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20. Mai 2020

"Frauen übernehmen einen Großteil der Kinderbetreuung in der Coronakrise" - angesichts der Verehrung von Erwerbstätigkeit nicht überraschend

Die in Der Spiegel referierte Studie der Hans-Böckler-Stiftung gelangt zu Einsichten, die nicht überraschen können, es sei denn man hätte die Entwicklung der letzten vierzig Jahre übersehen. "Emanzipation" stand darin nicht im politischen Sinne, nicht bezüglich der Frage der Autonomie (nicht zu verwechseln mit Autarkie) als solcher im Zentrum, es war immer "Emanzipation" zur Erwerbsteilnahme angestrebt oder polemisch ausgedrückt: Das Alleinernährermodell wurde allverbindlich. Auf der Strecke blieb dabei, wofür einmal Anerkennung gefordert wurde, die "unsichtbare Arbeit" heute auch "unbezahlte Arbeit" genannt. Der Aufwertung von Erwerbstätigkeit als für alle verbindlicher Maßstab, führte zugleich zu einer weiteren Abwertung von Haushaltstätigkeiten, damit zu einer Abwertung von Familienleben und -beziehungen.

Nun war es aber schon zu Zeiten geringerer Frauenerwerbstätigkeit ein Missstand, dass Väter so wenig präsent waren. Man muss sich nur einmal vor Augen führen, wieviel Zeit vom Tag übrigbleibt bei Vollerwerbstätigkeit. Nehmen wir den heutigen Acht-Stunden-Tag, zuzüglich Mittagspause und Pendelzeiten, sind wir schnell bei etwa zehn Stunden durchschnittlicher Abwesenheit. Allzuviel Präsenz in der Familie ist damit für Vollerwerbstätige nicht möglich, ganz gleich ob für Mütter oder Väter. Was hat sich verändert? Der Missstand gilt nun für beide, mit einem Unterschied.

Mütter machen aufgrund der Schwangerschaft eine kontinuierliche Leiberfahrung (es geht hier also nicht um die biologisch regulierten, sondern um die sozial regulierten Prozesse) einschließlich der Geburt ihres Kindes (es wird "zur Welt gebracht"), wodurch sie dem Kind und seinen Bedürfnissen viel näher sind als Väter. Dass eine Geburt dennoch alles durcheinanderwirbelt, die weitgehende Selbstbestimmung davor in umfassende Fremdbestimmung danach verwandelt, ist eine Krise für beide, Mütter sind aber näher an dem Kind. Für Väter verläuft all dies recht abstrakt, sie "wissen" von der Schwangerschaft, sehen die Veränderungen, erfahren sie aber nicht am eigenen Leib. Sie können an ihrem Alltag lange festhalten und müssen wenig bis gar nichts verändern. Entsprechend haben sie nach der Geburt einen enormen Erfahrungsrückstand. Von hier aus gedacht müssten sie also nach der Geburt viel Zeit zuhause mit der Familie verbringen, um in die Vaterschaft hineinzufinden. Was aber ist die Realität heute? Allenfalls wenige Monate werden im Zuge der Elternzeit in Anspruch genommen und diese Elternzeit ist noch - betrachtet man ihren normativen Charakter - eine Belohnung für erwerbstätige Eltern, also das Signal, zur Quelle der Belohnung wieder zurückzukehren. Das geschieht unterstützt vom Ausbau außerhäuslicher Betreuungsangebote alsbald, man schaue sich nur die Entwicklung der Betreuungsquoten und -zeiten an (siehe z. B. hier). Wen wundert es also angesichts dessen, dass es Mütter sind, die einen "Großteil" der Aufgaben übernehmen?

Diejenigen, die diese Entwicklung dann kritisieren, wie z. B. hier die gewerkschaftsnahe Stiftung u. a., sehen die entscheidende Kur für diesen Missstand in der Ausweitung von Erwerbstätigkeit, ermöglicht durch Betreuungsangebote. Kur? Eher das Gegenteil, Fortschreibung und Verschärfung.

Sascha Liebermann

"Sie ist einfach so gut darin, sich um alles zu kümmern" - ein irreführender Titel...

...eines Beitrag auf Zeit Online. "Sieben Väter reden über ihren Corona-Alltag" und irreführend ist der Titel, weil er die Spannungen unterschlägt, das Hin- und Hergerissensein zwischen Familie und Beruf, die in den "Protokollen", wie der Beitrag untertitelt ist, zum Ausdruck kommt. Deutlich wird, dass die Väter sehr wohl wahrnehmen, wie hin- und hergerissen sie sind, zwischen Familie und Beruf, die sie durch ihre Heimtätigkeit anders wahrnehmen, mehr mitbekommen als zuvor, aber nicht wirklich Schlüsse dahingehend ziehen, dass sich etwas langfristig etwas ändern müsste. Auch ihre Frauen sind erwerbstätig und dennoch übernehmen sie mehr der Aufgaben, die sich nun im Alltag aufdrängen. Auch sie aber stellen nicht in Frage, welche Dominanz dem Erwerbsleben heute zukommt. Das ist eine drastische Folge der übermäßigen Bedeutung, die Erwerbstätigkeit erhalten hat.

Siehe frühere Beiträge zu dieser Frage von uns hier.

Sascha Liebermann

27. November 2019

"Für Geld allein ändern Mütter ihre Arbeitszeit kaum" - Warum sollten sie auch...

...und wen kann das Ergebnis der in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung besprochenen Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) überraschen? Doch offenbar nur diejenigen, die meinen, am Gelde hänge, zum Gelde dränge doch alles. Doch das Leben ist erheblich komplexer, es geht um Überzeugungen, Wertvorstellungen und um Beziehungen. - Geld hingegen ist inhaltsleer.

Sascha Liebermann

19. November 2018

"Arm trotz Arbeit - Warum viele Frauen so wenig verdienen"...

...eine Dokumentation in der WDR-Reihe "Menschen hautnah", die deutlich macht, was sich jenseits der Statistik (siehe hier und hier) abspielt, wenn das einzelne Leben in den Blick genommen wird. Alle porträtierten Frauen versuchen, das Beste aus ihrer Situation zu machen und dennoch kommen sie kaum über die Runden. Aufällig ist, dass auch die Mütter in dieser Dokumentation der Erwerbstätigkeit einen hohen Wert beimessen, obwohl sie zugleich erfahren, was das für das Familienleben bedeutet. Was würden sie tun, wenn es ein Bedingungsloses Grundeinkommen gäbe und die anderen Seiten des Lebens ernster genommen würden?

6. Juli 2018

Anerkennung oder Hinterfragung des status quo? Anmerkungen zu einer Studie über Armut

Vor kurzem haben wir auf eine Studie hingewiesen, die sich mit Kinderarmut befasste und dafür die Erwerbssituation der Eltern untersuchte. Entscheidend für die Einkommenssituation sei, ob die Mütter erwerbstätig sind oder nicht. Gemeinhin wird daraus der Schluß gezogen, dass die Erwerbsquote von Frauen insbesondere von Müttern erhöht werden müsse, dazu bedürfe es des Ausbaus von Betreuungsangeboten usw. Denn nur so sei Altersarmut bei Frauen vermeidbar. Für die Nachdenkseiten hat Marcus Klöckner die beiden Sozialwissenschaftler Claudia Wenzig und Torsten Lietzmann, die die Studie durchgeführt haben, interviewt. Was haben sie zu den Befunden zu sagen, welche Schlüsse ziehen sie daraus?

"Torsten Lietzmann: In Paarfamilien beispielsweise leben nahezu alle Kinder in einer abgesicherten Lage, wenn die Mutter dauerhaft Vollzeit oder Teilzeit oder geringfügig arbeitet. Wenn sie dauerhaft nicht erwerbstätig ist, ändert sich das Bild. 32 Prozent der Kinder sind dann in einer dauerhaften oder wiederkehrenden Armutslage. [...]
Claudia Wenzig: In Ein-Eltern-Familien hängt das Armutsrisiko von Kindern noch stärker an der Erwerbstätigkeit der Mütter. Nur wenn eine alleinerziehende Mutter über einen längeren Zeitraum in Vollzeit erwerbstätig ist, also mehr als 30 Wochenstunden, kann in den meisten Fällen verhindert werden, dass ihre Kinder in einer dauerhaften Armutslage aufwachsen. Ist eine alleinerziehende Mutter nicht erwerbstätig, wachsen ihre Kinder fast immer in einer dauerhaften oder wiederkehrenden Armutslage auf – der Anteil beträgt dann 96 Prozent."

Diese Befunde sind nicht weiter überraschend (siehe hier). Nun kann der Umstand, dass Einkommenserzielung über Erwerbstätigkeit zu erfolgen hat, einfach hingenommen werden, er gehörte womöglich auch gar nicht zur Forschungsfrage. Es wäre allerdings nicht wagemutig zu differenzieren, dass die Einkommensarmut hier eine ist, die genau aus dem Umstand resultiert, sich für Familie und gegen Erwerbstätigkeit entschieden zu haben bzw. über Erwerbstätigkeit zu geringes Einkommen zu erzielen. Daraus könnte der Schluß gezogen werden, wie wichtig es wäre, eine Einkommenssicherungsleistung zu haben, die Eltern erlaubte, sich für Familie zu entscheiden, ohne sich damit zugleich für Armut entscheiden zu müssen. Was empfehlen die Autoren?

"Formulieren Sie auch eine Handlungsempfehlung an die Politik? Oder anders gefragt: Was müsste aus Ihrer Sicht unternommen werden, um insbesondere der Kinderarmut entgegenzuwirken? 
Torsten Lietzmann: Unsere Ergebnisse zeigen ja, dass es ganz entscheidend darauf ankommt, ob die Mütter arbeiten. Daher sind insbesondere Maßnahmen entscheidend, die die Erwerbssituation von Müttern verbessern können – beispielsweise ein ausreichendes Angebot an Kinderbetreuungseinrichtungen. Wenn man das erhöhte Armutsrisiko von Kindern mit geringqualifizierten Eltern bedenkt, sind Investitionen im Bildungsbereich, die dazu führen, dass möglichst viele einen Abschluss erreichen, wichtig – auch wenn sich das erst auf längere Sicht auswirkt.
Nun geht Kinderarmut auf die Armut der Eltern zurück. Sehen Sie generell die Notwendigkeit vonseiten der Politik, sich stärker im Kampf gegen Armut in Deutschland zu engagieren? 
Claudia Wenzig: Der Kampf gegen Armut ist und bleibt ein wichtiges Thema. Der aktuelle Koalitionsvertrag benennt zumindest einige Aspekte zur Bekämpfung von Armut. Die gilt es nun umzusetzen und weiter zu verfolgen."

Lietzmann erwähnt mit keiner Silbe, was es heißt, wenn Mütter - um sie geht es in der Studie, obwohl dasselbe für Väter gilt - sich für Erwerbstätigkeit entscheiden und dann eben weniger oder keine Zeit mehr für Familie haben. In Abhängigkeit vom Alter der Kinder hat das sehr unterschiedliche Folgen, zu unterschätzen ist allerdings nicht, dass auch für ältere Kinder im Pubertätsalter wichtig ist, die Eltern ansprechen zu können, wenn sie Sorgen und Nöte haben, und diese Sorgen und Nöte sind nicht terminierbar auf eine Uhrzeit. Das zeichnet gerade den Konflikt zwischen Familie und Beruf aus, dass auf der Seite der Familie, hier insbesondere der Kinder, Zuwendungsbedürfnisse dominieren, die sich nicht auf einen Termin verschieben lassen und auch an andere Personen nicht delegiert werden können, wenn es um Zuwendungen durch die Eltern geht. Demgegenüber stehen die Aufgaben im Beruf, die sich in der Regel auf andere übertragen lassen. Wie in den Programmen der etablierten Parteien zu Bundestagswahl im vergangenen Jahr ist Familie zum Anhängsel des Arbeitsmarktes geworden und wird als Praxis mit eigensinnigen Herausforderungen nicht gesehen. Familie benötigt jedoch Zeit füreinander, Kinder wollen die Eltern in der Nähe haben bzw. müssen diese ansprechbar sein, damit Ablösungsprozesse gelingen können. Dass die beiden Sozialwissenschaftler nicht einmal erwähnen, was ihr Vorschlag zur Armutsvermeidung für das Familienleben bedeutet, gibt eine Voreingenommenheit zu erkennen, die zeigt, wie sehr solche Studie auf der Basis bestimmter Annahmen durchgeführt werden.

Sascha Liebermann

29. April 2016

"Aber ich bin lieber von meinem Mann als vom Staat abhängig"...

...eine Haltung einer Hausfrau und Mutter gegen das Bedingungslose Grundeinkommen. Der Einwand ist vielsagend und entspricht einem Autonomieverständnis, dass erst dann voll erreicht ist, wenn es keine Abhängigkeit mehr gibt. Ganz anders argumentieren "Frauen für das Bedingungslose Grundeinkommen".

24. August 2011

Erwerbsarbeit, Elternschaft und das männliche Selbstbild - Zu einem Interview mit Remo Largo

Der Tagesanzeiger (Schweiz) hat ein Interview mit Remo Largo geführt, einem renommierten Kinderarzt, in dem interessante Fragen unserer Zeit aufgeworfen werden. Es geht auch um den Stellenwert von Erwerbstätigkeit und die Vorstellungen von Familie heute. Zum Greifen nahe ist das bedingungslose Grundeinkommen, auch wenn die Sprache darauf nicht kommt. Mein Kommentar widmet sich den widersprüchlichen Teilen des Interviews.

Zuerst beschäftigt sich das Interview mit den Erwerbsbedingungen von Frauen und Männern heute, dem Missverhältnis zwischen der Präsenz der Mütter und der Väter in der Familie und was sich ändern müsste. Largo appelliert an Frauen wie Männer, von der Wirtschaft bessere Arbeitsbedingungen einzufordern; er ruft aber auch die Frauen dazu auf, von den Männern mehr Engagement in der Familie zu verlangen. So weit so gut. Im späteren, nun kommentierten Teil geht es um Schlussfolgerungen, die Largo aus den jetzigen Gegebenheiten zieht.

T: Bevor alle Frauen so viel arbeiten können, müssten sich die Rahmenbedingungen stark ändern.
RL: Ja, wir müssen Ganztagesschulen einrichten, wie es sie im Tessin schon lange gibt. Die Kinder brauchen eine Betreuung über Mittag und nach der Schule. In der Stadt Zürich ist die Hälfte der Kinder im Schulalter über Mittag und nach der Schule allein zu Hause. Ein unhaltbarer Zustand.
Damit Kinder berufstätiger Eltern über Mittag nicht so viel allein zuhause sind, sollen Ganztagsschulen Abhilfe schaffen. Diese Diskussion wird in Deutschland auch schon länger geführt, die Frage jedoch ist, was man damit erreichen will? Man könnte einwenden, dass, wenn schon die Eltern nicht präsent sind, die Kinder wenigstens versorgt wären. Und die Folgen? Solange Erwerbstätigkeit als die herausgehobene Tätigkeit schlechthin aufgefasst wird, führen Ganztagsschulen keineswegs dazu, dass sich Eltern stärker auf Familie besinnen können, wie es Largo in dem Interview Vätern nahelegt. Das Gegenteil ist der Fall: Ganztagsschulen und Kindertagesstätten angesichts der gegenwärtigen Lage auszubauen verstärkt nur die Erwerbsorientierung. Wenn Eltern für ihre Kinder besser ansprechbar sein sollen, müssen sie - beide - zuhause mehr präsent sein. Sie sind die zentralen Menschen im Leben der Kinder trotz aller Bezugspersonen, die es geben kann. Wenn also die Kinder mehr Zeit mit ihren Eltern haben sollen, dann sind Ganztagsschulen gerade keine Lösung, wenn damit eine Betreuung bis in den späten Nachmittag gemeint ist. Sonderbar, dass Largo das nicht bemerkt, wo er doch gerade sich selbst zum Beispiel nehmend darauf hingewiesen hat, welche Freiheiten als Eltern einem entstehen, wenn Arbeitszeit- und -ort flexibler gestaltbar sind als heute (Stichwort: homeoffice, Telearbeit).

Weiter heißt es:

Ist es denn schlimm, wenn Kinder ein paar Stunden alleine sind? Vielleicht fördert das ja ihre Selbstständigkeit.
Kinder brauchen jemanden, der da ist, falls sie das Bedürfnis nach einer Ansprechperson haben. Und über Mittag essen sie alleine oft sehr ungesund – Chips und eine Cola vor dem Fernseher zum Beispiel. Doch nicht nur Ganztagesschulen sind dringend notwendig, auch Krippenplätze für Vorschulkinder – am besten gratis.
Erstaunlich, dass Largo die Chancen nicht sieht, die ein bedingungsloses Grundeinkommen mit sich brächte. Ohne dass er die Diskussion kennen muss, könnten seine Überlegungen Anstoß zu Alternativen sein, wie es möglich wäre, den Eltern mehr Präsenz zuhause zu erlauben (wenn sie sie denn wollen). Nun könnte hier eingewandt werden, dort wo Eltern überfordert sind, seien Ganztagsangebote die einzige Möglichkeit, den Kindern etwas Besseres zu bieten. Zu entscheiden wäre das allerdings von Fall zu Fall und stets zu kontrastieren damit, wie die Lage aussähe, wenn Eltern nicht erwerbstätig sein müssten. Zu fragen wäre auch, inwiefern gerade durch die heutigen Sicherungssysteme und die Erwerbsidolatrie die Hinwendung zur Familie, das Annehmen der Elternschaft als Aufgabe, erschwert wird. Largos Vorschlag weist nicht weg vom Erwerbsprinzip, sondern stärker zu ihm hin und führt damit gut vor Augen, wie wenig "vereinbar" im Sinne eines friedlichen Nebeneinanders Familie und Beruf sind (siehe auch "'Vereinbarkeit' von Familie und Beruf oder doppelter Verzicht?").
Ein ganz anderer Aspekt von Ganztagsschulen oder auch Kindertagesstätten kommt hier gar nicht zur Sprache. Je früher und je länger pro Tag Kinder dort betreut werden, desto weniger Möglichkeiten haben sie, sich in der Nachbarschaft, in der sie leben, zu entfalten. Schon heute lassen sich die Auswirkungen studieren, wenn Nachbarschaften verwaist sind bis in den späten Nachmittag und Kinder, die nicht oder nicht solange fremdbetreut werden, kaum Spielkameraden antreffen. Zu bedenken ist auch, dass Kinder in Betreuungseinrichtungen letztlich immer in einem vorstrukturierten Rahmen auf einem eingeschränkten Gelände spielen und sich begegnen; stets sind Erzieher zugegen und beaufsichtigen, was die Kinder machen. Mit einem freien Erkunden der eigenen Lebensumgebung hat das nichts zu tun.

Die Generation unserer Eltern hat gemacht, was Sie als Mythos bezeichnen: Die Mutter kümmerte sich den ganzen Tag nur um den Nachwuchs.

Früher gab es viel mehr Kinder – und mehr Bezugspersonen, Schwiegermütter, Verwandte, Nachbarn, die bei der Erziehung mithalfen. Diese Unterstützung fehlt den Eltern heute weitgehend. Dass die Mutter die Kinder alleine aufzieht, ist ein Spezialfall in der Menschheitsgeschichte. Nicht umsonst heisst es: Um ein Kind aufzuziehen, braucht es ein ganzes Dorf.

Largo weist zurecht auf gewandelte Lebenssituationen hin, lässt den Wandel allerdings unbefragt stehen. Auch wenn es heute weniger Kinder gibt, Familien und Verwandte häufig nicht mehr in unmittelbarer Nähe zueinander leben, kann doch nicht übersehen werden, dass diese Situation auch mit einer gesteigerter Erwerbsorientierung zu tun hat. Erhöht sich die Erwerbsquote, weil Erwerbsarbeit mehr als früher als Lebensinhalt betrachtet wird, sind in Nachbarschaften auch weniger Personen anzutreffen, die tagsüber zuhause sind und sich um Kinder kümmern, ihnen etwas anbieten könnten. Nun kann dieser Situation durch den Ausbau von Betreuungseinrichtungen begegnet werden, dadurch verändert sich die Lage in den Nachbarschaftsverhältnisses allerdings gar nicht. Vielmehr verstärkt der Ausbau, solange die Überbewertung von Erwerbstätigkeit weiter vorherrscht, das Verwaisen von Nachbarschaften. Ein bGE würde das Erwerbsideal relativieren und wer weiß, ob nicht mehr Menschen, als wir meinen, es für sich entdecken würden, für andere Kinder da sein zu wollen. Um nicht missverstanden zu werden. Kindergärten können ebenso sinnvoll sein wie Kindertagesstätten, die heutige Diskussion darum ist aber eine, die die Erwerbsorientierung ungefragt voraussetzt. Welche Bedeutung Kindergärten hätten, wenn es ein bGE gäbe, gerät überhaupt nicht in den Blick.
Nimmt man den Sinnspruch im letzten Satz ernst, dann braucht es eben ein ganzes Dorf - also etwas Gemeinschaftliches - um ein Kind aufzuziehen. Gemeinschaft heißt allerdings, dass sich Menschen als ganze Personen begegnen und nicht als Träger von spezifischen Aufgaben (Rollen), die gerade auszeichnet, dass Personen darin austauschbar sind. Das Gemeinschaftliche hingegen würde durch ein bGE gestärkt.

Mädchen sind erfolgreicher in der Schule. Was läuft falsch?
Jetzt betreten wir ein weiteres Minenfeld! Ja, die Buben haben das Nachsehen: Heute sind 60 Prozent der Gymnasiasten weiblich. Im Berufsleben sind Frauen oft besser qualifiziert als die Männer, weil in unserer heutigen Dienstleistungsgesellschaft ihre Fähigkeiten mehr zählen. Die Frauen haben sich emanzipiert, den Männern steht es noch bevor. Die Männer haben noch nicht einmal bemerkt, dass sie ihre soziale Vorrangstellung weitgehend verloren haben. Sie versuchen immer noch, die Frauen zu bremsen, indem sie davon schwärmen, wie toll es sei, ausschliesslich Mutter zu sein. Sie müssen sich neu orientieren, vor allem in ihren Beziehungen und ganz besonders in ihrer Rolle als Vater.

Eine bemerkenswerte Einschätzung. Deutlich wird an dem gesamten Interview, wie weitreichend die Möglichkeiten eines bGEs sind und wie sehr es notwendig ist, den Blick zu wenden, um die Möglichkeiten zu sehen.

Zur Frage, wie Paare mit bevorstehender Elternschaft heute umgehen, siehe auch das Interview mit dem Soziologen Kai-Olaf Maiwald

Sascha Liebermann

23. Juli 2008

"Wir brauchen härtere Maßnahmen" - Familienpolitik und Bevormundung

Unter diesem Titel äußert sich der Soziologe Hans Bertram in der taz vom 23. Juli dazu, dass nach wie vor viele Männer am Ernährermodell festhalten und die Möglichkeiten des Elterngelds nicht nutzen. Folglich bleibe die Hauptlast an den Frauen hängen. Im Interview wird allerdings erwähnt, dass viele Frauen mit dieser Aufteilung zufrieden seien und sich entsprechende Partner suchen. Sicher, wir wissen nicht, ob bei Verfügbarkeit von mehr Betreuungsplätzen nicht auch mehr Frauen ihren Beruf beibehalten würden, statt zuhause zu bleiben - das hängt von der Familienpolitik ab, die wir betreiben. Bis hierin würde Hans Bertram als Förderer von Selbstbestimmung gelten können, will er doch die Aufteilung der Verantwortung weitgehend den Eltern überlassen, zumindest an einer Stelle im Interview ist das zu lesen:

"Eine faire Arbeitsteilung hängt zunächst mal allein von dem Paar ab, wie es das untereinander aushandelt. Aber die Gesellschaft muss sicherstellen, dass sich dabei nicht immer der Stärkere durchsetzt. Das heißt, wir müssen dafür sorgen, dass Frauenberufe genauso gut bezahlt werden wie Männerberufe. Und wir müssen irgendwie sicherstellen, dass die Wertigkeit der Fürsorge für andere genauso wichtig ist wie der ökonomische Erfolg. Solange es unterschiedliche Gehälter und schlecht beleumundete Fürsorge gibt, ist ein fairer Aushandlungsprozess faktisch ausgeschlossen."

Selbst aber, wenn diese Bedingungen gegeben wären, wäre es doch aber immer noch eine Entscheidung des Paares, wie es leben will, da ist der Mann nicht einfach "der Stärkere".

In der Folge plädiert Hans Bertram dann auch für "härtere Maßnahmen", um Väter zur Übernahme von mehr Verantwortung in der Familie zu bewegen, "sonst werden wir das mit ihnen [den Männern, SL] nie hinkriegen". Es gilt also, sie zu erziehen. Damit stößt er ins selbe Horn, wie es in den vergangenen Jahren gang und gäbe war. Warum aber nicht auf Selbstbestimmung setzen, wie es das bedingungslose Grundeinkommen ermöglicht? Statt den Eltern vorzuschreiben, wie sie zu leben haben, sollten wir ihnen die Möglichkeiten geben, darüber selbst zu entscheiden. Wie Eltern mit der Verantwortung umgehen, ist doch zuallererst ihre Sache, solange das Kindeswohl nicht gefährdet ist. Wir sollten ihnen also Möglichkeiten geben, sich für das entscheiden zu können, was sie für vernünftig halten, vielleicht würden ja beide sogar für die Kinder zuhausebleiben wollen, wenn es möglich wäre. Dazu bedarf es aber u.a. eines Einkommens, und zwar eines bedingungslosen Grundeinkommens.

Stünde ein solches zur Verfügung, wäre die Verhandlungsmacht von Eltern auch gegenüber Arbeitgebern gestärkt. Diese würden dann um Mitarbeiter werben müssen, und auf diese Weise könnte manches erreicht werden.

Es ist bezeichnend für unsere politische Debatte, dass wir überwiegend zu dirigistischen Überlegungen greifen, wenn es darum geht, Veränderungen in Gang zu bringen. Immerzu soll den Bürgern vorgeschrieben werden, nach welchen Zielen sie zu streben haben. Solange wir diese Haltung nicht aufgeben, wird sich nichts in unserem Land zugunsten einer freiheitlicheren Politik ändern.

(Siehe auch die Kommentare zum Beitrag in der taz)

Sascha Liebermann

13. Februar 2008

„Förderung des Kindeswohls“ ohne Eltern – neues Unterhaltsrecht vs. BGE

Seit Anfang dieses Jahres gibt es ein neues Unterhaltsrecht, das dem Motto „Förderung des Kindeswohls“ folgen soll . Wer würde dem auf den ersten Blick nicht zustimmen – doch auf den zweiten fragt man sich unweigerlich, wie Kinder einen Vorrang erhalten können, ohne dass ihre Eltern zugleich gefördert werden.

Offenbar antwortet die Gesetzesänderung auf eine Schieflage im alten Unterhaltsrecht. Ihm wohnte die Annahme inne, dass die Scheidung einer Ehe einen Ausnahmefall darstellt. Dies konnte dazu führen, dass unterhaltspflichtige Väter, die wieder geheiratet haben, unverhältnismäßig stark durch Unterhaltsverpflichtungen belastet wurden. Die geschiedene Ehefrau hatte den Vorrang vor der aktuellen Ehefrau. In dieser Hinsicht ist eine Novellierung wohl überfällig gewesen, aber in welche Richtung?

Bisher galt für eine geschiedene Mutter, bei der Kinder leben, eine Freistellung von der Erwerbsverpflichtung bis zum 8 Lebensjahr. Danach wurde ihr zugemutet, halbtags und nach dem 16. Lebensjahr ganztags zu arbeiten. Für nicht-eheliche Mütter galt die Freistellung von der Erwerbsverpflichtung nur bis zum 3. Lebensjahr des Kindes. Das alte Unterhaltsrechts räumte der Fürsorge für die Kinder einen deutlichen Vorrang vor der Erwerbsverpflichtung ein, wenngleich auch nur für einen begrenzten Zeitraum.

Die Neuerung hingegen sieht nun folgendes vor:

§ 1570 Unterhalt wegen Betreuung eines Kindes. (1) Ein geschiedener Ehegatte kann von dem anderen wegen der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes für mindestens drei Jahre nach der Geburt Unterhalt verlangen. Die Dauer des Unterhaltsanspruchs verlängert sich, solange und soweit dies der Billigkeit entspricht. Dabei sind die Belange des Kindes und die bestehenden Möglichkeiten der Kinderbetreuung zu
berücksichtigen.

...

§ 1574 Angemessene Erwerbstätigkeit. (1) Dem geschiedenen Ehegatten obliegt es, eine angemessene Erwerbstätigkeit auszuüben. (2) Angemessen ist eine Erwerbstätigkeit, die der Ausbildung, den Fähigkeiten, einer früheren Erwerbstätigkeit, dem Lebensalter und dem Gesundheitszustand des geschiedenen Ehegatten entspricht, soweit eine solche Tätigkeit nicht nach den ehelichen Lebensverhältnissen unbillig wäre. Bei den ehelichen Lebensverhältnissen sind insbesondere die Dauer der Ehe sowie die Dauer der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes zu berücksichtigen.

Bei aller Berechtigung der Novellierung, wird nun – wie schon beim Elterngeld – die Verpflichtung zur Erwerbstätigkeit aufgewertet. Wie kann von einer „Förderung des Kindeswohls“ die Rede sein, wenn es den Eltern, die für Kinder sorgen, nur nach „Billigkeit“ ermöglicht wird, auch über das 3. Lebensjahr des Kindes hinaus zuhause zu bleiben? Eine Mutter bzw. ein Vater soll also, damit ist ein normatives Ideal errichtet, erwerbstätig werden und eine Betreuungseinrichtung in Anspruch nehmen, auch wenn sie es nicht für richtig hält. Was ist vom besonderen Schutz der Familie, den wir in unserem Grundgesetz festgeschrieben haben, noch übrig, wenn die Erwerbsverpflichtung doch höher steht?

Um wieviel besser stellte sich die Lage dar, würden wir uns zur Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens entscheiden, dass es Eltern ermöglicht, auf Erwerbsarbeit zu verzichten? Eine solche Versorgung von Familien mit Unterhalt (siehe Kindesunterhalt; siehe auch "Freiheit, seine Kinder zuhause zu erziehen") machte ernst mit dem Schutz der Familie und würde sie nicht gegen den Vorrang der Erwerbstätigkeit ausspielen.

Mit einem BGE würde deutlich, dass die Erziehung der Kinder und die Fürsorge für ihr Wohlergehen erste Aufgabe der Eltern wäre. Wir, als Gemeinwesen, würden sie darin unterstützen, statt ihnen Knüppel zwischen die Beine zu werfen.

Sascha Liebermann