27. Mai 2025

"Bedingungsloses Grundeinkommen: Sind Experimente sinnvoll?"

Dieser Frage widmet sich Friedrich Breyer auf wirtschaftsdienst und richtet den Blick auf das Pilotprojekt Grundeinkommen, dessen Ergebnisse vor einigen Wochen präsentiert wurden. 

Er eröffnet den Beitrag so:

"Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) besitzt Spaltungspotenzial für die Gesellschaft: Würde es zur Abschaffung der Armut beitragen oder die Zukunft unserer Leistungsgesellschaft gefährden? Wäre es auf die Dauer überhaupt finanzierbar? Die Antwort auf diese Fragen hängt davon ab, wie die Bürger auf die Einführung dieses neuen Sozialmodells reagieren würden. Würden sie weniger arbeiten und verlören sie den Ehrgeiz sich weiterzubilden?"

Warum hat ein BGE "Spaltungspotenzial? Könnte es das haben, weil darum gestritten, darüber diskutiert wird - das aber muss nicht zu einer Spaltung führen, wie kommt er zu dieser Behauptung, was wird dafür vorausgesetzt? Wenn ein BGE eingeführt werden soll, muss es eine Auseinandersetzung über Für und Wider geben, aber auch das hat mit Spaltung nichts zu tun, sondern mit Willensbildung, zu der auch Dissens gehört. Am Ende ist entscheidend, ob eine Mehrheit zur Einführung bereit ist oder nicht.

Breyer referiert dann, das das Pilotprojekt Grundeinkommen auszeichnete und fragt:

"Ist die Frage nach den Wirkungen damit beantwortet? Muss der schwarz-rote Koalitionsvertrag umgeschrieben und schleunigst ein bedingungsloses Grundeinkommen eingeführt werden?"

Das ist natürlich eine polemische Spitze, denn aus Forschungsergebnissen folgt unmittelbar nichts für die Praxis außer etwaigen Erkenntnissen darüber, welche Folgen ein BGE haben könnte. Womöglich ist es aber auch Ausdruck einer bestimmten Haltung zum Verhältnis von Wissenschaft und Politik sowie der darin enthaltenen Höherstellung derer mit wissenschaftlicher Expertise gegenüber politischen Entscheidungsträgern - diese Haltung gibt es ja durchaus.

Was lässt sich nun aus dem Experiment schließen?

"Die folgenden Gründe sprechen gegen eine Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse des Experiments: Es macht einen großen Unterschied, ob ein BGE dauerhaft eingeführt wird oder mit einer zeitlichen Befristung, bei der die Empfänger wissen, dass für sie nach wenigen Jahren wieder die „alten“ Regeln gelten."

Das Pilotprojekt - so könnte das ausbuchstabiert werden - führt nicht zu einer Veränderung der normativen Basis des Handelns der Probanden, denn der Vorrang von Erwerbstätigkeit im Gemeinwesen bleibt ja bestehen. Vielmehr verstärkt sich genau das Fortwirken dieser Norm noch durch den Privileg-Status (Breyer nennt sie treffend "Auserwählte" und thematisiert die Dankbarkeitsverpflichtung, die daraus für die Probanden erwächst) der Probanden, die ausgewählt wurden. Wenn sie schon eine solches Sondereinkommen erhalten, ist die Rechtfertigung dafür, etwas Sinnvolles damit anzufangen noch höher als ohne Grundeinkommen. Genauso verhält es sich mit den in der BGE-Debatte häufig als Vergleich herangezogenen Lotteriegewinnern, sie eignen sich ebensowenig für eine Untersuchung etwaiger Folgen eines BGE.

Allerdings ist dieser Privileg-Status nichts Geheimnisvolles, der nicht in seiner Wirkung untersucht werden könnte. In den nicht-standardisierten Forschungsgesprächen, die im Rahmen des Pilotprojekts geführt wurden, müssten sich die Folgen dieses Privilegs nachweisen lassen. Vielleicht zeigen das die noch bevorstehenden Veröffentlichungen.

In folgender Passage werden zwei Dinge vermischt:

"Genauso wichtig ist es, ob man ein einzelner Transferempfänger in einem Umfeld ist, in dem alle anderen erwachsenen und arbeitsfähigen Menschen arbeiten, oder ob die Möglichkeit für alle besteht, auf Staatskosten ihren Hobbies nachzugehen. Die Normen und Vorstellungen dessen, was sozial akzeptiert wird, passen sich daran an, wie verbreitet ein Verhalten ist."

Auch hier herrscht ein polemischer Unterton, wenn Breyer davon spricht, den "Hobbies" "auf Staatskosten" nachzugehen. Zwar bietet ein BGE die Möglichkeit, das zu tun, ist aber keineswegs die einzige Möglichkeit, die es bietet, sondern eine unter anderen - es ist eben nicht "Geld für Nichtstun", sondern Geld, mit dem man eben auch nichts tun kann. 

Nicht passen sich Normen daran an, was sozial akzeptiert ist, sie sind Ausdruck dessen, was sozial akzeptiert ist, sonst wären sie nie zu Normen geworden.

Dann kommt ein Einwand, der zu den Klassikern zählt, aber doch auf ein vereinfachtes "Anreiz"-Denken zurückgeht:

"Demgegenüber sehen alle durchgerechneten Vorschläge für ein BGE vor, dass der Steuersatz für alle weiteren Einkünfte mindestens 50 % betragen muss (vgl. die Übersicht in Osterkamp, R. (2015). Ist ein bedingungsloses Grundeinkommen in Deutschland finanzierbar? In Auf dem Prüfstand: Ein bedingungsloses Grundeinkommen für Deutschland? Nomos, S. 225–250, insb. Tabelle 1 auf S. 234 f.). Die Arbeitsanreize insbesondere für Menschen mit geringem Stundenlohn werden sich also fundamental unterscheiden."

Diese Schlussfolgerung ist argumentativ schlampig, denn zum einen erhalten die Bürger ja durch die Besteuerung ein BGE, jeglicher Lohn kommt zum BGE dazu. Zum anderen sind die Beweggründe für Erwerbstätigkeit komplexer, worauf wir immer wieder hingewiesen haben. Insofern müssen sich "die Arbeitsanreize" nicht "fundamental unterscheiden", es sei denn, man verkürzt "Arbeitsanreiz" auf Lohnerzielungschance.

"Wenn das Grundeinkommen an alle Bürger ausbezahlt würde, würden sich auch die Preise z. B. auf dem Markt für einfache Dienstleistungen ändern. Nicht nur sind die Effekte auf das Arbeitsangebot schwer vorherzusagen, sondern auch die Zahlungsbereitschaften der Konsumenten. Ob bzw. inwieweit eine Welt mit Grundeinkommen dann eine für die Gesellschaft „bessere“ wäre, gehört zu den wichtigsten Fragen in der Debatte über ein BGE. Zu gesamtwirtschaftlichen Angebots- und Nachfrageeffekten kann die Studie aufgrund der gewählten Methode keine Erkenntnisse liefern, was deren Verallgemeinerbarkeit einschränkt."

Das ist richtig, abgesehen von einem Punkt: "aufgrund der gewählten Methode" könne das Projekt "keine Erkenntnisse" liefern. Kein Projekt kann solcher Erkenntnisse liefern, hätten Breyer im Grunde schlussfolgern müssen, weil eben die gesamtgesellschaftlichen normativen Voraussetzungen von Handeln sich nicht ändern. Deswegen hat Stefan Bach für das DIW darauf verzichtet, Verhaltensänderungen zu simulieren, als er sich mit der Frage der Finanzierbarkeit beschäftigt hat.

Treffend resümiert Breyer zum Schluss:

"Das DIW gibt in seinem Wochenbericht Nr. 15/2025 an, dass die Studie einen „evidenzbasierten Baustein zur Versachlichung der sozialpolitisch relevanten Debatte“ (um das BGE) liefern würde. Gerade diese Aussage lässt sich jedoch bestreiten, da das Experiment aus den genannten Gründen den Lackmustest der externen Validität nicht besteht. Dabei liegt das nicht am fehlerhaften Design dieser speziellen Studie, sondern an der grundsätzlichen Unmöglichkeit, eine auf Dauer angelegte und für die ganze Bevölkerung geltende Sozialreform an einer kleinen Gruppe, zeitlich begrenzt und mit anderen Abgaberegeln zu testen."

Hieraus lässt sich allerdings nicht schließen, dass es keine sinnvolle Forschung dazu geben könnte, nur müsste sie anders ansetzen. Gegenstand hätten dann handlungsleitende Überzeugungen zu sein, die für die Entscheidungsfindung bislang leitend waren und im nächsten Schritt diese Überzeugungen abzugleichen mit etwaigen Folgen eines BGE. So könnte zumindest etwas Lichts ins Dunkel gebracht werden.

Und doch, obwohl er das Studiendesign für untauglich hält, beruft er sich auf ein Ergebnis, das sollte doch eigentlich gar nicht belastbar sein:

"Abgesehen von der fehlenden Übertragbarkeit auf ein „echtes BGE“ gibt es doch eine überraschende Erkenntnis aus dem Experiment: Schenkt man jungen Menschen, die nicht zu den Topverdienern zählen, 43.200 Euro (verteilt über 36 Monate), so legen sie davon nur ein gutes Drittel auf die hohe Kante, was für einen relativ kurzen Zeithorizont spricht."

Hier nun werden die Erkenntnisse doch als Beleg herangezogen, hatte er das nicht zuvor bestritten? Wenn es zu den eigenen Ansichten passt, scheint man sich doch darauf berufen zu können.

Sascha Liebermann

weiterlesen...

20. Mai 2025

"Teilzeitfalle"...

... - so wird in der öffentlichen und sozialpolitischen Diskussion das Phänomen bezeichnet, wenn Eltern nicht vollerwerbstätig sein können, weil es an Betreuungsangeboten fehle. Deswegen, so auch die neue Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas laut Bericht der Frankfurter Allgemeine Zeitung, müsse etwas unternommen werden. Die Diskussion hat schon einige Jahre auf dem Buckel und wird stets von der Warte der Vollerwerbstätigkeit als Ziel geführt, demgegenüber Teilzeittätigkeit ein Problem darstelle (siehe hier und hier). Dass es gute Gründe für Teilzeit- oder gar keine Erwerbstätigkeit geben kann, z. B. den nicht unerheblichen, mehr Zeit für Familie zu haben, scheint nicht von Belang. 

Dabei ist gerade in den vergangenen Jahren der Illusion von der Vereinbarkeit von Familie und Beruf mehr Aufmerksamkeit zuteil geworden. Als Antwort darauf wurden alternative Arbeitszeitmodelle vorgeschlagen, ohne allerdings eine Abkehr vom Erwerbsvorrang anzustreben, denn daran will kaum jemand ernsthaft rütteln. Genau das aber ist der Grund, dass immer wieder dieselben Vorschläge gemacht werden - die Abschaffung des Ehegattensplittings darf hier genausowenig fehlen wie die Verbesserung von "Anreizen" -, es geht stets um die heilige Vollerwerbstätigkeit, als sei sie das höchste aller Ziele und nicht nur eine Aufgabe neben anderen.

Allerdings, so muss man festhalten, ist das innerhalb des bestehenden Gefüges von Sozialversicherungen und dem Selbstverständnis einer "Arbeitsgesellschaft"  konsequent, alles, was nicht Erwerbstätigkeit betrifft, als zweitrangig zu betrachten. Familie wird so zu einer Freizeitangelegenheit, die man nur gut organisieren und planen müsse, dann gehe das schon. Dadurch jedoch bleibt Familie als Form der Beziehung zueinander auf der Strecke. Vielleicht wäre es dann besser, statt an einer Attrappe festzuhalten, gleich den ganzen Begriff abzuschaffen, das wären dann ehrliche Verhältnisse, man müsste, woran man wäre, Familie wäre eben eine Nebensache. Zugleich könnten all die wiederkehrenden Diskussionen um "sozialen Zusammenhalt", "Empathie", "Solidarität" und wie die Schlagworte heißen mögen, beendet werden, denn wer braucht die schon, wenn es nicht einmal dazu reicht, der Familie in ihrer Eigensinnigkeit (im positiven Sinne) Raum zu lassen? Wer den Mangel des ersten beklagt und den Untergang der Demokratie kommen sieht, sollte sich nicht wundern, wenn er dem zweiten eben kaum Raum gibt. Sparen könnten wir uns auch die großartigen "role models", die ob ihres Erfolges angepriesen werden, wie z. B. das karriereorientierte Elternpaar, in dem beide jeweils zu einem anderen Arbeitsort pendeln, auf Geschäftsreisen sind und dennoch das alles ganz toll unter einen Hut bekommen.

Wer daran zweifelt, dass das gelingen kann, der muss nur einmal einen ganz normalen Vollerwerbsarbeitstag durchrechnen: An- und Abfahrt zum Arbeitsplatz (insgesamt ca. eine Stunde - konservativ gerechnet), Arbeitszeit (acht Stunden), Mittagspause (eine Stunde) - dann werden die Zweifel noch größer. Er geht um 7 Uhr aus dem Haus und ist frühestens um 17 Uhr wieder zuhause. Familie es ist etwas für die "Randzeiten", mehr benötigt sie offenbar nicht - zumindest wenn man den Vollerwerbsapologeten Glauben schenken darf.

Sascha Liebermann

weiterlesen...

12. Mai 2025

"Grundeinkommen für alle?" - ein Gespräch zwischen Marcel Fratzscher und Andreas Peichl...

...mit teils unerwarteten und vielen erwartbaren Einschätzungen - hier geht es zum Gespräch bei Zeit Online (Bezahlschranke)

Ausgewählte Passagen seien hier wieder kommentiert. Zuerst einmal ist festzustellen, dass Marcel Fratzscher herausstellt, dass er selbst gegenüber dem BGE kritisch war - genau genommen hat er es mit einer ausgesprochen paternalistischen und in manchem der Haltung Peichls entsprechenden Ausführungen abgelehnt, das war 2017, also noch nicht so alt. Ähnlich in diesem Streitgespräch aus dem Jahr 2018.

Andreas Peichl hat sich wiederholt ablehnend zum BGE geäußert wegen der Auswirkungen, die er befürchte, diese Einwände wiederholt er mehr oder weniger im Zeit-Gespräch. 

Wie begründet Fratzscher seine veränderte Haltung: "Der Hauptgrund dafür ist das positive Menschenbild, das dem Grundeinkommen zugrunde liegt. Es betrachtet den Menschen als soziales Wesen, das intrinsisch motiviert ist, einen Beitrag zum Wohl der Gemeinschaft zu leisten". Diese Begründung ist eher eine weltanschaulich praktische, ihr unterliegt ein Werturteil. Doch Fratzscher spricht hier, so werden beide zumindest angesprochen, als Wissenschaftler und Präsident des DIW. Dafür ist es irrelevant, ob man etwas sympathisch, unsympathisch oder sonstwie findet. Stattdessen müsst er zumindest Belege oder argumentative Herleitungen präsentieren, die deutlich machen, dass diesem "Menschenbild" eine Realität zugrundeliegt, die wir sozialwissenschaftlich untersuchen können - und nicht eine weltanschauliche Einordnung. Es müsste also darum gehen, aufzuzeigen, dass ein BGE Voraussetzungen enthält, die zum einen schon in der politischen Ordnung Deutschlands eine harte Wirklichkeit darstellen, zum anderen die Entscheidungsfindung des Einzelnen schon heute damit konfrontiert ist, genau die Handlungsfähigkeit in die Tat umzusetzen, die ein BGE verlangen würde.

Irritierend ist dann folgende Formulierung Fratzschers:

"Es [das BGE, SL] betont die Notwendigkeit, unsere Sozialsysteme umzugestalten, weg von einem reaktiven und sanktionierenden und hin zu einem aktivierenden Sozialstaat, der Freiheiten und Chancen schafft, damit möglichst alle Menschen ein selbstbestimmtes Leben führen können."

Fratzscher macht hier einen Gegensatz zwischen einem sanktionierenden und einem aktivierenden Sozialstaat auf, ganz ähnlich wie einst Robert Habeck Boni im Leistungsbezug den Sanktionen vorziehen wollte. Doch eine Aktivierung benötigen Bürger nicht, allenfalls müssen Hindernisse der Selbstbestimmung aus dem Weg geräumt werden - das ist etwas ganz anderes. Außerdem hatte die Vokabel von der Aktivierung ihre Hochzeit mit Einführung von Hartz IV. Chancen schafft der Sozialstaat, indem er zuerst einmal auf den Einzelnen vertraut und dann Angebote macht, die wahrgenommen werden können.

Wie äußert sich Andreas Peichl dazu:

"Peichl: Das [dass Menschen ihr Arbeitsangebot nicht reduzieren, SL] wäre natürlich eine positive Entwicklung, ich will aber noch einmal zum Ausgangspunkt zurück. Es gibt Menschen, die intrinsisch motiviert sind, wie du es gesagt hast, Marcel. Sie arbeiten gern, zum Beispiel weil sie ihre Tätigkeit als sinnstiftend empfinden oder das soziale Umfeld schätzen. Das widerspricht dem im ersten Semester gelehrten volkswirtschaftlichen Grundmodell, das nur Arbeitsleid kennt und keine Arbeitsfreude. Dass das anders sein kann, sehen wir in den Daten. Es gibt aber auch Menschen, für die die Entlohnung der wichtigste Grund für die Aufnahme einer Arbeit ist. Deshalb muss man staatliche Leistungen so austarieren, dass sie die intrinsische Motivation erhalten, ohne die extrinsische zu zerstören. Auch mit einem Grundeinkommen muss es sich lohnen, eine Arbeit aufzunehmen."

Peichl stellt die intrinsische der extrinsischen Motivation gegenüber und legt damit nahe, dass für die einen ein BGE richtig und angemessen wäre, weil sie intrinsisch motitivert seien, für die anderen aber nicht. Wenn aber ein BGE als Basis dient und ein Lohn hinzukommen kann, dann ist dem, was er "extrinsische" Orientierung nennt, Genüge getan. Was als Einwand gedacht ist, ist keiner. Davon abgesehen wäre es ein Missverständnis zu meinen, "extrinsische Motivierung" sei eine eigene Quelle von Aktivität, denn auch die Orientierung am Lohn ist eine intrinsische, denn den Lohn als vorrangiges Ziel oder Motiv zu betrachten, ist eine Haltung, die der Betreffende zum Lohn einnimmt, es ist seine Haltung. Das von Peichl erwähnte Theorem vom Arbeitsleid ist eines der empiriefreien Lehnstuhltheoreme, das in vielen Simulationen zu etwaigen Auswirkungen eines BGE die entscheidende Annahme bildet mit entsprechenden Ergebnissen. Was wäre, wenn andere Annahmen die Simulationen leiten würden? 

Fratzscher antwortet Peichls Motivierungsthese:

"Fratzscher: Die Frage ist mir zu despektierlich [zuvor wurde gefragt, wer den Müll wegräume]. Auch die Tätigkeit bei der Müllabfuhr kann sinnstiftend sein. In Deutschland gehen viele Millionen Menschen zur Arbeit und machen einen harten Job, der ihnen viel abverlangt – obwohl sie vielleicht nur ein paar Euro mehr bekommen als im Bürgergeld. Es gibt auch im Niedriglohnsektor eine intrinsische Motivation. Es kommt aber natürlich darauf an, dass der Lohnabstand groß genug ist, dass ich also, wenn ich arbeite, mehr Geld habe, als wenn ich nur das Grundeinkommen beziehe. Das bedeutet, dass nach der Einführung eines solchen Einkommens die Löhne steigen müssten. Dann würden einfache Dienstleistungen wahr- scheinlich teurer werden, aber das ist aus meiner Sicht gut. Der Abstand zwischen hohen Löhnen und niedrigen Löhnen ist in den vergangenen Jahrzehnten stark gestiegen, wenn diese Lohnspreizung zurückgeht, wäre das im Sinne des sozialen Zusammenhalts eine positive Entwicklung."

Fratzscher antwortet hier treffend auf einen Klassiker der Einwände gegen ein BGE (siehe unsere Kommentare zu diesem Einwand hier). Wer diese Frage als ernsthaften Einwand betrachtet, müsste zeigen können, dass eine solche Bereitschaft zu Engagement in diesen Berufen nicht gibt - wo ist dieser Beleg? Wie das empirielose Lehnstuhltheorem vom Arbeitsleid, so beruht auch diese Einschätzung - Peichl nennt keine Studie oder Quelle - auf sehr voraussetzungsvollen Annahmen oder eben auf Vorurteilen. In den vielen Jahren, die ich schon Vorträge zum BGE gehalten und Diskussionen bestritten habe, konnte nie ernsthaft belegt werden, dass es am Interesse an einer solchen Tätigkeit fehlt. Eher ist es so, dass, wenn die Bezahlung es nicht erlaubt, die eigenen Lebenshaltungskosten zu decken oder die Arbeitsbedingungen zu schlecht wurden, dann deswegen der Beruf gewechselt wurde - nicht aber des Inhaltes wegen. Fratzscher allerdings unterläuft hier ein Denkfehler, denn im Unterschied zu heute gibt es zwischen BGE ohne und BGE mit Lohn immer einen relevanten Abstand, da der Lohn nicht angerechnet wird. Wenn also ein BGE eingeführt würde und die derselbe Lohn wie zuvor würde gezahlt, könnte das immer noch attraktiv sein. In dieser Überlegung Fratzschers scheint noch das Armutsfallentheorem fortzuwirken, das wie selbstverständlich genutzt, aber ebensowenig belegt ist (siehe hier). 

Wie sehr Peichl noch am Arbeitsleid- und Anreiztheorem hängt, zeigt sich hier:

"Peichl: Mit den Regeln, die wir jetzt haben, würden sie dafür in vielen Fällen faktisch bestraft werden, weil dann möglicherweise Transferleistungen wie zum Beispiel das Wohngeld wegfallen und Steuern und Sozialabgaben gezahlt werden müssen. Das führt dazu, dass vom zusätzlich erzielten Bruttoeinkommen netto wenig übrig bleibt – wenn überhaupt etwas. Man müsste also das Sozialsystem umbauen, um die Arbeitsanreize zu stärken, und gleichzeitig sicherstellen, dass der Staat genug Geld einnimmt, um das Grundeinkommen zu finanzieren."

Und hier wiederholt sich das:

"Peichl: Das Problem mit solchen Berechnungen ist, dass mögliche Anpassungsreaktionen nicht berücksichtigt werden. Wir müssen zum Beispiel davon ausgehen, dass die Leute weniger arbeiten, wenn Arbeit höher besteuert wird. Dann geht die Wirtschaftsleistung zurück, und die Steuereinnahmen sinken. Ich kann da in den Modellen ganz verheerende Wirkungen berechnen, je nachdem, welche Annahmen ich treffe – vor allem, wenn zu der 50-Prozent-Steuer noch Sozialabgaben dazukommen. Ich kann natürlich auch zu weniger dramatischen Ergebnissen kommen. Es ist schwierig bis unmöglich, die Folgen einer derart weitreichenden Änderung mit den Methoden, die uns zur Verfügung stehen, abzuschätzen."

Welche Anpassungsreaktionen, auf Basis welcher Annahmen erfolgen sie? Wenn ein BGE eingeführt wird und die höhere Besteuerung seiner Finanzierung dient, weshalb sollte das in der Breite es weniger attraktiv machen, erwerbstätig zu sein. Auch das ist eine Behauptung. Peichl sagt ja selbst - "je nachdem, welche Annahme ich treffe" -, eben, "je nachdem". Wie aber gelange ich denn zu diesen Annahmen? Nur weil etwas aufgrund der Verbreitung dieser Vorstellung von Arbeitsanreizen plausibel erscheint, muss es noch lange nicht plausibel sein. Dass er als Wissenschaftler das einfach so dahin stellt, ist erstaunlich. 

Aufschlussreich an dem Gespräch ist auch, dass Peichl lediglich einräumt, welch negative Auswirkungen Sanktionen haben können, wenn sie nur zu kurz anhaltenden Beschäftigungsverhältnissen führen. Dass er aber überhaupt in der Erhöhung der Beschäftigungsverhältnisse ein relevantes Ziel sieht und nicht darin, durch eine Veränderung der Existenzsicherungsbedingungen durch ein BGE die Chancen für ein gutes Passungsverhältnis zwischen Arbeitsuchendem und Unternehmen zu verbessern oder sogar darüber hinaus die offensive Nutzung von Automatisierungsmöglichkeiten zu befeuern, überrascht.

"ZEIT: Letzte Frage: Ab welchem Einkommen würden Sie aufhören zu arbeiten?

Peichl: Ich glaube, auch mit sehr viel mehr Geld würde ich mir ein Büro einrichten und weiter an den inhaltlichen Themen arbeiten. Es gibt für mich keine Summe, die groß genug wäre, um diesen Job nicht zu machen.

Fratzscher: So ist das auch bei mir. Ich sehe die Arbeit, die ich machen darf, als Privileg an. Ich gebe aber zu, dass ich mich sehr schwertun würde, mit 1.200 Euro im Monat auszukommen."

Die Frage ist ein Klassiker und wurde schon im ersten langen Grundeinkommensfilm gestellt, die Antworten waren damals schon bezeichnend und sind es auch hier. Was für Peichl gilt, scheint für andere ja nicht gelten zu können; was Fratzscher sagt, bestätigt, was BGE-Befürworter schon lange sagen, auch wenn es nur ein Aspekt unter anderen ist.

Sascha Liebermann

weiterlesen...

30. April 2025

Bedingungsloses Grundeinkommen und bedarfsgeprüfte Leistungen - ein Ausschlussverhältnis?

Mir scheint ein Missverständnis vorzuliegen, ohne dass der Verfasser der Beiträge angibt, worauf er sich hier bezieht. In der fachlichen wie akademischen Diskussion gibt es durchaus Positionen, die mit Hilfe eines BGEs alle bedarfsgeprüften Leistungen ersetzen wollen oder eine solche Ersetzung für ideal halten, so seit eh und je Thomas Straubhaar. Es gibt aber ebenso andere Positionen, für die ein BGE einen ganz anderen Status hat als ihn bedarfsgeprüfte Leistungen haben und deswegen beide unabhängig voneinander betrachtet werden müssen. So liegt es zwar nahe, dass ein BGE in der Höhe des dann bereitgestellten Betrages z. B. Regelleistungen in der Grundsicherung ersetzen könnte und eventuell auch andere, doch hängt das eben von der Betragshöhe ab und betrifft nur die Pauschalierung. Bedarfsgeprüfte Leistungen über den Pauschalbetrag soll es diesen Positionen gemäß weiterhin geben. Dass sich die Situation für Alleinstehende dann ganz anders darstellt als für Familien in einem Haushalt ist eine Auswirkung eines BGE, das pro Person gewährleistet wird. So könnte es - wieder je nach Betragshöhe - sein, dass eine vierköpfige Familie mit den BGE-Pauschalbeträgen ihre Bedarfe decken kann, eine alleinstehende Person aber nicht. Zu behaupten, ein BGE würde alle bedarfsgeprüften Leistungen ersetzen, übergeht diese Unterscheidungen in der Debatte, die teils auch bewusst unterlaufen wurden in früheren Beiträgen z. B. von Christoph Butterwegge und anderen, denen es allerdings auch nicht um eine differenzierte Diskussion ging, sondern um eine grundsätzliche Ablehnung.

Dass es bei dem Pilotprojekt nicht um ein BGE im strengen Sinne ging, ist leicht zu erkennen, wenn man sich z. B. an den BGE-Kriterien des Basic Income Earth Networks oder des Netzwerk Grundeinkommen orientiert.

Siehe "Über Bedarfe und Bedürftigkeit" 

Siehe "Bedingungsloses Grundeinkommen und bedarfsgeprüfte Leistungen: entwirrt"

Sascha Liebermann

28. April 2025

"...Druck auf Bürgergeld-Empfänger soll wachsen" - eine Debatte ohne Perspektive

Siehe unsere Beiträge dazu hier

25. April 2025

Beleg taugt nicht für Behauptung Palmers zum Bürgergeld

23. April 2025

Ahnungslosig- oder Mutwilligkeit?

"Über würdige und unwürdige Arme:...

 ... 'Seine Kleidung soll schäbig, aber sauber, er selbst frei von Schuld an seinem Mißgeschick sein'. 1961, München' - ein Beitrag von Stefan Sell zur Bürgergelddebatte der vergangenen Monate.

Hier ein Auszug, den Sell aus einem Spiegelartikel von 1961 zitiert:

"'Der Arme, den die Bundesbürger in diesen Wochen mit Vorzug zu beglücken bereit wären, soll sich mit Hunger und Kälte vertraut, doch nicht als Mopedist oder Fernsehteilnehmer zeigen. Seine Kleidung soll schäbig, aber sauber, er selbst frei von Schuld an seinem Mißgeschick sein. Unerwünscht insonderheit sind Laster, wie Trinken oder unmäßiges Kartenspiel.
Auf diese Wunschvorstellung von der Armut, die noch aus wilhelminischen Zeiten zu stammen scheint, als man dem Empfänger von Wohlfahrtsunterstützung – heute dezent Sozialhilfe genannt – das Wahlrecht vorenthielt, haben die Wohlfahrtspfleger in der ganzen Bundesrepublik einzugehen, wenn sie nicht auf den Spendenbeitrag einer ganzen Heerschar von Selbstgerechten verzichten wollen.'"

Es geht in dem Beitrag um die wiederkehrende Diskussion um "würdige" und "unwürdige Arme". Eine alte Debatte also ist das.

Sascha Liebermann

"Es würde funktionieren“...

...so ist ein Interview mit Christoph Werner, Vorsitzender der Geschäftsführung bei dm, in der Frankfurter Rundschau übertitelt. Interessant sind manche Überlegungen besonders im Kontrast zu gängigen Äußerungen in der Diskussion um Bürgergeld und Bedingungsloses Grundeinkommen.

An einer Stelle hebt Werner heraus, dass ein BGE eben - anders als beim Bürgergeld - immer zusätzliches Einkommen wäre. Daraus folgte dann, dass Diskussion um eine Transferentzugsrate erledigt wäre. Zugleich geht er mit der Möglichkeit, sich nicht einzubringen, gelassen um:

"Die meisten Menschen wollen arbeiten – nicht aus Zwang, sondern weil sie sich darin ausdrücken können. Es gibt natürlich auch einige, die nicht arbeiten wollen, aber es sind sehr wenige und damit kann eine Gesellschaft umgehen. Wichtiger ist, dass Menschen nicht mehr nur arbeiten, um sich abzusichern, sondern weil sie ihre Tätigkeit als sinnvoll erachten und damit zur Exzellenz bringen wollen."

Diese Dimension, sich in der Arbeit - hier wohl nur Erwerbsarbeit - ausdrücken zu können, sich zum Ausdruck zu bringen, wird von denjenigen, die nur die Lohnanreizwippensimulation benutzen, nicht berücksichtigt. Wer andere Dimensionen für mindestens gleichrangig erachtet, wird schnell als Gutmensch, Idealist oder weltfremder Humanist betrachtet. Darüber hinaus sieht Werner keine Gefahr darin, wenn sich nun wenige ganz verweigern würden, er hebt sogar heraus, wie sehr ein BGE die Leistungsorientierung unterstützen würde.

"[FR] Kritiker befürchten, dass viele unliebsame Jobs mit der Einführung des BGE nicht mehr besetzt würden. Ist diese Sorge berechtigt?

[Werner] Es gibt eine ganze Menge an Tätigkeiten, die wir wirtschaftlich automatisieren könnten. Bei den restlichen Stellen glaube ich nicht, dass sie aufgrund des BGEs unbesetzt bleiben würden. Die Attraktivität von Arbeit ist sehr subjektiv: Was für den einen unattraktiv scheint, kann von anderen als sinnvoll und befriedigend erlebt werden."

Auch hier kommt ein wichtiger Aspekt zur Sprache, und zwar wie unterschiedlich die Einzelnen spezifische Aufgaben wahrnehmen und bewerten. Jenseits einer gesellschaftlichen Bewertung von Tätigkeiten ist die individuelle Bewertung von Gewicht, denn danach entscheidet sich letztlich, wo sich jemand zu engagieren für sinnvoll erachtet. Was dem einen unnütz oder sinnlos erscheint, muss es für den anderen nicht sein (siehe auch hier). So lässt sich auch erklären, weshalb - so habe ich es wiederholt erfahren - Akademiker dazu tendieren, "unangenehme" Tätigkeiten (siehe auch hier) zu identifizieren, die doch keiner mehr machen würde, weil sie ihren Bewertungstandpunkt schlicht verallgemeinern. Dass für andere genau deren Tätigkeiten hingegen unangenehm sind, wird gar nicht in Betracht gezogen. 

An einer anderen Stelle führt er aus:

"[FR]Die Pilotstudie aus Deutschland hat gezeigt, dass Menschen mit BGE häufiger den Job wechseln. Macht man sich da als Unternehmer Gedanken, dass einem die Mitarbeitenden davonrennen könnten?
[Werner] Als Unternehmer sehe ich das nicht als Problem. Wer gute Arbeitsbedingungen bietet, wird auf der Gewinnerseite stehen. Viele Menschen wagen es wegen finanzieller Sorgen nicht, den Job zu wechseln. Das Grundeinkommen macht Mut, Veränderung zu wagen. Mehr Risiko wäre sogar gut für unsere Gesellschaft."

Wie die schon oben erwähnte Dimension, sich in der Arbeit auszudrücken, so wird auch diese hier in der Regel vernachlässigt. Es wird häufig davon ausgegangen, an den Arbeitgebern und ihren Angeboten könne es ja nicht liegen, also müsse die fehlende Leistungsbereitschaft der Bürgergeldbezieher oder gar des Menschen im allgemeinen der Grund sein, weshalb ein BGE nicht funktionieren könne. Werner hingegen misst den Arbeitsbedingungen die wichtigste Bedeutung zu.

Bemerkenswert ist auch, was er zur Diskussion über die Erhöhung der Arbeitsstunden zu sagen hat:

"[FR]Forderungen, dass Deutsche aufgrund der schwächelnden Wirtschaft mehr arbeiten sollen, halten Sie also für nicht sinnvoll?

[Werner] Es geht nicht um mehr Arbeitsstunden, sondern um mehr Output auch durch Produktivität. Flexible Arbeitsmodelle wie die 4-Tage-Woche oder Homeoffice bei dafür geeigneten Tätigkeiten können die Effizienz sogar steigern, weil sie Menschen ermöglichen, ihre Zeit selbst einzuteilen und so die Bedingungen zu schaffen, unter denen sie am produktivsten sich einbringen können."

Damit gehört er zu den seltenen Stimmen, die nicht die Arbeitsstunden für entscheidend halten, sondern was dabei herauskommt. Statt nur über eine Erhöhung der Arbeitsstunden zu diskutieren, wäre doch vielmehr die Frage zu stellen, inwiefern Arbeitsbedingungen so verbessert werden können, dass sie zu einem besseren Ergebnis führen. Entscheidend, so lässt sich daraus folgern, ist eben die Wertschöpfung und nicht die Beschäftigung. Wer die Arbeitsbedingungen hierbei vernachlässigt, übersieht einen entscheidenden Punkt, deswegen ist das BGE auch als eine Mittel zu verstehen, mit dessen Hilfe Arbeitsbedingungen verbessert werden könnten und womöglich auch müssten.

Sascha Liebermann

weiterlesen...

22. April 2025

"Grundsicherung, aber wie?" - In jedem Fall ohne Grundeinkommen,...

...da ist sich Andreas Peichl, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Uni München und Mitarbeiter des ifo-Instituts, in seinem Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sicher. 

Peichl befasst sich in seinem Beitrag mit dem Vorhaben einer "Neuen Grundsicherung", das die Gelegenheit biete, Verbesserungen im bestehenden bedarfsorientierten System der sozialen Sicherung zu erreichen. In diesem Zusammenhang äußert er sich zum konkurrierenden Vorschlag eines Bedingungslosen Grundeinkommens, das durch die Präsentation der Ergebnisse des Pilotprojekts von Mein Grundeinkommen kürzlich wieder medial größere Aufmerksamkeit erhalten hat (siehe z. B. hier und hier). Er weist - wie manche schon - auf die Grenzen der Studie von Mein Grundeinkommen und deren positiver Ergebnisse hin, was deswegen interessant ist, weil er sie mit den "negativen Ergebnissen" einer anderen Studie aus den USA vergleicht, ohne deren Begrenzung allerdings zu benennen. Das ist schon ein interessantes Framing für einen solchen Beitrag, weil damit behauptet wird, die Ergebnisse der anderen Studie seien belastbarer. Dabei haben Guy Standing und Scott Santens auf ebendiese Grenzen der  US-amerikanische Studie schon lange hingewiesen.

Warum schließt Peichl das BGE als mögliche Alternative aus? Ganz überraschend kommt diese Stellungnahme nicht, denn schon in der Vergangenheit hatte er sich wiederholt dagegen ausgesprochen (siehe z. B. hier und hier). Um die Folgen eines BGE auszumalen greift er auf die Ergebnisse einer Studie zurück, an der er selbst mitwirkte:

"Für eine vierköpfige Familie ergäbe sich ein Betrag von 3784 Euro pro Monat, was zu einem jährlichen Finanzierungsbedarf von rund 1100 Milliarden Euro führen würde. Dem stünden mögliche Einsparungen bei den bestehenden Sozialausgaben von nur rund 230 Milliarden Euro gegenüber, sodass eine Finanzierungslücke von rund 870 Milliarden Euro pro Jahr verbliebe. Um diese Lücke zu schließen, müsste die Steuerquote massiv erhöht werden. Das würde sich zwangsläufig negativ auf Arbeitsanreize, Investitionen und Standortattraktivität auswirken [Hervorhebung SL]."

Auffällig ist hier die Einseitigkeit, mit der Peichl nicht nur etwaige Folgen in Erwägung zieht, es handelt sich immerhin um bloße Schätzungen einer Simulationsstudie, sondern sie als gewiss behauptet. Wie kommt er dazu? Er muss, um diesen Schluss zu ziehen, bestimmte Annahmen treffen, die ja nun gerade zu diskutieren wären, ganz vorne steht hier die Konzeptualisierung von Leistungsbereitschaft vor dem Hintergrund eines Modells von Arbeitsleid (siehe die Studie von Ronald Gebauer, schon einige Jahre alt, aber immer noch lesenswert, der sich mit diesen Annahmen beschäftigt; die ganze Diskussion um die sogenannte Armutsfalle beruht darauf), das mit dem Lohn vergolten wird. Dieses Modell ist sehr einfach gestrickt und unterkomplex, weil es einige Dimensionen menschlichen Handelns schlicht nicht berücksichtigt. Stefan Bach (DIW), der ebenfalls an einer Studie zur Finanzierung mitgewirkt hat (siehe auch hier), kommt entsprechend zu anderen Schlüssen, weil er diese Dimensionen einzubeziehen scheint und verweist darauf, dass die meisten Ökonomen negative Effekte von höherer Besteuerung erwarten. Alexander Spermann hatte sich ebenso kritisch zum Gutachten, auf das Peichl rekurriert, geäußert und auf die Grenzen der Simulationsstudie hingewiesen.

Über die negativen Auswirkungen der höheren Besteuerung wegen hinaus schreibt Peichl:

"Darüber hinaus ist ein BGE ineffizient und auch ungerecht, weil es individuelle Bedürfnisse nicht berücksichtigt. So würden zum Beispiel Personen in günstigen Wohnregionen unnötig hohe Zahlungen erhalten, während Personen in Hochpreisregionen möglicherweise nicht ausreichend unterstützt würden. Zudem steht es in klarem Widerspruch zu den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, das eine individuelle und bedarfsgerechte soziale Sicherung fordert."

Hier scheint er auf die Straubhaar-Version eines BGE zurückzugreifen und setzt sie mit der Idee im Allgemeinen gleich, das ist nicht nur nachlässig, sondern ein Pappkamerad, der seiner Begründung dient, nicht aber der Idee entspricht, wie sie weithin diskutiert wird. Seit Jahren wird darüber gesprochen, dass ein BGE substitutiv gestaltet werden soll und der Betrag in seiner Höhe bestehende Leistungen in der entsprechenden Höhe ersetzen kann.

Weiterhin schreibt er:

"Dies hat zur Folge, dass die bedarfsorientierte Grundsicherung für einkommensschwache Haushalte gleichen Typs mit gleichem Bruttoeinkommen regional sehr unterschiedlich ausfällt und zudem zu großen Unterschieden bei den Arbeitsanreizen führt. Die unterschiedliche Zuständigkeit von vier Ministerien (Arbeitsministerium für Bürgergeld, Bauministerium für Wohngeld, Familienministerium für Kinderzuschlag und Finanzministerium für Kindergeld) hat in der Vergangenheit dazu geführt, dass Änderungen der einzelnen Leistungen unzureichend aufeinander abgestimmt wurden und damit die Intransparenz des Systems weiter erhöht haben. Die komplizierten, nicht aufeinander abgestimmten Berechnungssysteme von Bürgergeld, Wohngeld und Kinderzuschlag führen häufig zu Situationen, in denen sich Mehrarbeit finanziell kaum oder gar nicht lohnt."

Die berechtigte Kritik am Wirrwarr bestehender Leistungen lässt zugleich erkennen, dass Peichl wie schon oben erwähnt tatsächlich eine sehr einfaches Konzept der Wirkung von Lohn auf Leistungsbereitschaft voraussetzt. Damit behauptet er, dass der Lohn die entscheidende Dimension für Leitungsbereitschaft sei, nur dann nämlich kann die Bewertung, etwas lohne sich finanziell nicht, angestellt werden. Weshalb berücksichtigt er nicht die erfüllende Seite von Erwerbstätigkeit, weshalb nicht die Wertschätzung durch kollegialen Austausch und letztlich die gemeinwohlbezogene Seite, etwas für andere zu leisten?

"Empirisch überrascht es daher nicht, dass von den rund vier Millionen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten im Bürgergeld nur rund 800.000 (20 Prozent) überhaupt erwerbstätig sind, davon weniger als 80.000 in Vollzeit. Die meisten arbeiten in Teilzeit oder haben nur einen Minijob. Die Menschen reagieren auf die Anreize, die ihnen das Sozialsystem bietet."

Hier wiederholt sich, was er einfach voraussetzt - das Zauberwort ist "Anreiz", das für eine extrem verkürzte Deutung von Handlungsmotivierungen steht. Interessant wäre es hier zu erfahren, wie er das belegen würde. Gerade die Diskussion über das Bürgergeld seit dem Herbst 2023 hat doch zutage gefördert, und zwar sowohl von Jobcentern als auch von anderen Studien, dass die Gründe dafür, nicht erwerbstätig zu sein oder es nur in Teilzeit zu tun, vielfältig sind (siehe hier).

Ein häufig anzutreffender Vergleich, wenn es um "Anreize" geht, ist der folgende:

"Warum wurden diese Reformen bisher nicht verwirklicht? Fehlt der Glaube an Anreize? Wer Kinder hat, weiß, dass Menschen auf Belohnung oder Bestrafung [Hervorhebung SL] – positive oder negative Anreize – reagieren. In der Diskussion werden immer wieder zwei Argumente angeführt. Zum einen wird häufig argumentiert, man müsse höhere Löhne durchsetzen etwa durch eine Erhöhung des Mindestlohns. Eine solche Lohnerhöhung verpufft aber bei Grundsicherungsempfängern, wenn der höhere Lohn zu fast 100 Prozent auf die Transferleistung angerechnet wird. Man hat brutto mehr, netto nicht. Ohne eine Reform der Transferentzugsraten läuft der Mindestlohn im Bereich der Aufstocker ins Leere."

Was genau versteht Peichl darunter, eine behavioristische Konditionierung? Intrinsische Motivierung scheint es überhaupt nicht zu geben, zumindest findet sie keine Erwähnung. Was Peichl mit dem Vergleich ebenfalls unterschlägt, ist, dass Kinder aufgrund besonderen Beziehung zu den Eltern ihnen ein außerordentlich großes und belastbares Vertrauen entgegenbringen, man also eher von einer intensiven Bindung sprechen muss. Sie erlaubt es dann auch zu erklären, weshalb das, was Eltern sagen, lange Zeit einfach unhinterfragt gilt. Im vorliegenden Zusammenhang diesen Vergleich zu ziehen und ihn auf Anreize zu verkürzen, ist ein Kategorienfehler oder anders ausgedrückt: es wird Unvergleichbares miteinander verglichen und zugleich verkürzt.

Sascha Liebermann

weiterlesen...

"Was das Grundeinkommen wirklich verändert"

Darüber schrieb David Gutensohn auf Zeit Online, nachdem die Ergebnisse des Pilotprojekts Grundeinkommen nun vorliegen. Zuerst berichtet er über eine Gewinnerin und was sie mit dem Grundeinkommen über drei Jahre gemacht hat. Diesen Abschnitt beschließt er mit folgender Passage:

"Korves ist dankbar für das bedingungslose Geld, steht dem Grundeinkommen aber trotzdem kritisch gegenüber. Sie finde es toll, dass Menschen damit ihre Träume verwirklichen können, frage sich jedoch: 'Würden andere das Geld so sinnvoll einsetzen wie ich?'" 

Da für dieses Zitat keine Quelle angegeben wird, nehme ich es so, wie es präsentiert wird. Die Gewinnerin sieht die positive Seite des Grundeinkommens, hat sich etwas aufgebaut als Schwimmtrainerin und ist dennoch skeptisch - aber nicht sich selbst gegenüber. Diese Skepsis gegenüber den Anderen, was die wohl damit machen würden, ist eines der interessantesten Phänomene in der Debatte und taucht schon im ersten Film über das Grundeinkommen von Daniel Häni und Enno Schmidt auf (ab Minute 26). Genauso hätte sie davon ausgehen können, dass Andere eben das tun, was ihnen sinnvoll erscheint, das tut sie aber offenbar nicht. Dieser Haltung bin ich in meiner Forschung zum BGE immer wieder begegnet, sie ist die eigentliche Crux, wenn es um eine Einführung überhaupt einmal gehen sollte. Woher aber rührt diese Skepsis, wenn doch im Alltagshandeln sich diese Skepsis nicht gleichermaßen zum Ausdruck bringt wie in den Deutungen, die zu diesem Handeln entwickelt werden? 

Andere Gewinner ziehen ja durchaus andere Schlüsse. Es spricht einiges dafür, dass hinter dieser Skepsis eine ähnliche Haltung sich artikuliert, wie sie gegenüber Bürgeldbeziehern immer wieder zu vernehmen ist, ganz gleich, was Studien dazu zu sagen haben. Da wird über "Totalverweigerer" phantasiert, über die Chance, bei der nächsten Gelegenheit, die Stelle zu kündigen, um endlich Bürgergeld zu beziehen usw. Dass solche Überlegungen einem durch den Kopf gehen mögen, ist das eine, daraus allgemeine Behauptungen zu machen, ist das andere. Doch befinden sich diese Vorbehalte in guter Gesellschaft, wenn andere in einem BGE "Opium für das Volk" sehen (Thomas Satterlberger), ein "süßes Gift" (Anke Hassel) oder "Wahnsinn mit Methode" (Norbert Blüm).

Nachdem Gutensohn Für und Wider der Studie sowie ihrer Belastbarkeit erwogen hat, schließt er folgendermaßen seinen Beitrag:

"Ohnehin stellt sich aktuell die Frage, wie zeitgemäß die Idee des Grundeinkommens noch ist. Diskutierten vor Jahren Menschen ernsthaft über das Konzept und die Frage, ob es zu mehr Selbstverwirklichung führt, wird heute darüber debattiert, ob nicht noch mehr gearbeitet werden kann. Vor einigen Jahren wurde das milde Bürgergeld eingeführt, nun wird es abgeschafft und es werden Sanktionen für Arbeitslose verschärft."

Woran bemisst man die Relevanz eines Vorschlages? Man kann dies am Stand der gegenwärtigen Diskussion tun, wie Gutensohn es hier macht, man kann aber auch die Defizite dieser Debatte zum Anlass nehmen, um langfristige Lösungen zu erwägen. Zwischen "Selbstverwirklichung", auch wenn der Begriff eine einseitige Zuspitzung beinhaltet, und Engagement bzw. Leistung besteht allerdings gar kein Gegensatz. Nur weil manche in der Debatte über ein BGE sie als Gegensatz behandelten, muss es keiner sein. Gutensohn müsste ja eher die Frage stellen, unter welchen Bedingungen denn Leistungen möglich sein soll, ob denn Sanktionen leistungsfördernd sind oder eher -zerstörend. Für ein Gemeinwesen kann es nicht um die Frage gehen, Beschäftigung zu schaffen oder zu sichern, damit Bürger eine Aufgabe haben, wie es manchmal heißt. Vielmehr muss die Frage beantwortet werden, wozu denn diese Leistung dienen soll, wie sich ein Gemeinwesen versteht und was es ermöglichen will.

Dass "CDU und SPD [...] weit davon entfernt" sind, sich damit zu befassen, spricht das nun für oder gegen ein BGE? Nur weil die in den vergangenen Jahrzehnten sozialpolitisch vor sich hindümpelten Parteien mit einem Rückgriff auf Klischees und Vorurteile Sozialpolitik gemacht haben, soll das das letzte Wort sein?

Man könnte ebensogut den Bedarf an einer sachhaltigen öffentlichen Diskussion erkennen, wie sie nicht nur in Fragen der Sozialpolitik fehlt.

Sascha Liebermann

Weiter eine Utopie

Ohnehin stellt sich aktuell die Frage, wie zeitgemäß die Idee desGrundeinkommens noch ist. Diskutierten vor Jahren Menschen ernsthaft über das Konzept und die Frage, ob es zu mehr Selbstverwirklichung führt, wird heute darüber debattiert, ob nicht noch mehr gearbeitet werden kann. Vor einigen Jahren wurde das milde Bürgergeld eingeführt, nun wird es abgeschafft und es werden Sanktionen für Arbeitslose verschärft. 

CDU und SPD sind weit davon entfernt, sich mit einem Grundeinkommen zu beschäftigen. Selbst die Linke, die der Idee lange nahestand, hat sich auf ihrem Parteitag dagegen ausgesprochen. Es dürfte also auf absehbare Zeit unrealistisch sein, dass bei Menschen wie Samira Korves und Bianca Radlbeck erneut 1.200 Euro bedingungslos Monat für Monat auf dem Konto landen.

16. April 2025

"Fakten" - Datenerhebung und -auswertung sowie ihre Engführung

Siehe zu dieser Frage auch hier

12. April 2025

Sprachkosmetische Erfolge - von der Grundsicherung zur Grundsicherung

"Keine Totalverweigerer"

Darüber schreibt Timo Steppat in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der sich den Arbeitsalltag in einem Jugendjobcenter angesehen und Gespräche geführt hat. Es geht darin also um Bürgergeldbezieher unter 30 Jahren, die Mär der angeblichen "Totalverweigerer" und meist gute Gründe derjenigen, die einen Termin nicht wahrnehmen. Die Problemlagen sind komplex, teils biographische Traumata, teils fehlende Betreuungsmöglichkeiten für Kinder Alleinerziehender, die deswegen ein Arbeitsangebot nicht annehmen könnten, teils fehlende Sprachkenntnisse.

"Die Bereichsleiterin Monika Aglogo, die das Jugendjobcenter führt, sagt: 'Ich kenne keine Totalverweigerer. Ich kenne nur junge Menschen, die nicht zu uns kommen.' Manche seien von zu Hause ge­flohen oder psychisch krank. Ihnen die Sozialleistungen zu entziehen, führe dazu, dass sie weiter in Armut und Obdach­losigkeit rutschten."

Weshalb manche der Mitarbeiter die Verschärfung der Sanktionen bei Erwachsenen befürworten, die sie gegenüber Jugendlichen und jungen Erwachsenen für das falsche Mittel halten, bleibt unklar.

Angesichts der vielen hämischen Einlassungen über Bürgergeldbezieher ist jeder Artikel wichtig, der über den Alltag differenziert berichtet. Siehe auch Argumente für Erziehungscamps – Einwände gegen ein Bedingungsloses Grundeinkommen.

Sascha Liebermann


11. April 2025

Ernüchterung oder realistische Einschätzung? Welche Schlüsse können gezogen werden?

Auch wenn der Titel der Kolumne Marcel Fratzschers irreführend ist und es sich bei den jüngst vorgestellten Ergebnissen des Pilotprojekts Grundeinkommen weder um ein allgemeines BGE noch um eines über die Lebensspanne handelte, weist er doch selbst auf die Beschränkungen des Projekts hin und die Vorsicht, mit der die Ergebnisse bewertet werden sollen. Von daher können diesbezüglich keine Schlüsse auf ein allgemeines BGE gezogen werden.

Zwei Aspekte seien in dem Beitrag herausgehoben. Fratzscher schreibt erstens:

"Ein bedingungsloses Grundeinkommen führt vermutlich nicht per se dazu, dass sich deutlich mehr Menschen selbstständig machen. Ausschlaggebend für eine solche Entscheidung sind die individuellen Fähigkeiten, Chancen und Informationen. Oder andersherum formuliert: Mehr Geld ist meist keine essenzielle Voraussetzung für eine Verhaltensänderung in Bezug auf Arbeit und Qualifizierung, sondern mehr Geld ist das Resultat von Qualifizierung und Anstrengungen."

Seit ca. 20 J. heben die ernsthaften Stimmen in der deutschen Debatte genau das hervor. Man muss die Veröffentlichungen dazu schon sehr selektiv rezipieren, um das nicht zu entdecken.

Der zweite Aspekt über den er schreibt: 

"Zweitens hängen die meisten Entscheidungen und Verhaltensweisen der Menschen weniger von Geld als von ihren Werten und ihrer Mentalität ab. Menschen verändern ihr Verhalten nicht, weil sie regelmäßig Geld bekommen. Sie sind geprägt durch andere Faktoren, etwa die Werte, mit denen sie groß geworden sind oder die sie in ihrem Umfeld erleben. Mehr Geld führt nicht einmal zu einer geringeren Risikoaversion und einer höheren Akzeptanz gegenüber Risiken in Bezug auf Arbeit, da diese häufig fest im Wertekanon und der Mentalität verankert ist."

Auch das haben ernsthafte Stimmen immer vertreten. Es sind verbreitete Simulationsmodelle, die zu Finanzierungsrechnungen genutzt werden, die anderes behaupten.

Anders als Fratzscher resümiert, sind die Ergebnisse der Studie gar nicht ernüchternd, sondern realistisch und nicht überraschend. Sie entsprechen dem, was aus soziologischer Forschung über Habitus, Mentalität und die sozialisatorischen Prozesse, die zu ihrer Herausbildung führen, bekannt ist. Das war vor zwanzig Jahren auch schon bekannt.

Sascha Liebermann

weiterlesen...