Er eröffnet den Beitrag so:
"Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) besitzt Spaltungspotenzial für die Gesellschaft: Würde es zur Abschaffung der Armut beitragen oder die Zukunft unserer Leistungsgesellschaft gefährden? Wäre es auf die Dauer überhaupt finanzierbar? Die Antwort auf diese Fragen hängt davon ab, wie die Bürger auf die Einführung dieses neuen Sozialmodells reagieren würden. Würden sie weniger arbeiten und verlören sie den Ehrgeiz sich weiterzubilden?"
Warum hat ein BGE "Spaltungspotenzial? Könnte es das haben, weil darum gestritten, darüber diskutiert wird - das aber muss nicht zu einer Spaltung führen, wie kommt er zu dieser Behauptung, was wird dafür vorausgesetzt? Wenn ein BGE eingeführt werden soll, muss es eine Auseinandersetzung über Für und Wider geben, aber auch das hat mit Spaltung nichts zu tun, sondern mit Willensbildung, zu der auch Dissens gehört. Am Ende ist entscheidend, ob eine Mehrheit zur Einführung bereit ist oder nicht.
Breyer referiert dann, das das Pilotprojekt Grundeinkommen auszeichnete und fragt:
"Ist die Frage nach den Wirkungen damit beantwortet? Muss der schwarz-rote Koalitionsvertrag umgeschrieben und schleunigst ein bedingungsloses Grundeinkommen eingeführt werden?"Das ist natürlich eine polemische Spitze, denn aus Forschungsergebnissen folgt unmittelbar nichts für die Praxis außer etwaigen Erkenntnissen darüber, welche Folgen ein BGE haben könnte. Womöglich ist es aber auch Ausdruck einer bestimmten Haltung zum Verhältnis von Wissenschaft und Politik sowie der darin enthaltenen Höherstellung derer mit wissenschaftlicher Expertise gegenüber politischen Entscheidungsträgern - diese Haltung gibt es ja durchaus.
Was lässt sich nun aus dem Experiment schließen?
"Die folgenden Gründe sprechen gegen eine Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse des Experiments: Es macht einen großen Unterschied, ob ein BGE dauerhaft eingeführt wird oder mit einer zeitlichen Befristung, bei der die Empfänger wissen, dass für sie nach wenigen Jahren wieder die „alten“ Regeln gelten."Das Pilotprojekt - so könnte das ausbuchstabiert werden - führt nicht zu einer Veränderung der normativen Basis des Handelns der Probanden, denn der Vorrang von Erwerbstätigkeit im Gemeinwesen bleibt ja bestehen. Vielmehr verstärkt sich genau das Fortwirken dieser Norm noch durch den Privileg-Status (Breyer nennt sie treffend "Auserwählte" und thematisiert die Dankbarkeitsverpflichtung, die daraus für die Probanden erwächst) der Probanden, die ausgewählt wurden. Wenn sie schon eine solches Sondereinkommen erhalten, ist die Rechtfertigung dafür, etwas Sinnvolles damit anzufangen noch höher als ohne Grundeinkommen. Genauso verhält es sich mit den in der BGE-Debatte häufig als Vergleich herangezogenen Lotteriegewinnern, sie eignen sich ebensowenig für eine Untersuchung etwaiger Folgen eines BGE.
Allerdings ist dieser Privileg-Status nichts Geheimnisvolles, der nicht in seiner Wirkung untersucht werden könnte. In den nicht-standardisierten Forschungsgesprächen, die im Rahmen des Pilotprojekts geführt wurden, müssten sich die Folgen dieses Privilegs nachweisen lassen. Vielleicht zeigen das die noch bevorstehenden Veröffentlichungen.
In folgender Passage werden zwei Dinge vermischt:
"Genauso wichtig ist es, ob man ein einzelner Transferempfänger in einem Umfeld ist, in dem alle anderen erwachsenen und arbeitsfähigen Menschen arbeiten, oder ob die Möglichkeit für alle besteht, auf Staatskosten ihren Hobbies nachzugehen. Die Normen und Vorstellungen dessen, was sozial akzeptiert wird, passen sich daran an, wie verbreitet ein Verhalten ist."
Auch hier herrscht ein polemischer Unterton, wenn Breyer davon spricht, den "Hobbies" "auf Staatskosten" nachzugehen. Zwar bietet ein BGE die Möglichkeit, das zu tun, ist aber keineswegs die einzige Möglichkeit, die es bietet, sondern eine unter anderen - es ist eben nicht "Geld für Nichtstun", sondern Geld, mit dem man eben auch nichts tun kann.
Nicht passen sich Normen daran an, was sozial akzeptiert ist, sie sind Ausdruck dessen, was sozial akzeptiert ist, sonst wären sie nie zu Normen geworden.
Dann kommt ein Einwand, der zu den Klassikern zählt, aber doch auf ein vereinfachtes "Anreiz"-Denken zurückgeht:
"Demgegenüber sehen alle durchgerechneten Vorschläge für ein BGE vor, dass der Steuersatz für alle weiteren Einkünfte mindestens 50 % betragen muss (vgl. die Übersicht in Osterkamp, R. (2015). Ist ein bedingungsloses Grundeinkommen in Deutschland finanzierbar? In Auf dem Prüfstand: Ein bedingungsloses Grundeinkommen für Deutschland? Nomos, S. 225–250, insb. Tabelle 1 auf S. 234 f.). Die Arbeitsanreize insbesondere für Menschen mit geringem Stundenlohn werden sich also fundamental unterscheiden."
Diese Schlussfolgerung ist argumentativ schlampig, denn zum einen erhalten die Bürger ja durch die Besteuerung ein BGE, jeglicher Lohn kommt zum BGE dazu. Zum anderen sind die Beweggründe für Erwerbstätigkeit komplexer, worauf wir immer wieder hingewiesen haben. Insofern müssen sich "die Arbeitsanreize" nicht "fundamental unterscheiden", es sei denn, man verkürzt "Arbeitsanreiz" auf Lohnerzielungschance.
"Wenn das Grundeinkommen an alle Bürger ausbezahlt würde, würden sich auch die Preise z. B. auf dem Markt für einfache Dienstleistungen ändern. Nicht nur sind die Effekte auf das Arbeitsangebot schwer vorherzusagen, sondern auch die Zahlungsbereitschaften der Konsumenten. Ob bzw. inwieweit eine Welt mit Grundeinkommen dann eine für die Gesellschaft „bessere“ wäre, gehört zu den wichtigsten Fragen in der Debatte über ein BGE. Zu gesamtwirtschaftlichen Angebots- und Nachfrageeffekten kann die Studie aufgrund der gewählten Methode keine Erkenntnisse liefern, was deren Verallgemeinerbarkeit einschränkt."
Das ist richtig, abgesehen von einem Punkt: "aufgrund der gewählten Methode" könne das Projekt "keine Erkenntnisse" liefern. Kein Projekt kann solcher Erkenntnisse liefern, hätten Breyer im Grunde schlussfolgern müssen, weil eben die gesamtgesellschaftlichen normativen Voraussetzungen von Handeln sich nicht ändern. Deswegen hat Stefan Bach für das DIW darauf verzichtet, Verhaltensänderungen zu simulieren, als er sich mit der Frage der Finanzierbarkeit beschäftigt hat.
Treffend resümiert Breyer zum Schluss:
"Das DIW gibt in seinem Wochenbericht Nr. 15/2025 an, dass die Studie einen „evidenzbasierten Baustein zur Versachlichung der sozialpolitisch relevanten Debatte“ (um das BGE) liefern würde. Gerade diese Aussage lässt sich jedoch bestreiten, da das Experiment aus den genannten Gründen den Lackmustest der externen Validität nicht besteht. Dabei liegt das nicht am fehlerhaften Design dieser speziellen Studie, sondern an der grundsätzlichen Unmöglichkeit, eine auf Dauer angelegte und für die ganze Bevölkerung geltende Sozialreform an einer kleinen Gruppe, zeitlich begrenzt und mit anderen Abgaberegeln zu testen."
Hieraus lässt sich allerdings nicht schließen, dass es keine sinnvolle Forschung dazu geben könnte, nur müsste sie anders ansetzen. Gegenstand hätten dann handlungsleitende Überzeugungen zu sein, die für die Entscheidungsfindung bislang leitend waren und im nächsten Schritt diese Überzeugungen abzugleichen mit etwaigen Folgen eines BGE. So könnte zumindest etwas Lichts ins Dunkel gebracht werden.
Und doch, obwohl er das Studiendesign für untauglich hält, beruft er sich auf ein Ergebnis, das sollte doch eigentlich gar nicht belastbar sein:
"Abgesehen von der fehlenden Übertragbarkeit auf ein „echtes BGE“ gibt es doch eine überraschende Erkenntnis aus dem Experiment: Schenkt man jungen Menschen, die nicht zu den Topverdienern zählen, 43.200 Euro (verteilt über 36 Monate), so legen sie davon nur ein gutes Drittel auf die hohe Kante, was für einen relativ kurzen Zeithorizont spricht."
Hier nun werden die Erkenntnisse doch als Beleg herangezogen, hatte er das nicht zuvor bestritten? Wenn es zu den eigenen Ansichten passt, scheint man sich doch darauf berufen zu können.
Sascha Liebermann