6. April 2025

Standardisierte Befragungen und Datenqualität

Siehe zu diesen Fragen auch unseren früheren Kommentare hier und hier.

Sascha Liebermann

Wer muss sich wofür rechtfertigen?

Das ist der entscheidende Punkt, in dem sich ein Bedingungsloses Grundeinkommen von anderen Formen der Mindesteinkommenssicherung unterscheidet: der Bereitstellungsmodus und die damit einhergehenden oder eben ausgesetzten Rechtfertigungsverpflichtungen. 

Selbst eine diesbezüglich unkomplizierte, von einer Bedarfsprüfung freie Negative Einkommensteuer operiert noch mit der Unterscheidung zwischen regulärem und nicht-regulärem Einkommen, indem die Steuergutschrift (Negativsteuer) abhängig ist vom erzielten Einkommen. Damit werden Einkommen und Steuergutschrift ins Verhältnis zueinander gesetzt, beim BGE soll das nicht der Fall sein, um beide Einkommensarten normativ voneinander zu lösen.

Sascha Liebermann

"Wir sollten uns auf das Experiment ‚Bedingungsloses Grundeinkommen‘ einlassen“

5. April 2025

"Grundeinkommen und Kontrolle"...

....ein Beitrag von Jan Schulz-Weiling auf der Website des Magazins Multipolar.

Die Sorge darum, dass ein BGE letztlich dazu dienen könne, dem "Staat" ein wichtiges Kontrollmittel über die Bürger zu liefern, ist nicht neu und wurde schon früh in der Diskussion geäußert. Eine Steigerung von der bloßen Sorge zur Gewissheit, dass dies auch so sein und nur deswegen ein BGE in Betracht gezogen werde, vollzog sich im Zusammenhang mit der Diskussion um ein "great reset", das oligarchischen Akteuren aus der Techbranche oder Wirtschaftsführern nun endlich die Möglichkeit biete vergleichbar dem Social Credit-System eine umfassende Kontrolle einzuführen. Ebenso früh wurde in der Diskussion schon darauf aufmerksam gemacht, dass ein BGE keine eierlegende Wollmilchsau sei und die Hoffnungen in diese Richtung eine Überladung der Idee bedeuten, denn jede Idee, jeder Vorschlag könne für andere Ziele missbraucht oder zweckentfremdet (siehe auch hier) werden. Sobald ein BGE durch die Hintertür wieder mit Gegenleistungsbedingungen verknüpft werde, sei es eben kein BGE mehr, das die Bezeichnung verdiene. Insofern stellt sich die Frage, was ein Beitrag, der sich mit dieser Frage nun erneut befasst, denn Neues liefern könne. 

Der Autor des Beitrags im Multipolar-Magazin spricht sowohl vom BGE als auch vom Grundeinkommen, was sogleich in Missverständnisse führt, wie man an den historischen "Vorläufern" erkennen kann, die für diesen Vorschlag angeführt werden, die keine wirklichen Vorläufer sind, zumindest was den heute diskutierten Vorschlag betrifft - weder Thomas Morus noch die Negative Einkommensteuer.

Inwiefern kommt hier nun die Kontrollfrage ins Spiel?

Bismarck, so der Verfasser, habe die Sozialversicherungen nicht aus "altruistischen Motiven" eingeführt, womit er wohl ihre Diskreditierung vorbereiten will, wobei man hier herausheben muss, dass der Reichstag die Gesetzesvorschläge verabschiedete. Es ist also nicht Bismarcks Leistung, dass sie eingeführt wurden. Darüber hinaus sind solche Gesetze nicht mit den Motiven gleichzusetzen, die der Initiator damit verbindet, sie stehen in ihrer strukturellen Bedeutung für sich und können sich gegen die Motive wenden bzw. weit über sie hinausreichen. Motive diskreditieren also ein Gesetzesvorhaben nicht. Auch dass Regierungen auf "Unmut in der Bevölkerung" reagieren, diskreditiert diese Vorhaben nicht, denn Regierungen sollten auf Unmut reagieren, sofern es für diesen gute Gründe gibt. 

Schulz-Weiling zeichnet in dem Beitrag ein sehr einfaches Bild von der Macht einer Regierung, ohne zu berücksichtigen, dass auch etwaige Rücknahmen einst eingeführter Leistungen Gefolgschaft finden, also als angemessen oder berechtigt betrachtet werden müssen, um Bestand haben zu können. Man muss sich nur vor Augen führen, wie selbst von den Sanktionen des Bürgergelds Betroffene diese verteidigen oder für berechtigt halten, weil es doch Missbrauch gebe.

Nicht in Abrede soll hier gestellt werden, dass jemand tatsächlich solche Motive haben kann und sie auch eine Rolle spielten, die "Bevölkerung" zu lenken, ihr Wohlverhalten herbeizuführen und ähnliches, doch dazu gehören immer zwei Seiten. Darüber hinaus sind in der Vergangenheit solche Phantasien, was  "der Staat" alles herbeiführen könne, ohne dass ihm die Bürger zu folgen bereit sind, an der Realität zerschellt. In diesem Sinne kann noch der humanste Vorschlag missbraucht werden oder der Missbrauch angestrebt werden, das ist eine banale Einsicht.

Die Beispiele, die Schulz-Weiling dann anführt, haben aber mit einem BGE nichts mehr zu tun, weil sie es mit Gegenleistungsbedingungen verknüpfen, in diesen Fällen wird pervertiert, worum es gehen soll. Was wäre damit nun belegt oder bewiesen? Nun, dass jedes gute Vorhaben pervertiert werden kann, dagegen ist kein Kraut gewachsen. Auch hier aber lässt Schulz-Weiling außer Acht oder übergeht geflissentlich, dass solche Pervertierungen immer einen Rückhalt haben müssen, um wirksam werden zu können. Wenn es dann so ist, dass die Bürger diese Pervertierung für richtig, für angemessen oder hilfreich erachten, wird es zu ihnen kommen. Genau dies, dass das möglich ist, wurde in der BGE-Diskussion seit der Jahrtausendwende diskutiert und stellt keine neue Einsicht dar. Was aber will der Autor damit nun sagen?

Dass BGE nicht gleich BGE sei, wurde im deutschsprachigen Raum ebenfalls von Beginn an diskutiert, spätestens als Thomas Straubhaar, einst "Hartz-IV"-Befürworter, der noch zehn Jahre nach der Einführung die Erfolge lobte (siehe hier), seine Version eines BGE vertrat und für die vollständige Substitution des Sozialstaats durch eine einzige Pauschalleistung plädierte. Also auch hierin ist nichts Neues zu entdecken.

Wie nun genau Mark Zuckerberg und andere zum BGE stehen, spielt für die kontinentaleuropäische Diskussion zum einen keine besondere Rolle, zum anderen war von Beginn an unklar, welche Art von "basic income" ihnen vorschwebt. Sie nun als Beleg für eine Gefahr, die drohe, anzuführen, ist kein Beleg für nichts.

 Gegen Ende des Beitrags schreibt er:

"Ein BGE, das den Status Quo der Oberschicht sichert, würde einen Neofeudalismus verfestigen. Die breite Masse wäre mit Almosen ruhiggestellt, möglicherweise ohne Perspektive auf Job, sozialen Aufstieg und politische Partizipation, während eine Milliardärskaste weiter reicher wird. Die Politikwissenschaftlerin Alyssa Battistoni schreibt dazu, die extrem ungerechte Gesellschaft, die Zukunftsforscher fürchten, käme nicht dadurch zustande, dass die Roboter auftauchen, sondern dadurch, dass die Roboter so wenigen Menschen gehören."

"Ruhiggestellt" - eine Lieblingsvokabel derer, die gegen ein BGE wettern, die aber Bände spricht (siehe hier), manche reden gar von einer "Stilllegungsprämie". Damit werden die Bürger als Objekt der "Steuerung" betrachtet, als ließen sie sich gegen ihren Willen "ruhigstellen". Wenn sie sich "ruhigstellen" lassen würden, dann wäre das eben so, der Grund läge aber nicht im BGE, sondern in der ihrer Haltung zu Mündigkeit und Selbstbestimmung.

Das gesamte Sorge- und Drohszenario, das Schulz-Weiling auffächert, ist also in keiner Weise neu, noch ist es zwingend, vor allem hat es mit einem BGE gar nichts zu tun.

Sascha Liebermann

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29. März 2025

Treffend, aber alles nicht neu

28. März 2025

27. März 2025

Reminder

Die Annahmen, die Annahmen - mit ihnen steht und fällt alles...

...wie auch in dieser Studie. Siehe dazu nur diesen Abschnitt, dann wird deutlich, was gemeint ist:

"Mit einem bedingungslosen Grundeinkommen würde man  sich von diesem Grundkonzept verabschieden und den Nexus zwischen individueller Freiheit und Verantwortung jedes Einzelnen für sich selbst, aber auch für die Gesellschaft  schwächen. Im Kern handelt es sich beim bedingungslosen Grundeinkommen um ein einseitiges und egoistisches Konzept  ohne soziale Bindungskräfte im Sinne von Reziprozität:

Jeder soll die Freiheit haben, zu machen was er will, ohne sich um die Bedürfnisse und Präferenzen anderer kümmern zu müssen. Der Staat bzw. die Gesellschaft stünden demgegenüber in der Pflicht, diese Freiheit zu finanzieren, ohne dafür eine Gegenleistung oder zumindest ein entsprechendes Bemühen erwarten zu dürfen. Damit soll nicht unterstellt werden, dass viele Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens keine guten Absichten hätten. Doch letztlich handelt es sich beim bedingungslosen Grundeinkommen um ein unrealistisches Luftschloss, in das zwar viele Hoffnungen und Erwartungen projiziert werden, das den Praxistest aber nicht bestehen würde." (Hier geht es zur Studie, das Zitat ist auf S. 50 zu finden)

Eine republikanische Demokratie, die so verfasst wäre, wie der Autor hier behauptet, wäre dem Untergang geweiht, weil sie sich auf ihre Bürger nicht grundsätzlich verlassen könnte. Wenn sie das nicht kann, auch indem sie an Verantwortung appelliert, wo es nötig scheint, ist ihre Grundlage perdu. Raddatz beruft sich hier auf ein Reziprozitätsverständnis, das auf Bilanzierung setzt, dem do-ut-des folgt und keine Bindung an das Gemeinwesen und seine Normen kennt, die anderen Quellen entspringt.

Diese Deutung der Bürgergemeinschaft als Arbeitsgesellschaft ist zwar sehr verbreitet (siehe hier, hier und hier), geht aber nichtsdestrotrotz an den Realverhältnissen vorbei. Wir können aus gutem Grund sagen, dass wir heute einen Sozialstaat haben, der den Grundlagen dieser Demokratie nicht entspricht, ihnen gewissermaßen historisch hinterherläuft. Aber schon der Staatsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde hat dies einst treffender ausgedrückt, worin diese Grundlagen bestehen (siehe dazu hier.)

Sascha Liebermann

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Wenn das eine mit dem anderen nichts zu tun hat und die CDU in 20 Jahren nicht weitergekommen ist

25. März 2025

"Generative AI and the Future of Work. A Reappraisal"...

 ...die überarbeitete und aktualisierte Studien von Carl Benedict Frey und Michael Osborne, die seit dem Jahr 2013 viel Aufmerksamkeit erhalten hat.

Siehe auch unsere früheren Kommentare, in denen wir uns mit dieser Studie und angrenzenden Fragen befasst haben hier.

Erfahrungsberichte aus zweiter Hand und Vorurteile

23. März 2025

Treffend: Wer das eine nicht will (Verwaltungsaufwand),...

...kann am anderen (allgemeine Bedürftigkeitsprüfung) nur widersinnig festhalten. Das scheint Manchen nicht klar zu sein, die nach mehr "Effizienz" rufen, denn der Verwaltungsaufwand resultiert aus den kleinteiligen Bestimmungen, die einzuhalten sind. Diese könnten sicher anders gestaltet werden, wenn mehr über Pauschalen bereitgestellt würde, das wurde schon damals, als es um eine Reform der Sozialleistungen ging, hervorgehoben. Ganz auf die Bedürftigkeitsprüfung könnte man nur verzichten, wenn ein Bedingungsloses Grundeinkommen eingeführt würde. Die Bedarfsprüfung wären dann Leistungen vorbehalten, die über das BGE hinausgreifen. Mit der Entscheidung für ein BGE, würden indes auch bedarfsgeprüfte Leistungen auf eine andere Grundlage gestellt. Während sie heute durch den Vorrang von Erwerbstätigkeit normativ stigmatisiert sind, wären sie das nicht mehr, wenn dieser Vorrang aufgegeben würde. Die normative Basis existenzsichernder Leistungen wäre damit transformiert und viele Möglichkeiten eröffneten sich, die heute so nicht bestehen (siehe dazu "Über Bedarfe und Bedürftigkeit").

Sascha Liebermann

18. März 2025

"Lohnt" es sich oder nicht?

Wo sind die Belege für diese Behauptungen?

Es ist mehr als erstaunlich, wie renitent diejenigen an ihren Behauptungen festhalten, wofür das Bürgergeld verantwortlich sei, ohne die Belege zu erbringen, die belastbar wären. Teils wird in dem Artikel auf Bedenkenswertes hingewiesen, das früher schon bedenkenswert war - eine Vereinfachung der Leistungen, stärkere Pauschalierung usw. Wo aber sind die Belege dafür, dass das Bürgergeld ein Hindernis für die Aufnahme von Erwerbstätigkeit sei? Über die Folgen der Beaufsichtigung und der Stigmatisierung durch die Art und Weise, wie die Leistung bereitgestellt wird, wird geschwiegen, darin kann ja doch wohl kein Problem liegen. 

Sascha Liebermann

Wer trägt die Beweislast, wer soll sie tragen?