Ja, damit es ist nicht das, was Bedingungslosigkeit in der Diskussion bedeutet, denn GE und andere Einkommen werden zueinander ins Verhältnis gesetzt, die normative Seite ist entscheidend (https://t.co/HoaXfzklQd) https://t.co/XtPj9rVTvD
— Sascha Liebermann (@SaschaLieberman) October 2, 2025
2. Oktober 2025
6. April 2025
Wer muss sich wofür rechtfertigen?
Das macht den Unterschied https://t.co/DqPTUPexAl
— Sascha Liebermann (@SaschaLieberman) April 6, 2025
Das ist der entscheidende Punkt, in dem sich ein Bedingungsloses Grundeinkommen von anderen Formen der Mindesteinkommenssicherung unterscheidet: der Bereitstellungsmodus und die damit einhergehenden oder eben ausgesetzten Rechtfertigungsverpflichtungen.
Selbst eine diesbezüglich unkomplizierte, von einer Bedarfsprüfung freie Negative Einkommensteuer operiert noch mit der Unterscheidung zwischen regulärem und nicht-regulärem Einkommen, indem die Steuergutschrift (Negativsteuer) abhängig ist vom erzielten Einkommen. Damit werden Einkommen und Steuergutschrift ins Verhältnis zueinander gesetzt, beim BGE soll das nicht der Fall sein, um beide Einkommensarten normativ voneinander zu lösen.
Sascha Liebermann
27. Februar 2025
...ein Pauschalbetrag ohne Verpflichtung sei "fast ein wenig kindisch"...
So erfreulich es ist, dass darüber wieder einmal berichtet wird, so selbstverständlich ist der Vorschlag mittlerweile, wenn die Parteien ihn als Begriff zur negativen Abgrenzung gebrauchen, z. B. gegenüber dem Bürgergeld. Dennoch scheint er zur Zeit nicht für relevant gehalten ztu werden, es gebe, so Hoffmann andere sozialpolitische Fragen zu beantworten. Doch an seinen Ausführungen wird dann gerade deutlich, dass wegen dieser Fragen ein BGE nach wie vor eben relevant bleibt, weil es andere Möglichkeiten schüfe.
Ärgerlich ist allerdings die missverständliche Darstellung des Vorschlages, so wird das BGE - wieder einmal - mit der Negativen Einkommensteuer in einen Topf geworfen, obwohl es eine andere Struktur hat. Im Falle einer NES werden Einkommen und Mindestsicherung ja verrechnet, womit letztere ihren unabhängigen Charakter gerade verliert. Ein BGE sieht hingegen vielmehr vor, dass es bereitgestellt wird ganz unabhängig von anderen Einkommensarten und nur diese letzteren dann - je nach Vorschlag - direkt besteuert werden. Es erfolgt also keine Verrechnung.
Dass dann auch noch behauptet wird, ein BGE solle vollständig bestehende Sozialleistungen ersetzen, ist hanebüchen - denn ein solches BGE wird zwar auch von einigen vertreten, wie z. B. Thomas Straubhaar, ist aber nur eine Umsetzungsmöglichkeit.Aufhorchen lässt eine Bemerkung gegen Ende des Beitrages, wenn Hoffmann davon spricht, dass es "ein wenig kindisch" sei, ein BGE ohne jegliche Verpflichtung bereitzustellen. Äh - ist das nicht gerade der Witz an der Sache, dass es eben nur an den Status der Person gebunden ist und nicht an eine Leistungsverpflichtung? Das ist gerade keine Außerkraftsetzung des Leistungsgedankens, wie häufig geunkt wird, es ist vielmehr seine Inkraftsetzung.
Ist es nicht gerade die bedingungsloses Anerkennung der Bürger um ihrer selbst willen, der eine republikanische Demokratie auszeichnet und ist nicht gerade ein BGE die Realisierung dieser Vorstellung in Gestalt eine Einkommensmindestabsicherung, insofern also die Konsequenz aus der bedingungslosen Anerkennung? Damit wäre es das Gegenteil von "kindisch", kindisch ist vielmehr die Vorstellung, man könne auf diese Anerkennung nicht vertrauen. Dann aber wäre die Demokratie das größte Wagnis.
Sascha Liebermann
13. Dezember 2023
Joachim Mitschke ist verstorben,...
...der sich schon sehr früh für ein Bürgergeld einsetzte, das allerdings ganz anders konstruiert war als das heutige und dem Prinzip einer Negativsteuer entsprach (siehe Nachruf der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (Bezahlschranke); ein weiterer älterer Beitrag bei Spiegel Online; eine Kontroverse zwischen Mitschke und Andrea Nahles aus dem Jahr 2006 finden Sie hier; siehe auch "Bürgergeld für mehr Arbeitsplätze").
Im Jahr 1999 nahm Mitschke an einer Tagung in Frankfurt am Main teil, aus der ein Buch hervorging. Neben seinem Beitrag und dem des Soziologen Ulrich Oevermann ist auch ein Streitgespräch beider auszugsweise abgedruckt, das noch für die heutige Diskussion sehr interessant ist. Es zeigt sich darin der grundsätzlich unterschiedliche Zugang zur Frage, wie auf die damals hohe Erwerbslosigkeit geantwortet werden könnte. Während Mitschke hervorhebt, wie wichtig Erwerbsarbeit sei und selbst Erwerbslose keinesfalls erwerbslos bleiben wollen, argumentiert Oevermann mit der Selbstbestimmung und den Möglichkeiten eines Grundeinkommens. In diesem Streitgespräch tauchen schon viele Aspekte der kontroversen Diskussion um ein BGE auf, das erst einige Jahre später eine bedeutende Rolle in der öffentlichen Debatte spielen sollte.
Mitschkes Haltung ist - wie an seinen Ausführungen zu erkennen - von echter Sorge um diejenigen geprägt, die im Arbeitsmarkt kein Unterkommen finden und den Folgen, die das für den sozialen Frieden haben könnte. Oevermann hingegen hält es für problematisch, Erwerbstätigkeit zu subventionieren, anstatt die Bürger grundsätzlich abzusichern und ihnen andere Möglichkeiten zu verschaffen.
Sascha Liebermann
8. Juli 2022
Ein Grundeinkommen nur für jene mit niedrigen Einkommen?
[von Planta] Das Grundeinkommen soll wie eine Versicherung gegen Armut, Abhängigkeit und Angst wirken. Erhalten sollen es nur jene, die kein oder ein sehr tiefes Einkommen haben. Besonders profitieren würden Frauen, denn die Care-Arbeit würde endlich wahrgenommen und gewürdigt. 55 Prozent der geleisteten Arbeit in der Schweiz wird heute unentgeltlich erbracht. 96 Prozent dieser unbezahlten Arbeit betrifft die Haus- und Betreuungsarbeit. Unsere Gesellschaft und Wirtschaft könnten gar nicht existieren ohne diese Care-Arbeit."Da es um ein BGE geht, würde man hier erwarten, dass es allen ausbezahlt wird, das unterscheidet es von einem Grundeinkommen à la Negativer Einkommensteuer. Doch es klingt hier wie eine modifizierte Negative Einkommensteuer, das wird auf der Website der Initianten in diesem Sinne erläutert. Die einen erhalten einen Auszahlungsbetrag, die anderen können das GE nur als Steuervorbehalt geltend machen, wann aber erhält man keinen Auszahlungsbetrag mehr? Oder anders herum gefragt, ab wann erhält man ihn? Wenn ein BGE nicht für alle Bezugsberechtigten immer als Auszahlungsbetrag verfügbar ist, dann müssen diejenigen, die den Betrag erhalten sollen, es entweder beantragen oder es muss anderweitig festgestellt werden, dass sie ihn benötigen, wie bei der Negativen Einkommensteuer. Dann geht der entscheidende normative Vorteil eines BGE aber gerade verloren, dass es jeder zu jeder Zeit erhält und es keine Rolle spielt, welches Einkommen er sonst noch erhält. Muss festgestellt werden, wer den Betrag erhält, wird er von anderem Einkommen abhängig gemacht, das in der Regel Erwerbseinkommen ist. Man kann diesen Einwand als beckmesserisch bezeichnen, es geht doch nur um einen kleinen Unterschied dahingehend, wie man zu dem GE gelangt, doch genau dieser kleine Unterschied ist der große.
Sascha Liebermann
3. Dezember 2020
Normative, nicht psychologische Differenz - letztere verweist auf erstere, es geht darum, wie Handeln bewertet wird
.#NegativeEinkommensteuer & #Sozialdividende-#Grundeinkommen sind ja äquivalent bei gleichen Parametern.
— Stefan Bach (@SBachTax) December 3, 2020
Man kann natürlich beide Zahlungen aus psychologischen Gründen separat abwickelnhttps://t.co/Z8ypw56TfBhttps://t.co/Unnake9SoS, S. 44 ff.https://t.co/4FpI0K5B0w
Normen (siehe auch hier) sind andere Realitäten als psychische Dispositionen, die Bewertung von Handeln durch Normen ist also etwas anderes als die Bewertung von Handlungsmöglichkeiten durch eine Person aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur. Diese Differenzierung wird häufig nicht beachtet und führt zu unangemessenen Schlussfolgerungen, so auch in der Gleichsetzung von Negativer Einkommensteuer und Sozialdividende. Dass diese Unterscheidung kaum beachtet oder auf psychologische Differenzen reduziert wird, lässt erahnen, dass die Bedeutung von Normen und Regeln vollkommen unterschätzt wird. Das ist wiederum für die BGE-Diskussion aufschlussreich, wenn es darum geht, etwaige Auswirkungen zu ermessen, denn die entscheidende Umwertung, die ein BGE vornimmt, ist normativer Art, sie hebt den heute bestehenden Widerspruch zwischen Demokratie und Sozialstaat auf.
Sascha Liebermann
13. November 2020
"AfD-Spitze will Grundeinkommen" - meldeten verschiedene Medien,...
... die Süddeutsche Zeitung erklärt wieder einmal, es handele sich eigentlich um eine Idee "linker Parteien und Organisationen". Dass dies keineswegs so ist und gerade in der Diskussion zumindest um ein Bedingungsloses Grundeinkommen übliche Lagergrenzen überschritten werden, ist jedem bekannt, der regelmäßig darüber liest. Dass in der AfD auch schon ganz oben gegen ein Grundeinkommen gewettert wurde, darauf macht die SZ aufmerksam. Worum geht es denn jetzt genau? Irritierend ist schon, dass es zwar um ein Grundeinkommen für Deutsche, was heißen muss, deutsche Staatsbürger geht, Arbeitslose es aber nicht erhalten sollen. Dass es für Nicht-Staatsbürger einer Regelung bedarf, scheint auch die AfD nicht auszuschließen, denn auch heute bedarf es eines Aufenthaltsstatus, also bestimmter Bedingungen, um Sozialleistungen in Anspruch nehmen zu können - das gilt auch für EU-Bürger. Wenn jedoch Erwerbslose davon ausgeschlossen sein sollen, hat es mit einem BGE nichts zu tun. Auch handelt es sich um ein Grundeinkommen in Gestalt einer Negativen Einkommensteuer (siehe auch hier), was ebensowenig mit einem BGE identisch ist.
Das Konzept geht auf das AfD-Mitglied René Springer zurück, siehe die Broschüre Staatsbürgergeld, darüber hatten wir schon einmal berichtet, siehe hier.
Sascha Liebermann
11. August 2020
Ist eine vorab ausbezahlte negative Steuer "nicht eigentlich ein Grundeinkommen mit Sozialdividende"?
Ist eine negative Einkommenssteuer bei der Erwerbstätige Arbeitnehmer und Selbstständige ihre negative Steuer vorab und monatlich erhalten nicht eigentlich ein Grundeinkommen mit Sozialdividende? Wo ist da noch der Unterschied? @MichaelOpielka#GrundeinkommenWirdGrundsatz— Baukje (@BaukjeDobbie) July 21, 2020
Der Unterschied besteht darin, ob der vorab ausgezahlte Betrag zu einem bestimmten Zeitpunkt noch ins Verhältnis zu anderen Einkommen gesetzt und mit ihnen verrechnet wird oder ob das grundsätzlich nicht vorgesehen ist. Wird er ins Verhältnis gesetzt, ist der Betrag immer von anderen Einkommensarten abhängig und schmilzt mit deren Zunahme ab. Damit wird aber, da Erwerbseinkommen der empirische Regelfall ist, das Erwerbsgebot aufrechterhalten. Trennt man beides voneinander, wird das Erwerbsgebot in seiner Vorrangstellung relativiert. Das erst wäre ein Bruch mit dem heutigen Gefüge. Entscheidend ist also die normative Grundierung, welches Handeln wie gewichtet wird.
Sascha Liebermann
"Ein Weg zum Grundeinkommen - die Negative Einkommensteuer" - im Gespräch mit Lisa Paus (MdB)...
18. Mai 2020
Grundeinkommen, Negative Einkommensteuer - die normative Seite muss betrachtet werden...
...denn vom verfügbaren Einkommen aus betrachtet, scheint es auf dasselbe hinauszulaufen, normativ jedoch nicht. Im Fall einer Negativen Einkommensteuer (NES) wird das Mindesteinkommen immer in Relation zu Erwerbseinkommen gesetzt, bei Zunahme des letzteren schmilzt ersteres ab. NES und Erwerbseinkommen werden stets ins Verhältnis zueinander gesetzt. Damit bleibt das Mindesteinkommen durch NES eine Antwort auf Einkommensmangel. Ein Bedingungsloses Grundeinkommen setzt anders an, es fragt nicht, ob ausreichend Einkommen vorhanden ist, vielmehr wird es in Absehung davon bereitgestellt und nicht durch direkte Besteuerung abgeschmolzen. Zwischen BGE und Erwerbseinkommen besteht keine Abhängigkeit, in der NES ist das sehr wohl der Fall. Das ist der entscheidende normative Unterschied, denn ein BGE hebt den Vorrang von Erwerbstätigkeit auf, d. h. das Gebot Erwerbstätigsein zu sollen und diese Tätigkeit als besondere herauszuheben. Die NES macht das nicht, weil Erwerbseinkommen stets den Vorrang behält. Es ist eine der Feinheiten in der BGE-Diskussion, dass dieser Unterschied häufig nicht beachtet wird. Wenn es keine normative Direktive mehr geben soll, die über die Wertigkeit von Handeln bestimmt, muss die Person um ihrer selbst willen Anerkennung finden und nicht in Relation zum Erwerbsstreben. Das leistet nur ein BGE, nicht eine NES.Ich habe im @Zeitschrift_WD kurz kommentiert, warum die negative Einkommensteuer eine faire Alternative zu Helikoptergeld, Konjunkturpaketen oder Grundeinkommen wäre. https://t.co/V61nPTBSPT pic.twitter.com/XK37u3LOzr— Jan Philipp Fritsche (@JphFritsche) May 14, 2020
Sascha Liebermann
28. August 2019
"Das bessere Grundeinkommen" - oder: keinen Sinn für normative Differenzen...
"Um die Stigmatisierung aus dem Hartz-IV-System zu vermeiden, muss nicht gleich die Pflicht zur Gegenleistung wegfallen. Es wäre schon viel gewonnen, wenn die Auszahlung in Zukunft über Finanzämter organisiert würde: Wer wenig verdient, kann wie in den USA eine Steuergutschrift bekommen. Es ist schließlich ein Unterschied, ob man eine Aufstockung des Lohns beantragt – oder ob man sich eine Steuererstattung holt, um ein Grundeinkommen zu erreichen."
Es ist richtig, dass diese Vereinfachung über eine Negative Einkommensteuer eine Liberalisierung mit sich brächte, aber die Stigmatisierung hebt sie nicht ganz auf, weshalb? Weil es einen Unterschied macht, ob ich einen Steuerausgleich erhalte, weil ich selbst nicht genügend Einkommen erzielen kann (normativ erwünscht, Erwerbsgebot) oder ob ich eine Einkommensgarantie habe, die mit anderen Einkommen gar nicht ins Verhältnis gesetzt wird. Erstere bewertet ein Scheitern an einem erwarteten und erwünschten Handeln (Norm), letztere setzt eine andere Norm: Autonomie (die sich nicht in Erwerbstätigkeit zu realisieren hat). Das ist der normative Unterschied, den es zu beachten gilt, der indes häufig übersehen wird. Dann schreibt er:
"Die Eltern auf diese Weise am ersten Arbeitsmarkt zu halten, reduziert auch eine Gefahr für deren Kinder, nämlich die, dass ein Grundeinkommen ihnen Chancen nimmt: Was soll aus Kindern werden, die eine andere Welt gar nicht mehr kennen außer der Grundeinkommenswelt? Die aus Familien kommen, die heute schon in zweiter oder dritter Generation vom Staat leben und gar keine Chance auf Teilhabe an der Arbeitswelt haben, weil sie das nicht kennen? Der Chef der Bundesagentur für Arbeit hat das Berliner Modell für ein "solidarisches Grundeinkommen" gerade aus einem ähnlichen Grund kritisiert: Es gebe Menschen für den regulären Arbeitsmarkt zu früh auf."
"Grundeinkommenswelt"? Hier wird ein Gegensatz aufgebaut, der keiner ist, so als werde Leistung nur in der Erwerbswelt erbracht, als benötige man sie, um leistungsbereit zu sein. Dass es heute gerade nicht anerkannt wird, Leistung jenseits des Erwerbslebens, also: ohne erwerbstätig zu sein, zu erbringen, vergisst der Autor offenbar. Genau dies führt aber zu einer Entwertung solcher Leistungen, die nicht erwerbsförmig erbracht werden. Sie werden solange anerkannt, solange jemand zuvor erwerbstätig war - das ist die Krux. Leistungsbereitschaft ist heute Resultat eines Bildungsprozesses außerhalb von Erwerbstätigkeit, letztere setzt ersteren voraus. Ein BGE gibt ja gerade niemanden auf, wie es in der Passage heißt, es vollzieht gerade das Gegenteil: es anerkennt, wozu jemand in der Lage ist - und wozu nicht, aus welchen Gründen auch immer. Die benannten Familien "leben" nicht "vom Staat", weil es eine solch dufte Sache wäre, das zu tun, es gibt gravierende Gründe dafür, deswegen stehen sie heute am Rand der Erwerbsgesellschaft. Pletter greift also zu kurz, zu erkennen ist allerdings schon seine leichte Staatsaversion. Und in der nächsten Passage heißt es:
"Tatsächlich braucht es eine andere Form der Grundsicherung – keine für jene, die arbeiten können, sondern eine für Kinder. Die Grünen haben gerade ein Konzept dafür vorgelegt, das vor allem Familien zugutekäme, die heute von Hartz IV leben, sowie Alleinerziehenden, die meist weniger Geld zur Verfügung und ein relativ hohes Armutsrisiko haben. Gerade jene Eltern, die ein geringes Einkommen haben, sollten mehr netto davon behalten dürfen. Sie sollten aber - und das spricht gegen das allgemeine bedingungslose Grundeinkommen, das die Grünen ebenso fordern - auch arbeiten müssen, damit ihre Kinder nicht später als Erwachsene darunter leiden, dass sie vom Arbeitsmarkt entfremdete Eltern hatten. Das ist auch deshalb so wichtig, weil in kaum einem entwickelten Land die Chancen von Kindern im Leben so sehr davon abhängen, wie vermögend und gebildet ihre Eltern sind, wie in Deutschland."
Die Kinder absichern und die Eltern in Erwerbstätigkeit drängen? Genau dazu führt eine Kindergrundsicherung, die Eltern keine Möglichkeiten schafft, für ihre Kinder zuhause bleiben zu können, solange sie es für notwendig erachten. Und wieder kommt Pletter damit, dass Kinder, deren Eltern nicht oder nur wenig erwerbstätig sind, Gefahr laufen sich vom "Arbeitsmarkt" zu "entfremden".
Abschließend heißt es:
"Das wäre dann die bestmögliche Reform von Hartz IV: die Schnittmenge der Reformvorschläge möglicher Regierungsparteien, die sie gut Grundeinkommen nennen können. Bedingungslos sollte es aber nicht sein, damit die Kinder von heute später gar keine Sicherung vom Staat brauchen."
Der Staat als Schreckgespenst - als sei es nicht so, dass wir alle ständig und unvermeidbar "vom Staat" leben. Wie soll es in einem Gemeinwesen von Bürgern auch anders sein. Die Frage ist doch lediglich, ist dieser "Staat" autonomiefördernd, wie es das Grundgesetz zu seiner Voraussetzung erhoben hat oder ist er autonomiehemmend und -einschränkend, wie es das Erwerbsgebot zur Folge hat? Welchen "Staat" also wollen wir als Bürger?
Siehe auch "Entscheidend ist, dass jemand arbeitet"
Sascha Liebermann
8. Juli 2019
Gegen Stilllegung durch ein Bedingungsloses Grundeinkommen und zugleich Bürgerengagement stärken? Widersprüche in Daron Acemoglus...
"Das bedingungslose Grundeinkommen jedoch ist eine fehlerhafte Idee, nicht zuletzt, weil es – sofern es nicht mit tiefen Einschnitten in das übrige Sicherheitsnetz einherginge – unbezahlbar wäre. In dem USA (Bevölkerung: 327 Millionen) würde ein bedingungsloses Grundeinkommen von bloßen 1.000 Dollar pro Monat etwa vier Billionen Dollar jährlich kosten. Das ist fast so viel wie der komplette Bundeshaushalt des Jahres 2018. Ohne erhebliche Kosteneinsparungen müsste man das US-Bundessteueraufkommen verdoppeln, was der Volkswirtschaft enorme Kostenverzerrungen aufbürden würde. Und nein: Ein bedingungsloses Grundeinkommen ließe sich auf Dauer nicht über Staatsanleihen oder die Notenpresse finanzieren."
Um die Frage der Finanzierbarkeit zumindest abschätzen zu können, sei hier das Gross Domestic Product der USA in 2018 erwähnt: es betrug $20.50 trillion (also rund 20 Billionen US Dollar) nach Angaben des Bureau of Economic Analysis. Das Net National Income (Volkseinkommen) lag bei etwa 16,7 Billionen. Ein BGE würde also Acemoglu zufolge etwa ein Viertel der Wertschöpfung kosten - unbezahlbar oder nicht erwünscht? Wenn Steuern dazu dazu dienen, Einkommen bereitzustellen, damit also Kaufkraft, wäre das für die Binnenwirtschaft doch äußerst hilfreich. Acemoglu äußert sich hierzu nicht. Dass Steuern auf Einkommen verzerrend wirken, ist dort zu lesen, ja, hielte er denn gar keine Steuern für besser? Oder nur keine Steuern auf Einkommen?
Dann verweist er auf die Negative Einkommensteuer, die viel günstiger sei - auf diesen Mythos allerdings hat Gregory Mankiw schon hingewiesen, siehe hier.
Hier nun die Passage über "Brot und Spiele":
"Genauso wichtig ist, dass diese Lösungen eine demokratische Politik nutzen. Dasselbe kann man vom bedingungslosen Grundeinkommen nicht sagen, denn dies kommt von oben, als Methode zur Ruhigstellung der unzufriedenen Massen. Es stärkt weder die Menschen, denen es helfen soll, noch fragt es sie auch nur nach ihrer Meinung. (Wollen Arbeitnehmer, die ihre Mittelschichtarbeitsplätze verloren haben, staatliche Transferleistungen oder eine Chance auf einen neuen Arbeitsplatz?) Insofern erinnern Vorschläge eines bedingungslosen Grundeinkommens stark an „Brot und Spiele“, wie sie im Römischen und im Byzantinischen Reich zum Einsatz kamen – Almosen, um die Unzufriedenheit zu entschärfen und die Massen zu besänftigen, statt ihnen wirtschaftliche Chancen und die Möglichkeit zur politischen Teilhabe zu bieten."
Auch Acemoglu also ein Anhänger der Stilllegungsthese, was voraussetzt, dass die Bürger sich stilllegen lassen. Es komme "von oben" das BGE, dabei kommt in der Demokratie letztlich alles stets von unten, zumindest was seine Legitimation betrifft, insofern also verkehrt Acemoglu die Verhältnisse, denn nichts ist von Bestand, was keine Gefolgschaft findet, ganz gleich welcher Art sie ist. Weshalb stärkt ein BGE nicht diejenigen, "denen es helfen soll"? Das bleibt eine Behauptung und geflissentlich übersieht der Autor, welche stigmatisierenden Effekte alle bedarfsgeprüften Systeme haben. BGE und Arbeitsplatz bilden keinen Gegensatz, das eine schließt das andere nicht aus, ein BGE erweitert aber die Möglichkeiten. Hier wird, wie in Passagen zuvor, womöglich der amerikanische Hintergrund der Diskussion deutlich, die ausgeprägte Staatsaversion. In der letzten Passage widerspricht sich Acemoglu selbst:
"Viele aktuelle soziale Probleme haben ihre Wurzeln in unserer Vernachlässigung des demokratischen Prozesses. Die Lösung besteht nicht darin, ausreichend Brosamen zu verstreuen, um die Leute zu Hause zu halten, abzulenken und anderweitig ruhigzustellen. Vielmehr müssen wir die demokratische Politik zu neuem Leben erwecken, bürgerliches Engagement stärken und uns um kollektive Lösungen bemühen. Nur mit einer mobilisierten, politisch aktiven Gesellschaft können wir die Institutionen errichten, die wir für unseren künftigen gemeinsamen Wohlstand brauchen, und zugleich die am stärksten Benachteiligten unter uns schützen."
Wenn Acemoglu von "unserer Vernachlässigung" spricht, meint er da nun alle Bürger oder nur Eliten? Im Folgesatz wiederum setzt er sich über die Bürger, von denen er behauptet, sie ließen sich ruhigstellen. Zugleich aber will er sie aufrufen, die Demokratie zu stärken, wie soll das gehen, wenn sie sich so einfach ruhigstellen lassen? Bürgerliches Engagement stärken, aber nicht auf diejenigen vertrauen, um die es geht? Eine sonderbare Pirouette, die er da dreht. Letztlich klingt das nach einer Art aktivierenden Bürgerengagementpolitik von oben, denn auf die Bürger von unten ist ja, nach seinem Bekunden, kein Verlass.
Sascha Liebermann
21. Dezember 2018
"Ein Grundeinkommen ist finanzierbar"...
22. November 2018
"Grundeinkommen light – zu Robert Habecks Garantiesicherung"...
6. März 2018
"Mathematics of Basic income. The illusionary high cost"...
Gregory Mankiws Beitrag ist interessant für die Frage, was der normative Unterschied zwischen einer Negativen Einkommensteuer und dem Bedingungslosen Grundeinkommen ist, er sieht ihn nämlich nicht. Ähnlich ist es in einem Beitrag, den Malcolm Torry gerade veröffentlicht hat.
Sascha Liebermann
12. Januar 2018
"Teuer und riskant. Bedingungsloses Grundeinkommen birgt Gefahren"...
"Natürlich ist das eine charmant klingende Idee: Ein bedingungsloses Grundeinkommen soll den Menschen vom Zwang zur Lohnarbeit befreien, ihm ohne Rechtfertigung ein selbstbestimmtes Leben in Würde ermöglichen. Den Beginn der wahren Freiheit sagen die Befürworter voraus. Jeder könne sich, abgesichert durch die vom Staat zur Verfügung gestellte materielle Basis, endlich jenen Tätigkeiten widmen, die er als sinnvoll und erfüllend erachtet. Der alte Traum, das Paradies auf Erden zu verwirklichen, er schiene damit zumindest ein Stück weit realisiert."
Eine knappe Zusammenfassung, die in zweierlei Hinsicht daneben liegt, das sagt viel über den Autor. Zwar hebt das BGE das Gebot auf, dass jeder erwerbstätig sein solle, es enthebt ihn jedoch keineswegs der Verantwortung sich zu fragen, wie er zum Wohlergehen des Gemeinwesen beitragen kann. Diese Verpflichtung, sein Handeln angesichts dieser Frage rechtfertigen zu können, bleibt bestehen und wird sogar noch verstärkt. Sie stellt sich unausweichlich jedem Einzelnen, der zu einem Gemeinwesen gehört, denn das Fortbestehen hängt davon ab, dass dreierlei Aufgaben bewältigt werden: 1) Reproduktion und Generativität (familiale Sozialisation und Nachwuchs), 2) Reproduktion und Erneuerung politischer Vergemeinschaftung sowie 3) Bereitstellung standardisierter Problemlösungen (Güter und Dienstleistungen). Entgegehen kann diesen Herausforderungen und der entsprechenden Verantwortung niemand, dafür sorgt der Prozess der Sozialisation. Erwerbstätigkeit ist eben ein solcher Beitrag, aber nur einer unter anderen.
In einer anderen Hinsicht noch geht der Beitrag in die Irre. Die Vorstellung, mit dem BGE könne sich das "Paradies auf Erden" verwirklichen. Der Autor erweist sich hier nicht als bibelfest, denn im Paradies lebten Adam und Eva ohne Bewusstsein und waren unfrei. Die Vertreibung aus dem Paradies war der Preis, wenn man so will, um frei zu werden, aber nicht ungebunden frei, sondern frei in Verantwortung dafür, das Leben in die Hand zu nehmen. Es ist gerade nicht das Paradies auf Erden, dass durch das BGE "ein Stück weit" möglich würde, es ist die Zumutung von Freiheit und Verantwortung, die noch deutlicher hervorträte, denn kein ernstzunehmender Befürworter behauptet, dass ein Gemeinwesen einfach so von selbst fortexistieren könnte.
Was lässt der Autor folgen?
"Dieses idealistische Grundmotiv ist den meisten Aktivisten, die sich für die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens einsetzen, auch gar nicht abzusprechen."
Es geht um das "Grundmotiv", dass der Autor als Unterstellung eingeführt hat, auf das er sich hier dann berufen kann. "Idealistisch" bedeutet hier natürlich so viel wie unrealistisch oder realitätsfern. Trifft das auf das BGE zu, wie kommt der Autor darauf?
"Und es ist auch ein netter Werbeeinfall des Vereins "Mein Grundeinkommen", eine solche Basissicherung von 1000 Euro monatlich für ein Jahr lang an Bewerber zu verlosen. Nur darf man die Erfahrungsberichte der Glücklichen (siehe Seite 11), nicht als Praxistest des Modells Grundeinkommen verstehen. Es sind die erwartbaren frohen Botschaften von Lotteriegewinnern, die sich überraschend einige Wünsche erfüllen können."
Dass "Mein Grundeinkommen" nicht immer klar unterscheidet zwischen einem allgemeinen BGE und dem Lotteriegewinn, den sie ermöglichen, kann man nicht dem BGE vorhalten. Sind die Botschaften so erwartbar, die die Gewinner erzählen? Manches mag hier dem Marketing geschuldet sein, doch ein genauer Blick auf manche Geschichte, die Gewinner erzählen (das gilt auch für das Experiment in Finnland), gibt den Blick auf "Grundmotive" des Lebens frei, die ganz real sind. Es hat denen, die berichten, häufig nur an den Möglichkeiten gefehlt, das unternehmen zu können, was sie mit dem Gewinn unternehmen.
Apropos "Praxistest" - worin bestünde der denn? Wer die Bürger eines Gemeinwesens nicht als Versuchskaninchen der Sozialpolitik missbrauchen will, der muss sich lediglich fragen, welcher Sozialstaat den Voraussetzungen entsprechen würde, die ein BGE verlangt. Wo landet er dann? Mitten in der demokratisch verfassten politischen Ordnung Deutschlands und ihrem Rückgriff auf den mündigen Bürger, der das Volk konstituiert, von dem alle Staatsgewalt ausgeht (faktisch, nicht ideell).
Doch diesen Brückenschlag kann man vom Kommentator der Nürnberger Nachrichten offenbar nicht erwarten, denn der läge zu nahe. Was schreibt er stattdessen?
"Es wäre naiv, das ausnahmslos jedem zustehende und allenfalls in Kinder- beziehungsweise Erwachsenentarife gestaffelte bedingungslose Grundeinkommen deshalb gleich für die Zauberformel zum gesamtgesellschaftlichen Glück zu halten. Dass die Idee einst schon den US-Ökonomen und liberalen Markt-Apologeten Milton Friedman begeisterte und sich ihr heute immer mehr Wirtschaftskapitäne anschließen, sollte einen doch wenigstens nachdenklich machen."
Wer vertritt denn die These, dass das BGE eine Glücksversprechensformel sei? Hat der Autor denn recherchiert? Wo hat Milton Friedman sich für ein BGE ausgesprochen? Statt abzuschreiben, was andere unzutreffend wiedergeben, hilft selbst lesen weiter, dann wäre das nicht passiert. "Wirtschaftskapitänen" einfach abzusprechen, wie andere auch, das Ganze in den Blick nehmen zu können bzw. das überhaupt zu können zeugt nicht gerade von demokratischem Geist. Eher werden Feindbilder gepflegt.
"Das bedingungslose Grundeinkommen ist der Abschied vom klassischen Sozialstaatsmodell, das auch die kapitalistische Gesellschaft zur solidarisch organisierten Unterstützung von Schwachen und ohne eigenes Verschulden in Not geratenen Menschen verpflichtet. Die bisherigen Sozial- und Grundsicherungssysteme sind nichts anderes als eine Umverteilung von oben nach unten. Sie basiert auf der Einsicht, dass, wer unser Wirtschaftsleben allein dem freien Spiel der Kräfte überlässt, irgendwann mit Revolten der Verlierer rechnen muss."
Eine schöne Lobrede auf die Sanktionen im Sozialgesetzbuch, die Degradierung nicht erwerbsförmigen Engagements und einen Sozialstaat, der hinter den Grundfesten der Demokratie hoffnungslos hinterherläuft. Wer diese Folgen haben will, muss so argumentieren.
"Wer jedem, auch dem Reichen, 1000 Euro monatlich auszahlt, verteilt nicht um. Er kümmert sich auch nicht mehr darum, welche Härten und Handicaps unterschiedlich große Bedürftigkeit begründen. Das Grundeinkommen bietet der Wirtschaft die Chance, sich aus der Finanzierung der Sozialsysteme zurückzuziehen."
Hat der Verfasser den Grundfreibetrag in der Einkommensteuer - wie viele, die das BGE kritisieren - vergessen? Stellt er nicht etwa einen Rechtsanspruch dar? Entscheidet denn die Wirtschaft über die Gestaltung des Zusammenlebens oder entscheiden die gewählten Vertreter in Parlamenten und folglich die Bürger darüber? Man kann sehr wohl beklagen, dass der Wirtschaft zu viel Gehör geschenkt wird, dann muss man sich auf die Grundfesten der Demokratie besinnen, um einen Ausweg zu bahnen. Wie viele Reiche gibt es denn, die vom BGE direkt profitierten? Und wie viele stehen ihnen gegenüber, denen es Gewinn brächte. Bedenkt man, wo heute die Durchschnittsrente liegt und bedenkt man weiter, dass ein BGE an Haushalte gezahlt wird, dann ist der relative Zugewinn bei denjenigen zu sehen, die unterhalb der Durchschnittsrente oder an ihrer Grenze liegen (siehe hier und hier). Es ist doch auch keine Rede davon, sehen wir von Ausnahmen unter den Befürwortern ab, dass bedarfsgeprüfte Leistungen vollständig gestrichten werden sollen, wenn es ein BGE gibt. Ein BGE wäre eine erhebliche Umverteilung, vor allem von Macht. In Haushalten würde es kumulieren und damit gerade Familien, die nicht so mobil sein können wie Alleinstehende, relativ besser stellen.
"Die Grundsicherung für alle, die – je nach Ausgestaltung – jährlich zwischen einer halben und knapp einer Billion Euro teuer wäre, müsste aus der Steuerkasse finanziert werden. Selbst den Wegfall der Sozialbürokratie eingerechnet, müssten Steuersätze drastisch erhöht werden. Auch die Mehrwertsteuer."
Das ist schnell dahin gesagt, ohne sich einmal Finanzierungsmodell anzuschauen, geschweige denn sie zu erwähnen, wie z.B. das Ulmer Transfergrenzenmodell (siehe auch hier).
Das Beste kommt zum Schluss, obwohl, es war schon in den Ausführungen zu Beginn erkennbar.
"Und was macht das bedingungslose Grundeinkommen mit dem Menschen? Macht es frei oder eher antriebsschwach? Sehr wahrscheinlich macht es den Freiheitssuchenden freier und den Antriebsschwachen antriebsschwächer. Der Kreislauf der Reproduktion der Armut wäre nicht durchbrochen. Das vermögen nur entschlossene Anstrengungen zur Verbesserung des Bildungssystems. Und für die könnte uns dann das Geld fehlen."
Wer oder was ist denn "der Antriebsschwache"? Lässt sich der Mensch in Grundtypen, die Freien und die Antriebsschwachen unterteilen? Die Antriebschwachen sind also die Armen, die brauchen keine Freiheit, weil sie damit nicht umgehen können? Ein Bildungssystem, das nicht auf Selbstbestimmung, also Freiheit setzt, soll also denen helfen, denen es an Freiheitsdrang mangelt? Welch krude Anthropologie vertritt der Autor hier? Sie eignet sich gut dazu, jeder Erziehungsprogramm von oben zu rechtfertigen und erweist sich bei genauerer Betrachtung als elitär. Wer Menschen in Armut helfen will, ihre Selbstbestimmungsfähigkeiten zu stärken, muss ihnen gerade ihnen gemäße Möglichkeiten geben. Dazu gehört als erstes, den sozialstaatlichen Alimentierungsprogrammen nicht mehr einfach ausgeliefert zu sein. Ein BGE würde hier genau Enormes leisten können. Darüber hinaus sind Hilfs- und Beratungsangebote wichtig, die echte Angebote sind, also folgenlos ausgeschlagen werden können. Das alles ist heute nicht möglich. Dass der Autor hier nicht wenigstens Bemühungen erkennen lässt, die Entstehung und Gründe von Armut etwas differenzierter zu betrachten, disqualifiert alleine schon den gesamten Kommentar und erinnert an die paternalistische Beschützerhaltung, die sich gleichermaßen in Stellungnahmen von Anke Hassel, Christoph Butterwegge (hier und hier) und anderen erkennen lässt.
Dass Jens Berger von den Nachdenkseiten den Beitrag in den Nürnberger Nachrichten lobend erwähnt, weil er die komplexe Thematik "auf den Punkt" bringe, lässt sich wohl nur als Beleg für unterkomplexe Einwände verstehen.
Sascha Liebermann
19. Dezember 2017
Was macht den Unterschied: was dabei herauskommt oder wie es herauskommt?
Mankiw argumentiert wie folgt:
"Consider an economy in which average income is $50,000 but with much income inequality. To provide a social safety net, two possible policies are proposed.
A. A universal transfer of $10,000 to every person, financed by a 20-percent flat tax on income.
B. A means-tested transfer of $10,000. The full amount goes to someone without any income. The transfer is then phased out: You lose 20 cents of it for every dollar of income you earn. These transfers are financed by a tax of 20 percent on income above $50,000.
Which would you prefer?
I have seen smart people argue as follows: Policy A is crazy. Why should Bill Gates get a government transfer? He doesn’t need it, and we would need to raise taxes more to pay for it. Policy B is more progressive. It targets the transfer to those who really need it, and the transfer is financed by a smaller tax increase levied only on those with above-average incomes.
But here is the rub: The two policies are equivalent. If you look at the net payment (taxes less transfer), everyone is exactly the same under the two plans. The difference is only a matter of framing."
Mankiw weist auf ein Phänomen hin, dass auch in der deutschen Grundeinkommensdiskussion anzutreffen ist. Götz W. Werner, die Brüder Aldi oder - früher - Joseph Ackermann, sie mussten als Beispiele dafür herhalten, wer alles ein BGE nicht bräuchte. Selbst gestandene Politiker, die viel Kritik am Umbau des Sozialstaats (Stichwort Agenda 2010) übten, wie der vor einigen Jahren verstorbene Otmar Schreiner (SPD), argumentierten so gegen das BGE (siehe hier, hier und hier). Sie vergaßen schlicht, dass diejenigen, denen sie ein BGE nicht zugestehen wollten, zugleich aber den Grundfreibetrag in der Einkommensteuer in Anspruch nehmen konnten, ein Rechtsanspruch.
Was heißt es nun, dass der Unterschied zwischen beiden Bereitstellungsformen einer des "framing" sei? Wie aus Mankiws abschließender Bemerkung ersichtlich ist, bezieht sich "framing" nur auf die Frage "bedarfsgeprüft" oder nicht, beide haben ja dasselbe "net payment" als Ergebnis. Das ist richtig und dennoch übersieht er eines, dass es um den die normative Seite des Bereitstellungsmodus geht. Betrachtet man nur das Resultat der Sicherung eines Mindesteinkommens, fällt die normative Seite nicht ins Gewicht. Betrachtet man hingegen den Bereitstellungsmodus - tasächlich immer verfügbar in Absehung von anderen Einkommen (BGE) oder in Relation zu anderen Einkommen (Negative Einkommensteuer) und damit verrechnet - dann ist es eben doch ein großer Unterschied. Im ersten Fall wird das Erwerbsgebot als Norm aufgehoben, im zweiten Fall nicht. Weshalb hat es nun der erste Fall so schwer? Weil er dem Selbstverständnis heutiger Sozialpolitik das Wasser abgräbt. Das Universal Basic Income in der bedingungslosen Variante würde eben gerade verlangen, die Erwerbsnorm aufzugeben.
Sascha Liebermann
30. März 2017
"Klug, liberal, gerecht, effizient" - ein Interview mit Thomas Straubhaar
In diesem Interview klingt es wieder so, als sehe Straubhaar doch nicht vor, dass das BGE eine eigenständige Einkommensquelle sei, die nicht verrechnet wird. Er antwortet an einer Stelle:
"Eine Steuerreform ist es in dem Sinn, dass es alle heute geleisteten Zahlungen an den Staat und Unterstützungsleistungen vom Staat an die Menschen in einem einzigen Instrument, dem BGE zusammenfasst. Alle Einkommen werden gleichermaßen besteuert, egal ob Arbeits- oder Kapitaleinkommen. Das sind die laufenden Einzahlungen an den Staat. Auf der anderen Seite ist es so, dass alle Menschen den gleichen Betrag vom Staat erhalten. Als würde man einen Vorschuss vom Staat erhalten, der dann am Ende des Jahres mit den Einkommensteuerleistungen zu verrechnen ist."
Ein BGE, das von der Wiege bis zur Bahre bereitgestellt wird, wird eben gerade nicht verrechnet, sonst folgte es einer Negativen Einkommensteuer. Oder meint Straubhaar etwas anderes an dieser Stelle?
Eine bemerkenswerte Antwort gibt er auf die folgende Frage:
"kreuzer: Wer würde dann noch investieren?
STRAUBHAAR: Kapital ist gar kein so scheues Reh, wie viele behaupten. Das ist ein Mythos. Finanzkapital mag andernorts hingehen, aber Realkapital, also Firmenanlagen, Fließbänder, Fabrikgebäude können nicht so schnell verlagert werden. Andere Faktoren, wie politische Stabilität, Rechtssicherheit und eine gute Qualität der Infrastruktur, sind viel wichtiger als Steuersätze."
In der folgenden Passage folgt dann das bekannte Anreiz-Denken:
"kreuzer: Menschen reagieren auf Anreize, so formuliert es Ihre eigene Disziplin die Volkswirtschaftslehre. Wird noch jemand arbeiten, wenn der Anreiz wegbricht zu arbeiten?
STRAUBHAAR: Es gibt empirisch ein Paradoxon. Fragen Sie Menschen, ob sie selber bei einem Grundeinkommen noch weiter bereit wären zu arbeiten und etwas dazu zu verdienen, sagt die überwiegende Mehrheit, dass sie mehr als das Existenzminimum haben möchte. Fragen Sie dieselben Menschen noch mal, wie sich deren Nachbarn verhalten würden, antworten sie, dass diese sicherlich aufhören würden zu arbeiten.
kreuzer: Also wissen wir nicht allzu viel.
STRAUBHAAR: Es gibt keine empirische Evidenz, wie ein Systemwechsel die Motivation der Menschen zu arbeiten verändert. Aber man weiß ohnehin nicht, wie die Arbeitswelt von morgen aussehen wird, gerade in Bezug auf die Digitalisierung. Wenn man an den Anreizgedanken glaubt, dann müssen Menschen einfach entsprechend höhere Anreize geboten werden, damit es sich stärker als heute lohnt, arbeiten zu gehen.
kreuzer: Das bedeutet einen höheren Reallohn für alle.
STRAUBHAAR: Genau. Die Marktmacht der Beschäftigen gegenüber den Kapitalisten würde steigen. Und je mehr sie zunimmt, umso mehr müssen die Arbeitgeber aktiv werden, um Beschäftigte zu finden. Das würde zu steigenden Reallöhnen führen, was finanzierbar ist. Die Digitalisierung führt zu steigender Arbeitsproduktivität und höheren Reallöhnen."
Aber nicht der unpräzisen "Anreize" wegen. Vielmehr zeichnet es die menschliche Praxis aus, gestalten und wirken zu wollen, allerdings nicht unter allen Bedingungen. Es geht also um Autonomie und Selbstbestimmung.
Sascha Liebermann
14. Februar 2017
"...weil der Mensch zur Lethargie neigt" oder: Nur lesen, was zu den eigenen Vorstellungen passt
Eisenring wundert sich darüber, weshalb Straubhaar die verschiedenen Feldexperimente mit einer Negativen Einkommensteuer in den den USA und Kanada nicht diskutiert, denn, so Eisenring, schlage Straubhaar doch eine Negative Einkommensteuer vor (was allerdings nicht dasselbe wäre wie ein BGE). Nun sind die Befunde zu den Experimenten in Nordamerika gar nicht so leicht zu deuten, die Rezeptionsgeschichte der Befunde ist widersprüchlich, wie Karl Widerquist in einem Artikel deutlich machte. Sie ähnelt in manchem offenbar der Rezeption der Speenhamland-Gesetzgebung, die nicht selten als Beleg für das Scheitern eines BGE herhalten muss oder mancher Fehldeutung, auf die Evelyn L. Forget aufmerksam gemacht hat. Eisenring bezieht sich lediglich auf eine Quelle aus dem Jahr 1983, obwohl es etliche Untersuchungen gibt, deren komplexe Befunde genauere Sichtung verlangten. Der schon erwähnte Karl Widerquist hat dies in seinem Beitrag unternommen und schreibt S. 66 (im Schlussteil des Beitrags):
"Hopefully, Sections 2 and 3 have demonstrated that the findings of the NIT experiments are far more complex, subtle, and ambiguous than one might be led to believe by findings such as an X% decline in hours worked. But as this section shows, the complexity of the results was largely lost on politicians and members of the media to whom the findings were reported."
Er fährt fort (S. 67):
"Results of the fourth and largest experiment, SIME/DIME, were released while Congress was debating PBJI. Dozens of technical reports with large amounts of data were simplified down to two statements: It decreased work effort and it supposedly increased divorce. The small size of the work disincentive effect that pleased so many of the researchers hardly drew any attention. Never mind that everyone going into the experiments agreed that there would be some work disincentive effect; members of Congress were appalled; and columnists across the country responded with a chorus of negative editorials decrying the guaranteed income and ridiculing the government for spending millions of dollars to find out whether people work less if you pay them not to work. "
Auf S. 69:
"Even if the public had been made to understand more of the complexities of results, as long as there is a significant political block believing that any work disincentive is unacceptable, the NIT experiments were bound to give ammunition to NIT opponents. To that extent it was a mistake for any guaranteed income supporters to agree to the ex- periments in the first place. [...]
"To those who believe that low-wage workers need more power in the labor market, the NIT experiments demonstrated the feasibility of a desirable program. To those who believe all work-disincentives are bad, the experiments demonstrated the undesirability of a well-meaning program. These normative issues separate supporters from opponents of the basic income guarantee, and therefore, the NIT experiments, as long as they are discussed, will always mean different things to different people. [...] It is better to understand that the NIT experiments were able to shed a small amount of light on the positive issues that affect this normative debate. They we able to indicate only that a basic income guarantee is financially feasible at a cost of certain side effects that people with differing political beliefs may take to be desirable or disastrous. To claim more would be to overstate the evidence."
Eisenring folgt denen, die, wie Widerquist demonstriert, die Ergebnisse so rezipieren, wie sie zu ihren normativen Vorstellungen passen. Das wird den Ergebnissen aber nicht gerecht. Davon abgesehen weist er selbst darauf hin, dass die damalige Situation in den USA nicht der heutigen entsprach. Ja, wäre zu ergänzen, es war ja nicht einmal ein BGE und schon gar kein allgemeines.
Einen wunden Punkt in Straubhaars Überlegungen scheint er zu treffen, wenn er ihm vorhält, auf eine Umfrage als Beleg dafür zu verweisen, was Menschen mit einem BGE machen würden. Er wisse sicher welchen Erkenntniswert Umfragen haben. Recht hat er diesbezüglich.
Zeit Online hat einen Auszug aus dem neuen Buch abgedruckt, der ein wenig Einblick gibt:
" Zwischen den Arbeitsanreizen jener, die staatliche Unterstützung erhalten, und den Leistungsanreizen der anderen, die staatliche Transfers durch Steuern zu finanzieren haben, besteht ein Spannungsfeld – immer, nicht nur beim Grundeinkommen. Ein hohes Grundeinkommen macht hohe Steuersätze erforderlich. Dadurch werden Anreize zu eigener Leistung geschmälert. Erwerbsarbeit wird dann weniger attraktiv. Ein niedriges Grundeinkommen lässt sich mit niedrigen Steuersätzen finanzieren. Eine geringe Steuerbelastung wirkt sich positiv auf die Leistungsanreize aus. Erwerbsarbeit wird erstrebenswerter." [Hervorhebung SL]
Bei aller Befürwortung eines BGE erweist sich Thomas Straubhaar hier doch einer sehr vereinfachenden Sozialmechanik verhaftet, als orientiere sich jemand in seinen Entscheidungen direkt daran, was dabei herausspringt. Der Begriff Anreiz wird wie eine Blackbox behandelt, die irgendwie wirke. Im Grunde argumentiert er wie Christoph Eisenring, der dem Menschen attestiert, dass er zu Lethargie neige. Da Straubhaar vollkommen undifferenziert Leistungsanreize und Steuersätze miteinander verknüpft, setzt das voraus, dass der Mensch nichts macht, wenn es sich nicht lohnt. Aber was heißt sich lohnen? Eine differenziertere Betrachtung von Handlungsmotivation (wie z. B. hier) würde deutlich machen, dass die Zusammenhänge komplexer sind. Es lohnt sich etwas relativ dazu, was ich als Ziel habe oder worin ich den Erfolg erkenne. Und wenn ich in jedem Fall zum BGE ein Einkommen aus Erwerbstätigkeit oder Selbständigkeit hinzu erhalte, lohnt sich das immer. Allerdings macht es einen Unterschied, ob ein BGE immer zur Verfügung steht und nicht dem steuerbaren Einkommen zugeschlagen wird oder ob es mit diesem verrechnet wird.
Sascha Liebermann
14. September 2016
"Deutschland bekommt seine allererste BGE-Partei"...
In dem Beitrag macht der Autor Aussagen, die ich für kommentierungswürdig halte. Er schreibt:
"Trotzdem hat es nie eine [Enquetekommission, SL] gegeben. Die Grünen haben ihr Versprechen gebrochen. Aber auch andere hätten sich ohne weiteres des Themas annehmen können, denn jede große deutsche Partei hat Grundeinkommens-Modelle im Programm."
Welche Parteien meint der Autor? Die CDU hat kein Modell "im Programm" oder meint er den Vorschlag von Ministerpräsident a. D. Dieter Althaus? Der hat in der CDU keine große Unterstützung, zumindest keine sichtbare. Und die SPD? Welches Modell hat er da vor Augen? Lediglich die SPD Rhein-Erft hat ein solches erarbeitet. Guido van den Berg und Bernd Coumanns sind rührig, aber der Rest der SPD? Die FDP, etwa der Beschluss zum Bürgergeld? Das ist etwas ziemlich anderes als ein BGE. Da bleiben nicht mehr viele übrig, die Linke z.B., dort gibt es einen Vorschlag von der BAG Grundeinkommen? Aber wie sieht es mit Mehrheiten in der Partei dafür aus? Fehlanzeige.
Eine weitere Einschätzung:
" Erst 20 Jahre später [nachdem die Diskussion Anfang der siebziger Jahre in den USA eingebrochen war, SL] begannen wieder Politiker aller Parteien, sich mit dem Thema zu beschäftigen, vor allem die Grünen setzten es früh auf die politische Agenda der Republik."
Wieder so eine dahingeschmissene Behauptung: Politiker aller Parteien begannen es zu diskutieren? Eine wirklich öffentliche Diskussion gab es kaum, sieht man von wenigen Beiträgen in großen Tages- bzw. Wochenzeitungen ab. Und bei den Grünen? Mir ist diese Behauptung immer wieder begegnet, ich habe keine Belege dafür gefunden, dass ein Bedingungsloses Grundeinkommen, das nicht bloß eine liberale, pauschalisierte Ersatzleistung darstellen sollte - eher im Modus einer Negativen Einkommensteuer (auch hier), nicht als BGE - je Eingang in Beschlüsse gefunden hätte (siehe auch hier). Schon gar nicht kann die Rede davon sein, dass das BGE dadurch auf die "Agenda der Republik" gesetzt wurde. Es verschwand sang- und klanglos mit der bevorstehenden Wiedervereinigung.
Grimm schreibt an anderer Stelle:
"Eine breite Koalition aus Silicon-Valley-Millionären, Sozialutopisten und ehemaligen Gewerkschaftlern kämpft inzwischen für die Einführung. In den Niederlanden und in Finnland gibt es bereits Modellversuche, um herauszufinden, welche Folgen ein Grundeinkommen für die Gesellschaft hätte. In Deutschland gibt es - noch - nichts Vergleichbares."
In den Niederlanden passiert noch gar nichts, wie mir kürzlich bestätigt wurde, und in Finnland muss erst noch das Gesetz verabschiedet werden, das ins Parlament eingebracht wurde.
An einer Stelle wird Ronald Heinrich, Sprecher des Bündnis Grundeinkommen zitiert:
"„Wenn du das erreichst [2% Wählerstimmen, SL], hören sie dir zu“, sagt Ronald Heinrich, der als Sprecher der Initiative fungiert. „Sie“ – damit meinte er die anderen Parteien."
Ja, das mag sein, aber wäre es nicht wichtiger, dass die Bürger einem zuhören, diejenigen, die noch nichts vom BGE gehört haben oder bislang Vorbehalte dagegen hatten?
Sascha Liebermann