatte allzu bekannt sind:

"'Das Grundeinkommen könnte die Beziehungen auf dem Arbeitsmarkt umgestalten und den Menschen die Würde garantieren, Beschäftigungsbedingungen ablehnen zu können, die sie in Armut gefangen halten würden.' Das Grundeinkommen würde 'den Menschen die benötigte grundlegende Sicherheit geben, das Stigma des Wohlfahrtsstaates beseitigen und den Wechsel zwischen Arbeitsplätzen erleichtern, wie es technologiegetriebene Arbeitsweisen zunehmend erfordern'. Und das Grundeinkommen 'könnte dazu beitragen, dass die Menschen dazu frei werden, das Verdienen des Lebensunterhaltes und den Einsatz für die Gemeinschaft zu verbinden'".

Prantl schreibt dann:

"Corona bringt neue Argumente in die Grundeinkommensdebatte auch in Deutschland, weil Corona so vielen Menschen - zumal im Bereich der Kultur - die Arbeits- und Lebensgrundlage entzogen hat. Der Charme der Utopie vom bedingungslosen Grundeinkommen liegt in seinem Menschenbild. Seine Befürworter rechnen weniger mit der Faulheit des Menschen als mit der Freude eines Jeden daran, zu arbeiten, sinnvolle Dinge zu tun, kreativ zu sein und sich nützlich zu machen für die Allgemeinheit."

Neue Argumente? Die kann ich eher nicht erkennen, es sind Argumente, die seit langem angeführt werden und sie sind noch älter, wenn man etwas tiefer schürft. Die nicht selten veralberte Menschenbildfrage (siehe auch hier) ist eben eine grundlegende Frage, die aber gar nicht abstrakt oder theoretisch daherkommt. Ein Blick in die freiheitlich-demokratische Grundordnung Deutschlands kann einen darüber aufklären, dass dort genau das Menschenbild formuliert ist, das ein BGE in Anspruch nimmt (siehe hier). Dennoch wird einem immer wieder entgegengehalten, der Mensch sei nicht so, dabei sind die Bürger heute genauso, dass die Demokratie durch sie getragen wird. Manche sagen, das sei eine philosophische Betrachtung, dabei ist sie ganz praktisch. In Prantls Beitrag spielt das gar keine Rolle.

Prantl schreibt dann:

"Im Lichte der Corona-Krise gewinne ich Sympathie für ein Grundeinkommen: Es wäre eine schnelle und substanzielle Hilfe für diejenigen, die unter der Krise am meisten leiden - zumal eine Hilfe denen, die in den Bereichen von Kunst und Kultur arbeiten und in der Corona-Zeit praktisch keine Arbeitsmöglichkeiten haben."

Das ist nur die reaktive Seite, der Ausgleich dafür, nicht erwerbstätig sein zu können.

"Ihnen ist mit einem bedingungslosen Grundeinkommen ganz unbürokratisch geholfen, viel besser als mit den vielen Förderprogrammen, die jetzt aufgelegt werden. In der Vision eines bedingungslosen Grundeinkommens für jedermann ist die Überzeugung enthalten, dass der Mensch sich seine Existenz nicht verdienen muss. Er hat ein Recht auf das Lebensnotwendige: Einfach weil er Mensch ist und weil er was zu essen braucht - und nicht, weil er arbeitet oder zumindest seine Bereitschaft zu arbeiten unter Beweis stellt."

Ja, das ist eine vielleicht katholische Formulierung dafür, worum es geht. Der Gedanke ließe sich konkreter ausdrücken, wenn er Bezug auf die Lebensverhältnisse nähme, hier wieder entscheidend: die Demokratie, die Stellung der Bürger in ihr und ihr Verständnis von Souveränität und Selbstbestimmung. Deswegen bliebe eine globale BGE-Diskussion auch immer recht abstrakt, weil sie die konkreten Lebensverhältnisse nicht einbezöge, wir können diese Debatte hingegen ganz konkret führen, dann aber nicht global.

Siehe unseren früheren Beiträge zu Heribert Prantls Gedanken zum deutschen Sozialstaat hier.

Sascha Liebermann

21. September 2020

3. September 2020

13. August 2020

"Bedingt bedingungslos – widersprüchliche Sozialstaats­präferenzen" - wo liegt der Widerspruch?

Ein aufrüttelnder Kurzbericht des Institut der deutschen Wirtschaft (IW) schien vor einigen Wochen Entscheidendes entdeckt zu haben. Matthias Diermeier und Judith Niehues stellten fest, dass Grundeinkommensbefürworter "keineswegs Gegner von Eintrittsbeschränkungen in den Sozialstaat" seien. Auch Lea Hampel berichtete über diese bestürzenden Befunde in der Süddeutschen Zeitung, der  Frankfurter Allgemeine Zeitung war dies ebenfalls unter dem Titel "Kein Geld für Zuwanderer" eine Meldung wert. 

Zu Beginn des Kurzberichts wird zwar auf die in Umfragen zum Ausdruck kommende Sympathie für ein BGE verwiesen, zugleich aber eingeräumt, dass dies nicht "unmittelbar" mit einer "Reformbereitschaft" gleichgesetzt werden könne (siehe unsere Beiträge zu dieser Frage hier). Dann geht es um die entscheidenden Punkte, die ich hier kommentiere, ohne die Fragen des Surveys, auf den Bezug genommen wird, zu kennen. Wie gefragt wurde, welche Definition von Grundeinkommen genutzt wurde, spielt für die Ergebnisse eine erhebliche Rolle:

"Denn zwei Drittel der Befürworter eines Grundeinkommens plädieren an anderer Stelle in der gleichen Befragung für substanzielle Bedingungen, bevor Zuwanderern die gleichen Rechte auf Sozialleistungen zugestanden werden wie eingesessenen Bürgern"

Wo ist der Widerspruch? Zuerst einmal muss der Status einer Person, die nicht ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland hat oder hatte, geklärt werden, um darüber zu befinden, welche Leistungen sie in Anspruch nehmen können soll. Das ist wichtig, weil sonst jeder Tourist Ansprüche anmelden könnte. Daraus ergibt sich ein Mindestkriterium, z. B. die Aufenthaltszeit oder die Bestimmung des Lebensmittelpunktes. Angesichts der Komplexität der Frage, um die es geht und von der Warte aus betrachtet, dass hier über ein neues System der Absicherung nachgedacht werden soll, sind das wichtige Aspekte. Insofern wäre es nicht verwunderlich, dass die Folgen möglicher Status-Voraussetzungen den Befragten nicht ohne weiteres klar gewesen ist. Abgesehen davon sind auch BGE-Befürworter nicht frei von Vorurteilen - wen könnte das nun überraschen?

Dann heißt es:

"Besonders widersprüchlich erscheint, dass im Durchschnitt der 20 europäischen Länder 42,4 Prozent der Grundeinkommens-Befürworter Zuwanderern erst die gleichen Ansprüche auf Sozialleistungen zugestehen wollen, 'nachdem sie mindestens ein Jahr gearbeitet und Steuern bezahlt haben'.

Zuerst einmal sei hier angemerkt, dass Länder miteinander verglichen werden, in denen es teils nicht einmal  eine Leistung gibt, die "Hartz IV" entspricht, in denen der Vorschlag eines BGE also denkbar weit entfernt zu sein scheint von der Realität. Man wüsste schon gerne, was genau gefragt und von welchem Hintergrundwissen ausgegangen wurde. 

Die Einschätzung der Befragten entspricht dem oben genannten praktischen Problem, dass nämlich bestimmt werden muss, ab wann der Aufenthaltsort als Lebensmittelpunkt zu verstehen ist. Ein Jahr ist dafür nicht viel. Wenn in dieser Zeit noch kein Anspruch auf ein BGE gelten soll, wird es ohne Erwerbstätigkeit nicht gehen. [update 13.08., 15.40: Hier darf der Verweis auf bedarfsgeprüfte Leistungen nicht fehlen, die es auch ohne BGE-Anspruch geben sollte. Diejenigen, deren Status also noch unklar ist, sollten Anspruch auf bedarfsgeprüfte Leistungen haben, um das Existenzminimum abzusichern, SL]. Der Verweis auf "Steuern" ist z. B. missverständlich, denn jeder Nicht-Erwerbstätige bezahlt mindestens Mehrwertsteuer, sofern sie in dem betreffenden Land erhoben wird.

Daraus schließen die Autoren:

"Die Präferenz erscheint paradox, da die Unabhängigkeit von der Erwerbsbiografie ein wesentliches Kriterium im Rahmen der Grundeinkommens-Debatte darstellt."

Paradox erscheint es nur, wenn davon ausgegangen wird, dass für BGE-Bezieher der Status keine Rolle spielen sollte. Das wäre aber so, als würde heute jeder Tourist Sozialleistungen erhalten. Wenn das aber nicht gewünscht ist, muss er zuvor z. B. eine Mindestaufenthaltsdauer nachweisen können, seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland haben und bis das der Fall ist, erwerbstätig sein, um sein Auskommen zu haben. Es mag sein, sofern die standardisierte Befragung das hergibt, dass auch BGE-Befürworter über manchen Aspekt sich nicht im klaren sind. Deswegen bedarf es der Aufklärung. Unter denjenigen, die sich damit intensiver befassen, ist klar, dass der Status geklärt werden muss - ganz wie heute auch.

In dem Kurzbericht werden Länder erwähnt, die eine bezüglich ihre Demokratisierung ziemlich junge Geschichte haben. Es wäre also von daher gar nicht überraschend, wenn es zu einer Diskrepanz zwischen den Sympathien für ein BGE und einer restriktiven Haltung zu den Bezugsvoraussetzungen gibt. Mit der Bedingtheit der Bedingungslosigkeit habe ich mich vor längerer Zeit schon einmal befasst, siehe hier.

Sascha Liebermann

12. August 2020

"...dann ist ein bedingungsloses Grundeinkommen keine Lösung"...

...sofern die Diagnose von Esther Duflo und Abhijit Banerjee richtig liegt, wie sie in einer Rezension ihres neuen Buches "Gute Ökonomie für harte Zeiten" in der Süddeutschen Zeitung dargestellt wird.

Hier die ganze Passage:

"Für das oft gehörte Argument, ein bedingungsloses Grundeinkommen verleite zum Nichtstun, sehen die Ökonomen keine Belege. Dennoch äußern sie im Fall reicher Länder eine gewisse Skepsis: 'Wenn wir mit der Annahme richtig liegen, dass die wahre Krise in den reichen Ländern darin besteht, dass viele Bürger, die sich früher als Teil der Mittelschicht betrachteten, ihr Selbstwertgefühl verloren haben, das sie früher aus ihrer Arbeit bezogen, dann ist ein bedingungsloses Grundeinkommen keine Lösung.' Für arme Länder befürworten sie ein "rudimentäres Grundeinkommen", das auch für die dringend benötigte Geldzirkulation sorgen würde."

Wie aber gelangen die beiden Autoren zu dieser Diagnose? Dass unter Bedingungen des normativen Vorrangs von Erwerbstätigkeit, zu der einen Beitrag zu leisten als höchster Beitrag zum Gemeinwohl betrachtet wird, der Verlust einer Erwerbsstelle gravierende Folgen hat, ist unbestritten. Wären dann aber die Folgen dieses Verlustes nur dadurch abzuwenden, wieder in Erwerbstätigkeit zu gelangen, hier also für die betreffende Mittelschicht dafür zu sorgen, dass sie wieder zu Arbeitsplätzen gelangen kann, auch wenn diese nicht gebraucht würden? Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob das Selbstwertgefühl als ganze Person tatsächlich von Erwerbstätigkeit abhängt bzw. diese dafür entscheidend ist. Liegt hier womöglich eine folgenreiche Annahme vor, die gerade zu prüfen wäre?

Weshalb ist der Verlust der Erwerbsstelle so bedeutend heutzutage? Das hat zweierlei Gründe, 1) weil es ein Erwerbsgebot gibt; erwerbstätig zu sein wird vom Gemeinwesen besonders anerkannt und ist Grundlage bzw. Zweck von sozialstaatlichen Sicherungsleistungen. Wer also seine Erwerbsstelle verliert, folgt dieser Norm nicht, erwerbstätig sein zu sollen. 2) Mit dem Verlust der Erwerbsstelle verliert man die Einkommensstelle, die gemeinschaftlich als herausragende anerkannt ist. Der Einkommensverlust ist praktisch wirksam und zugleich ein Anerkennungsverlust. Aus beiden Aspekten resultiert die strukturelle Stigmatisierung derer, die nicht erwerbstätig sind sowie die Degradierung nicht-erwerbsförmiger Tätigkeiten. Allerdings ist die Anerkennung in Erwerbstätigkeit immer einer bezogen auf die Aufgabe, die als Mitarbeiter zu bewältigen ist. Die Person als solche wird also gar nicht um ihrer selbst willen anerkannt, sondern nur als Aufgabenbewältiger. Deswegen wird ihre Bedeutung für eine Organisation auch nur daran gemessen, ihr Wert ist immer abhängig davon, ob sie nun ihre Aufgaben erfolgreich wahrnimmt oder nicht. Dass nun dennoch es als Degradierungserfahrung für die ganze Person wahrgenommen wird, wenn die Erwerbsstelle verloren geht, hängt nur an der normativen Aufladung von Erwerbstätigkeit, nicht an der Eigenlogik von Erwerbstätigkeit selbst. Deswegen habe ich schon öfter von einem Widerspruch zwischen Sozialstaat und Demokratie (siehe auch hier) gesprochen, so wie beide heute ausgestaltet sind, denn in der Demokratie gilt der Bürger um seiner selbst und um des Gemeinwesens selbst. Sein Status ist überhaupt nicht von Erwerbstätigkeit abhängig, es gibt im Grundgesetz entsprechend auch keine "Erwerbsobliegenheit". 

Insofern geht Duflos und Banerjees Diagnose an den tatsächlichen Zusammenhängen vorbei und hält nur die Verwirrung zweier Formen von Anerkennung aufrecht: die eine der Person um ihrer selbst willen, die andere der Person um der Erledigung ihrer Aufgabe willen.

Sascha Liebermann

8. Mai 2020

30. April 2020

17. April 2020

"Hilfe für die Kultur: Frust, Wut und Fassungslosigkeit" - und wieder einmal: wie wirkungsvoll und einfach ein BGE wäre...

...ein Beitrag von Till Briegleb in der Süddeutschen Zeitung. Der Autor verweist darauf, wie viele Betroffene durch die Maschen des ohnehin löchrigen Netzes der Soforthilfen fallen. Auch sei es eine Mär, dass nun alles im Jobcenter mit der Beantragung der Grundsicherung erheblich einfacher verlaufe, denn es werden stets Bedarfsgemeinschaften geprüft. Vom Kurzarbeitergeld profitieren nur Angestellte. Wenn auch mittlerweile ein Umdenken stattgefunden hat und zu einfacheren Hilfen führte, stellt sich, so Briegleb, die Frage, ob ein Sozialstaat nicht unkomplizierter und direkter helfen kann. Diese Frage bleibt auch für die Zeit, wenn die gegenwärtige Krise einst überstanden sein wird.

Nur indirekt werden auch diejenigen im Beitrag erwähnt, die nur Arbeitslosengeld II geltend machen können, andere, die sich um den Haushalt mit all seinen Aufgaben kümmern, tauchen nicht auf. Deutlich macht der Beitrag wieder einmal, wie einfach ein BGE helfen würde, auf das gegen Ende auch hingewiesen wird.

Siehe hierzu "Woran bemisst sich, ob ein Sozialstaat sein Ziel erreicht?"

Sascha Liebermann


8. April 2020

2. April 2020

19. Februar 2020

14. Februar 2020

..."daß es für die kleine Minderheit, die Mitwirkungspflichten verletzt, weiterhin Sanktionen geben muss"...

...diese Ausführungen finden sich in einer Stellungnahme auf der Website des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau des Landes Baden-Württemberg, die taz berichtete über dieselbe Haltung in Nordrhein-Westfalen, über die kürzlich schon die Süddeutschen Zeitung berichtet hatte. Auf der Seite des Ministeriums heißt es dazu:

„Die Leistungsberechtigten arbeiten in der ganz überwiegenden Zahl gut mit den Jobcentern zusammen. Wir sind uns aber einig, dass es für die kleine Minderheit, die Mitwirkungspflichten verletzt, weiterhin Sanktionen geben muss. Das Prinzip des ‚Förderns und Forderns‘ hat sich bewährt“, so die Ministerinnen und Minister. „Wenn die Verletzung von Mitwirkungspflichten keine Folgen hat, läuft das System leer. Der Gesetzgeber muss auch verhindern, dass wiederholt existenzsichernde und zumutbare Arbeit verweigert werden kann. Im Extremfall muss dann auch ein vollständiger Leistungsentzug möglich sein, den auch das Bundesverfassungsgericht in solchen Fällen für zulässig hält.“

Worauf diese Stellungnahme (siehe auch das entsprechende  "Forderungspapier") hinweist, ist die konsistente Logik eines auf der Erwerbsnorm beruhenden Sozialstaates, der eine dauerhafte Alimentierung ohne Gegenleistung nicht vorsieht. Insofern wird hier etwas deutlich zum Ausdruck gebracht, wogegen diejenigen zwar angehen wollen, die eine Abschaffung von Sanktionen anstreben, am Erwerbsgebot aber festhalten - das ist ein Widerspruch in sich, der sich wiederum auch im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom vergangenen November findet. Solange das Erwerbsgebot im Zentrum des Sozialstaats steht, solange wird es Sanktionen geben. Wer das nicht will, muss ein Bedingungsloses Grundeinkommen einführen.

Sascha Liebermann

20. Dezember 2019

"Das Kind muss weg" - gemeinsame Erfahrungen in der Familie lassen sich nicht organisieren...

...ein Beitrag von Delna Antia-Tatic im Magazin jetzt der Süddeutschen Zeitung übernommen aus dasbiber.at.

Kürzlich kam ich anlässlich eines Vortrags über Nachhaltigkeit auf die Frage zu sprechen, wie denn eine entsprechende Familienpolitik aussehen könnte, die diesem Anspruch genüge. Als ich darauf hinwies, dass sozialpolitisch gegenwärtig alle Entscheidungen in die Richtung weisen, weniger Zeit für Familie haben zu sollen und man sich fragen müsse, wie viel Familienleben möglich sei, wenn es wenig Zeit für gemeinsame Erfahrungen gebe, stimmte der Moderator ein Lob auf die Kita ab dem ersten Lebensjahr an. Doch woran lässt sich erkennen, wann Kinder von ihrer Entwicklung her auch bereit sind, dorthin zu gehen? Nur wenn sie die Möglichkeit haben, das selbst zu artikulieren - das ist tatsächlich im Alter zwischen drei und viereinhalb Jahren der Fall. Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang immer wieder, dass Eltern nicht wahrhaben wollen, wie sehr sich Kinder an Entscheidungen anpassen, die ihre Eltern für sie treffen, ohne dass sie selbst die Eltern entbehren wollen. Es wurde in der Diskussion wieder deutlich, wie ein Bedingungsloses Grundeinkommen den Rahmen schafft, dass Eltern freier als heute darüber entscheiden können, wie sie mit der Herausforderung Elternschaft umgehen wollen, ohne dass das Erwerbsgebot "ruft".

Siehe unsere früheren Beiträge zu Familie hier und hier.

Sascha Liebermann


29. November 2019

"Die Angst vor Sanktionen ist prägend für das Leben von Betroffenen" - Bettina Kenter-Götte im Interview


Siehe frühere Beiträge von uns zu Bettina Kenter-Götte und ihre Erfahrungen hier.

26. November 2019

Wer will, findet Wege - um doch weiter über 30% zu sanktionieren...


Siehe unsere Beiträge dazu hier und hier.

14. November 2019

Nochmal Glück gehabt, Sanktionen können fortbestehen...

...so ließe sich ein Beitrag von Henrike Roßbach in der Süddeutschen Zeitung verstehen, die - wie manch andere - offenbar erleichtert ist, dass Sanktionen doch noch verfassungsgemäß sind. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil allerdings von einer Kann- und nicht von einer Soll-Bestimmung gesprochen. Der Gesetzgeber "kann" solche Instrumente einsetzen, muss aber nicht. Manche Passage in der Urteilsbegründung ließe sich auch gegen diese "Kann"-Bestimmung auslegen:

"Art. 1 Abs. 1 GG schützt die Würde des Menschen, wie er sich in seiner Individualität selbst begreift und seiner selbst bewusst ist (BVerfGE 49, 286 <298>). Das schließt Mitwirkungspflichten aus, die auf eine staatliche Bevormundung oder Versuche der „Besserung“ gerichtet sind (vgl. BVerfGE 128, 282 <308>; zur histori- schen Entwicklung oben Rn. 5, 7)." (Urteil, Randnummer 127)

Zur Bedeutung des Mündigkeitsprinzips siehe unsere früheren Beiträge hier.

An einer Stelle im Beitrag von Frau Roßbach, die mit "Das bedingungslose Grundeinkommen ist eine Bankrotterklärung" überschrieben ist, heißt es:

"Denn in unserer Gesellschaft hat Arbeit einen hohen Stellenwert. Arbeit bedeutet, es für sich und seine Familie selbst zu schaffen, Neues lernen zu können, Menschen um sich haben. Wer Arbeit hat, der hat etwas, über das er sich am Abendbrottisch herrlich empören und genauso herrliche Heldengeschichten erzählen kann. Manche mögen es grundfalsch finden, der schnöden Arbeit derart viel Raum zu überlassen in einer Gesellschaft. Die meisten Menschen aber sehen das anders. Die vornehmste Rolle der Politik ist deshalb nicht die des barmherzigen Versorgers, sondern die des entschlossenen Möglichmachers. Der enorme Rückgang der Arbeitslosigkeit in den vergangenen Jahren zeigt, dass dies mit den Hartz-Reformen - wenn auch nicht alleine mit ihnen - durchaus in Teilen gelungen ist."

Zu Beginn des Abschnitts werden zwei Aspekte miteinander vermischt, etwas zu schaffen im Sinne eines Gelingens auf der einen, finanzielle Unabhängigkeit auf der anderen Seite. Roßbach reduziert das Gelingen auf Einkommenserzielung. Gelingen im Beruf ist eine Frage danach, ob Aufgaben sachgemäß bewältigt werden - ganz gleich, worum es geht. Gelingen kann es aber genauso außerhalb von Erwerbstätigkeit geben - auch Neues zu lernen ist nicht von ihr abhängig, das ist überall möglich, allerdings unter heutigen Bedingungen ziemlich eingeschränkt. Man muss es sich leisten können, sich nicht um Einkommen kümmern zu müssen. Es ist nicht die Frage, ob "manche" es "grundfalsch" finden, Erwerbstätigkeit solche Bedeutung zu verleihen, die Überbewertung geht am realen Leben vorbei. Sie nimmt in Kauf, unbezahlte Arbeit in ihrer heutigen Degradierung einfach hinzunehmen und die von Erwerbsabhängigkeit unabhängige Stellung der Bürger als Bürger den Erwerbstätigen unterzuordnen. Die Gegenüberstellung von "Versorger" und "Möglichmacher" - die gar keinen Gegensatz bilden, es sei denn für marktliberales Denken - zeigt lediglich, dass Roßbach alles der Erzielung von Einkommen durch Erwerbstätigkeit nachordnet. Mit Autonomie hat das wenig zu tun, mit einer Vorstellung von Autarkie schon, so als versorgten wir uns selbst, wo wir doch stets in umfassender Abhängigkeit von anderen leben, sowohl im politischen Sinne als auch im Sinne der Leistungsentstehung und des -verbrauchs.

Siehe einen früheren Kommentar dazu hier.

Sascha Liebermann

24. September 2019

"Die Altersarmut kommt" - und immer dieselben Empfehlungen...

...um dieser Entwicklung zu begegnen, das ist der Fall in Alexander Hagelükens Beitrag in der Süddeutschen Zeitung (siehe auch den Kommentar dazu auf den Nachdenkseiten). Als Gegenmaßnahme wird zu Beginn der Vorschlag einer Grundrente zitiert, der allerdings nur Personen mit 35 Beitragsjahren zustehen soll, also nur wenige erreicht. Die anderen hätten das nachsehen. Hagelüken kommt auch auf "verdeckte Armut" zu sprechen, in der auch das Phänomen nicht in Anspruch genommener Leistungen zum Ausdruck kommt, weil Betroffene der Stigmatisierung ausweichen. Und dann? Zum Schluss dann die üblichen Empfehlungen:

"Andere Industrieländer haben längst eine Grundrente. Deutschland braucht sie auch. Noch besser als die nachträgliche Reparatur von Altersarmut wäre allerdings, vorzubeugen. Mehr Qualifikation, stärkere Gewerkschaften und mehr Berufschancen für Mütter bewirken, dass Altersarmut erst gar nicht entsteht."

Als sei mehr Qualifikation die Garantie für Einkommen - als gäbe es nicht Hochqualifizierte im Niedriglohnsektor, als gäbe es nicht Akademiker, die wahlweise über- oder unterqualifiziert sind, als gäbe es keine Altersdiskriminierung am Arbeitsmarkt. Darüber hinaus und ganz abgesehen von der Erwerbszentrierung: Weshalb sollte die Perspektive für Eltern nicht sein, ihnen maximal Möglichkeiten zu verschaffen, die sie frei von Vereinnahmungen darüber entscheiden lassen, wie sie sich der Aufgabe Elternschaft stellen wollen? Dazu taugen Hagelükens Empfehlungen nicht, überhaupt fallen die Haushaltstätigkeiten unter den Tisch. Wie üblich, könnte man sagen, es gibt eben Leistung und Leistung, die eine zählt etwas, für die andere gibt es warme Worte.

Sascha Liebermann

8. Juli 2019

"Deutschland, Du armes Land der Reichen"...

...die Beobachtungen und Erfahrungen, die Karl-Markus Gauß in seinem Beitrag in der Süddeutschen Zeitung schildert, lassen sich - auch wenn er sich nur auf Bahnfahrten stützt - auf anderes ebenso übertragen. Er schließt mit diesen Worten:

"Ich bin wahrlich nicht der Erste, der das sagt, aber habe es erst jetzt als staunender Besucher aus der Nachbarschaft in all seiner Drastik wahrgenommen: Dass es nämlich nicht nur Menschen gibt, die über ihre Verhältnisse leben, sondern auch Staaten, die unter ihren Verhältnissen wirtschaften. Der deutsche Verkehrsminister und der Vorsitzende der Bahn haben angekündigt, dass diese bis 2030 die Zahl der beförderten Fahrgäste verdoppeln werde. Nach Lage der Dinge ist das eine gefährliche Drohung."

So ist es. Wenn auch gerne genörgelt wird, nicht selten über die Maßen, folgt daraus praktisch doch nichts, wenn es nicht zu beharrlichem Protest und der Einforderung von Veränderungen führt. Nörgeln ist das Gegenteil von Verändern, es hält einen eher sogar davon ab.

Sascha Liebermann

3. Juli 2019

"Automatisierung könnte 560 000 Jobs schaffen" oder was wäre, wenn radikaler automatisiert würde?

Diese Frage stellt sich anlässlich eines Beitrages von Alexander Hagelüken in der Süddeutschen Zeitung, denn er stellt sie nicht. Sein Beitrag beruft sich auf Daten einer Befragung von Unternehmen, in der nicht nur zukünftige Entwicklungen Gegenstand waren (bis 2021), sondern auch vergangene (ab 2016). Aus dem Beitrag:

"Die unveröffentlichte Untersuchung setzt sich ausführlich mit den vielen negativen Prognosen auseinander. Forscher wie Jeremy Bowles, Mika Pajarinen sowie Michael Osborne und Carl B. Frey beziffern in unterschiedlichen Studien 40 bis 60 Prozent der europäischen und amerikanischen Arbeitsplätze als automatisierbar. Das bedeutet aber nicht, dass unterm Strich ebenso viele Menschen arbeitslos werden, argumentiert das ZEW. Zum einen ermitteln andere Forscher etwa für Deutschland nur ein Automatisierungsrisiko von zwölf bis 15 Prozent. Zum anderen ersetzen Betriebe aus verschiedenen Gründen nicht alle Mitarbeiter, bei denen es technisch möglich wäre."

Handelt es sich um Vollzeit- oder um Teilzeitstellen? Worauf stützen sich die Auskünfte, wenn es sich um eine Befragung handelt? Gab es verlässliche, überprüfbare Angaben? Das müsste man wissen, um die Schlussfolgerungen einschätzen zu können. Was daraus allerdings in keiner Weise hervorgeht, ist, ob denn Automatisierungsmöglichkeiten offensiv und radikal oder eher defensiv genutzt werden. Wird, was automatisierbar ist, auch automatisiert? Könnten womöglich noch mehr Stellen substituiert werden?

Wie komme ich darauf, dass dies der Fall sein könnte? Ganz einfach, Entscheidungen werden nie im luftleeren Raum getroffen, sie beruhen auf Überzeugungen und normativen Deutungen von Handlungsmöglichkeiten. Wenn, wie z. B. in der deutschen Diskussion, Arbeitsplätze einen solch hohen Stellenwert besitzen, dass sie schon beinahe als schützenswertes Gut erscheinen ("Beschäftigung sichern"), werden die Folgen möglicher offensiver Automatisierung als nicht ohne weiteres erwünscht betrachtet. Von einer Wertbindung in diesen Fragen sind auch die Führungsebenen von Unternehmen nicht frei (siehe hier und hier). Es wäre also denkbar, dass Automatisierungsmöglichkeiten eher defensiv genutzt werden. Aus Befragungen wird das kaum in Erfahrung zu bringen sein, weil es den Akteuren meist nicht bewusst ist (siehe hier), wie stark ihre Entscheidungen normativ geleitet sind.

Hagelüken schreibt weiter:

"Ob die neue Technik dann Jobs vernichtet, hängt vor allem von zwei Fragen ab: Schafft die Digitalisierung zusätzliche Tätigkeiten und Umsatz für die Firmen? Dafür gibt es Anzeichen. Steigert sie die Produktivität, sodass Preise sinken und Kunden Geld für anderes übrig haben? Das ist ungeklärt, am prominentesten bezweifeln es US-Ökonomen wie Daron Acemoğlu und Robert Gordon. Ulrich Zierahn bleibt optimistisch: "Die prognostizierte Massenarbeitslosigkeit aufgrund des technologischen Wandels ist unwahrscheinlich"."

Ja, unwahrscheinlich, das mag sie sein, darauf lassen sich allerdings keine Entscheidungen gründen, die heute zu treffen wären. Folgende Grafik über die Entwicklung des Arbeitsvolumens insgesamt und der Arbeitszeit je Erwerbstätigen lässt erkennen, dass letztere abgenommen, erstere zugenommen hat, sie erreicht wieder das Niveau von 1991(!).




Teilzeiterwerbsverhältnisse haben relativ an Bedeutung gewonnnen, was wiederum - je länger, desto mehr - Folgen für Ansprüche an Arbeitslosen- wie Rentenversicherung hat.

Zur Arbeitsmarktstatistik und atypischer Beschäftigung siehe auch diesen Beitrag von Stefan Sell.

Was hat das alles mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen zu tun? Obwohl es von der Arbeitsmarktsituation ganz unabhängig ist, könnte die Konstellation weitere Argumente für ein BGE liefern, denn die Vorrangstellung von "Beschäftigung" führt zu einer Zurücksetzung von Leistung und greift damit das Fundament des heutigen Wohlstandes an. Wir wissen nicht, welchen Leistung gar nicht erst entsteht oder im Entstehen gehemmt wird ("Opportunitätskosten"), da sie nicht in Erscheinung tritt. Das gilt eben auch für Automatisierung, wir können nicht genau sagen, wie defensiv oder offensiv automatisiert wird, doch gibt es Anzeichen für ersteres. Das könnte ein BGE beheben, weil es zu einer normativen Umwertung führte, Beschäftigung nicht mehr über Leistung stünde.

Sascha Liebermann

11. Juni 2019

"Arbeitslosigkeit und Gesundheit: Immer mehr Hartz-IV-Bezieher sind arbeitsunfähig" - zwei gegenläufige Schlussfolgerungen...

...lässt diese Meldung von O-Ton-Arbeitsmarkt zu. Darin heißt es unter anderem:

"Aus Sicht der Wissenschaft gibt es einen kausalen Zusammenhang zwischen der tatsächlichen Beschäftigungslosigkeit und Gesundheit bzw. Krankheit. So erhöhen nicht nur vorhandene physische und psychische Einschränkungen das Risiko, arbeitslos zu werden. Mehrere Studien deuten auch darauf hin, dass sich Arbeitslosigkeit negativ auf die psychische Gesundheit der Betroffenen auswirkt. Hierauf weist beispielsweise der Fehlzeiten-Report 2018 der Krankenkasse AOK hin."

Daraus wird häufig eines geschlossen und so ist die Sozialgesetzgebung heute gestrickt: Bezieher von Arbeitslosengeld sollten möglichst kurz darin verweilen und bald wieder ein Arbeitsverhältnis aufnehmen, das wirke unliebsamen Folgen, den hier beschriebenen, entgegen. Da lässt sich wohlfeil über das größte "Exklusionsprojekt" schreiben, wie Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung, ohne die Frage zu stellen, wie es denn anders möglich wäre. Was in der Logik des Bestehenden plausibel erscheint - also die Rückkehr in den Arbeitsmarkt -, könnte zurecht als empiristischer Fehlschluss verstanden werden. Es wird aus dem bloßen Sosein der Verhältnisse nicht mehr darauf geblickt, wie sie anders sein könnten und damit zugleich nicht mehr die stigmatisierenden Folgen hätten, die sie heute haben. Um hier weiterzukommen muss nach dem Grund für die Stigmatisierung gefragt werden, er liegt im Erwerbsgebot, der weitgehend unhinterfragten Vorrangigkeit von Erwerbstätigkeit. Wer es ernst meint damit, diese Folgen nicht mehr haben zu wollen, musst den Erwerbsvorrang aufheben. Dafür bleibt nur ein Weg, ein Bedingungsloses Grundeinkommen. Das wollte auch Heribert Prantl bislang nie haben, na denn, dann weiter auf ausgetretenen Pfaden.

Sascha Liebermann