„Respekt-für-dich“ von der @spdbt ist auch nichts anderes als „Arbeiten lohne sich nicht mehr“ von der @CDU.
— BGE Eisenach (@bge_esa) November 4, 2022
Man solle über denen stehen können, die keinen Job haben oder wollen.
Die einen müsse man belohnen, indem man die anderen nicht belohnt.#Buergergeld #Linnemann
4. November 2022
16. März 2021
"Auf dem Rücken der Arbeiter und der Armen" - Anna Mayrs Polemik gegen ein Grundeinkommen setzt sich fort...
"[Mayr] Vor allem in der linken Debatte sieht man leider recht deutlich, wie tief der Ekel des Bürgertums vor den Armen sitzt. Er ist etwa in der Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen angelegt, das es (laut Bürgertum) unbedingt für diejenigen bräuchte, die sich "frei entfalten" wollten, unabhängig von ökonomischen Zwängen. Klar: Arbeitslosengeld ist für Asoziale, das muss man gar nicht mehr kritisieren – stattdessen verlangt man eine neue Einrichtung für die Freunde und Bekannten des Bürgertums, die nach dem Abitur ein Gap-Year einlegen wollen."
Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Arbeitslosengeld ist nicht für "Asoziale", aber für Erwerbstätige bzw. Erwerbsbereite, andere haben davon nichts. Dass auf Arbeitslose herabgeblickt wird, hat nicht nur mit Vorbehalten oder Vorurteilen zu tun, es ist die Stigmatisierung selbst, die zu dieser Herablassung führt. Diese Folgen hat es gerade, weil es an Erwerbstätigkeit bzw. -bereitschaft gebunden ist, die Bezieher nur unter diesem Gesichtspunkt betrachtet werden, nicht um ihrer selbst willen. Deswegen kann ein Arbeitslosengeld gerade diese Anerkennung nicht aussprechen, um die es Mayr offenbar geht. Woher rührt die Polemik, die mit der Sache nichts zu tun hat?
Sascha Liebermann
12. August 2020
"...denn Arbeitslosigkeit ist ein großes Gift für die Menschen individuell und für den gesellschaftlichen Zusammenhalt..."...
"DIE ARBEITSLOSIGKEIT IST DURCH DIE CORONA-KRISE STARK ANGESTIEGEN, ABER AUCH DAVOR GAB ES SCHON EINE HOHE SOCKELARBEITSLOSIGKEIT IN VIELEN STAATEN DER EU. AUCH IN ÖSTERREICH UND DEUTSCHLAND. IST VOLLBESCHÄFTIGUNG ÜBERHAUPT NOCH EINE PERSPEKTIVE?
Truger: Vollbeschäftigung muss eine Perspektive sein, denn Arbeitslosigkeit ist ein großes Gift für die Menschen individuell und für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Insofern sollte die Wirtschafts- und Finanzpolitik alles tun, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Das beginnt bei einer konjunkturgerechten Makropolitik mit starken öffentlichen Investitionen, die sich nicht an willkürlichen Kredit- oder Schuldengrenzen, sondern am nachhaltigen gesellschaftlichen Wohlergehen orientiert.
Es umfasst dann natürlich viele weitere Bereiche wie die Bildungs- und Forschungspolitik, sowie die Industrie-, Regional- und Strukturpolitik. Von zentraler Bedeutung ist auch eine gezielte Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik mit starken Tarifparteien und starkem Sozialstaat."
Die Folgen von Arbeits- besser Erwerbslosigkeit fallen ja nicht vom Himmel, sondern sind Resultat der normativen Stellung, die Erwerbstätigkeit inne hat und die sich entsprechend in der Ausgestaltung des Sozialstaats niederschlägt. Nur dieser normativen Stellung wegen hat sie die Folgen, die sie hat, nur deswegen führt sie zu einer strukturellen Stigmatisierung all derer, die nicht erwerbstätig sind, ganz gleich aus welchen Gründen. Die Sanktionsbewehrung sozialstaatlicher Leistungen ist Ausdruck dieser normativen Vorrangstellung. Es ist also nicht so simpel, wie Truger hier konstatiert.
Der "gesellschaftliche Zusammenhalt" wird gerade nicht durch Erwerbstätigkeit gestiftet, sondern durch die politische Vergemeinschaftung der Bürger, denn nur im Gemeinwesen gilt der Bürger etwas um seiner selbst willen und um des Gemeinwesens willen. Nirgendwo ist der Einzelne austauschbarer als in Erwerbsverhältnissen, das zeichnet gerade ihren modernen Charakter aus, dass es nur um Aufgaben geht, die bewältigt werden müssen. Was derjenige darüber hinaus ist, an Interessen oder Vorlieben hat, darf keine Rolle spielen. Das ist der Unterschied zur Leibeigenschaft.
Wer diese Wirkung von Erwerbslosigkeit nicht haben will, muss von der Erwerbszentrierung Abschied nehmen. Davon ist Truger offenbar weit entfernt und ist damit als Sachverständigenratsmitglied in guter Gesellschaft.
Sascha Liebermann
22. Mai 2020
Resilienz - ein schimmernder Begriff, seine optimierungsbezogene Umdeutung und die Verbindung zum Grundeinkommen
Siehe auch unseren früheren Beiträge zu Remo Largo hier, zu Bildung hier.
Sascha Liebermann
10. Januar 2020
Wenn das eine nicht aus dem anderen folgt - der Sozialphilosoph Axel Honneth zum Grundeinkommen
"[Handelsblatt] Dabei hatte der Mensch wohl noch nie so viel Freizeit wie heute.
[Honneth] Es ist aber eine freie Zeit, die viel stärker als früher gleichzeitig von Forderungen des Arbeitslebens durchzogen ist – was durch die Digitalisierung inzwischen noch gesteigert wurde. Nur die wenigsten von uns sind doch konsequent offline am Abend und am Wochenende."
Hier wie auch an späteren Stellen verliert Honneth kein Wort darüber, wie sehr die Bedeutung des "Arbeitslebens" durch sozialpolitische Reformen verstärkt wurde. Zwar reagierten die Agenda 2010 und ihre Vorläufer schon auf Wandlungen in der Deutung des Stellenwertes von Erwerbstätigkeit, sie haben zugleich aber diese verstärkt. Die Verschärfung von Sanktionsmöglichkeiten so wie die workfare-Ausrichtung der Sozialpolitik haben diese Entwicklung institutionalisiert. Die Entleerung des Leistungsbegriffs (siehe auch hier), die Bejubelung jegliches Zuwachses an Erwerbstätigen, ganz gleich in welchem Umfang, sind Ausdruck dessen. Es sind nicht einfach "Forderungen des Arbeitslebens", wie Honneth sagt, es handelt sich um einen breiten normativen Konsens bezüglich des Stellenwertes von Erwerbstätigkeit, der dazu führt, dass sich die "Forderungen des Arbeitslebens" so entwickeln können. Vielleicht würde Honneth das auf Rückfrage ähnlich sehen, es fällt allerdings auf, dass er es gar nicht erwähnt.
In der folgenden Passage wird nach dem Bedingungslosen Grundeinkommen gefragt:
"[Handelsblatt] Wie bewerten Sie den weitverbreiteten Wunsch, weniger arbeiten zu wollen, und dafür auch Gehaltseinbußen hinzunehmen?
[Honneth] Das ist die Vision des normalen Bürgers. Der will schon arbeiten, aber nicht mehr auf Kosten von Familie und Freizeit. Die direkte Nachkriegsgeneration war da noch anders motiviert. Sie wollte den Wiederaufbau um jeden Preis mitbestreiten. Die Söhne, Töchter und Enkel dieser Nachkriegsgeneration wollen mehr freie Zeit und sind dafür auch bereit, auf Anerkennung in Form von Geld zu verzichten. Und lassen Sie mich bitte einige Sätze zum bedingungslosen Grundeinkommen sagen …"
Vermutlich bezieht sich Honneth für seine Einschätzung auf Befragungen, diese sagen aber nichts darüber aus, wie jemand handelt. Womöglich bezieht er sich auch auf die Diskussion um die Generation Y. Während in offenen Interviews eine Diskrepanz zwischen beidem - Einstellung und Handeln - konkret bestimmbar wäre, ist das bei standardisierten Befragungen methodisch nicht möglich, es lässt sich nur eine Nicht-Übereinstimmung zwischen zwei Antworten zu einer ähnlichen Frage feststellen mittels einer Kontrollfrage. Wenn man nach Hinweisen sucht, wie es sich mit dem Stellenwert von Erwerbstätigkeit verhält, so spricht die Betreuungsquote von Kindern unter drei Jahren, nach Angaben des Statistischen Bundesamtes, eine andere Sprache. Diese Quote steigt stetig an, aber nicht nur in diesem Bereich. Auch die Ausweitung der Schulzeiten in der Grundschule durch die Nutzung von Ganztagsbetreuung hat in den letzten Jahren zugenommen. Zugleich gibt es keine Diskussion darüber, dass es "Mehr Zeit für Familie" geben müsste, der gleichnamige Familienbericht plädiert eher für das Gegenteil. Das 2007 eingeführte Elterngeld stößt in dasselbe Horn, prämiert Erwerbstätige und deren baldige Rückkehr in den Arbeitsmarkt und unterwirft Familie demselben normativ betrachtet stärker denn zuvor.
Dann kommt Honneth direkt auf das BGE zu sprechen:
"[Handelsblatt] Bitte!
[Honneth] Ich halte recht wenig vom bedingungslosen Grundeinkommen. Nehmen wir einmal an, dadurch könnte tatsächlich jedem Bürger und jeder Bürgerin ein minimales Auskommen garantiert werden – wie aber käme dann noch ein gesellschaftlicher Zusammenhalt zustande? Die Gefahr scheint mir, dass sich solche Bindungen nur noch privat ergeben würden, es fehlte, was uns über unsere individuellen Präferenzen hinaus noch verbinden könnte."
Diese Einlassung ist erstaunlich, und zwar weil darin Honneths Verständnis davon deutlich wird, wie Solidarität entsteht und sich erhalten kann. Die Bereitstellung eines BGE wäre ja gerade eine eminent politische Entscheidung dafür, dass die Gemeinschaft ihren Bürgern eine Einkommensgarantie gewährt - die Bürger also sich selbst ohne Vorbehalte. Das ist als solches ein Zeichen von Solidarität, nimmt die Bürger in ihrer Stellung im Gemeinwesen ernst und stutzt Erwerbstätigkeit auf das zurück, was sie ist, ein Beitrag unter anderen, von dem jedoch der Staatsbürgerstatus nicht abhängt. Deswegen kennt das Grundgesetz auch keine Erwerbsobliegenheit (das lässt sich auch dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts entnehmen). Wenn Honneth nun also die Dimension politischer Gemeinschaft nicht als Vebindendes sieht, die Zusammenhalt bedeutet, welche dann? Es bliebe dafür nur Erwerbstätigkeit und genau dies wäre illusionär, weil Erwerbstätigkeit Bürger nicht um ihrer selbst willen integriert, sie sind lediglich aufgabenspezifisch relevant. Genau das unterscheidet moderne Arbeitsverträge von Feudalverhältnissen, dass beide Vertragsparteien sich geregelt voneinander trennen können.
Weiter sagt Honneth direkt auf die vorangehende Passage folgend:
"Zudem entstünde das Risiko, einen zentralen, ethisch grundierten Haltepunkte im Leben zu verlieren, der der eigenen Existenz über die persönlichen Beziehungen hinaus Sinn und Orientierung verleiht. Einer geregelten, einigermaßen sinnvollen Arbeit nachzugehen bedeutet auch, einen gesellschaftlichen Beitrag leisten zu können und dafür etwas Lebensnotwendiges zu erhalten, nämlich soziale Anerkennung."
Hier wird deutlich, dass Honneth zwei Logiken von Anerkennung durcheinanderbringt, die getrennt gehalten werden müssen. Die eine ist die Anerkennung der Person um ihrer selbst willen, dafür gibt es zwei elementare Orte: Familie und politische Vergemeinschaftung. Die andere ist die Anerkennung um einer Leistung willen, sie richtet sich nicht auf die ganze Person, sondern auf sie in ihren Fähigkeiten, Aufgaben zu bewältigen. Dieser "gesellschaftliche Beitrag" ist ein ganz anderer als der Beitrag als in der ersten Dimension. Unbezahlte Arbeit taucht hier überhaupt nicht auf, auch das ist bemerkenswert.
Der Journalist des Handelsblattes ist offenbar auch irritiert und fragt zurück:
"[Handelsblatt] Anerkennung ist Ihr großes Thema. Sie haben viel dazu geschrieben … Deshalb die Frage: Kann ein Mensch seine Anerkennung nicht auch aus anderen Tätigkeiten ziehen? Würde das bedingungslose Grundeinkommen nicht auch frei machen für die wichtigen Dinge in der Welt und im Leben?
[Honneth] Nein, das könnte leicht auf eine elitäre Annahme hinauslaufen. Denn auch mit einem garantierten Grundeinkommen bräuchten wir doch mehr als bloß die vielleicht gewonnene Zeit, um uns, wie Sie sagen, den „wirklich wichtigen“ Dingen im Leben zuzuwenden. Wir bräuchten kulturelle Anregungen, Informationen über ethische Alternativen, Erfahrungen mit fremden Lebensweisen, kurz, all das, was Bildung im weiten Sinn genannt wird."
Dass Honneth hier eine "elitäre Annahme" befürchtet, ist indes selbst elitär, spricht er doch dem Einzelnen ab, dass Erfahrungsprozesse von ihm ausgehen müssen, statt von außen veranlasst zu werden. Er muss - und das muss er heute auch - entscheiden, was für ihn die wichtigen Dinge sind. Dazu kann ein Gemeinwesen nur Infrastruktur bereitstellen. Daran würde ein BGE gar nichts ändern, es würde diese Zumutung noch verstärken. Was dann noch hinzutreten kann, schließt ein BGE gar nicht aus, Honneth aber formuliert dies so, als würde erst durch "kulturelle Anregungen" (meint er so etwas wie "kulturelle Bildung") - was auch immer das wäre - Handlungsfähigkeit entstehen. Weshalb setzt er überhaupt das eine und das andere einander entgegen? Und sein Bildungsverständnis erweist sich dabei doch als erstaunlich verkürzt, denn die entscheidenden Bildungsprozesse vollziehen sich zuerst einmal innerhalb der Familie, es ist längst bekannt, wie bedeutsam sie sind. Erst darauf folgen Bildungseinrichtungen, die eben nicht abfangen können, was innerfamilial schief läuft. Erfahrungsprozesse können nur ermöglicht, nicht aber erzwungen werden.
Er fährt fort:
"All das können wir aber nur erwerben, wenn wir uns im Austausch mit anderen befinden und dank einer guten Ausbildung diese kulturellen Wissensvorräte aneignen können. Und dazu regt im allgemeinen gerade die Einbeziehung in die gesellschaftliche Arbeitsteilung an. Vorausgesetzt, sie ist fair organisiert, bietet genügend Raum für sinnvolle Tätigkeiten und ist gut genug vergütet."
Auch hier wieder verkürzt er, der Austausch beginnt doch viel früher schon, sie setzt Bildungsprozesse in der Familie voraus, nicht umgekehrt. Dann erst folgen Prozesse "gesellschaftlicher Arbeitsteilung", wobei Honneth hier überhaupt nicht unterscheidet zwischen denen, in die die ganze Person involviert ist (politische Vergemeinschaftung) und denen, in die sie nur bezogen auf die Bewältigung von Aufgaben involviert ist (Arbeitswelt). Und wer entscheidet darüber, ob Tätigkeiten sinnvoll sind? Dazu bedarf es zweier Momente, auf der einen Seite die gesellschaftliche Dimension einer Tätigkeit, auf der anderen die Neigungen einer konkreten Person, die sich entscheiden muss. Der Sinn für einen, ergibt sich nicht aus der gesellschaftlichen Sinnhaftigkeit von Tätigkeiten. Nicht alles ist für jeden gleichermaßen sinnstiftend, sofern er dazu keine persönliche Affinität hat.
"[Handelsblatt] Das sind aber leider nicht alle Jobs ...
[Honneth] Dennoch. Wenn wir durch ein minimales Grundeinkommen freigesetzt werden, so entsteht doch die Gefahr, dass die, die schon über ein solches kulturelles Wissen verfügen, weiter gedeihen, und die anderen, die schon bislang von all dem ausgeschlossen waren, weiter in das kümmerliche Leben einer reinen Privatperson ohne gesellschaftliche Bindung getrieben werden."
Wer entscheidet darüber, dass dies so ist, wie Honneth sagt? Sicher, ein Gemeinwesen, dass das geschehen lässt und die Lage nicht verändern will, darin würde sich die Lage womöglich so entwicklen. Honneth denkt aber über die Köpfe derer hinweg, die in ihrer Entscheidungsfähigkeit gestärkt werden könnten durch ein BGE. Und wer entscheidet, welches kulturelle Wissen das richtige und wichtige ist? Für Honneth steht das offenbar fest, ist es aber nicht in einer Demokratie auch immer strittig, worin das besteht und muss stets neu austariert werden? Honneths Ausführungen sind hier ganz ähnlich zu denen Anke Hassels.
In diesem Sinne geht es auch weiter:
"Nein, ich denke, dass es derzeit zum Programm einer besseren, gerechteren, jeden mit mehr sinnvollen Tätigkeiten versehenden Arbeitsteilung keine Alternative gibt. Wer dank eines minimalen Grundeinkommens aus dieser Arbeitsteilung herausfällt, dem fehlen wahrscheinlich genau das aktive Miteinander, der arbeitsteilige Austausch und die kulturelle Anregung, die für die Beschäftigung mit „wirklich wichtigen“ Dingen des Lebens die Voraussetzung bilden."
Hier wird der Bürger letztlich zum Objekt der Arbeitszuteilung, wenn er gar nicht selbst sich auf die Suche macht, sondern mit "Tätigkeiten" versehen wird. Es gibt heute freie Berufswahl und auch sonst ist man darin frei, Tätigkeitsfelder zu suchen - einzig das Erwerbsgebot fordert dafür, einen bestimmten Weg zu beschreiten, will man nicht gegen den gemeinschaftlichen Konsens handeln. Was Honneth vorsieht, geht weit dahinter zurück. Immerhin ist er gegen Ende des Absatzes vorsichtig, wenn er sagt, "wahrscheinlich" fehle jemandem das "aktive Miteinander", der aus diesen Zusammenhängen herausfalle, aber was hat das mit einem BGE zu tun? Es weitet doch vielmehr das Feld, im dem Engagement erwünscht ist.
Auf die Frage des Interviewers nach dem Stellenwert von Familie antwortet Honneth:
"Sie ist trotz ihrer kulturellen Hinterfragung für den Einzelnen wichtiger geworden. Und um dieses gestiegene Bedürfnis nach Familie verwirklichen zu können, braucht man Zeit. Wir sehen das gerade sehr deutlich daran, dass auch Väter mehr und mehr bereit sind, für die Kinder zu Hause zu bleiben, Elternzeit zu nehmen oder in Teilzeit zu gehen."
Hier scheint sich Honneth wieder auf Befragungen zu berufen, sowohl die Statistiken zur Nutzung des Elterngeldes (das nur für eine kurze Zeit gezahlt wird) als auch die Interviews mit Eltern kleiner Kinder, die wir im Rahmen eines Projekts ausgewertet haben, zeugen davon, dass sich Eltern, hier besonders Väter, erheblich mehr Zeit nehmen würden. Man beachte dazu nur die Ausweitung nicht nur der Betreuungszeiten in Kitas, auch die Ausdehnung auf immer jüngere Kinder, eine Entwicklung vor allem der vergangenen zehn Jahre in Deutschland. Hier darf man sich von oberflächlichen Befragungen nicht blenden lassen, das eine ist, etwas als wichtig zu erklären, das andere, entsprechend zu handeln. Familie ist zum Anhängsel des Arbeitsmarktes geworden - eine Abkehr ist davon kann ich nicht feststellen.
Erst am Ende des Interviews lässt Honneth noch aufscheinen, dass es etwas jenseits von Erwerbsarbeit gebe:
"Es muss sich dabei nicht nur um finanziell vergütete Arbeit handeln, häufig reicht, will man noch die Erfahrung des Gebrauchtseins machen, die öffentliche Anerkennung durch staatliche Instanzen oder private Träger. Wie gesagt: Der Mensch braucht Arbeit zur Strukturierung seines Lebens und zur Erfahrung gesellschaftlicher Einbeziehung – und das gilt auch noch fürs Alter!"
Immerhin. Besteht allerdings die "öffentliche Anerkennung" lediglich darin, warme Worte zu sprechen oder Ehrungen vorzunehmen, was viele Ehrenamtliche gar nicht wollen, ändert dies nichts am Vorrang des Erwerbsgebots. Damit bleibt der normative Maßstab erhalten, der alles andere jenseits der Erwerbstätigkeit heute degradiert. Dass Honneth die Haushaltstätigkeiten unter den Tisch fallen lässt, überrascht dann auch nicht mehr.
Es ist erstaunlich, wie engstirnig bzw. kurzsichtig eine Sozialphilosophie der Anerkennung ausfallen kann, die ein solche hohes Ansehen in öffentlichen Debatten genießt.
Sascha Liebermann
6. November 2019
Das Kind beim Namen nennen statt Verrenkungen mancher Sanktionsgegner
Schon länger werden die Sanktionsinstrumente kritisiert und vor allem in Zusammenhang mit der Agenda 2010 gebracht, die ein neues "Regime" installiert habe, wie mit Erwerbslosen umzugehen sei. Manche Kritiker der Sanktionen fordern schon länger eine repressionsfreie Grundsicherung, lehnen Sanktionen vollständig ab. Wiederum andere stimmen in diesen Chor ein, sind aber gegen ein Bedingungsloses Grundeinkommen. Robert Habeck stellte vor etwa einem Jahr klar, welche Verpflichtung aufgehoben werden müsste, damit es eine "Garantiesicherung" geben könnte: die Erwerbsverpflichtung. Just sie ist es aber, die von manchen Kritikern gar nicht oder nur in Grenzen angetastet wird.
Christoph Butterwegge zum Beispiel schrieb in der Frankfurter Rundschau, bevor das Urteil des Bundesverfassungsgerichts veröffentlicht war, wieder davon, dass es einer "politische[n] Totalrevision" von Hartz IV bedürfe. Dabei ist es gerade Butterwegge, der mit der Erwerbsverpflichtung nicht brechen will, wie in einem Gespräch mit Anny Hartmann vor einigen Jahren deutlich wurde (siehe hier). Denn, wer Erwerbsfähige in der Pflicht sieht, ihr Auskommen selbst erzielen zu sollen, hält am Erwerbsgebot fest. Damit dieses durchgesetzt werden kann, bedarf es entsprechender Instrumente, mit denen bei Nicht-Erfüllung der Pflichtverletzung entgegengetreten werden kann. Klarer ist da schon Helga Spindler, die Sanktionen grundsätzlich für notwendig hält, aber nicht in der praktizierten Form. In der Freitag plädierte Roland Rosenow gestern ebenso für eine Abschaffung von Sanktionen, denn "Arme seien keine Feinde", die Gesellschaft müsse sie als "Partner" sehen und behandeln. Statt Sanktionen brauche es Anerkennung, die Würde müsse im Mittelpunkt stehen. Aber wie soll das möglich sein, ohne das Erwerbsgebot aufzugeben? Auch Norbert Häring ist gegen bestehende Sanktionen und verweist auf das Grundgesetz, das keine Erwerbsbereitschaft zur Voraussetzung mache für die Gewährung des Existenzminimums. Nun ist aber genau diese bedingungslose, oder anders ausgedrückt: vorbehaltlose, Gewährung gerade nicht gängige Praxis. Der bestehende Sozialstaat macht die Erwerbsbereitschaft zur Voraussetzung des Leistungsbezugs und setzt Sanktionen gerade dazu ein, bei Zuwiderhandlung den Pflichtcharakter in Geltung zu setzen, sofern die betreffende Person erwerbsfähig ist. Erwerbsunfähigkeit muss nachgewiesen werden, das hat seinen Grund in der Erwerbspflicht. Wenn Häring also von Sanktionen wegkommen will, müsste er die Erwerbsverpflichtung aufheben, damit die Bedingungslosigkeit betonen - dafür bietet er selbst Ansatzpunkte. Damit ist ja keineswegs die Verantwortung aufgehoben, dass der Einzelne sich fragen muss, wie er zum Wohl des Ganzen beitragen kann. Ein BGE befördert gerade keine individualistische Gesellschaft, wie dann geunkt wird, sondern macht überhaupt erst einmal deutlich, dass es verschiedene Leistungsformen gibt, von denen das Gemeinwesen gleichermaßen abhängig ist: Haushaltstätigkeiten, bürgerschaftliches Engagement und Erwerbstätigkeit. Erstere beiden muss man sich heute leisten können, sie werden also als nachrangig betrachtet, darin besteht die Verkehrung der Verhältnisse.
Wer also mit der Forderung nach Abschaffung von Sanktionen ernst machen und deswegen Sanktionen abschaffen will, kommt nicht umhin, zumindest in die Richtung des Vorschlags von Robert Habeck zu argumentieren. Wer darüber hinaus gehen will, kommt um ein BGE nicht herum. Gerade ein BGE wäre der entscheidende Stützpfeiler, um wirklich die Ausrichtung des Sozialstaats zu verändern.
Sascha Liebermann
Nachtrag 6.11.: Gestern veröffentlichte Zeit Online einen Beitrag von Butterwegge, in dem er für "Anreize" statt Sanktionen plädiert. Diejenigen, die erwerbsfähig sind, aber partout nicht wollen, würde Butterwegge sie dann in Ruhe lassen? Das wäre die Konsequenz, wenn er auf Sanktionen vollständig verzichten will.
4. Juli 2018
2. Februar 2018
„Soziales Grundeinkommen erforderlich“...
Dass auch hier mit Unterstellungen oder nachlässiger Rezeption gearbeitet wird, ist wohl ein Zeichen von Abwehr. Es sollte mittlerweile doch bekannt sein, dass Joe Kaeser sich nicht für ein BGE ausgesprochen hat und Götz W. Werner keineswegs die Abschaffung der Krankenversicherung propagiert. Gleichwohl stellt sich die Frage, ob diese anders organisiert sein kann. Und auch Thomas Straubhaar hat, schon in seinem Buch, kürzlich wieder in einem Interview eingeräumt, dass weiterhin bedarfsgeprüfte Leistungen oberhalb eines BGE geben kann.
Wenn Frau Engelen-Kefer es für ungerecht hält, dass auch Millionäre ein BGE erhalten sollen, dann muss sie sich fragen lassen, sie denn den Grundfreibetrag in der Einkommensteuer abschaffen will? Denn der steht allen zu. Sein Zweck ist es, ganz wie beim BGE, das Existenzminimum zu garantieren und unbesteuert zu lassen.
Und wie ist es mit der Verantwortung von Unternehmen? Sie sollen die "Menschen von der Arbeit zu befreien".
Gegen Ende dann dies:
"Für die Arbeitnehmer bedeutet dies eine Demotivierung zu eigenen Arbeitsleistungen, da sie hierfür nur geringe zusätzliche Lohn- und Gehaltszahlungen der Arbeitgeber zu erwarten haben. Damit würde gleichzeitig die Rolle der Gewerkschaften und ihrer Tarifpolitik für Lohnsteigerungen und sonstige Arbeitsbedingungen entfallen. Diese Demotivierung aus finanziellen und sonstigen materiellen Gründen würde noch verstärkt durch die Gefährdung der vielfältigen sonstigen Interessen der Menschen, die mit ihrer Arbeit an Entwicklungsperspektiven, Anerkennung, sozialer Einbindung und gesellschaftlicher Teilhabe verbunden sind. Die Vorstellung eines emanzipatorischen BGE, wie im Konzept der Linken, verkehrt sich somit in ihr Gegenteil."
Das Credo der "Arbeitsgesellschaft", so, als sei der Mensch dort mehr als nur ein Mitarbeiter, der Aufgaben zu bewältigen hat. Um seiner selbst willen ist er dort nicht gefragt, aus gutem Grund (siehe auch hier).
Sascha Liebermann
2. Mai 2017
"Ich finde, dass wir jedem Arbeitsfähigen Arbeit geben sollen" - wie die Erweiterung des Arbeitsbegriffs zur Ausweitung von Erwerbsarbeit führt
"Uns geht die Arbeit aus?"
Mazal: Nein, wir werden nach wie vor viel Arbeit haben. Nur müssen wir umdenken, was Arbeit ist. Wenn es in Zukunft um Arbeit geht, werden wir wieder Familien- und Kulturarbeit als Arbeit definieren müssen. Wir werden künftig beispielsweise viele Menschen für die Betreuung von Kindern und die Unterstützung von Familien, in Schulen und von älteren Menschen brauchen. Die „Care-Work", die momentan vielfach unbezahlt von Frauen geleistet wird, muss als bezahlte Arbeit ausgestaltet werden. Zeigen wir, dass sie uns viel wert ist, indem wir entsprechende Löhne ermöglichen."
Auf der einen Seite fordert er damit einen erweiterten Arbeitsbegriff, der auch dasjenige als Arbeit bzw. Leistung anerkennt, was heute als unbezahlte Arbeit weitgehend verächtlich behandelt wird. Auf der anderen Seite geht es ihm aber nicht darum, diese Anerkennung durch eine Relativierung von Erwerbstätigkeit zu erreichen und durch eine andere Form des Einkommens zu ermöglichen, sondern sie zu "bezahlen" und "Löhne ermöglichen". Das führt zur Kommodifizierung von Arbeit, was die bisher unbezahlte Arbeit im Kern verändern würde. Sie würde in Erwerbsarbeit umgewandelt. Damit geht es nicht mehr um einen erweiterten Arbeitsbegriff, es geht und führt mit dieser Lösung zu einer Ausweitung von Erwerbsarbeit in Lebensbereiche hinein, die bislang frei von ihr waren. Es ist ein grundsätzlicher Unterschied, ob ich eine Tätigkeit ergreife, weil ich zu einer Person in einer bestimmten Beziehung stehe oder ob ich eine Dienstleistung anbiete bzw. ihr diene. Während erstere auf die konkrete Person gerichtet ist und von der Beziehung zu ihr getragen, ist letztere ein generalisiertes Angebot, das nicht aufgrund der Beziehung zu einer bestimmten Person bereitgestellt wird. Man kann das vergleich mit dem Unterschied zwischen Eltern, die sich um ihre Kinder kümmern oder Erziehern, die sich um Kinder in einer Kita kümmern, ganz gleich, welche Kinder dort hinkommen.
Auf Mazals Ausführung folgt eine Rückfrage, in der auch das BGE eingeführt wird:
"Wer soll das bezahlen? Andere reden davon, dass es eine Art nutzlose Klasse geben wird — für diese wird man ein bedingungsloses Grundeinkommen andenken müssen. Denken Sie nicht so?
Mazal: Es ist ein Skandal, von Menschen als nutzlose Klasse zu sprechen. Es wäre eine Kapitulation der Humanität einer Gesellschaft, wenn sie das zulassen würde. Wir sollten uns bemühen, trotz Digitalisierung für alle Arbeit zu suchen, die Anerkennung und sozialen Schutz schafft. Ich finde, dass wir jedem Arbeitsfähigen Arbeit geben sollen. Deshalb bin ich gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen. Es würde Menschen zwar durch Transferleistung ruhigstellen, aber keinen Selbstwert durch Anerkennung verschaffen. Hier liegt auch ein wichtiges Finanzierungspotenzial — verkürzt gesagt: Arbeitsentgelt statt Arbeitslosengeld."
Zurecht bemerkt Mazal, dass es skandalös ist, "Menschen als nutzlose Klasse" zu bezeichnen (dafür gab es vor Jahren eine Diskussion über "Überflüssige", siehe hier und hier). Denn in einer Demokratie ist kein Mensch "nutzlos" bezüglich seiner Zugehörigkeit zu ihr. Was er als Kapitulation vor der Humanität erkennt, nimmt dann die Haltung eines fürsorglichen Paternalismus an. Wenn "wir" für alle "Arbeit suchen" sollen oder gar jedem "Arbeitsfähigen Arbeit geben sollen" und beides als Begründung dafür anführt, weshalb er gegen ein BGE ist, dann bestätigt er, dass er ein Jenseits der Erwerbsarbeit als legitimen Ort des Engagements gar nicht anerkennt. Die Ausweitung des Arbeitsbegriffs ist eine Ausweitung der Erwerbsarbeit, nicht aber der Ermöglichung von Engagement in den verschiedensten Tätigkeitesfeldern. Genau das aber würde ein BGE leisten können, ohne heute unbezahlte Arbeit zu kommodifizieren, also in ein Erwerbsverhältnis notwendig hineinzusaugen. Das bedeutet natürlich nicht, dass es nicht zugleich ein Bemühen darum geben kann, die Dienstleistung Pflege attraktiver zu machen. Beides gehört zusammen, doch nur das BGE würde beides gleichrangig möglich machen.
Sascha Liebermann
2. März 2017
"Der Mensch ist ein bequemes Wesen, reagiert aber auf ökonomische Anreize..."...
TA:"Was macht Sie so sicher, dass ein Grundeinkommen nicht vor allem fauler macht?"
S: "Weil es empirisch widerlegt ist! Der Mensch ist ein bequemes Wesen, reagiert aber auf ökonomische Anreize. Wir reden von einem Existenzminimum. Wenn man Menschen fragt, ob sie ein Leben lang von 1000 Euro leben wollen, würden die meisten Nein sagen. Auch weil Arbeit für viele etwas ist, das den Tag strukturiert, soziale Kontakte, Anerkennung und Genugtuung schafft."
Wie bekommt man das zusammen? Zuerst wird der Mensch als bequem eingeordnet, der aber auf "ökonomische Anreize", das müssen in dem Fall Stimuli sein, reagiert. Das ist wieder so einfach gedacht wie schon in anderen Beiträgen von Straubhaar - letztlich sozialmechanisch. Dass die Lebenspraxis der Maxime folgt, Bewährtes nicht ohne Not aufzugeben, ist keine Bequemlichkeit. Es erlaubt vielmehr Kontinuität, Verlässlichkeit und damit einen unaufgeregten Alltag. Das kann durchaus auch so weit gehen, dass an Bewährtem noch festgehalten wird, wenn es Probleme nicht mehr löst, die es einst zu lösen in der Lage war. Das ist aber ein anderer Blick auf "Bequemlichkeit", als Straubhaar ihn erkennen lässt. Dass "Anreize" - ein missverständlicher Begriff - lediglich Handlungsmöglichkeiten sind, die z. B. von der Warte eines Individuums aus bewertet werden, geht dabei verloren. Sie wirken nicht lenkend auf das Individuum ein, sie stellen es lediglich vor Handlungsalternativen. Anreize erzeugen aber nicht ein bestimmtes Handeln. Wie jemand mit diesen Handlungsalternativen umgeht, hängt sowohl von Bildungsprozessen sowie kollektiven Bewertungen dieser Alternativen ab.
Gegen Ende des zitierten Absatzes bringt Straubhaar dann andere Gründe dafür ins Spiel, die nicht mehr im engeren Sinne "ökonomische Anreize" darstellen. Wer (Erwerbs-)Arbeit benötigt, um eine Tagesstruktur zu erhalten, für den ist die Sache, um die es in der Arbeit gehen sollte, nachrangig. Erwerbsarbeit erhält dadurch beinahe eine therapeutische Dimension. Das bringt erhebliche Einschränkungen mit sich für die Bewältigung von Aufgaben, um die es in Erwerbstätigkeit gehen sollte.
"Soziale Kontakte", die durch Erwerbstätigkeit entstehen, sind vor allem kollegialer Art, denn Personen begegnen sich am Arbeitsplatz bezogen auf einen Zweck, dem sie dienen, nicht aber um ihrer selbst willen. Das wird oft übersehen und deswegen das Verhältnis zu Kollegen verklärt. Dabei ist es für Kollegialbeziehungen wichtig, beides auseinanderzuhalten, freundschaftliche und kollegiale Beziehungen, zur Stärkung der einen, der kollegialen, wie der anderen, der freundschaftlichen Seite. Werden sie nicht auseinandergehalten, sind Loyalitätskonflikte die Folge. Entsprechend steht in Kollegialbeziehungen die Aufgabe im Zentrum, in persönlichen (soziologisch: diffusen) Beziehungen steht die Person im Zentrum. Anerkennung, die Straubhaar hier ebenso anführt, bezieht sich in Kollegialbeziehungen auf Leistung, nicht auf die Person jenseits davon. Anerkennung um ihrer selbst willen, also Anerkennung der Person, nicht der Leistung wegen, gibt es nur in Beziehungen, wo diese auch im Zentrum steht: in Familie, Freundschaften und Gemeinwesen (Bürger). Die Aufgabenbezogenheit von Kollegialbeziehungen ist auch der Grund, weshalb Integration von Personen als ganzen Menschen, gerade nicht durch Kollegialbeziehungen geschieht. Integration im Sinne einer Anerkennung der Person erfolgt über den Zugehörigkeitsstatus zum Gemeinwesen, in republikanischen Demokratien am umfassendsten durch Staatsbürgerschaft, weil sie aktive und passive Rechte in vollem Umfang beinhaltet.
An einer anderen Stelle hebt Straubhaar heraus, dass Finanzierungsfragen tatsächlich Gestaltungsfragen sind - ein wichtiger Hinweis, denn oft werden Finanzierungsfragen so behandelt, als gingen sie den Gestaltungsfragen voraus. Solange man nicht weiß, was gestaltet werden soll, kann auch die Finazierung nicht in Angriff genommen werden:
TA: "Sie schreiben, die Frage der Finanzierbarkeit sei dramatisch falsch gestellt. Ist das nicht die eigentliche Grundsatzfrage?"
S: "Das ist richtig, aber die allererste Frage muss doch sein: Was soll wofür finanziert werden? Was soll der deutsche Sozialstaat im Jahr 2025 oder 2040 leisten? Wie weit soll er Leistungsstaat sein, wie weit Gerechtigkeitsstaat und Umverteilungsstaat? Das sind die zentralen gesellschaftlichen Fragen der Zukunft, und daraus ergeben sich Mittelbedarf und Finanzierbarkeit. Das Grundeinkommen ist ein Instrument, um politische Ziele zu erreichen, aber die muss man erst einmal definieren."
Sascha Liebermann
28. September 2016
"Arbeit diszipliniert, aber sie gibt dem Leben auch Sinn und Struktur."…
Thomas Loer
13. September 2011
Grundeinkommen auch für Häftlinge?
Bei genauerer Betrachtung aber müssen wir uns vor Augen führen, was es bedeutet, wenn jemand eine Haftstrafe verbüßt (Strafgefangene oder auch Sicherungsverwahrte). Strafgefangener unter Bedingungen eines Rechtsstaats wird jemand, weil er zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist, das ist zuerst einmal trivial. Er hat mit seiner Tat die Rechtsordnung verletzt, die die Rechtsgemeinschaft sich gegeben hat. Nach geltendem Recht wird er verurteilt. Das richterliche Urteil vollzieht eine Wiederherstellung dieser Rechtsordnung, die durch die Tat verletzt wurde. Wichtig ist hierbei, welche Bedeutung dabei der Strafe zukommt. Schon der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel hat darauf hingewiesen (siehe G.W.F. Hegel, Grundlinien der Philosphie des Rechts § 99), dass die Bestrafung des Täters nicht bloß seine Unterwerfung unter das Recht vollzieht, sondern zugleich ihn als Täter, als mündige Person, anerkennt. Strafe und Anerkennung gehören also zusammen.
Was folgt hieraus nun für die zur Diskussion stehende Frage? Zumindest für den Fall, dass eine Haftstrafe durch Inhaftierung verbüßt wird, wäre die Bereitstellung des bGEs auszusetzen. Der Zweck des bGEs, die Entscheidungsautonomie zu stärken und Freiräume zu erhöhen, wäre durch die Inhaftierung als Folge der Staftat aufgehoben. Bei Strafen, die auf Bewährung ausgesetzt werden, sähe die Lage wohl anders aus, da der Täter in sein Lebensumfeld zurückkehren kann. Würde das bGE hier ausgesetzt, würde eine Erwerbsverpflichtung eingeführt. Der Verurteilte müsste sich dann in einem Wettbewerb behaupten, indem er nicht dieselbe Verhandlungsposition hätte wie andere, der Zweck des bGEs würde dadurch unterlaufen.
Nachtrag: In einer Zuschrift wurde darauf hingewiesen, dass das bGE sehr wohl ausgezahlt werden könnte und bei Straftgefangenen auf die entstehenden Kosten angerechnet werden sollte. In der Tat wäre das ebenso denkbar, hätte aber eine andere Bedeutung. Das bGE weiterzuzahlen und anzurechnen würde die Inhaftierung Kosten bilanzierend behandeln. Die Verletzung der Rechtsordnung ist aber eine Verletzung der Rechtsgemeinschaft als politischer Gemeinschaft, die eine Voraussetzung dafür ist, dass es überhaupt ein bGE geben kann. Das bGE für die Zeit der Inhaftierung auszusetzen, würde also auch zum Ausdruck bringen, dass eine Straftat eine Verletzung der Gemeinschaft darstellt.
Sascha Liebermann
5. Juni 2009
Armut - wovon reden wir und was würde ein bedingungsloses Grundeinkommen ändern?
Wenn also Traumatisierungen des konkreten Lebens hinter einigen, wenn nicht sogar vielen Formen von Armut stehen, dann stellt sich um so mehr die Frage, wie es möglich ist, Armut zu vermeiden und Selbstheilungskräfte des traumatisierten Lebens zu stärken, statt sie durch Bevormundung zu schwächen. An diesem Punkt wird es heikel, es geht ums Ganze von Selbstbestimmung und Freiheit. Schauen wir, um einen Eindruck über die öffentliche Armutsdiskussion zu erhalten, in den Dritten Armuts-und Reichtumsbericht der Bundesregierung aus dem Jahre 2008, so ist er geprägt von einer Strategie, die man als Armutsvermeidung von oben bezeichnen könnte. Ermöglichung eines selbstbestimmten Lebens hat hierin einen geringen, Aktivierung und damit Fremdbestimmung einen hohen Stellenwert, wie an folgender Passage zu erkennen ist:
Kern sozial gerechter Politik ist es, ökonomische und soziale Teilhabe- und Verwirklichungschancen für alle Mitglieder in der Gesellschaft zu ermöglichen. Politik, die dazu beitragen will, Armut und soziale Ausgrenzung zu verhindern, kann sich daher nicht in der Sicherung materieller Grundbedürfnisse erschöpfen. Dauerhafte Abhängigkeit von staatlicher Fürsorge führt zur Verfestigung von Armut – teilweise über Generationen hinweg – und muss vermieden werden. (S. I)
Im Klartext heißt das: die Abhängigkeit von Transferleistungen muss beendet werden und der einzige Weg dazu ist bislang die Rückführung eines Leistungsbeziehers in Erwerbsarbeit. Dass nicht die Daueralimentierung als solche, wie es bei einem bGE der Fall wäre, der Grund für diese „Verfestigung“ ist, sondern dass es sich hierbei um ein Missverhältnis von Zielen der Transferleistungen und der Problemlage der Bezieher handelt, wird nicht erwogen. In der Studie werden die meisten Einschätzungen zu Gründen für Armut ins Verhältnis zu Einkommensmangel gesetzt. Folglich – und ganz konsequent – müssen die Chancen auf Einkommenserzielung durch Erwerb erhöht werden. Bildung steht ganz in ihrem Dienst. Alle gegenwärtigen Maßnahmen im Sozialgesetzbuch, die für Transferleistungsempfänger Anwendung finden, werden genau damit gerechtfertigt. Das Streben nach Aktivierung bedeutet immer auch die Bereitstellung von Sanktionsmitteln für diejenigen, die sich nicht aktivieren lassen wollen. (Im Beschluss zum Europäischen Jahr gegen soziale Ausgrenzung und Armut, Arikel 2 ff., klingt das nicht besser.)
Diese Armutspolitik setzt ein bestimmtes Lebensideal voraus, das nicht in Frage gestellt wird. Wer ihm nicht entspricht, gilt als gescheitert. Damit eröffnet diese Sozialpolitik in Form der Leistungen des SGB XII gerade für diejenigen keine Perspektive, deren Problemlagen nicht aus einer Einkommenslosigkeit resultieren, sondern deren Einkommenslosigkeit schon Ausdruck lebensgeschichtlicher Traumatisierungen ist. Artikel 1 besagt: Aufgabe der Sozialhilfe ist es, den Leistungsberechtigten die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht. Die Leistung soll sie so weit wie möglich befähigen, unabhängig von ihr zu leben; darauf haben auch die Leistungsberechtigten nach ihren Kräften hinzuarbeiten. Zur Erreichung dieser Ziele haben die Leistungsberechtigten und die Träger der Sozialhilfe im Rahmen ihrer Rechte und Pflichten zusammenzuwirken.
Wer aber von einer solchen Leistung gerade abhängig ist, muss sich dennoch vor dem kollektiv errichteten Erwerbsideal verantworten. Jegliche Sozialarbeit, die in diesem Zusammenhang erfolgt, muss sich ebenfalls vor diesem Ideal verantworten. Bis in Fördermassnahmen für Menschen mit Behinderung reicht dies hinein.
Was würde ein bGE hinsichtlich dieser Fragen ändern?Die Antwort ist einfach. Wo es sich bei Armutsphänomenen um bloßen Einkommensmangel handelt, würde das bGE ihn beheben, sofern es ausreichend hoch ist. Initiative würde so gestärkt. Wo hingegen Traumatisierungen und vorübergehende Lebenskrisen Grund der Einkommensarmut sind, würde das bGE ausdrücklich dazu ermutigen, sich diesen Krisen zu stellen und Hilfe aufzusuchen, wenn der Einzelne sie will. Da das bGE kein Lebensziel mehr vorschreibt, müsste sich der Einzelne auch nicht mehr an einem bestimmten Ziel messen lassen. Durch die Ermöglichung von Selbstbestimmung macht das bGE mit Freiheit ernst, einer Freiheit, die auch es auch erlaubt, jegliches Hilfsangebot abzulehnen.
An einer so weit reichenden Freiheit scheiden sich die Geister. Die einen meinen, sogenannte bildungsferne Milieus dürfe man nicht sich selbst überlassen. Die Helfer wissen, was für diejenigen gut ist, denen zwangsgeholfen werden soll, kurzum: sie befürworten eine Helferdiktatur. Diese wird natürlich gerne mit aufklärerisch klingenen Schlagworten gepriesen wie "Verantwortung für andere" oder "Fürsorge".Eine solche Hilfe stünde der durch ein bGE gewonnenen Freiheit nicht nur entgegen, es verschärfte die Probleme derer, denen zwangsgeholfen werden soll, denn diese Hilfe verstärkt ihre Abhängigkeit. Statt die Selbstheilungskräfte durch das Eröffnen von Freiräumen zu fördern, würden sie durch Bevormundung geschwächt.
All zu leicht wird von den Helferdiktatoren übersehen, wie sehr schon heute Interventionen im Namen des Kindeswohls eine Gratwanderung darstellen. Wahrhaben wollen sie nicht, wie wenig sie diejenigen erreichen, die sich schon heute nicht helfen lassen wollen. Wer heute daran leidet in seinem Leiden nicht anerkannt zu werden, der würde durch ein bGE genau diese Anerkennung erfahren. Anerkennung ist als solche schon Ermutigung. Sozialarbeit stünde auf einem anderen Fundament, wenn Einkommensversorgung (durch das bGE) und Hilfsangebote, voneinander eindeutig getrennt würden. Kinder- und Jugendhilfe hätte ebenfalls eine andere Basis, nicht nur weil Jugendliche, die fremduntergebracht würden, ein BGE mitbrächten. Sie stünden ebenfalls nicht mehr unter dem Druck, auf Teufel komm raus, einen Platz im Arbeitsmarkt zu erringen.
Vielfältige Auswirkungen sind denkbar und zugleich weist das BGE dem Helfen eine Grenze: die des Individuums.
Sascha Liebermann