16. Juli 2025

Gefahr droht, aber welche?

15. Juli 2025

Überzogen

10. Juli 2025

Misstrauen in institutionelle Vorgänge säen

Gert Wöllmann lässt sich über das Engagement Thomas Wasilewskis aus und zweifelt die Berechtigung für die Leistungsbezüge an - ohne Kenntnis des Vorgangs, so steht zu vermuten. Damit sät er er Misstrauen in institutionelle Vorgänge der Leistungsbewilligung, als sei die Beantragung ein Zuckerschlecken und werde den Antragsberechtigten alle hinterhergeworfen.

Sascha Liebermann

4. Juli 2025

"Es braucht ein Recht auf Arbeit – für alle"...

...ein revolutionärer Vorschlag, den Anna Mayr in ihrem Beitrag auf Zeit Online ausarbeitet - doch handelt es sich um eine olle Kamelle, einen Vorschlag, der zu den Beständen der Sozialpolitikdiskussion gehört und allenfalls in den letzten Jahren weniger Aufmerksamkeit erhalten hat, zumindest unter dieser Bezeichnung. Als "Job Guarantee" oder Jobgarantie hingegen ist er in den Diskussionen der letzten Jahre ziemlich präsent (siehe unsere Beiträge dazu hier und hier). Wie eine Job Guarantee in der Praxis aussehen kann, lässt sich an diesem Projekt in Marienthal studieren. Guy Standing hat sich vor einiger Zeit ebenfalls zur Jobgarantie geäußert, siehe hier ab Minute 49 (Dank für den Hinweis an Eric Manneschmidt).

Was schlägt nun Frau Mayr vor und weshalb?

Wenn sie schreibt

"Tatsächlich gibt es eine Sache, bei der Union und SPD ideologisch zusammenkommen könnten. Ein neuer Fokus in der Debatte über Arbeitslosigkeit, der wirklich eine Neuerung wäre: das Recht auf Arbeit. Für alle."

dann ist das also alles andere als ein Novum, wenn der Diskurshorizont etwas weiter gedacht wird. Wie eng zugleich der Blick auf die Fragen ist, die mit der Jobgarantie verbunden werden, zeigt sich hier:

"Wissenschaftler, die sich mit Bürgergeldempfängern beschäftigen, betonen immer wieder, dass die meisten dieser Menschen im Grunde gerne arbeiten würden. Das ist kein großes Wunder, denn alleine zu Hause zu sitzen, tagein, tagaus, ist für die meisten von uns ein deprimierendes Szenario."

Interessant ist schon an dieser Bemerkung, dass Erwerbsarbeit, denn nur um sie geht es hier, ausschließlich aus einem Negativszenario, dem Herumsitzen zuhause, entworfen wird. Damit wird zugleich unterstellt, wer nicht erwerbstätig ist, sitze nur zuhause und habe nichts zu tun bzw. nichts, womit er voll und ganz beschäftigt sei. Mayr reproduziert hier, wenn auch in guter Absicht, die Verengungen, die in der Bürgergeld-Debatte den Tenor bilden, aber auch darüber hinaus. Denn die Vorstellung, Erwerbstätigkeit könne etwas Erfüllendes sein, weil an einer Aufgabe gearbeitet wird, im kollegialen Verbund mit anderen, spielt hier keine Rolle. Erwerbstätig zu werden, um nicht zuhause herumzusitzen, ist aber weder hilfreich noch produktiv, weil Tätigsein dadurch auf Zeitvertreib oder Beschäftigungsmaßnahme reduziert wird.

Dass es dieses Gefühl des Deprimiertseins gibt, erfordert zugleich eine Erklärung dafür, woher es rühren kann, wenn man die Erklärung nicht im Herumsitzen zuhause sieht. Dazu muss der Blick lediglich auf die Bedingungen und damit die normative Stellung gerichtet werden, die das Bürgergeld ausmachen. Die Existenzsicherung, die die Grundsicherung für Arbeitsuchende auszeichnet, ist eine Notfallleistung. Stigmatisierung der Leistung durch das Erwerbsgebot zumindest angedeutet werden. Das Bürgergeld ist ja keine Leistung, die man einfach so beziehen und damit tun und lassen kann, was man für richtig erachtet. 

Direkt an diese vorangehende schließt folgende Passage an:

"Arbeit bringt Menschen in Beziehung zu anderen, sie gibt Selbstbewusstsein. Viele, die arbeiten, stellen sich Arbeitslosigkeit als einen ewigen Urlaub vor. Aber Urlaub ist eben gar nicht erholsam, wenn er für immer dauert. Urlaub ist schön, weil er die Ausnahme ist, das Besondere. Oder: Man kann sich nur freuen, nicht zu arbeiten, wenn man eigentlich eine Arbeit hat."

Diese Verklärung von Kollegialität ist ein Problem der Gegenwart. Selbstverständlich steht man in einem Arbeitsverhältnis mit Kollegen in Beziehung, ebenso kann das erfüllend und das eigene Handeln bestärkend sein, aber: ein Kollegialverhältnis abstrahiert von der Person um ihrer selbst willen; Kollegen sind Kollegen bezogen auf einen gemeinsamen Zweck, dem sie dienen: dem Arbeitgeber und seinen Produkten bzw. Dienstleistungen. Es geht nicht um den Einzelnen als solchen. Deswegen kann und wenn nötig muss er auch entlassen werden können, wie auch der Mitarbeiter kündigen können muss. Es handelt sich eben um ein Zweckverhältnis, das nicht in der Beziehung selbst besteht, sondern in der Aufgabe, die erledigt werden muss. Insofern sind Beziehungen wie "Selbstbewusstsein" auch nur bezogen auf diese bestimmte Art der Beziehung relevant - außerhalb ihrer eben im Grunde nicht. Anerkennung der Person um ihrer selbst willen erfährt sie nur, wo sie bzw. ihre Beziehung zu anderen Zweck der Beziehung selbst ist - in der Familie, im Freundeskreis, in der Paarbeziehung.

Wenn sich nun jemand "Arbeitslosigkeit als einen ewigen Urlaub" vorstellt, ist das ein Symptom der Erwerbsidolatrie, als sei das Leben außerhalb nur "Freizeit". Dass in Anna Mayrs Welt die Fürsorge für andere, wie sie für Haushaltstätigkeiten zentral ist, keine Rolle spielt, ist ebenso symptomatisch wie die Verwechslung von Nicht-Erwerbstätigkeit mit Urlaub. Wieder wird nicht thematisiert, weshalb Erwerbslosigkeit so unerfüllend ist, die Stigmatisierung und Degradierung der Person, die ohne Erwerbstätigkeit ist, wird einfach übersehen oder übergangen.

Mayr plädiert für "Richtige Jobs statt sinnlose Maßnahmen", das hat etwas für sich, allerdings fällt auch hier unter den Tisch, dass es Aufgaben jenseits der Erwerbstätigkeit gibt, die keine Erwähnung finden und dennoch volles Engagement erfordern. Heute ist dieses Engagement allerdings stets davon abhängig, ausreichend Einkommen anderweitig zu erzielen oder bereitgestellt zu erhalten, zudem hat Erwerbstätigkeit normativen Vorrang und alles andere wird zur Freizeitbeschäftigung herabgewürdigt.

Hier nun geht es um die von ihr vorgeschlagene Alternative:

"Jeder, der nicht krank ist, sollte eine Stelle angeboten bekommen, die den eigenen Möglichkeiten entspricht. Eine alleinerziehende Mutter kann vielleicht nur zwei Stunden am Tag wohnortnah arbeiten? Besser als nichts! Ein Mann mit chronischen Rückenschmerzen kann nur halbtags einen Bürojob machen? Dann ist es so."

Angebote können hier nur auf Qualifizierung und Fähigkeiten Rücksicht nehmen, was aber, wenn derjenige gar keinen "Job" will, sondern schon genügend Aufgaben hat, die z. B. im Haushalt, bei Angehörigen oder in der Nachbarschaft wahrnehmen will und wenn er dafür keine Entlohnung möchte, gleichwohl aber Einkommen benötigt? Darauf gibt der Vorschlag keine Antwort.

Weshalb ist es für eine alleinerziehende Mutter "[b]esser als nichts", zwei Stunden am Tag "zu arbeiten", wenn sie mit ihren Kindern doch genug zu tun hat? Mayrs Erwerbsfixierung, die Nichtbeachtung der Nicht-Erwerbswelt entspricht den politischen Entscheidungen und öffentlichen Debatten der letzten Jahre. 

Entsprechend kommt es zur folgenden Überlegung, die manches für sich hat, aber in den Verengungen hängenbleibt:

"Den zweiten Arbeitsmarkt auszubauen, also als Staat Löhne für Menschen zu zahlen, die sonst keiner zahlt, ist natürlich teuer. Aber: Die Leute, die man damit in Arbeit bringt und hält, brauchen keine andere teure Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, für die man wiederum einen Maßnahmenträger finanzieren muss. Wenn die Menschen arbeitslos wären, müsste der Staat ebenfalls für sie zahlen. Hinzukommt: Wer wenig verdient, spart nicht, sondern gibt den Lohn aus – und das stärkt die Nachfrage und damit die Wirtschaft."

Dass solche Maßnahmen teuer sind, ist noch nicht kritikwürdig, denn das gilt für jedes staatliche Angebot, die Frage ist vielmehr, worauf das Angebot zielt und ob es denn die Erwartungen erfüllen kann? Frau Mayr nennt beachtenswerte Aspekte, doch was sie erreichen will, könnte besser mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen (das für sie bislang allerdings ein Unding war) erreicht werden, denn: 1) es verengt Arbeit nicht auf Erwerbsarbeit; 2) es erweitert Möglichkeiten, z. B. das fortzuführen, was jemand gegenwärtig tut, wofür er aber kein Einkommen erhält; 3) es erhöht die Chance, dasjenige auszuwählen, was jemand wirklich tun will und für sinnvoll erachtet; 4) Angebote annehmen zu können, auch wenn die Bezahlung niedrig ist u.a. 

Zuguterletzt räumt ein BGE mit der Illusion auf, in einem Erwerbsverhältnis gehe es um soziale Beziehungen um ihrer selbst willen, um soziale Integration oder wie das sonst noch genannt wird. Erwerbsbeziehungen sind zweckgebundene Beziehungen, es geht nicht um die Person, sondern um die Aufgabe, daran wird der Einzelne gemessen und muss auch daran gemessen werden, zu nichts anderem dienen solche Verhältnisse. Alles andere hat seinen Ort im politischen Gemeinwesen, in dem die Angehörigen als Bürger einen Status ohne Vorbehalt innehaben und in Gemeinschaftsformen wie Familie und Freundschaft, in denen es ebenso um sie um ihrer selbst willen geht. Das wäre eine Befreiung von Illusionen der "Arbeitsgesellschaft".

Sascha Liebermann

28. Juni 2025

"Die Bedeutung des Erwerbsarbeitsparadigmas bei jungen Erwachsenen...

 ... Sequenzanalytische Rekonstruktionen von Deutungsmustern zu Erwerbsarbeit in der Generation der 1985 bis 1995 Geborenen". 

Diese von Andreas Zäh verfasste Dissertation, die kürzlich erschienen ist, ist für die gegenwärtige Diskussion um "Fördern und Fordern", schärfere Sanktionen und das Leistungsverständnis im Allgemeinen sehr aufschlussreich, weil sie aufzeigt, wie in der untersuchten Generation das Verständnis von Leistung sich ausgeformt hat. Die Entleerung des Leistungsverständnisses wird in den Analysen eindrücklich herausgearbeitet und wirft Folgefragen auf. Wie ist es möglich, dass auf der einen Seite Leistung einen enormen Stellenwert hat, der Bezug zur Sachhaltigkeit der Leistung aber in den Interviews nicht zu erkennen ist, man eher von einer Leistungsinszenierung sprechen könnte? Welche Folgen hat dies, wenn Leistung von ihrem Sachbezug befreit wird, für ein Gemeinwesen und dessen Selbstverständnis? Man beachte hierbei, dass diese Entwicklung eine Generation betrifft, die mit der Debatte um "Hartz IV" und "beinahe jede Arbeit ist besser als keine" aufgewachsen ist, in der Beschäftigung entscheidend war, nicht aber, ob diese zur Wertschöpfung auch notwendig ist. Wie die jüngere Diskussion um das Bürgergeld gezeigt hat, hat sich daran nichts verändert, man könnte auch sagen, "Hartz IV" feiere Urständ. Nicht selten wird die Neuausrichtung des Bürgergeldes ja auch damit begründet, Leistung wieder mehr Gewicht geben zu wollen, aber welcher Form von Leistung, dem Geschäftigsein, der Leistungsinszenierung oder geht es wirklich um ein sachhaltiges Verständnis davon, eines das an Problemlösung interessiert ist? Wenn letzteres gelten sollte, geht die Diskussion samt ihrer Vorschläge in die grundlegend falsch Richtung.

Hier geht es zur Leseprobe

Sascha Liebermann

19. Juni 2025

"Care & Gender – Potentials & Risks of Universal Basic Income (UBI)"...

...der Tagungsband zur Jahrestagung des Freiburg Institute for Basic Income Studies 2023 ist nun Open Access verfügbar, siehe hier.

Darin ist auch ein Beitrag von Ute Fischer und Sascha Liebermann enthalten, der sich mit dem Stellenwert nicht-standardisierter Methoden in der Forschung zum Bedingungslosen Grundeinkommen befasst.


 

17. Juni 2025

Arno-Dübel-Phänomen

"Eine so einfache Frage..."

12. Juni 2025

Was folgt nun daraus?

Hier geht es zur Studie, auf die BGE-Eisenach Bezug nimmt. 

Siehe unsere Kommentare zu solchen Experimenten hier: Pilotprojekt Grundeinkommen

Sascha Liebermann

Feature zum Grundeinkommen im WDR

Siehe auch folgende Kommentare von uns:

- zum Pilotprojekt Grundeinkommen

- zu Ausführungen von Dominik Enste, Clemens Fuest, Andreas Peichl und vielen anderen

Da wir schon seit 2006 die Diskussion um ein Bedingungsloses Grundeinkommen in diesem Blog kommentieren, sind einige Beiträge zusammengekommen. Wer sich über die Debatte seitdem informieren will, kann den Blog auch nach Monaten durchsuchen.

9. Juni 2025

Ein Praktikum für Sanktionsverschärfer?

2. Juni 2025

"Hier offenbart sich die ganze Machtlosigkeit beim Bürgergeld"...

...ein Beitrag von Jan Klauth auf Welt.de, der tiefgründige Einsichten in die Wirklichkeit des Bürgergeldes verspricht. Doch alle drei Fälle, die präsentiert werden, eignen sich kaum, um für schärfere Sanktionen zu plädieren, wie die Mitarbeiter des Jobcenters selbst erkennen lassen. Weshalb dann diese Schlagzeile?

Hier ein Beispiel, das im Beitrag verhandelt wird:

"'Der „Kunde', den die Berater in der Steinmetzstraße suchen, ist ein Extremfall – und doch keine Seltenheit. Der 57-jährige Issam H. ist wohl staatenloser Palästinenser, so genau weiß man das auf dem Amt auch nicht. Fest steht nur: Vor über 20 Jahren kam der Mann aus dem Libanon nach Berlin. Weder lernte er ernsthaft Deutsch, noch hat er in all diesen Jahren seinen Lebensunterhalt selbst bestritten. 'Vor acht Jahren haben wir ihn das letzte Mal gesehen', sagt Eichenseher, 54, schwarze, kurze Haare, Berliner Dialekt. Das Geld fließt trotzdem, die Behörden haben kaum Handhabe, die Zahlungen einzustellen. Frau H. bezieht ebenfalls Bürgergeld, wird allerdings als Teilnehmerin eines Ein-Euro-Jobs beim Amt geführt, dazu kommen die Regelsätze für drei Kinder und die Miete, die übernommen wird. Die Ehefrau ist es auch, die nun gegenüber Eichenseher und Becker beteuert, dass ihr Mann nicht in der Lage sei, zu arbeiten. Er habe Diabetes, sagt sie beim Hausbesuch. Die Jobcenter-Mitarbeiter hören davon zum ersten Mal. 'Wenn er nicht arbeiten kann, braucht er eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung', sagt Becker. 'Okay', entgegnet die Frau und es bleibt unklar, ob sie versteht, was gemeint ist. Acht Jahre nicht auf dem Amt erschienen, kein Arzt, der je dokumentiert hat, dass der Mann nicht erwerbsfähig ist, aber Monat für Monat Überweisungen vom Jobcenter. Wie kann das sein?"

Was lässt sich an diesem Fall aus den spärlichen Hinweisen erkennen? Es scheint eine Erkrankung vorzuliegen, zumindest wird das angegeben, womöglich liegen die Schwierigkeiten tiefer. Hätte hier früher schon, womöglich zu Beginn, mehr beraten werden können? Hätte eine familiennahe Hilfe weitergeführt, wurde das versucht? Wurden Deutschkurse angeboten? - Wir erfahren es nicht. "Ernsthaft", so der Artikel, habe er nicht Deutsch gelernt - das ist eine erhebliche Einschränkung, denn damit kann er seine Interessen nicht angemessen wahrnehmen, auch die seiner Familie, seiner Kinder, nicht. Warum ist das so, was sind die Problemlagen dahinter? Wir erfahren es nicht. Darüber hinaus scheint der Mann nicht erwerbsfähig, ist das nun tatsächlich so und nur nicht dokumentiert oder eine Ausflucht? Auch das bleibt unklar.

"Elena Zavlaris [Leiterin eines Jobcenters, SL] frustriert das zunehmend. 'Die Debatte wird von zwei Erzählungen geprägt: Entweder sind alle Bürgergeldempfänger faul und wollen nicht arbeiten – oder es wird behauptet, diejenigen, die sich verweigern und nichts tun, sind eine verschwindend kleine Minderheit. Das Problem: Beides ist falsch“, sagt sie. 'Manche Politiker wollen das nicht wahrhaben.' Längst nicht alle die nicht arbeiten, würden sich verweigern, einige bräuchten mehr Hilfe, betont Zavlaris. 'Aber das System wird auch ausgenutzt. Zu sagen, das seien nur Einzelfälle, ist falsch.'“

Wenn das System "auch" ausgenutzt werde, um welche Ausmaße geht es? Was genau heißt "ausnutzen" an dieser Stelle? Vermutlich beantwortet sich diese Frage mit dem Verweis darauf, wozu das Bürgergeld dienen soll, nämlich Arbeitsuchenden die Rückkehr in den Arbeitsmarkt zu ebnen. Dann wäre es eine Ausnutzung des Systems, die Leistung in Anspruch zu nehmen, ohne sich am Ziel der Leistung zu orientieren. Doch ist das Ziel das angemessene, hilft es dem Bezieher weiter und würde es einem Unternehmen helfen, wenn jemand, der das Ziel nicht verfolgt, dennoch sich als Mitarbeiter bewerben würde? Das sind wichtige Fragen, denn an ihrer Beantwortung bemisst sich, ob das "System" womöglich die falschen "Ziele" verfolgt. Wenn auch die Leiterin des Jobcenters nicht genau sagen kann, wieviele das sind, was fängt man dann mit der Aussage an? Entweder ist es schwierig, aussagekräftige Daten zu erheben, oder sie werden einfach nicht erhoben - dabei werden doch ziemlich viele Daten erhoben.

"Dass etwas nicht stimmt, sagt Behördenchefin Zavlaris, zeigt sich an mehreren Stellen in der Statistik. Offiziell werden bundesweit weniger als fünf Prozent aller Bürgergeldbezieher überhaupt sanktioniert. Vielerorts liege die Quote der nicht wahrgenommenen Termine allerdings über 50 Prozent. Schnellere und unbürokratische Kürzungen, so wie sie die Regierung nun plant, seien zwar richtig, findet Zavlaris. 'Allein die Androhung der Sanktionen kann das Verhalten der Menschen ändern.' Generell wünscht sich die Behördenchefin eine 'echte Reform', wie sie im Gespräch in ihrem Büro sagt. Das neue Gesetz, das die Regierung wohl bald auf den Weg bringen wird, müsse für die Jobcenter gut umsetzbar und vor allem wirksam sein. 'Und dann gibt es noch viele Fälle, in denen sich die Frage stellt, ob das Bürgergeld überhaupt das richtige System ist', sagt sie. 'Zum Beispiel, wenn schwere gesundheitliche Einschränkungen vorliegen.'"

Was genau am System nicht stimmt, erfährt man nicht, ist es zu unübersichtlich, ist der Verwaltungsaufwand sehr hoch, für die Beratung bleibt aber zu wenig Zeit bzw. sind zu wenig Mitarbeiter vorhanden? All das wäre wichtig, um zu verstehen, worin das Problem liegt. Zuletzt sagt sie, dass es Bezieher gibt, für die das Bürgergeld nicht das richtige System ist.

Weitere Fälle werden in dem Beitrag präsentiert, die nochmals anders gelagert sind als der erste, eher von einem Scheitern am Leben zeugen aufgrund schwerer lebensgeschichtlich bedingter Belastungen. Abschließend sagt einer der Arbeitsvermittler, nachdem er die Wohnung einer "Kundin" verlassen hat:

"Als Eichenseher [Arbeitsvermittler beim Jobcenter, SL] auf die Straße tritt, holt er tief Luft, läuft schweigend ein paar Schritte weg von der Wohnung. 'Oft ist die Vorstellung, Menschen in Arbeit zu vermitteln, absurd', sagt er dann. 'Da geht es um ganz andere Dinge, um soziale Probleme, um Schicksale, die erschütternd sind', sagt er, während er die Unterlagen in seiner Mappe verstaut."

Wo liegt also der Fehler im System? Alle aufgeführten Fälle scheinen wenig geeignet, das "System" der Existenzsicherung in Frage zu stellen, sie werfen aber allerhand Fragen nach der "Zielgenauigkeit" auf, ob die richtigen Angeboten gemacht werden, wie die Beratung ist und ob womöglich die Ziele ungeeignet sind. Trotz großer Schlagzeile liefert der Beitrag keine Skandale, sondern eher Einblicke in schwierige Lebenswelten, über deren Probleme man gerne mehr erfahren hätte, um besser zu verstehen, wie eine angemessene Antwort aussehen könnte. Viel Getöse also, wenig Lösung.

Sascha Liebermann

"Ein Bürgergeld für alle?...

...ein Buch von Klaus-Uwe Gerhardt, der sich seit vielen Jahren schon mit dem Grundeinkommen, ob garantiert oder bedingunglos, beschäftigt. In diesem Band geht es um seine Vorgeschichte in Gestalt des Speenhamland-Systems.

Hier geht es zum Nomos-Verlag.
 

27. Mai 2025

"Bedingungsloses Grundeinkommen: Sind Experimente sinnvoll?"

Dieser Frage widmet sich Friedrich Breyer auf wirtschaftsdienst und richtet den Blick auf das Pilotprojekt Grundeinkommen, dessen Ergebnisse vor einigen Wochen präsentiert wurden. 

Er eröffnet den Beitrag so:

"Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) besitzt Spaltungspotenzial für die Gesellschaft: Würde es zur Abschaffung der Armut beitragen oder die Zukunft unserer Leistungsgesellschaft gefährden? Wäre es auf die Dauer überhaupt finanzierbar? Die Antwort auf diese Fragen hängt davon ab, wie die Bürger auf die Einführung dieses neuen Sozialmodells reagieren würden. Würden sie weniger arbeiten und verlören sie den Ehrgeiz sich weiterzubilden?"

Warum hat ein BGE "Spaltungspotenzial? Könnte es das haben, weil darum gestritten, darüber diskutiert wird - das aber muss nicht zu einer Spaltung führen, wie kommt er zu dieser Behauptung, was wird dafür vorausgesetzt? Wenn ein BGE eingeführt werden soll, muss es eine Auseinandersetzung über Für und Wider geben, aber auch das hat mit Spaltung nichts zu tun, sondern mit Willensbildung, zu der auch Dissens gehört. Am Ende ist entscheidend, ob eine Mehrheit zur Einführung bereit ist oder nicht.

Breyer referiert dann, das das Pilotprojekt Grundeinkommen auszeichnete und fragt:

"Ist die Frage nach den Wirkungen damit beantwortet? Muss der schwarz-rote Koalitionsvertrag umgeschrieben und schleunigst ein bedingungsloses Grundeinkommen eingeführt werden?"

Das ist natürlich eine polemische Spitze, denn aus Forschungsergebnissen folgt unmittelbar nichts für die Praxis außer etwaigen Erkenntnissen darüber, welche Folgen ein BGE haben könnte. Womöglich ist es aber auch Ausdruck einer bestimmten Haltung zum Verhältnis von Wissenschaft und Politik sowie der darin enthaltenen Höherstellung derer mit wissenschaftlicher Expertise gegenüber politischen Entscheidungsträgern - diese Haltung gibt es ja durchaus.

Was lässt sich nun aus dem Experiment schließen?

"Die folgenden Gründe sprechen gegen eine Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse des Experiments: Es macht einen großen Unterschied, ob ein BGE dauerhaft eingeführt wird oder mit einer zeitlichen Befristung, bei der die Empfänger wissen, dass für sie nach wenigen Jahren wieder die „alten“ Regeln gelten."

Das Pilotprojekt - so könnte das ausbuchstabiert werden - führt nicht zu einer Veränderung der normativen Basis des Handelns der Probanden, denn der Vorrang von Erwerbstätigkeit im Gemeinwesen bleibt ja bestehen. Vielmehr verstärkt sich genau das Fortwirken dieser Norm noch durch den Privileg-Status (Breyer nennt sie treffend "Auserwählte" und thematisiert die Dankbarkeitsverpflichtung, die daraus für die Probanden erwächst) der Probanden, die ausgewählt wurden. Wenn sie schon eine solches Sondereinkommen erhalten, ist die Rechtfertigung dafür, etwas Sinnvolles damit anzufangen noch höher als ohne Grundeinkommen. Genauso verhält es sich mit den in der BGE-Debatte häufig als Vergleich herangezogenen Lotteriegewinnern, sie eignen sich ebensowenig für eine Untersuchung etwaiger Folgen eines BGE.

Allerdings ist dieser Privileg-Status nichts Geheimnisvolles, der nicht in seiner Wirkung untersucht werden könnte. In den nicht-standardisierten Forschungsgesprächen, die im Rahmen des Pilotprojekts geführt wurden, müssten sich die Folgen dieses Privilegs nachweisen lassen. Vielleicht zeigen das die noch bevorstehenden Veröffentlichungen.

In folgender Passage werden zwei Dinge vermischt:

"Genauso wichtig ist es, ob man ein einzelner Transferempfänger in einem Umfeld ist, in dem alle anderen erwachsenen und arbeitsfähigen Menschen arbeiten, oder ob die Möglichkeit für alle besteht, auf Staatskosten ihren Hobbies nachzugehen. Die Normen und Vorstellungen dessen, was sozial akzeptiert wird, passen sich daran an, wie verbreitet ein Verhalten ist."

Auch hier herrscht ein polemischer Unterton, wenn Breyer davon spricht, den "Hobbies" "auf Staatskosten" nachzugehen. Zwar bietet ein BGE die Möglichkeit, das zu tun, ist aber keineswegs die einzige Möglichkeit, die es bietet, sondern eine unter anderen - es ist eben nicht "Geld für Nichtstun", sondern Geld, mit dem man eben auch nichts tun kann. 

Nicht passen sich Normen daran an, was sozial akzeptiert ist, sie sind Ausdruck dessen, was sozial akzeptiert ist, sonst wären sie nie zu Normen geworden.

Dann kommt ein Einwand, der zu den Klassikern zählt, aber doch auf ein vereinfachtes "Anreiz"-Denken zurückgeht:

"Demgegenüber sehen alle durchgerechneten Vorschläge für ein BGE vor, dass der Steuersatz für alle weiteren Einkünfte mindestens 50 % betragen muss (vgl. die Übersicht in Osterkamp, R. (2015). Ist ein bedingungsloses Grundeinkommen in Deutschland finanzierbar? In Auf dem Prüfstand: Ein bedingungsloses Grundeinkommen für Deutschland? Nomos, S. 225–250, insb. Tabelle 1 auf S. 234 f.). Die Arbeitsanreize insbesondere für Menschen mit geringem Stundenlohn werden sich also fundamental unterscheiden."

Diese Schlussfolgerung ist argumentativ schlampig, denn zum einen erhalten die Bürger ja durch die Besteuerung ein BGE, jeglicher Lohn kommt zum BGE dazu. Zum anderen sind die Beweggründe für Erwerbstätigkeit komplexer, worauf wir immer wieder hingewiesen haben. Insofern müssen sich "die Arbeitsanreize" nicht "fundamental unterscheiden", es sei denn, man verkürzt "Arbeitsanreiz" auf Lohnerzielungschance.

"Wenn das Grundeinkommen an alle Bürger ausbezahlt würde, würden sich auch die Preise z. B. auf dem Markt für einfache Dienstleistungen ändern. Nicht nur sind die Effekte auf das Arbeitsangebot schwer vorherzusagen, sondern auch die Zahlungsbereitschaften der Konsumenten. Ob bzw. inwieweit eine Welt mit Grundeinkommen dann eine für die Gesellschaft „bessere“ wäre, gehört zu den wichtigsten Fragen in der Debatte über ein BGE. Zu gesamtwirtschaftlichen Angebots- und Nachfrageeffekten kann die Studie aufgrund der gewählten Methode keine Erkenntnisse liefern, was deren Verallgemeinerbarkeit einschränkt."

Das ist richtig, abgesehen von einem Punkt: "aufgrund der gewählten Methode" könne das Projekt "keine Erkenntnisse" liefern. Kein Projekt kann solcher Erkenntnisse liefern, hätten Breyer im Grunde schlussfolgern müssen, weil eben die gesamtgesellschaftlichen normativen Voraussetzungen von Handeln sich nicht ändern. Deswegen hat Stefan Bach für das DIW darauf verzichtet, Verhaltensänderungen zu simulieren, als er sich mit der Frage der Finanzierbarkeit beschäftigt hat.

Treffend resümiert Breyer zum Schluss:

"Das DIW gibt in seinem Wochenbericht Nr. 15/2025 an, dass die Studie einen „evidenzbasierten Baustein zur Versachlichung der sozialpolitisch relevanten Debatte“ (um das BGE) liefern würde. Gerade diese Aussage lässt sich jedoch bestreiten, da das Experiment aus den genannten Gründen den Lackmustest der externen Validität nicht besteht. Dabei liegt das nicht am fehlerhaften Design dieser speziellen Studie, sondern an der grundsätzlichen Unmöglichkeit, eine auf Dauer angelegte und für die ganze Bevölkerung geltende Sozialreform an einer kleinen Gruppe, zeitlich begrenzt und mit anderen Abgaberegeln zu testen."

Hieraus lässt sich allerdings nicht schließen, dass es keine sinnvolle Forschung dazu geben könnte, nur müsste sie anders ansetzen. Gegenstand hätten dann handlungsleitende Überzeugungen zu sein, die für die Entscheidungsfindung bislang leitend waren und im nächsten Schritt diese Überzeugungen abzugleichen mit etwaigen Folgen eines BGE. So könnte zumindest etwas Lichts ins Dunkel gebracht werden.

Und doch, obwohl er das Studiendesign für untauglich hält, beruft er sich auf ein Ergebnis, das sollte doch eigentlich gar nicht belastbar sein:

"Abgesehen von der fehlenden Übertragbarkeit auf ein „echtes BGE“ gibt es doch eine überraschende Erkenntnis aus dem Experiment: Schenkt man jungen Menschen, die nicht zu den Topverdienern zählen, 43.200 Euro (verteilt über 36 Monate), so legen sie davon nur ein gutes Drittel auf die hohe Kante, was für einen relativ kurzen Zeithorizont spricht."

Hier nun werden die Erkenntnisse doch als Beleg herangezogen, hatte er das nicht zuvor bestritten? Wenn es zu den eigenen Ansichten passt, scheint man sich doch darauf berufen zu können.

Sascha Liebermann

20. Mai 2025

"Teilzeitfalle"...

... - so wird in der öffentlichen und sozialpolitischen Diskussion das Phänomen bezeichnet, wenn Eltern nicht vollerwerbstätig sein können, weil es an Betreuungsangeboten fehle. Deswegen, so auch die neue Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas laut Bericht der Frankfurter Allgemeine Zeitung, müsse etwas unternommen werden. Die Diskussion hat schon einige Jahre auf dem Buckel und wird stets von der Warte der Vollerwerbstätigkeit als Ziel geführt, demgegenüber Teilzeittätigkeit ein Problem darstelle (siehe hier und hier). Dass es gute Gründe für Teilzeit- oder gar keine Erwerbstätigkeit geben kann, z. B. den nicht unerheblichen, mehr Zeit für Familie zu haben, scheint nicht von Belang. 

Dabei ist gerade in den vergangenen Jahren der Illusion von der Vereinbarkeit von Familie und Beruf mehr Aufmerksamkeit zuteil geworden. Als Antwort darauf wurden alternative Arbeitszeitmodelle vorgeschlagen, ohne allerdings eine Abkehr vom Erwerbsvorrang anzustreben, denn daran will kaum jemand ernsthaft rütteln. Genau das aber ist der Grund, dass immer wieder dieselben Vorschläge gemacht werden - die Abschaffung des Ehegattensplittings darf hier genausowenig fehlen wie die Verbesserung von "Anreizen" -, es geht stets um die heilige Vollerwerbstätigkeit, als sei sie das höchste aller Ziele und nicht nur eine Aufgabe neben anderen.

Allerdings, so muss man festhalten, ist das innerhalb des bestehenden Gefüges von Sozialversicherungen und dem Selbstverständnis einer "Arbeitsgesellschaft"  konsequent, alles, was nicht Erwerbstätigkeit betrifft, als zweitrangig zu betrachten. Familie wird so zu einer Freizeitangelegenheit, die man nur gut organisieren und planen müsse, dann gehe das schon. Dadurch jedoch bleibt Familie als Form der Beziehung zueinander auf der Strecke. Vielleicht wäre es dann besser, statt an einer Attrappe festzuhalten, gleich den ganzen Begriff abzuschaffen, das wären dann ehrliche Verhältnisse, man müsste, woran man wäre, Familie wäre eben eine Nebensache. Zugleich könnten all die wiederkehrenden Diskussionen um "sozialen Zusammenhalt", "Empathie", "Solidarität" und wie die Schlagworte heißen mögen, beendet werden, denn wer braucht die schon, wenn es nicht einmal dazu reicht, der Familie in ihrer Eigensinnigkeit (im positiven Sinne) Raum zu lassen? Wer den Mangel des ersten beklagt und den Untergang der Demokratie kommen sieht, sollte sich nicht wundern, wenn er dem zweiten eben kaum Raum gibt. Sparen könnten wir uns auch die großartigen "role models", die ob ihres Erfolges angepriesen werden, wie z. B. das karriereorientierte Elternpaar, in dem beide jeweils zu einem anderen Arbeitsort pendeln, auf Geschäftsreisen sind und dennoch das alles ganz toll unter einen Hut bekommen.

Wer daran zweifelt, dass das gelingen kann, der muss nur einmal einen ganz normalen Vollerwerbsarbeitstag durchrechnen: An- und Abfahrt zum Arbeitsplatz (insgesamt ca. eine Stunde - konservativ gerechnet), Arbeitszeit (acht Stunden), Mittagspause (eine Stunde) - dann werden die Zweifel noch größer. Er geht um 7 Uhr aus dem Haus und ist frühestens um 17 Uhr wieder zuhause. Familie es ist etwas für die "Randzeiten", mehr benötigt sie offenbar nicht - zumindest wenn man den Vollerwerbsapologeten Glauben schenken darf.

Sascha Liebermann